JudikaturJustiz4Ob103/14x

4Ob103/14x – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Juli 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers G***** H*****, vertreten durch Pieler Pieler Partner KG, Rechtsanwälte in Wien, wider die Antragsgegnerin Stadt Wien, MA 64, vertreten durch Rudeck Schlager Rechtsanwalts KG in Wien, wegen 4.621,46 EUR sA, infolge Revisionsrekurses des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 3. April 2014, GZ 44 R 160/14a 49, womit infolge Rekurses des Antragstellers der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 17. Jänner 2014, GZ 12 Nc 116/12w 41, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Aus Anlass des Revisionsrekurses werden die Entscheidungen der Vorinstanzen und das ihnen vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben. Der Antrag wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Text

Begründung:

Der Antragsteller ist Eigentümer einer Liegenschaft in Wien. Er ist unstrittig verpflichtet, einen Teil seiner Liegenschaft gemäß § 17 Abs 1 Wiener Bauordnung (Wr BauO) grundsätzlich unentgeltlich (§ 17 Abs 4 Wr BauO) in das öffentliche Gut zu übertragen. § 17 Abs 4a Wr BauO räumt dem Antragsteller die Möglichkeit ein, seine Verpflichtung zu erfüllen, indem er anstatt einer realen Grundabtretung eine Geldleistung an die Gemeinde (Antragsgegnerin) in Höhe des vollen Grundwerts sowie einen angemessenen Kostenbeitrag leistet (Lösungsbefugnis).

Strittig ist zwischen den Parteien die Bewertung der unentgeltlich in das öffentliche Gut abzutretenden Grundfläche. Die Antragsgegnerin hat mit Bescheid vom 6. 6. 2012 die Höhe der vom Antragsteller als Lösungsbefugnis zu erbringenden Geldleistung mit 4.621,46 EUR vorgeschrieben.

Der Antragsteller hat nach der damals geltenden Rechtslage als Partei des verwaltungsbehördlichen Einlösungsverfahrens fristgerecht einen Antrag auf gerichtliche Festsetzung der Entschädigung gestellt, womit die Entscheidung über die Entschädigung außer Kraft getreten ist (§ 59 Abs 8 Wr BauO in der bis zum 31. 12. 2013 geltenden Fassung).

Das Erstgericht bestimmte mit Beschluss vom 17. 1. 2014 den vom Antragsteller zwecks Erfüllung seiner unentgeltlichen Abtretungsverpflichtung in das öffentliche Gut zu leistenden Betrag mit 4.621,46 EUR.

Das Rekurgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, da höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Bewertung von Geldleistungen nach § 17 Abs 4a, § 57 Abs 3 Wr BauO fehle.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass des zulässigen Revisionsrekurses des Antragstellers ist die mangelnde Prozessvoraussetzung der Zulässigkeit des Rechtswegs im engeren Sinn (die Sache gehört nicht vor die Gerichte) wahrzunehmen.

1. § 59 Abs 8 Wr BauO in der bis zum 31. 12. 2013 geltenden Fassung legt für die hier geltend gemachte Festsetzung der Entschädigungsleistung eine sukzessive Kompetenz fest (vgl RIS Justiz RS0117047, RS0063070). Entsprechend den Grundsätzen zur sukzessiven Kompetenz hat das Gericht nicht die Verwaltungsentscheidung zu prüfen, sondern ein eigenes Verfahren durchzuführen und aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen vollkommen neu zu entscheiden (RIS Justiz RS0053868 [insb T6] zu § 77 Abs 1 oö JagdG; 4 Ob 93/12y).

2. Mit 1. 1. 2014 trat im Rahmen des Verwaltungsgerichtsbarkeits Anpassungsgesetzes eine Novelle der Wr BauO in Kraft (LGBl 2013/35, Art XIV Abs 2), mit der § 59 Abs 8 Wr BauO entfällt (LGBl 2013/35, Art I Z 13). Übergangsbestimmungen für anhängige Verfahren enthält die Novelle nicht. Eine gerichtliche Kompetenz für den hier verfolgten Anspruch auf Festsetzung einer Entschädigungsleistung bestand demnach bereits im Zeitpunkt der Entscheidungen beider Vorinstanzen nicht mehr.

