JudikaturJustiz10Ob60/00x

10Ob60/00x – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. April 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr, Dr. Steinbauer, Dr. Hopf und Dr. Fellinger als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache Stefanie D*****, geboren am 29. Juni 1915, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Betroffenen, vertreten durch Dr. Johannes Patzak, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 16. Februar 2000, GZ 42 R 12/00a-48, womit infolge Rekurses der Betroffenen der Beschluss des Bezirksgerichtes Hernals vom 6. Dezember 1999, GZ 8 P 36/99p-25, zum Teil behoben und zum Teil bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Das Erstgericht bestellte den Notariatskanditaten Mag. R***** zum einstweiligen Sachwalter der Betroffenen für die Dauer des Verfahrens, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters geprüft werde, und ordnete an, dass er für die Betroffene folgende Angelegenheiten zu besorgen habe: 1. Vertretung im Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters gemäß § 273 ABGB (§ 238 Abs 1 AußStrG) und 2. Vertretung in allen dringenden Angelegenheiten der Einkommens- und Vermögensverwaltung, vor Gericht und gegenüber Behörden, Sozialversicherungsträgern und privaten Vertragspartnern (§ 238 Abs 2 AußStrG). Es bestünden konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Betroffene an Demenz leide. Da dringende Angelegenheiten zu erledigen seien, welche die Betroffene wegen ihres geistigen Zustandes nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen vermöge, sei über Anregung das Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters gemäß § 273 ABGB einzuleiten und ein einstweiliger Sachwalter zur Vertretung im Rahmen des umschriebenen Wirkungsbereiches zu bestellen.

Das Rekursgericht gab dem dagegen von der Betroffenen erhobenen Rekurs teilweise Folge: Es hob den erstinstanzlichen Beschluss hinsichtlich der Bestellung des einstweiligen Sachwalters zur Vertretung der Betroffenen im Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters (§ 238 Abs 1 AußStrG) ersatzlos auf, bestätigte ihn aber im Übrigen, also hinsichtlich der Bestellung des einstweiligen Sachwalters zur Vertretung der Betroffenen in dringenden Angelegenheiten außerhalb dieses Verfahrens (§ 238 Abs 2 AußStrG).

Zur Begründung führte das Rekursgericht aus, ein Verfahrenssachwalter nach § 238 Abs 1 AußStrG dürfe für die Betroffene nicht bestellt werden, weil sie einen Rechtsanwalt bevollmächtigt und daher einen selbst gewählten Vertreter habe. Da eine persönliche Unfähigkeit der Betroffenen zur Erteilung einer Vollmacht nicht bestehe, sei diese wirksam. Der Bestellung eines einstweiligen Sachwalters für die Besorgung sonstiger dringender Angelegenheiten nach § 238 Abs 2 AußStrG stehe hingegen die Bevollmächtigung des Rechtsanwaltes nicht entgegen. Die Bestellung einer anderen Person zu diesem Amt erscheine manchmal wegen vorliegender Interessenkollision zwischen dem Vertreter im Bestellungsverfahren selbst und dem Vertreter für dringende Angelegenheiten auch notwendig. Nach der Aktenlage könne eine Interessenkollision des bevollmächtigten Rechtsanwaltes nicht mehr ausgeschlossen werden: Die Betroffene habe eine Liegenschaft verkauft und behaupte, dass der genannte Rechtsanwalt Vertragserrichter gewesen sei; möglicherweise sei die Betroffene zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr geschäftsfähig gewesen und eine Vertragsanfechtung erforderlich. Das Erstgericht habe deshalb zu Recht eine vom bisherigen Vertreter der Betroffenen unabhängigen rechtskundigen Dritten zum einstweiligen Sachwalter bestellt. Dass sie zur Verwaltung ihres Einkommens und Vermögens ebenso wenig in der Lage sei wie zur Führung von Gerichtsverfahren, könne nicht bezweifelt werden.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels einer qualifizierten Rechtsfrage nicht zulässig sei.

Gegen den bestätigenden Teil dieses Beschlusses richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt vertretenen Betroffenen. Sie beantragt die Abänderung dahin, dass die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters zur Gänze ersatzlos beseitigt werde.

Rechtliche Beurteilung

Das vorliegenden Rechtsmittel ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch der zweiten Instanz nach § 14 Abs 1 AußStrG zulässig, weil die Rechtslage der Sachwalterbestellung nach § 238 Abs 1 und 2 AußStrG einer Klärung bedarf. Der Revisionsrekurs ist aber nicht berechtigt.

