JudikaturJustiz15Os20/11x

15Os20/11x – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. März 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. März 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Tomecek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Stefan K***** wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB, AZ 9 Hv 89/10z des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 20. Jänner 2011, AZ 8 Bs 25/11d (ON 74 der Hv Akten) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Stefan K***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Stefan K***** wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 12. Jänner 2011 anklagekonform des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB sowie der Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB und der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt (ON 67). Er hat dagegen das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet (ON 67 S 19).

Im Anschluss an die Hauptverhandlung wurde die über den Angeklagten am 10. Mai 2010 verhängte Untersuchungshaft (ON 7) aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO fortgesetzt (ON 68). Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 20. Jänner 2011 (ON 74) nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus demselben Haftgrund fort.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen gerichtete Grundrechtsbeschwerde ist nicht im Recht.

Zutreffend ist das Oberlandesgericht hinsichtlich des dringenden Tatverdachts von der wenngleich nicht rechtskräftigen Verurteilung in erster Instanz ausgegangen. Denn ein nach Durchführung eines kontradiktorischen Beweisverfahrens ergangener Schuldspruch begründet jedenfalls einen für die Verhängung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft erforderlichen dringenden Tatverdacht (RIS Justiz RS01008486, zuletzt 15 Os 133/10p). Mit seinen weitwendigen, die Annahme des dringenden Tatverdachts nach Art einer Nichtigkeitsbeschwerde aus Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO bekämpfenden Einwänden wird der Beschwerdeführer darauf verwiesen. Weshalb überdies die Unschuldsvermutung (Art 6 Abs 2 MRK) der Fortsetzung der Untersuchungshaft entgegenstehen sollte, bleibt unerfindlich (Art 5 Abs 1 lit a MRK; RIS-Justiz RS0119511 [T2]).

Die rechtliche Annahme einer der von § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren (hier: Tatbegehungsgefahr) wird vom Obersten Gerichtshof im Rahmen eines Grundrechtsbeschwerdeverfahrens dahin überprüft, ob die Prognoseentscheidung des Oberlandesgerichts aus den in dessen Beschluss angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich bzw unvertretbar angesehen werden müsste (RIS Justiz RS0117806).

Diesem Begründungserfordernis wird die angefochtene Entscheidung gerecht, indem sie die Tatbegehungsgefahr aus aktuellen finanziellen Bedürfnissen des Angeklagten und aus der sich in einem „hemmungslosen, durch vorangehenden Alkoholkonsum geförderten Tatverhalten“ manifestierenden kriminellen Energie ableitete, wobei das Oberlandesgericht auch die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers und seine aufrechte Wohnung im Inland in die Überlegungen einbezog (BS 3 f).

Dem setzt die Beschwerde durch bloßes Bestreiten der Annahmen des Gerichts und durch eigenständige Erwägungen über die persönlichen und finanziellen Verhältnisse des Angeklagten keine substantiellen Argumente entgegen und zeigt daher auch keine Willkür der bekämpften Prognoseentscheidung auf. Das weitere Vorbringen, das Gericht verletze das Gebot der Unschuldsvermutung und das Recht auf ein faires Verfahren, wenn es „meine laufenden Unschuldsbeteuerungen und die für mich sprechenden Entlastungsbeweise völlig negiert“, entzieht sich mangels Ausgehens vom festgestellten dringenden Tatverdacht im Rahmen der Prüfung der Prognoseentscheidung einer inhaltlichen Erwiderung.

Ausgehend von der vom Erstgericht ausgesprochenen Freiheitsstrafe von drei Jahren ist die bisherige Dauer der Untersuchungshaft von knapp zehn Monaten nicht unangemessen. Die nunmehr geforderte Anwendung gelinderer Mittel wurde in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Fortsetzungsbeschluss nicht releviert, sodass es insofern an der Erschöpfung des Instanzenzugs (§ 1 Abs 1 GRBG) mangelt (RIS-Justiz RS0114487 [T1]).

Bemerkt wird, dass die Haftentscheidung des Landesgerichts für Strafsachen Graz (ON 68) zu Unrecht durch den Schöffensenat (ON 67, S 19) und nicht durch die Vorsitzende alleine gefällt wurde, war doch die Hauptverhandlung nach Urteilsverkündung und Erteilung der Rechtsmittelbelehrung zum Entscheidungszeitpunkt bereits beendet (§ 32 Abs 3 StPO; RIS Justiz RS0125616; Fabrizy , StPO 10 § 176 Rz 7).

