JudikaturJustiz14Os48/20w

14Os48/20w – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Juni 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Juni 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Walter, LL.M., BSc, in der Strafsache gegen Mag. ***** F***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Mag. F***** und ***** G***** gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 16. Jänner 2020, GZ 79 Hv 67/19p 56, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch (rechtskräftige) Freisprüche vom jeweiligen Vorwurf einer dem Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt unterstellten Tat enthaltenden Urteil wurden Mag. ***** F***** und ***** G***** jeweils der Vergehen der falschen Beurkundung und Beglaubigung im Amt nach § 311 StGB schuldig erkannt.

Danach haben sie am 23. Mai 2016 in W***** als Mitglieder der dortigen Bezirkswahlbehörde, somit als Beamte, in öffentlichen Urkunden, deren Ausstellung in den Bereich ihres Amtes fiel, Tatsachen mit dem Vorsatz fälschlich beurkundet, dass diese Urkunden im Rechtsverkehr zum Beweis der Tatsachen gebraucht werden, indem sie während der Sitzung der Bezirkswahlbehörde jeweils

I./ die „Niederschrift am Tag nach dem Wahltag für den zweiten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl“ unterfertigten und damit in deren Punkt G./ bestätigten, dass der Bezirkswahlleiter am 23. Mai 2016 um 9:00 Uhr unter Beobachtung durch die anwesenden Beisitzer die im Weg der Briefwahl eingelangten Wahlkarten im Sinn der Legende gegebenenfalls unter Berücksichtigung der in der Sitzung am 25. April 2016 ausgesonderten beigen Wahlkarten auf die im Urteil angeführten Umstände hin überprüfte, obwohl die (im Urteil namentlich genannten) Beisitzer und Ersatzbeisitzer beim Schlitzen (Öffnen) der Wahlkarten im Zeitraum 8:15 bis 8:45 Uhr nicht anwesend waren;

II./ die Niederschrift am Wahltag für den zweiten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl unterfertigten und damit in deren Punkt A./ die Abhaltung einer Sitzung der Bezirkswahlbehörde am 22. Mai 2016 von 17:00 bis 19:00 Uhr und ihre eigene Anwesenheit sowie jene der (im Urteil namentlich genannten) Beisitzer und Ersatzbeisitzer bestätigten, obwohl eine solche Sitzung nicht stattgefunden hat und sie an einer solchen nicht teilgenommen haben.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von den Angeklagten gemeinsam ausgeführten und auf § 281 Abs 1 Z 8, 9 lit a und 10a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden verfehlen ihr Ziel.

Ob ein Urteil die Anklage überschreitet, ist anhand des prozessualen Tatbegriffs (vgl dazu Ratz , WK StPO § 281 Rz 502 ff) zu beurteilen. Meinen Anklage und Urteil denselben Lebenssachverhalt (dieselbe Tat), liegt eine Anklageüberschreitung nicht vor (RIS Justiz RS0113142, RS0102147).

Gegenstand der vorliegenden Anklage war (auch) die von den Angeklagten „zur Verdeckung“ ihrer „Vorgangsweise“ vom 23. Mai 2016, 8:15 bis 8:45 Uhr (vgl zum Verhältnis zwischen § 302 und § 311 StGB im Übrigen Nordmeyer in WK 2 StGB § 302 Rz 209 mwN [aM Bertel in WK 2 StGB § 311 Rz 26]), vorgenommene Unterfertigung der „Niederschrift am Tag nach dem Wahltag für den zweiten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl“ am Ende der Sitzung der Bezirkswahlbehörde um 11:10 Uhr, womit sie die in Punkt G./ der Niederschrift festgehaltenen Umstände bestätigten, obwohl die Beisitzer beim Schlitzen (Öffnen) der Wahlkarten im Zeitraum 8:15 bis 8:45 Uhr nicht anwesend waren (ON 43 S 2 f, 19 f). Entgegen den Beschwerden (Z 8) überschreitet das Urteil somit nicht die Anklage (RIS Justiz RS0098487).

Die prozessordnungskonforme Ausführung einer Rechtsrüge (Z 9 lit a) erfordert den Vergleich des gesamten, vom Erstgericht festgestellten Sachverhalts mit dem anzuwendenden Strafgesetz und die Behauptung eines Rechtsfehlers im angefochtenen Urteil (RIS Justiz RS0099810).

Materielle Nichtigkeit zeigen die Beschwerden somit nicht auf, indem sie durch die Schuldsprüche den Gleichheitsgrundsatz verletzt erachten, weil Wahlleiter in anderen Bundesländern vom Vorwurf des Missbrauchs der Amtsgewalt sowie der falschen Beurkundung und Beglaubigung im Amt freigesprochen worden seien und Gerichte in Kärnten „den identen Sachverhalt zu Lasten der Angeklagten völlig anders beurteilt“ hätten.

Gleiches gilt für die Kritik, gegen die Beisitzer der Bezirkswahlbehörde W***** sei keine Anklage erhoben worden, sowie die Ansicht, die Wahlbeisitzer hätten mit ihrer Unterschrift die „Richtigkeit und Ordnungsgemäßheit“ der Tätigkeit des Angeklagten G***** bestätigt, weshalb vorsätzliches Handeln ausscheide.

Mit der Behauptung, die Vordrucke des Bundesministeriums für Inneres seien von den Angeklagten „sachlich und inhaltlich richtig ausgefüllt und weitergeleitet“ worden, und mit einer eigenständigen „Deutung der vorgedruckten Textpassagen zum Vorteil der Angeklagten“ vernachlässigen die Beschwerden die gegenteiligen Feststellungen im Urteil (US 5 ff).

