JudikaturJustiz11Os65/07d

11Os65/07d – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. Oktober 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Oktober 2007 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schwab, Dr. Lässig und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Mag. Fuchs, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gutlederer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ilhan H***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2001/130 über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Ilhan H*****, Mevlüt H***** und Rahime H***** gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom 19. März 2007, GZ 20 Hv 12/04g-179, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Die Angeklagten Ilhan H*****, Mevlüt H***** und Rahime H***** wurden mit am 11. Februar 1998 in Rechtskraft erwachsenem (ON 43), auch weitere Schuldsprüche sowie einen (Teil )Freispruch enthaltenden Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 23. Mai 1997 (ON 31) - soweit für das Nichtigkeitsverfahren von Bedeutung - des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2001/130 schuldig erkannt. Dem auf diesen Schuldspruch bezogenen, auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 20. April 2006 gegründeten Antrag des Generalprokurators auf Erneuerung des Strafverfahrens gab der Oberste Gerichtshof am 24. Oktober 2006 durch diesbezügliche Kassation sowie Verweisung an das Landesgericht Feldkirch Folge (ON 134).

Mit dem nunmehr angefochtenen Urteil wurden die Angeklagten im erneuerten Verfahren abermals des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2001/130 schuldig erkannt. Danach haben Ilhan H*****, Mevlüt H***** und Rahime H***** im einverständlichen Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Mustafa H***** am 22. Juli 1996 Fadime D*****, nunmehr verehelichte H*****, auf im Urteilstenor detailliert angeführte Art und Weise mit schwerer, gegen sie gerichteter Gewalt, durch Entziehung der persönlichen Freiheit sowie durch gegen sie gerichtete Drohung mit gegenwärtiger schwerer Gefahr für Leib oder Leben zur Vornahme des Beischlafs mit Ilhan H***** genötigt.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von Ilhan H***** aus Z 2, 3, 8 und 9 lit b, von Mevlüt H***** aus Z 3 und von Rahime H*****, von dieser - zulässigerweise (Ratz, WK-StPO § 282 Rz 26) - auch in Ergänzung der Rechtsmittel der anderen Angeklagten, aus Z 2, 4, 9 lit b und 9 lit c des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden gehen fehl.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ilhan H*****:

Den Ausführungen zur Verfahrensrüge aus Z 2 ist voranzustellen, dass die diesbezügliche Gesetzesbestimmung in Bezug auf nichtige Akte im Zuge einer sodann wiederholten Hauptverhandlung planwidrig lückenhaft ist, weil § 281 Abs 1 Z 3 StPO nur die - ungeachtet allfälliger Vertagungen - unmittelbar zum Urteil führende Hauptverhandlung meint (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 179). Das auf die Verlesung von Protokollen über die der gegenständlichen Urteilsfindung nicht unmittelbar vorangegangene Hauptverhandlung bezogene Vorbringen ist daher aus Z 2 grundsätzlich beachtlich.

Entgegen der Beschwerde führt aber der Umstand, dass der Oberste Gerichtshof in seiner die Verfahrenserneuerung anordnenden Entscheidung (ON 134) in der Unterlassung der Information der Angeklagten über - gegenüber dem Anklagevorwurf - geänderte rechtliche Aspekte eine Gesetzesverletzung erblickte, keineswegs im Sinn des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes zur Nichtigkeit der in der Hauptverhandlung vom 23. Mai 1997 (ON 30) erfolgten Vernehmungen der Zeuginnen Fadime H***** und Meryem D*****. § 281 Abs 1 Z 2 StPO umfasst nämlich nur solche Akte, die ein Gesetz ausdrücklich als nichtig bezeichnet (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 173), was hier nicht der Fall ist.

Auch die Zulässigkeit der gemäß § 252 Abs 1 Z 2a StPO vorgenommenen Verlesung der Aussagen der genannten Zeuginnen (der Sache nach Z 3) wird durch die vom Obersten Gerichtshof im Erneuerungsverfahren festgestellte Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte nicht tangiert. Unter dem Aspekt der Verlesungstauglichkeit ist es nämlich unerheblich, in welchem Verfahrensstadium und bei welcher Verdachtslage die Zeugenvernehmung stattgefunden hat. Die Verlesungsvorschrift des § 252 Abs 1 Z 2a StPO stellt also weder auf einen identen Anklagesachverhalt noch auf eine sich aus den Akten ergebende spezielle Verdachtslage ab (Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 94).

Der Einwand der weiteren Verfahrensrüge (Z 3), die Aussageverweigerung der Zeuginnen Fadime H***** und Meryem D***** bedinge die Unzulässigkeit der Verlesung deren davor abgelegter Aussagen, verkennt die Ratio der Bestimmung des § 252 Abs 1 Z 2a StPO, die gerade darin besteht, (unter Wahrung der Beteiligungsrechte der Prozessparteien) trotz berechtigter Aussageverweigerung einen totalen Beweismittelverlust zu verhindern (vgl Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 73).