Einer Relevierung des Fehlers durch den Obersten Gerichtshof steht jedenfalls der Umstand entgegen, dass das Grundrechtsbeschwerdegesetz amtswegiges Vorgehen des Obersten Gerichtshofs gemäß § 10 GRBG nur in den hier nicht aktuellen Fällen der §§ 290 Abs 1 zweiter Satz, 362 StPO kennt (vgl im Übrigen RIS Justiz RS0096295).

Stefan K***** wurde daher im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Beschwerde ohne Kostenzuspruch abzuweisen war (§ 8 GRBG).

Rechtssätze
8
  • RS0125616OGH Rechtssatz

    15. September 2021·3 Entscheidungen

    Die Anmeldung von Nichtigkeitsbeschwerde oder Berufung ist, selbst wenn sie unmittelbar nach der (noch zur Hauptverhandlung im weiteren Sinn zählenden - § 268 zweiter Satz StPO) Rechtsmittelbelehrung erfolgt, nicht mehr Gegenstand der mit dieser jedenfalls endenden Hauptverhandlung. Wird „im Zuge" der Urteilsverkündung ein Rechtsmittel angemeldet, ist dieser Vorgang zwar zu protokollieren (§ 84 Abs 2 erster Satz StPO); dieser Protokollsinhalt gehört aber nicht zu dem „über die Hauptverhandlung" aufzunehmenden Protokoll des § 271 StPO, hinsichtlich dessen die - solcherart als Ausnahme angelegte (mit BGBl I 2004/164 eingefügte) - Vorschrift des § 271 Abs 7 StPO beschlussförmige (§ 35 Abs 2 erster Fall StPO) und mit Beschwerde bekämpfbare Berichtigung kennt. Demnach sind innerhalb derselben Gerichtssitzung unmittelbar nach der Urteilsverkündung abgegebene Rechtsmittelerklärungen (auch der Staatsanwaltschaft nach §32 Abs 1 StAG) zwar - der Übersichtlichkeit halber im Anschluss an Urteilsspruch (§ 271 Abs 1 Z 7 StPO) und der „zugleich" (§ 268 zweiter Satz StPO) erteilten Rechtsmittelbelehrung - zu protokollieren, jedoch nicht Gegenstand einer Beschlussfassung nach § 271 Abs 7 StPO. Ein gleichwohl unter Berufung auf diese Vorschrift ergangener Beschluss ist wirkungslos. Eine dagegen eingebrachte Beschwerde ist mangels des vom Gesetz geforderten Bezugspunkts dieses Rechtsmittels (nämlich eines Beschlusses nach § 35 Abs 2 erster Fall StPO) zurückzuweisen.

  • RS0119511OGH Rechtssatz

    28. September 2016·3 Entscheidungen

    Wenn die Schuld einer Person bereits in einer Hauptverhandlung festgestellt worden ist, die in ihrem Ablauf den Erfordernissen des Art 6 Abs 1 MRK entsprochen hat, finden nach der Rsp des EGMR Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft ihre Rechtfertigung in Art 5 Abs 1 lit a MRK. Fänden Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft ihre Rechtfertigung auch nach erstinstanzlicher Verurteilung in Art 5 Abs 1 lit c MRK, könnte mit Blick auf den Wortlaut des Art 5 Abs 1 MRK argumentiert werden, dass die aus welchem Grund immer verhängte oder fortgesetzte Untersuchungshaft nach einem erstinstanzlichen Schuldspruch nach Maßgabe der MRK stets aufgehoben werden müsste, weil die StPO eine "Vorführung" des auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten im Rechtsmittelverfahren nicht kennt (§§ 286 Abs 1 zweiter Satz, 294 Abs 5 zweiter Satz, 296 Abs 3 zweiter Satz, 344 zweiter Satz, 473 Abs 1, 489 Abs 1 zweiter Satz StPO). Wer sich wegen der Verlängerung seiner Haft über die erstinstanzliche Verurteilung hinaus aufgrund der Verzögerung, die mit der Entscheidung über sein Rechtsmittel verbunden ist, zu beschweren hätte, kann sich nach der Rsp des EGMR nicht auf Art 5 Abs 3 MRK berufen, wohl aber "möglicherweise Nichtbeachtung der in Art 6 Abs 1 MRK vorgesehenen angemessenen Frist geltend machen" (EGMR, 27. 6. 1968, Wemhoff gg Deutschland). Nach der Rsp des Obersten Gerichtshofes setzen § 193 Abs 1 und 2 StPO diese Grundrechtsverheißung auf einfachgesetzlicher Stufe um (richtungweisend: 15 Os 34/04).