Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer, Hofrat Mag. Eder und Hofrätin Mag. Rossmeisel, als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Kreil, in den Rechtssachen der Revisionen 1. des M Y, und 2. der G Y, beide vertreten durch Mag. Dr. Sebastian Siudak, Rechtsanwalt in Linz, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts je vom 3. Juli 2025, 1. I422 2309244 1/9E und 2. I422 23092411/9E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet. Sie sind Staatsangehörige der Türkei.
2Die Zweitrevisionswerberin reiste im Juli 2023 mit den vier gemeinsamen Kindern sowie ihrem Neffen (ebenso türkische Staatsangehörige) unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein. Sie stellte am 5. Juli 2023 für sich und ihre (in den Jahren 2014, 2016, 2019 und 2022 geborenen) Kinder jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Anlässlich der Antragstellung gab die Zweitrevisionswerberin an, den Aufenthaltsort ihres Ehemannes nicht zu kennen.
3 Der Erstrevisionswerber reiste ebenfalls im Juli 2023 unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein. Er reiste aber seinen Angaben zufolge sogleich nach Deutschland weiter, weil er zu dort lebenden Verwandten gelangen wollte. Die Zweitrevisionswerberin sowie die Kinder reisten in der Folge ebenfalls nach Deutschland weiter.
4 Am 6. Februar 2024 wurden die revisionswerbenden Parteien sowie ihre Kinder von Deutschland gemäß den Bestimmungen der Dublin IIIVerordnung nach Österreich überstellt. Hier stellte der Erstrevisionswerber am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005. Diezwischenzeitig wegen unbekannten Aufenthalts nach § 24 AsylG 2005 eingestellt gewesenen Verfahren über die von der Zweitrevisionswerberin und der Kinder gestellten Anträge wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fortgesetzt.
5 Sämtliche Antragsteller machten auf das hier Wesentliche zusammengefasst geltend, es drohe ihnen im Herkunftsstaat aufgrund einer Blutfehde Verfolgung. Der Bruder des Erstrevisionswerbers habe der gegnerischen Familie Geld geschuldet. Er habe ein Mitglied dieser Familie mit einem Messer verletzt, weshalb er sich in Haft befinde. Nun werde der Erstrevisionswerber und seine Familie von der gegnerischen Familie bedroht.
6 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit den Bescheiden je vom 12. August 2025 die von den revisionswerbenden Parteien und ihren Kindern gestellten Anträge ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung, stellte jeweils fest, dass die Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte die Frist für die freiwillige Ausreise jeweils mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
7 Mit den Erkenntnissen je vom 3. Juli 2025 wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobenen Beschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision jeweils gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
8Gegen diese Entscheidungen erhoben (nur) der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin Revision. Hinsichtlich der Kinder wurden beim Verwaltungsgerichtshof (lediglich) Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung von außerordentlichen Revisionen gestellt. Über diese Anträge wurde gemäß § 14 Abs. 2 VwGG vom zuständigen Berichter (zu den Zlen. Ra 2025/20/0388 bis 0391) gesondert entschieden.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
11Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revisionnach § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen.
12 Die revisionswerbenden Parteien wenden sich in der Begründung der Zulässigkeit der von ihnen erhobenen Revisionen gegen die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die türkischen Behörden in Bezug auf die vorgebrachte Verfolgung durch Private als schutzfähig und schutzwillig anzusehen seien.
13Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. etwa VwGH 23.6.2025, Ra 2025/20/0186 bis 0189, mwN).
14 Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines asylrechtlich relevante Intensität erreichendenNachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. neuerlich VwGH 23.6.2025, Ra 2025/20/0186 bis 0189, mwN).
15Für die Gewährung von Asyl bedarf es stets der Prüfung eines kausalen Zusammenhanges zwischen der Verfolgungshandlung (oder dem Fehlen von Schutz vor Verfolgung) und einem Verfolgungsgrund im Sinn der GFK. Es kommt nicht darauf an, dass „irgendein“ Zusammenhang besteht, sondern dass die Verfolgungshandlung kausal auf einen Verfolgungsgrund im Sinn der GFK - wenn auch nicht notwendigerweise als den alleinigen Grund - zurückzuführen ist. Fehlt ein kausaler Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen, kommt die Asylgewährung nicht in Betracht (vgl. VwGH 12.5.2025, Ra 2022/20/0289, mwN).
16Bei Fehlen eines kausalen Konnexes zu einem in der GFK genannten Grund ist als Schutzinstrument das Rechtsinstitut des subsidiären Schutzes für den Fall vorgesehen, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (vgl. auch dazu VwGH Ra 2022/20/0289, mwN).