Entgegen der Rüge aus Z 8 überschreitet die angefochtene Entscheidung die Anklage (ON 20) nicht. Der herangezogene Nichtigkeitsgrund bezieht sich nämlich auf die Identität von angeklagtem und urteilsmäßig erledigtem Handlungssubstrat, also darauf, ob Anklage und Urteil den selben Lebenssachverhalt meinen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 502), was hier zweifelsfrei feststeht (s S 256 f/I und 261 f/I einerseits sowie US 3 f und US 10 bis 12 andererseits). Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) leitet nicht aus dem Gesetz ab, aus welchem Grund die Verjährung der Strafbarkeit (§ 57 StGB) nach rechtskräftiger Verurteilung möglich sein soll. Mit Blick auf die Bestimmung des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO sei festgehalten, dass - wie der Oberste Gerichtshof schon anlässlich der Entscheidung über den Erneuerungsantrag dargelegt hat (S 299/II) - ab Rechtskraft eines über die Tat gefällten verurteilenden Erkenntnisses für die Dauer dessen Bestandes der Fortlauf der Verfolgungs-Verjährungsfrist (schon begrifflich) ausgeschlossen ist (RIS-Justiz RS0091817 und RS0091834).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Mevlüt H*****:

Hinsichtlich der Behauptung der Verfahrensrüge (Z 3), die Verlesung der Depositionen der Zeuginnen Fadime H***** und Meryem D***** sei unzulässig gewesen, wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf den gleichlautenden Einwand der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ilhan H***** verwiesen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Rahime H*****:

Zu dem auf die Aussagen der Zeuginnen Fadime H***** und Meryem D***** bezogenen Vorbringen der Verfahrensrüge aus Z 2 sei auf die Darlegungen zu den inhaltsgleichen Beschwerdeausführungen des Angeklagten Ilhan H***** verwiesen.

Der weiteren Verfahrensrüge (Z 4) mangelt es an der notwendigen Voraussetzung eines während der Hauptverhandlung gestellten Antrags des Beschwerdeführers oder eines gegen seinen Widerspruch gefällten Zwischenerkenntnisses.

Da auch die Rechtsrüge (Z 9 lit b) der Beschwerdeführerin nicht erkennen lässt, aus welchem Grund die Frist zur Verjährung der Strafbarkeit nach rechtskräftiger Verurteilung weiterlaufen soll, wird insoweit auf die Erörterung des kongruenten Einwandes des Angeklagten Ilhan H***** verwiesen.

Die weitere Rechtsrüge (Z 9 lit c, der Sache nach Z 8) hält zutreffend fest, dass bei der Prüfung der Identität zwischen Anklage- und Urteilsgegenstand auf die Tat, also den zu beurteilenden Lebenssachverhalt, abzustellen ist (vgl auch oben zur Rüge aus Z 8 des Angeklagten Ilhan H*****). Hievon ausgehend ist aber der - dieser Prämisse widersprechende, unsubstantiierte - Einwand, die Verurteilung wegen einer anderen strafbaren Handlung - also einer differenten rechtlichen Kategorie - als der in der Anklage genannten überschreite diese, nicht nachvollziehbar.

Inwieweit die rechtliche Stellung des - im Übrigen entgegen der Beschwerde nicht vom Volk gewählten (s Art 70 Abs 1 erster Satz B-VG) - Bundesministers für Justiz in diesem Zusammenhang von Bedeutung sein soll, vermag die Rüge nicht darzulegen.

Die Behauptung, § 267 StPO sowie die darauf gegründete Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes seien verfassungswidrig, entzieht sich mangels argumentativen Substrats einer inhaltlichen Erwiderung. Gründe, die für ein Vorgehen nach § 89 Abs 2 zweiter Satz B-VG sprechen, werden damit nicht einmal ansatzweise dargetan. Soweit die Beschwerdeführerin in ihrer Äußerung zur Stellungnahme des Generalprokurators (§ 35 Abs 2 StPO) die Ansicht vertritt, die ihr hiefür eingeräumte Frist von drei Tagen sei zu kurz bemessen gewesen, ist sie grundsätzlich darauf hinzuweisen, dass sie bereits (mehrfach) die Gelegenheit hatte, sich mit dem Verfahrensgegenstand eingehend zu befassen, sodass insoweit eine Orientierung an den Rechtsmittelfristen oder an der Zeit, die der Generalprokurator für seine Stellungnahme benötigte, nicht geboten war (Schroll, WK-StPO § 35 Rz 16). Im Hinblick darauf, dass diese nur wenige Zeilen umfasste und keine Begründung enthielt, war somit die dreitägige Äußerungsfrist keinesfalls unangemessen kurz (vgl 15 Os 195/97). Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Berufungen kommt somit dem Gerichtshof zweiter Instanz zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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