Wie sich aus dem Gesetzestext des § 238 AußStrG ergibt, werden hier der Rechtsbeistand eines Unvertretenen für das Bestellungsverfahren, also der Verfahrenssachwalter (Abs 1) und der einstweilige Sachwalter für die Besorgung "sonstiger dringender Angelegenheiten" (Abs 2) vom Gesetzgeber übereinstimmend mit dem Begriff "einstweiliger Sachwalter" versehen, obwohl mit diesem Begriff zwei völlig unterschiedliche Rechtsinstitute gemeint sind, die nicht miteinander verwechselt werden dürfen: Der einstweilige Sachwalter nach Abs 1 hat nur Vertretungsmacht im Verfahren über die Sachwalterbestellung, und zwar neben und nicht statt dem Betroffenen, beschränkt also dessen Handlungsfähigkeit überhaupt nicht (1 Ob 629/86), während der einstweilige Sachwalter nach Abs 2 die Handlungsfähigkeit des Betroffenen im jeweils umschriebenen Aufgabenkreis - außerhalb des Verfahrens - beschränkt (Pichler, Das neue Sachwalterrecht, JBl 1984, 230; Maurer/Tschugguel, Das österr. Sachwalterrecht in der Praxis2 150; Gitschthaler, Verfahrenssachwalter und einstweiliger Sachwalter, ÖJZ 1990, 762, 765; 4 Ob 573/95; 1 Ob 252/97h; 6 Ob 2/98g ua). Hat der Betroffene bereits einen gesetzlichen oder selbst gewählten Vertreter, kommt die Bestellung eines Verfahrenssachwalters nach § 238 Abs 1 AußStrG nicht in Betracht. Andererseits "erlischt" die Vertretungsmacht des vom Gericht bestellten Verfahrenssachwalters allein schon dadurch, dass der Betroffene dem Gericht die Bevollmächtigung eines selbst gewählten Vertreters mitteilt (8 Ob 628/93).

Daraus leitet die - durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt vertretene - Revisionsrekurswerberin aber zu Unrecht ab, dass für sie auch kein einstweiliger Sachwalter nach § 238 Abs 2 AußStrG bestellt werden könne. Sie lässt außer Acht, dass die Einschränkung des Abs 1 ("Hat der Betroffenen keinen .... Vertreter") im Abs 2 fehlt, der auch die Bestellung nicht zwingend anordnet, sondern nur, wenn es das Wohl des Betroffenen erfordert. Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist nur mehr die Bestellung des einstweiligen Sachwalters nach Abs 2, weshalb die ausschließlich den Abs 1 betreffenden Ausführungen des Revisionsrekurses ins Leere gehen. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen es das Wohl des Betroffenen erfordert, ihm für die Dauer des Verfahrens einen einstweiligen Sachwalter zur Besorgung sonstiger dringender Angelegenheiten zu bestellen, ist zwar im Gesetz nicht näher geregelt (Gamerith, NZ 1988, 61 ff, 69; Gitschthaler, aaO 767 mwN aus der Rspr in FN 45). Nach dem Gesetzeswortlaut sind aber ausschließlich die Interessen des Betroffenen zu wahren. Dass die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters für das Wohl des Betroffenen etwa dann dringend erforderlich ist, wenn dieser für ihn nachteilige Rechtsgeschäfte abschließen will, liegt auf der Hand (1 Ob 252/97h).

Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass bei der Auswahl der Person eines einstweiligen Sachwalters in beiden Fällen des § 238 AußStrG auf die Bestimmung des § 281 ABGB Bedacht genommen werden muss (2 Ob 296/98p für den Verfahrenssachwalter nach Abs 1; 2 Ob 540/95 = SZ 68/95, 1 Ob 252/97h, 1 Ob 196/99a für den einstweiligen Sachwalter nach Abs 2). Grundsätzlich - sofern die Besorgung der Angelegenheit der behinderten Person nicht vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert (§ 281 Abs 3 ABGB) - ist primär der gesetzliche Vertreter (wenn der Behinderte minderjährig ist) bzw eine dem Behinderten nahestehende Person als Sachwalter zu bestellen, eine vom Sachwalterverein namhaft gemachte Person dagegen erst dann, wenn eine nach § 281 Abs 1 ABGB geeigneten Person nicht vorhanden ist. Wenngleich dem Gericht bei der Auswahl jener Person, die zum einstweiligen Sachwalter bestellt werden kann, ein Ermessensspielraum eingeräumt ist, zeigt § 281 Abs 3 ABGB, dass bei der Auswahl des Sachwalters besonders auf die Art der Angelegenheiten, die zu besorgen sind, zu achten ist. Bei der Beurteilung der Eignung einer dem Betroffenen nahestehenden Person zum Sachwalter ist jedenfalls auf mögliche Interessenkollisionen Bedacht zu nehmen (RV 742 BlgNR