Übergangen werden auch die Konstatierungen zur subjektiven Tatseite (US 6 f), indem die Rügen unter Hinweis auf das Fehlen eines Motivs für eine falsche Beurkundung durch die Angeklagten und den Umstand, dass es „bei der Briefwahl keine Manipulationen gegeben“ habe und „die Öffnung und Auszählung der Briefwahlkuverts ordnungsgemäß und richtig erfolgt ist“, eine „vorsätzliche Ausführungshandlung“ der Angeklagten in Abrede stellen.

In einer bloßen Rechtsbehauptung (RIS Justiz RS0116569) erschöpft sich das Vorbringen, die tatgegenständlichen Niederschriften seien keine öffentlichen Urkunden und würden nur „behördeninternen Zwecken“ dienen, weil mit ihnen die Bezirkswahlbehörde nur eine Erklärung gegenüber der Landeswahlbehörde abgebe.

Mit Blick auf § 290 StPO wird – wie bereits zu 14 Os 23/20v – angemerkt, dass die beiden Niederschriften für den zweiten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl am 22. Mai 2016

öffentliche Urkunden sind, weil sie von Beamten (den beiden Angeklagten) im Rahmen ihrer Amtsbefugnisse in der vorgeschriebenen Form errichtet wurden (§ 85 NRWO iVm § 14 Abs 3 BPräsWG) und mit der Ermittlung des Ergebnisses der (Brief )Wahl des Bundespräsidenten eine Angelegenheit der Hoheitsverwaltung betrafen. Derartige Niederschriften sind Bestandteil des Wahlaktes (§ 14a Abs 4 BPräsWG) und dienen insgesamt dem Ziel, die Stimmabgabe zweifelsfrei zu dokumentieren und damit verbundene Unklarheiten möglichst zu beseitigen sowie eine nachvollziehbare Zuordnung der Stimmen zu den einzelnen Wahlparteien und die Überprüfbarkeit des Wahlverfahrens, insbesondere auch anlässlich einer Wahlanfechtung beim Verfassungsgerichtshof ( Art 141 Abs 1 lit a B VG, § 21 Abs 2 BPräsWG), sicherzustellen. Solcherart waren die Urkunden (und zwar unabhängig vom Wahlakt in seiner Gesamtheit) in Bezug auf alle darin festgehaltenen Tatsachen und Vorgänge, das heißt – mit Blick auf die gesetzlich vorgesehenen Mindestangaben (wie etwa die Bezeichnung des Wahlortes und den Wahltag, die Namen der an- und abwesenden Mitglieder der Wahlbehörde sowie der Vertrauenspersonen, die Zeit des Beginns und des Schlusses der Wahlhandlung; vgl erneut § 85 NRWO) – jedenfalls auch hinsichtlich Gegenstand und Verlauf der Amtshandlung (mit qualifizierter Beweiskraft; vgl § 292 ZPO iVm § 35 Abs 1 VfGG) für den Rechtsverkehr nach außen bestimmt (vgl zum Ganzen VfGH 1. 7. 2016 WI6/2016; allgemein zu den Voraussetzungen einer

öffentlichen Urkunde RIS Justiz RS0130808, RS0095967; Kienapfel/Schroll in WK² StGB § 224 Rz 7, 9, 14 f, 27 f).

Welche Relevanz die Behauptung, der „Leitfaden für den zweiten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl vom 22. Mai 2016“ bezeichne mit „Öffnen der Wahlkarte“ das „Aufschlitzen“ derselben, für die (Un )Richtigkeit der Angaben zur Anwesenheit der Beisitzer und Ersatzbeisitzer sowie zum Zeitraum des Öffnens der Wahlkarten hat, machen die Beschwerden nicht klar.

Die gesetzmäßige Ausführung einer

Diversionsrüge (Z

10a) erfordert eine methodisch korrekte Argumentation auf Basis der Tatsachenfeststellungen unter Beachtung der Notwendigkeit des kumulativen Vorliegens sämtlicher Diversionsvoraussetzungen (RIS Justiz RS0116823, RS0124801).

Diese Vorgaben verfehlen die Beschwerden, indem sie ohne Bezug zur gegenständlichen Urteilsbegründung und ohne Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Schöffengerichts zu den einer diversionellen Erledigung entgegenstehenden generalpräventiven Gründen (US 10) bloß behaupten, es liege keine schwere Schuld vor, General und Spezialprävention sprächen nicht gegen ein diversionelles Vorgehen und die Angeklagten hätten Verantwortung für ihr Tatgeschehen übernommen.

Im Übrigen machen die Beschwerden nicht klar, aus welchem Grund das konstatierte Verhalten der Beschwerdeführer, die in ihren – jeweils mit einer besonderen Vertrauensstellung verbundenen – Funktionen als Bezirkswahlleiter und dessen Stellvertreter bei der für die Republik Österreich bedeutsamen Wahl des Staatsoberhauptes die Vorgänge im Zusammenhang mit der Ermittlung des Ergebnisses der mittels Wahlkarte abgegebenen Stimmen in Bezug auf die Einhaltung der Bestimmungen des Bundespräsidentenwahlgesetzes und des Grundsatzes der geheimen Wahl gemäß Art 60 Abs 1 B VG (vgl dazu auch VfGH WI6/2016, Punkt 2.5.9.4.) wahrheitswidrig dokumentierten, keinen über dem Durchschnitt gelegenen

Unrechtsgehalt aufweisen soll ( Schroll , WK StPO § 198 Rz 29; vgl auch 14 Os 23/20v).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
8