JudikaturJustiz2Ob142/03a

2Ob142/03a – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Juni 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Willibald S*****, vertreten durch Dr. Thomas Praxmarer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei I***** AG, ***** , vertreten durch Dr. Günter Zeindl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen EUR 29.069,13 sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 13. März 2003, GZ 4 R 22/03x-19, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 22. November 2002, GZ 5 Cg 118/01h-15, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Text

Entscheidungsgründe:

Am 5. 12. 1998 ereignete sich gegen 21.15 Uhr im Gemeindegebiet von Sölden ein Verkehrsunfall, bei dem der von Brigitte F***** gehaltene, bei der beklagten Partei haftpflichtversicherte PKW Suzuki SJ 40, Kennzeichen *****, von der Fahrbahn abkam, sich mehrmals überschlug und sodann gegen einen Baum prallte. Bei diesem Unfall wurde der im Fahrzeug befindliche Kläger schwer verletzt. Ein weiterer Fahrzeuginsasse wurde getötet.

Der Kläger brachte vor, Beifahrer in dem verunfallten Fahrzeug, das von Markus S***** gelenkt worden sei, gewesen zu sein. Die mit den Verletzungen verbundenen Schmerzen und Folgen rechtfertigten ein Schmerzengeld von S 400.000,--, weiters bestehe ein rechtlichen Interesse an der Feststellung der Haftung der beklagten Partei. Der Kläger begehrte, die beklagte Partei zur Zahlung von S 400.000,-- sA zu verurteilen und deren Haftung, beschränkt mit der Versicherungssumme aus dem am Unfallstag bestehenden KFZ-Haftpflichtversicherungsvertrag für den PKW *****, für zukünftige unfallskausale Schäden festzustellen.

Die beklagte Partei wendete ein, es sei unrichtig, dass vermutlich Markus S***** zum Unfallszeitpunkt das Fahrzeug gelenkt habe und der Kläger Beifahrer gewesen sei. Fest stehe, dass sowohl Markus S***** als auch der Kläger hochgradig alkoholisiert gewesen seien, was dem Kläger auf Grund des gemeinsamen Alkoholkonsums auch erkennbar gewesen sei. Der Kläger müsse sich ein Mitverschulden von 50 % anrechnen lassen, wenn unrichtigerweise davon ausgegangen werde, dass Markus S***** das Fahrzeug gelenkt habe. Da der Kläger den Sicherheitsgurt nicht angelegt gehabt habe, sei das Schmerzengeld um eine weitere Mitverschuldensquote von 25 % zu kürzen. Das Erstgericht verurteilte die beklagte Partei zur Zahlung von EUR 14.534,57 sA und stellte die Haftung der beklagten Partei beschränkt mit der Versicherungssumme aus der KFZ-Haftpflichtversicherung am Unfallstag für den PKW ***** für weitere Schmerzengeldansprüche zu 50 % und für die weiteren unfallskausalen zukünftigen Nachteile zu 75 % fest. Das Mehrbegehren von EUR 14.534,57 sA, weiters das Begehren auf Feststellung der Haftung zu weiteren 50 % für Schmerzengeldansprüche und 25 % für sonstige unfallskausale zukünftige Schäden wurde abgewiesen.

Hiebei ging das Erstgericht ua von folgenden Feststellungen aus:

Am Unfallstag fuhren der Kläger und Markus S***** zwischen 18.00 Uhr und 19.00 Uhr von ihrer Arbeitsstelle mit dem Fahrzeug der Lebensgefährtin des Klägers zu ihrer Unterkunft. Gegen 19.00 Uhr unterbrachen sie die Fahrt und kehrten in eine an der Straße gelegene Schihütte ein. Beide sprachen kräftig dem Alkohol zu. Gegen 21.00 Uhr setzten sie ihre Heimfahrt fort. Etwa eine viertel Stunde später kam das mit neuwertigen Winterreifen ausgestattete Fahrzeug infolge eines gravierenden alkoholbedingten Fahrfehlers des Lenkers auf gerader ansteigender Straße mit schneebedeckter, jedoch griffiger Fahrbahn rechts von der Straße ab, stürzte sich mehrmals überschlagend über die steile Böschung, prallte nach etwa 20 m gegen einen Baum und kam zum Stillstand. Beide Insassen wurden aus dem Fahrzeug geschleudert. Während Markus S***** noch an der Unfallstelle verstarb, erlitt der Kläger ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit offenem Schädelbruch und eine Reihe weiterer Verletzungen. Spätfolgen sind nicht auszuschließen. Der Kläger war zum Unfallszeitpunkt nicht angegurtet, bei Anlegen des Sicherheitsgurtes wäre er nicht so schwer verletzt worden.

