JudikaturJustiz14Os106/91

14Os106/91 – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Oktober 1991

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.Oktober 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hofbauer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Helmut S***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB über den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung gegen den Ablauf der Frist zur Ausführung der Berufung ("wegen Schuld" und wegen des Ausspruchs über die Strafe) gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wr. Neustadt als Schöffengericht vom 29.Juli 1991, GZ 10 Vr 689/90-40, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Akten werden dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag zugeleitet.

Text

Gründe:

Gegen das oben bezeichnete Urteil meldete der Angeklagte Helmut S***** "Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung" an (S 253). Eine Urteilsausfertigung wurde seinem Verteidiger am 12.August 1991 zugestellt (S 3 h).

Nachdem beim Erstgericht innerhalb der 14-tägigen Frist eine Rechtsmittelausführung nicht einlangte, wies der Vorsitzende mit Beschluß vom 3.September 1991 die Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285 a Z 2 StPO zurück (ON 41). Dieser Beschluß wurde dem Verteidiger am 5.September 1991 zugestellt (S 3 h verso).

Am 19.September 1991 beantragte dieser die Wiedereinsetzung gemäß § 364 StPO (ON 42) und führte gleichzeitig die Berufung "wegen Schuld und Strafe" aus (ON 43). Im Wiedereinsetzungsantrag wird vorgebracht, daß mit Schriftsatz vom "18.9.1991" (gemeint:

19.8.1991 - siehe Kopie des Aufgabescheines und Datierung der "im neuerlichen Original" vorgelegten Rechtsmittelausführung) die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgezogen und zugleich (demnach rechtzeitig) die Berufung "wegen Schuld und Strafe" ausgeführt worden sei. Allerdings sei dieser Schriftsatz irrtümlich an das Bezirksgericht Wiener Neustadt adressiert worden, damit aber jedenfalls auch in der - vereinigten - Einlaufstelle des Kreisgerichtes Wiener Neustadt eingelangt. Daß diese Rechtsmittelausführung nicht dem zuständigen Kreisgericht Wiener Neustadt weitergeleitet worden sei, bilde einen unabwendbaren Umstand, der weder dem Angeklagten noch dessen Verteidiger als "wesentliches Verschulden" anzulasten wäre.

Der Wiedereinsetzungsantrag samt Rechtsmittelausführung wurde vom Erstgericht - allerdings zu Unrecht - dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt (ON 44).

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 364 Abs. 2 StPO hat über die Wiedereinsetzung jenes Gericht zu entscheiden, das zur Entscheidung über das versäumte Rechtsmittel selbst berufen ist. Über eine Berufung gegen das Urteil eines Schöffengerichtes hat aber der Oberste Gerichtshof nur dann abzusprechen, wenn er auch über eine Nichtigkeitsbeschwerde zu befinden hat und nicht nach § 285 i StPO vorzugehen ist (§ 296 Abs. 1 StPO). Sonst entscheidet über ein solches Rechtsmittel der Gerichtshof zweiter Instanz (§§ 15, 280, 294 f StPO).

Im gegebenen Falle wurde die Nichtigkeitsbeschwerde nach dem Antragsvorbringen vor Vorlage der Akten an den Obersten Gerichtshof zurückgezogen. Es fehlte daher von vornherein an dem einzigen gesetzlichen Anknüpfungspunkt für die ausnahmsweise Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofes zur Entscheidung über eine Berufung, wobei es keinen Unterschied macht, daß hier gleichzeitig mit der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe (§ 283 Abs. 1 StPO) auch eine im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene und daher an sich unzulässige Berufung "wegen Schuld" ausgeführt worden ist (vgl. 13 Os 151/90).

Demnach hat über den Wiedereinsetzungsantrag das Oberlandesgericht Wien als das zur Entscheidung über das vorliegende Rechtsmittel berufene (und übrigens nach dem Berufungsantrag auch ausdrücklich angerufene) Gericht zu befinden (§ 364 Abs. 2 StPO).

Dazu sei noch folgendes angemerkt:

Ungeschriebene (rechtslogische) Voraussetzung einer Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung (oder Ausführung) eines Rechtsmittels gegen ein Urteil ist zum einen, daß das versäumte Rechtsmittel, von seiner Verspätung abgesehen, an sich zulässig gewesen wäre; zum anderen aber auch, daß es ansonsten präkludiert wäre, also ohne Wiedereinsetzung nicht mehr zur Verfügung stünde. Beide Voraussetzungen ergeben sich aus dem Wesen dieses Rechtsbehelfs, der dem Beschuldigten die durch unverschuldete Säumnis genommene Möglichkeit zweckentsprechender Bekämpfung eines Urteils wiedereröffnen soll.

Das Rechtsmittel der Berufung "wegen Schuld" ist im Rechtsmittelverfahren gegen Urteile von Kollegialgerichten gesetzlich nicht vorgesehen. Mit ihm hätte der Angeklagte den Schuldspruch daher auch bei Wahrung der Ausführungsfrist nicht bekämpfen können. Insoweit fehlt es somit an der ersterwähnten Grundvoraussetzung einer Wiedereinsetzung, nämlich dem Verlust einer zuvor gegeben gewesenen Anfechtungsmöglichkeit.

In Ansehung der Versäumung der Frist zur Ausführung der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe hinwieder ist die andere Prämisse nicht gegeben. Da über die privatrechtlichen Ansprüche meritorisch nicht abgesprochen worden ist und der Strafausspruch nur eine Strafe enthält, war die Anfechtungserklärung "Berufung" nicht nur eindeutig gegen den Strafausspruch gerichtet, sondern als solche auch zureichend (§ 294 Abs. 2 StPO). Die an sich verspäteten Berufungsausführungen können bei der Berufungsverhandlung, für die kein Neuerungsverbot besteht (Mayerhofer-Rieder StPO3 E 18 zu § 295), mündlich vorgetragen werden und sind darnach vom Berufungsgericht zu berücksichtigen. Sie verlieren solcherart nicht ihre Bedeutung, weshalb dem Angeklagten durch seine Säumnis mit Beziehung auf die von ihm angestrebte Bekämpfung des Strafausspruchs kein Nachteil erwachsen ist, der durch eine Wiedereinsetzung wettzumachen wäre (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO3 E 21 zu § 294).

Rechtssätze
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