15. GP, 20; 7 Ob 725/87; SZ 68/95; 8 Ob 503/93). Die Untauglichkeitsgründe der §§ 191 bis 195 ABGB sind im Sachwalterschaftsverfahren analog anzuwenden (RZ 1994/15). Nach der Regelung des § 194 zweiter Satz ABGB hat das Gericht zu beurteilen, ob eine Person infolge des Bestandes unberichtigter Forderungen zwischen ihr und dem Minderjährigen zur Übernahme der Vormundschaft ungeeignet erscheint. Inhaltlich bedeutet das die Untauglichkeit des Vormunds zu einer bestimmten Vormundschaft, aber nur wenn nach pflichtgemäßem gerichtlichen Ermessen das Vorliegen einer Kollisionsgefahr zu bejahen ist (Pichler in Rummel2, § 195 ABGB Rz 4). Zur Annahme einer Interessenkollision genügt bereits ein objektiver Tatbestand; subjektive Gründe in der Person des Vertreters sind nicht erforderlich (EvBl 1962/331, EvBl 1979/214, ÖA 1992, 24 ua). Eine Interessenkollision ist nicht erst dann anzunehmen, wenn die Interessen des Vertretenen (Betroffenen) tatsächlich verletzt wurden, sondern schon dann, wenn ihre Verletzung auch nur wahrscheinlich ist (SZ 54/57 ua; 1 Ob 252/97h).

Wenngleich es zweckmäßig sein mag, dieselbe Person zum Verfahrenssachwalter (Abs 1) und zum einstweiligen Sachwalter (Abs 2) zu bestellen, ist dies nicht zwingend (Maurer/Tschugguel aaO 156; Gitschthaler aaO 766). Um so weniger zwingt das Gesetz dazu, den vom Betroffenen frei gewählten Rechtsbeistand (hier den bevollmächtigten Rechtsanwalt) zum einstweiligen Sachwalter nach Abs 2 zu bestellen. Zwar sieht die österreichische Rechtsordnung lediglich die Bestellung eines (einzigen) Sachwalters für einen Betroffenen vor; die Bestellung mehrerer Sachwalter nach § 273 Abs 1 ABGB ist weder zulässig noch sachgerecht, weil vermieden werden soll, dass ein Betroffener in verschiedenen Angelegenheiten jeweils von einer anderen Person vertreten wird (1 Ob 196/99a). Dieses Hindernis besteht im vorliegenden Fall aber nicht, weil für die Revisionsrekurswerberin ohnehin nur ein (einziger) einstweiliger Sachwalter bestellt wurde und der Verfahrenssachwalter nach § 238 Abs 1 AußStrG, an dessen Stelle der selbst gewählte Rechtsanwalt handelt, im Lichte der obigen Ausführungen kein die Handlungsfähigkeit des Betroffenen beschränkender Sachverhalt im Sinne des § 273 Abs 1 ABGB ist, sondern eher die Funktion eines Verfahrenshelfers ausübt.

Ob es aber im konkreten Fall das Wohl eines Betroffenen erfordert, einen solchen Sachwalter zu bestellen, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab, die von den Vorinstanzen zutreffend gewürdigt worden sind. Dies gilt insbesondere auch für die hier zu beantwortende Frage, ob eine nicht auszuschließende Interessenkollision es geboten erscheinen lässt, nicht den einschreitenden Rechtsanwalt, sondern eine andere rechtskundige Person zum einstweiligen Sachwalter zu bestellen. Die Vorinstanzen sind zu der durchaus schlüssigen Auffassung gelangt, dass es das Wohl der Betroffenen erfordert, nicht den selbst gewählten Vertreter, sondern einen Dritten zum einstweiligen Sachwalter nach § 238 Abs 2 AußStrG zu bestellen. Dagegen werden auch von der Rechtsmittelwerberin keine maßgeblichen Argumente vorgebracht.

Dem Revisionsrekurs kann deshalb kein Erfolg beschieden sein.

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