Sowohl der Kläger als auch Martin S***** hatten zum Unfallszeitpunkt einen Blutalkoholgehalt von etwa 2 %o. Vor Antritt der Fahrt nach Besuch der Schihütte wusste der Kläger, dass Martin S***** höhergradig alkoholisiert war. Nicht feststellbar ist, wer zum Unfallszeitpunkt als Lenker des Fahrzeuges fungierte. Sowohl der Kläger als auch Markus S***** chauffierten abwechselnd das Fahrzeug der Lebensgefährtin des Klägers.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, da dem Kläger der Beweis, dass Markus S***** das Fahrzeug gelenkt habe, nicht gelungen sei, könne er seinen Anspruch nicht auf Haftung aus Verschulden stützen, es komme nur Gefährdungshaftung nach dem EKHG als Haftungsgrundlage in Betracht. Dem Kläger sei der Beweis, dass die Schädigung beim Betrieb des Fahrzeuges erfolgt sei, gelungen. Der beklagten Partei als Haftpflichtversicherer sei jedoch der ihr obliegende Beweis, dass der Kläger selbst das Fahrzeug gelenkt habe, nicht gelungen. Um den Ausnahmetatbestand des § 3 Z 3 EKHG für sich in Anspruch nehmen zu können, hätte die beklagte Partei beweisen müssen, dass der Kläger selbst das Fahrzeug gelenkt habe. Darin, dass der Kläger die Fahrt mit einem erkennbar alkoholisierten Lenker angetreten habe, liege ein Mitverschulden, das mit 25 % zu bewerten sei. Im Hinblick darauf, dass der Kläger den Sicherheitsgurt nicht angelegt gehabt habe, sei sein Anspruch auf Schmerzengeld um weitere 25 % zu kürzen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes insgesamt EUR 20.000,-- nicht übersteige und dass die Revision nicht zulässig sei. Es führte im Wesentlichen folgendes aus:

Der Oberste Gerichtshof habe sich in 2 Ob 86/98f ausführlich mit der Frage der Beweislastverteilung bei Berufung auf den Ausnahmetatbestand des § 3 Z 3 EKHG auseinandergesetzt; er sei zur Auffassung gekommen, dass die bisherige Rechtsprechung, wonach es Sache des geschädigten Klägers sei, zu beweisen, dass er nicht im Sinn des § 3 Z 3 EKHG beim Betrieb des Fahrzeuges tätig gewesen sei, nicht aufrecht erhalten werden könne. Für das Vorliegen der im § 3 EKHG genannten Ausschlusstatbestände treffe die Beweislast Betriebsunternehmer oder Halter. In 2 Ob 156/99a habe der Oberste Gerichtshof unter Hinweis auf die in 2 Ob 86/98f dargelegten Grundsätze ausgeführt, jede Partei müsse die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Normen behaupten und beweisen. In Fällen der Haftung ohne eigenes Verschulden des Ersatzpflichtigen müsse der Geschädigte neben Schaden und Verursachung die weiteren Voraussetzungen beweisen, an die das Gesetz die Haftung knüpfe. Bei Ansprüchen nach dem EKHG müsse der Geschädigte nachweisen, dass die Schädigung beim Betrieb des Fahrzeuges erfolgt sei. Hingegen müsse der Halter (und die für ihn haftende Haftpflichtversicherung) die für ihn günstige Ausnahme des § 3 Z 3 EKHG beweisen, um die für ihn nachteilige Gefährdungshaftung abzuwenden. Der Rechtsansicht Fuciks (Die objektive Beweislast besonders im Haftpflichtprozess, RZ 1990, 54 f [58]), der jedenfalls im Fahrzeug befindliche Geschädigte stehe näher zum Beweis als der abwesende Halter, weshalb nicht die Lenkereigenschaft des Klägers die rechtshindernde, sondern die Nichtlenkereigenschaft die rechtserzeugende Tatsache und daher vom Kläger zu beweisen sei, dass er selbst nicht Lenker gewesen sei, könne nicht gefolgt werden. Dass der Geschädigte Insasse des verunglückten Fahrzeuges gewesen sei, der Halter hingegen nicht, reiche allein noch nicht aus, um eine Verschiebung der oben dargestellten Beweislast zu bewirken.

Dem Kläger sei der ihm obliegende Beweis, dass die Schädigung beim Betrieb des Fahrzeuges erfolgte, gelungen. Damit hätte aber die beklagte Partei als für den Halter haftende Haftpflichtversicherung die für sie günstige Ausnahme des § 3 Z 3 EKHG, dass der Kläger das Fahrzeug lenkte, beweisen müssen (s auch 2 Ob 340/00i). Die Ansicht des Erstgerichtes, dass die beklagte Partei als Haftpflichtversicherer den ihr obliegenden Beweis der Lenkereigenschaft des Klägers und sohin den Ausnahmetatbestand des § 3 Z 3 EKHG nicht erbracht habe, weshalb sie nach den Regeln der Gefährdungshaftung für den Unfall einzustehen habe, sei nicht zu beanstanden.

