JudikaturJustizRS0119511

RS0119511 – OGH Rechtssatz

Rechtssatz
28. September 2016

Wenn die Schuld einer Person bereits in einer Hauptverhandlung festgestellt worden ist, die in ihrem Ablauf den Erfordernissen des Art 6 Abs 1 MRK entsprochen hat, finden nach der Rsp des EGMR Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft ihre Rechtfertigung in Art 5 Abs 1 lit a MRK. Fänden Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft ihre Rechtfertigung auch nach erstinstanzlicher Verurteilung in Art 5 Abs 1 lit c MRK, könnte mit Blick auf den Wortlaut des Art 5 Abs 1 MRK argumentiert werden, dass die aus welchem Grund immer verhängte oder fortgesetzte Untersuchungshaft nach einem erstinstanzlichen Schuldspruch nach Maßgabe der MRK stets aufgehoben werden müsste, weil die StPO eine "Vorführung" des auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten im Rechtsmittelverfahren nicht kennt (§§ 286 Abs 1 zweiter Satz, 294 Abs 5 zweiter Satz, 296 Abs 3 zweiter Satz, 344 zweiter Satz, 473 Abs 1, 489 Abs 1 zweiter Satz StPO). Wer sich wegen der Verlängerung seiner Haft über die erstinstanzliche Verurteilung hinaus aufgrund der Verzögerung, die mit der Entscheidung über sein Rechtsmittel verbunden ist, zu beschweren hätte, kann sich nach der Rsp des EGMR nicht auf Art 5 Abs 3 MRK berufen, wohl aber "möglicherweise Nichtbeachtung der in Art 6 Abs 1 MRK vorgesehenen angemessenen Frist geltend machen" (EGMR, 27. 6. 1968, Wemhoff gg Deutschland). Nach der Rsp des Obersten Gerichtshofes setzen § 193 Abs 1 und 2 StPO diese Grundrechtsverheißung auf einfachgesetzlicher Stufe um (richtungweisend: 15 Os 34/04).

Entscheidungen
9