3. Die Zulässigkeit des Rechtswegs ist eine absolute, in jeder Lage des Verfahrens bis zur Rechtskraft der Entscheidung (auch) von Amts wegen wahrzunehmende Prozessvoraussetzung (§ 55 Abs 3 AußStrG; vgl RIS Justiz RS0062118 zum Verstoß gegen die Rechtskraft; Scheuer in Fasching/Konecny I³ § 42 JN Rz 15; vgl RIS Justiz RS0046249 [T4], RS0046861 [T5], RS0041940). Die Unzulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs begründet eine Nichtigkeit der davon betroffenen Entscheidung analog § 477 Abs 1 Z 6 ZPO (RIS Justiz RS0007419). Maßgebend ist die Sach und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über die Voraussetzung (vgl 6 Ob 682/84 = EvBl 1985/110; vgl RIS Justiz RS0046564 [T1]).

4. Der Grundsatz des § 29 JN (perpetuatio fori), der auch im Außerstreitverfahren anzuwenden ist (RIS Justiz RS0046068), gilt nur für die Zuständigkeit, nicht aber für die Zulässigkeit des Rechtswegs. Deren nachträglicher Fortfall hat immer die Nichtigerklärung des gesamten Verfahrens und die Zurückweisung der Klage zur Folge. Dies gilt auch für das Rechtsmittelverfahren (2 Ob 140/89 = SZ 63/11; RIS Justiz RS0046060; Mayr in Rechberger , ZPO 4 § 29 JN Rz 3; Scheuer in Fasching/Konecny I³ § 29 JN Rz 19). Auch im Rechtsmittelverfahren ist demnach auf Sachverhalts und Gesetzesänderungen Bedacht zu nehmen, soweit diese Einfluss auf das Vorliegen der Prozessvoraussetzung haben (3 Ob 127/05f = SZ 2005/153; vgl RIS Justiz RS0046564 [T2]).

5. Die Gesetzesänderung, die die Rechtssache dem Wirkungskreis der Gerichte entzogen hat, ist hier bereits vor dem Schluss der Verhandlung erster Instanz erfolgt. Die dadurch eingetretene Unzulässigkeit des Rechtswegs ist aus Anlass des zulässigen Rechtsmittels (§ 55 Abs 3 AußStrG; zum streitigen Verfahren vgl RIS Justiz RS0041940; Garber in Fasching/Konecny I³ § 42 JN Rz 15) von Amts wegen (4 Ob 93/12y; Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 56 Rn 4) aufzugreifen.

6. Eine den Obersten Gerichtshof nach § 42 Abs 3 JN bindende Entscheidung liegt nicht vor. Die Vorinstanzen haben nämlich über eine Unzulässigkeit des Rechtswegs weder im Spruch noch in den Gründen ihrer Entscheidungen abgesprochen. Für den Eintritt der genannten Bindungswirkung reicht es nicht aus, wenn die Vorinstanzen die Rechtswegzulässigkeit nur implizit durch meritorische Behandlung des Anspruchs und Fällung einer Sachentscheidung bejaht haben (vgl RS0046249 [T2, T3, T5]).

7. Aus diesen Gründen sind die Entscheidungen der Vorinstanzen samt dem vorangegangenen Verfahren als nichtig aufzuheben, und der Antrag ist zurückzuweisen.

8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 51 Abs 2 ZPO per analogiam ( Obermaier in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 78 Rn 114 mN in FN 291). Die Kosten des Verfahrens sind mangels Verschuldens des Antragstellers an der Einleitung des Verfahrens gegenseitig aufzuheben ( Garber in Fasching/Konecny I³ § 42 JN Rz 22).

Rechtssätze
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