Es entspreche ständiger Rechtsprechung, dass auch einen Geschädigten, der sich vor Antritt der Fahrt durch Genuss von Alkohol außer Stande setze, nachzuprüfen, ob er sich dem Lenker eines Kraftfahrzeuges anvertrauen dürfe, ein Mitverschulden an dem ihm zugestoßenen Unfall, der durch die Trunkenheit des Lenkers herbeigeführt worden sei, treffe (RIS-Justiz RS0026843). Da der Kläger den Mitverschuldensvorwurf nicht bekämpfe, sei nur mehr auf die Quote des Mitverschuldens einzugehen. Für die Beurteilung der Mitverschuldensquote seien immer die besonderen Umstände des Einzelfalles maßgebend. Wenn der Kläger, der gemeinsam mit Markus S***** Alkohol konsumiert habe, sich dennoch dem beträchtlich alkoholisierten und damit fahruntauglichen Markus S***** anvertraut und mit diesem die Heimfahrt angetreten habe, sei sein Verschulden nicht so gravierend wie das des Lenkers, der in erster Linie selbst für seine Fahrtüchtigkeit verantwortlich sei und die Verantwortung für seinen Fahrgast trage. Die vom Erstgericht ausgemessene Verschuldensquote sei unbedenklich (RIS-Justiz RS0027134). Der Oberste Gerichtshof spreche ein Mitverschulden von 50 %, wie dies von der beklagten Partei beantragt werde, nur aus, wenn der Fahrgast den Lenker zum Fahren "überrede" (2 Ob 220/02w).

Da keiner der im § 502 Abs 1 ZPO genannten Tatbestände vorliege, bestehe kein Anlass, die Revision zuzulassen. Das Berufungsgericht habe sich bei der Lösung der Frage der Beweislastverteilung hinsichtlich des Ausnahmetatbestandes des § 3 Z 3 EKHG an der nunmehrigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes, wie sie sich aus den Zitaten ergebe, orientiert. Der Ausmittlung einer Verschuldensquote komme keine über die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles hinausgehende Bedeutung zu.

Auf Antrag der beklagten Partei gemäß § 508 Abs 1 ZPO änderte das Berufungsgericht seinen Unzulässigkeitsausspruch dahin ab, dass die Revision im Hinblick auf die Haftungshöchstbeträge gemäß § 15 EKHG doch für zulässig erklärt werde.

In ihrer wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision beantragt die beklagte Partei die Abweisung des gesamten Klagebegehrens; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die dem Kläger vom Berufungsgericht frei gestellte Revisionsbeantwortung war als verspätet zurückzuweisen, weil sie entgegen § 507a Abs 3 Z 1 ZPO an das Erstgericht adressiert wurde und beim Berufungsgericht erst nach Ablauf der 4-wöchigen Beantwortungsfrist einlangte (vgl Gitschthaler in Rechberger2 § 124 ff ZPO Rz 16 mwN).

Die Revision ist zulässig und teilweise auch berechtigt. Die Rechtsmittelwerberin macht in ihrer Revision im Wesentlichen geltend, die Beweislast für die Nichtlenkereigenschaft treffe den Kläger; dessen Mitverschulden wegen Mitfahrt mit einem erkennbar alkoholisierten Lenker betrage 50 %; die Haftungshöchstbeträge nach EKHG seien nicht berücksichtigt worden.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

Im Antrag des Haftpflichtversicherers auf Abweisung des Klagebegehrens ist auch ein Antrag auf Einschränkung seiner Haftung auf die Höchstbeträge gemäß § 15 EKHG zu sehen; diese Beschränkung, welche als zur rechtlichen Beurteilung gehörig auch von Amts wegen zu beachten ist, ist im Spruch der Entscheidung über das Feststellungsbegehren zum Ausdruck zu bringen (2 Ob 296/99i; 2 Ob 75/02x; 2 Ob 13/03f; RIS-Justiz RS0039011), was im vorliegenden Fall unterblieben ist.

Insoweit war der Revision daher spruchgemäß Folge zu geben. Was die übrigen Revisionsausführungen anlangt, genügt es, gemäß § 510 Abs 3 Satz 2 ZPO auf die zutreffende Begründung der Berufungsentscheidung und die dort zitierte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes hinzuweisen. Hieraus ist die Entscheidung 2 Ob 156/99a hervorzuheben, derzufolge der Haftpflichtversicherer die für ihn günstige Ausnahme des § 3 Z 3 EKHG zu beweisen hat; die Ansicht Fuciks (RZ 1990, 54, 58), der im Fahrzeug befindliche Geschädigte stehe näher zum Beweis als der abwesende Halter (Haftpflichtversicherer), weshalb er zu beweisen habe, dass er selbst nicht der Lenker gewesen sei, wurde ausdrücklich abgelehnt. Der Revision war somit im Übrigen ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, und 50, sinngemäß auch auf § 43 Abs 2 ZPO. Die beklagte Partei ist nur mit einem geringfügigen Teil ihres Revisionsbegehrens durchgedrungen (vgl 2 Ob 296/99i; 2 Ob 75/02x). Die Kosten ihrer Revision hat sie daher selbst zu tragen, die Kosten der Revisionsbeantwortung muss sie nur wegen deren Zurückweisung nicht ersetzen.

Rechtssätze
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