JudikaturJustiz2Ob180/12b

2Ob180/12b – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Februar 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei Ö*****, vertreten durch Nistelberger Parz Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei J***** K***** (KG), *****, vertreten durch Dr. Harald Ofner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen 1. (41 C 858/99b) 3.535,75 EUR sA und Räumung, sowie 2. (41 C 636/02p) 9.820,15 EUR sA und Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 30. Mai 2012, GZ 39 R 367/11a 17, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die klagende Partei hat ihr Zahlungsbegehren betreffend die Mietzinsrückstände aus den Jahren 1999 und 2000 bis zuletzt aufrecht erhalten. Schon daraus ist ersichtlich, dass sie das Räumungsbegehren weiterhin (auch) auf diese Mietzinsrückstände stützte. Von einer Entscheidung über einen Anspruch, „der gar nicht geltend gemacht wurde“, kann daher keine Rede sein.

2. In der Tagsatzung vom 25. 3. 2010 hat die klagende Partei die behauptete Gegenforderung bestritten und sie weder „in Abzug gebracht“ noch ihr Räumungsbegehren „eingeschränkt“. Indem sie ihr Räumungsbegehren „ausdrücklich auf den zugestandenen Mietzinsrückstand von etwa 170.000 EUR“ stützte (AS 57), hat sie wie sich aus dem Gesamtzusammenhang des wechselseitigen Vorbringens in dieser Tagsatzung unzweifelhaft ergibt lediglich zum Ausdruck gebracht, ihr Räumungsbegehren nunmehr auf den gesamten offenen Mietzinsrückstand aus den Jahren 1999 bis 2009 stützen zu wollen, der „selbst unter Berücksichtigung der behaupteten Gegenforderung“ etwa 170.000 EUR betragen würde (AS 55).

3. Auch im Falle des Schlusses der Verhandlung nach § 193 Abs 3 ZPO ist für die Beurteilung des Anspruchs die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz maßgeblich; auf den Zeitpunkt der Urteilsfällung kommt es nicht an (RIS Justiz RS0036947; Fucik in Rechberger , ZPO³ § 193 Rz 4).

Die Vorinstanzen ließen daher zu Recht jene Tatsachen unberücksichtigt, die sich erst nach dem Schluss der Verhandlung am 25. 3. 2010 ereignet haben, so auch die behauptete Zahlung vom 20. 5. 2010. Das diesbezügliche Revisionsvorbringen der beklagten Partei verstößt gegen das Neuerungsverbot und ist daher unbeachtlich. Soweit die beklagte Partei das Unterbleiben der von ihr beantragten Wiedereröffnung des Verfahrens rügt, releviert sie einen bereits vom Berufungsgericht verneinten Verfahrensmangel erster Instanz, den sie vor dem Revisionsgericht nicht mehr geltend machen kann (vgl 7 Ob 96/12m; RIS Justiz RS0037029, RS0042963 [T10]).

4. Ist der in einem Verfahren als Hauptfrage entschiedene Anspruch eine Vorfrage für ein weiteres Verfahren zwischen denselben Parteien, entfaltet die Vorentscheidung Bindungswirkung (7 Ob 254/10v mwN; vgl RIS Justiz RS0041567; RS0039843). Das Ausmaß dieser Bindungswirkung (als Teil der materiellen Rechtskraft) wird zwar nach ständiger Judikatur durch den Urteilsspruch bestimmt; Entscheidungselemente, wie die Tatsachenfeststellungen, sind für sich allein (isoliert) nicht rechtskraftfähig (RIS Justiz RS0041285). Für die Auslegung der Tragweite des Spruchs sind allerdings nach ständiger Rechtsprechung auch die Entscheidungsgründe heranzuziehen (RIS Justiz RS0000300, RS0041357). Auf die Entscheidungsgründe und damit die Tatsachenfeststellungen erstreckt sich die materielle Rechtskraft daher (jedenfalls) so weit, als diese zur Auslegung und zur Individualisierung des Spruchs der Entscheidung notwendig und damit entscheidungswesentlich sind (7 Ob 254/10v mwN). Dass die Entscheidungsgründe zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftigen Anspruchs heranzuziehen sind, gilt insbesondere, wenn der Umfang der Rechtskraftwirkung eines abweisenden Urteils festgestellt werden soll (RIS Justiz RS0043259); bei abweislichen Entscheidungen beschränkt sich die Bindungswirkung auf die maßgeblichen Abweisungsgründe (RIS Justiz RS0041454).

Die beklagte Partei behauptet nicht, dass den im Parallelprozess (trotz späteren Verhandlungsschlusses bedeutend früher als im gegenständlichen Verfahren) ergangenen Entscheidungen Feststellungen zugrunde lagen, die sich auf den Verzug der beklagten Partei mit der Zahlung der Mietzinsrückstände aus den Jahren 1999 und 2000 beziehen. Solches geht auch aus den dem Obersten Gerichtshof vorliegenden Prozessakten nicht hervor. Danach war tragende Begründung für die in Rechtskraft erwachsene Abweisung des Räumungsbegehrens, dass die beklagte Partei am Verzug mit der Tilgung der Mietzinsrückstände aus den Jahren 2001 bis 2009 kein grobes Verschulden traf.

Dies begründet aber keine präjudizielle Vorfrage für die Entscheidung über das hier zu beurteilende Räumungsbegehren, das vorwiegend auf die bei Schluss der Verhandlung noch unberichtigt aushaftenden Mietzinsrückstände aus den Jahren 1999 und 2000 gestützt worden ist. Das Berufungsgericht konnte daher frei von einer Bindung an die bereits rechtskräftige Abweisung des Räumungsbegehrens im Parallelprozess über die Berufung der beklagten Partei entscheiden.

Rechtssätze
9