17Fehlt es an einem kausalen Zusammenhang zu einem in der GFK genannten Grund, kommt mithin je nach Lage des konkretes Falles, wenn Verfolgungshandlungen durch nicht staatliche Akteure drohen und der Staat nicht schutzfähig oder schutzwillig ist, die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 in Betracht (vgl. VwGH 21.10.2020, Ra 2020/18/0172, 0173; vgl. zur Notwendigkeit, bei einer behaupteten Verfolgung durch Private auch prüfen zu müssen, ob eine nicht auf einem in der GFK genannten Grund beruhende Verfolgung zur Gewährung von subsidiären Schutz führt, EuGH 27.3.2025, C 217/23, Laghman , Rn. 40 ff).
18 Das Bundesverwaltungsgericht hat die Annahme der Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des türkischen Staates unter Bedachtnahme sowohl auf die Feststellungen zur Situation in der Türkei als auch auf die Umstände des konkreten Falles näher begründet. Dabei hat es im Besonderen auch darauf hingewiesen, dass fallbezogen die gerichtliche Verurteilung von Mitgliedern der gegnerischen Familie sowie die Inhaftierung des Bruders des Erstrevisionswerbers die Bereitschaft der türkischen Strafverfolgungsbehörden belege, staatlichen Schutz zu bieten und aus dem Motiv der Blutrache gesetzten strafbaren Handlungen entgegenzutreten.
19Die revisionswerbenden Parteien legen mit ihren - weitwendigen, aber jeweils inhaltlich der Sache nach immer auf dasselbe Argument abzielenden und sich zudem über weite Strecken als die Schilderung von Revisionsgründen darstellenden - Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung nicht dar, dass die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Rechtswidrigkeit behaftet wäre. Entgegen der von den revisionswerbenden Parteien erkennbar vertretenen Ansicht kommt es bei der in Rede stehenden Beurteilung nach der oben dargestellten Rechtslage nicht darauf an, ob es der türkischen Polizei tatsächlich faktisch möglich ist, jedwede strafbare Handlung zu unterbinden (vgl. zu einem Vorbringen drohender Übergriffen durch Private etwa auch VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0119 bis 0121, wo dargelegt wurde, dass selbst der Umstand, dass ein einzelnes Polizeiorgan im Herkunftsstaat nicht bereit sei, dem Schutzansuchen einer Asylwerberin vor häuslicher Gewalt zu entsprechen, nicht bedeute, dass der Herkunftsstaat generell nicht schutzfähig und nicht schutzwillig wäre; Fehlleistungen einzelner Sicherheitsorgane seien nicht auszuschließen und berührten die Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit eines Staates solange nicht, als es Möglichkeiten gebe, sich dagegen zur Wehr zu setzen und auf diese Art und Weise wirksamen Schutz zu erlangen; die Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der staatlichen Behörden sei grundsätzlich daran zu messen, ob im Heimatland wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, vorhanden seien und ob die schutzsuchende Person Zugang zu diesem Schutz habe).
20 Vor dem Hintergrund, dass allein schon die nach dem Gesagten als unbedenklich einzustufende Beurteilung, der türkische Staat sei in Bezug auf die hier angesprochenen strafbaren Handlungen als schutzwillig und schutzfähig einzustufen, die Entscheidung über die Versagung der Gewährung sowohl von Asyl als von auch subsidiären Schutz für sich zu tragen vermag, kommt es auf die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage, ob die von den revisionswerbenden Parteien ins Treffen geführten, ihnen drohenden Handlungen eine hinreichende Intensität aufwiesen, um als Verfolgungshandlungen zu gelten, nicht an. Darauf musste daher hier nicht eingegangen werden.
21 Beruht nämlich eine Entscheidung wie hier auf alternativen Begründungen und wird in Ansehung einer tragfähigen Begründungsalternative im Zulässigkeitsvorbringen keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG aufgezeigt, so erübrigt es sich, auf die zusätzlich angesprochenen Fragen einzugehen, weil das rechtliche Schicksal der Revision von der Beantwortung der insoweit aufgeworfenen Rechtsfragen nicht abhängt (vgl. VwGH 23.6.2025, Ra 2025/20/0179; 11.10.2024, Ra 2024/20/0580, mwN). Die Revision ist diesfalls selbst dann zurückzuweisen, wenn davon auszugehen wäre, dass die anderen Begründungsalternativen unzutreffend sind (vgl. etwa VwGH 13.12.2017, Ra 2017/19/0417; 1.6.2017, Ra 2017/20/0145; jeweils mwN).
22 Von den revisionswerbenden Parteien wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 1. September 2025