Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer-Hinterauer, Hofrat Mag. Eder und Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Stüger, in der Rechtssache der Revisionen 1. des M H, 2. der E H, 3. der E H, und 4. des A H, alle vertreten durch Mag. Julian Alen Motamedi, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Baumannstraße 9/12A, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes jeweils vom 6. Februar 2025, 1. L508 2297801 1/4E, 2. L508 2297800 1/4E, 3. L508 2297798 1/4E und 4. L508 2297796 1/4E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
1 Die revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige der Türkei und Angehörige der kurdischen Volksgruppe. Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und die Eltern der minderjährigen Drittrevisionswerberin und des minderjährigen Viertrevisionswerbers. Sie reisten Anfang Juni 2024 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie am 4. Juni 2024 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 stellten.
2 Mit Bescheiden jeweils vom 22. Juli 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der revisionswerbenden Parteien ab, erteilte ihnen jeweils keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen alle eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in die Türkei jeweils zulässig sei, und legte für sämtliche revisionswerbenden Parteien eine Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobenen Beschwerden ohne Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision jeweils gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Mit den Beschlüssen je vom 11. März 2025, E 496 499/2025 5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen diese Erkenntnisse bei ihm erhobenen Beschwerden ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
5 In der Folge brachten die revisionswerbenden Parteien die gegenständlichen Revisionen ein.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision nach § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen.
9 Die revisionswerbenden Parteien wenden sich gegen die Annahme des Bundesverwaltungsgerichtes, es sei in Bezug auf die von ihnen vorgebrachte und als glaubwürdig qualifizierte Verfolgung der Zweitrevisionswerberin (als auch der Drittrevisionswerberin und des Viertrevisionswerbers) durch ihren ehemaligen Lebensgefährten davon auszugehen, dass diesem Fluchtvorbringen, das auf einer Verfolgung durch einen Privaten beruht, keine Asylrelevanz zukomme, zumal der türkische Staat schutzfähig und schutzwillig sei.
10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. etwa VwGH 27.1.2025, Ra 2024/20/0776 bis 0778, mwN).
11 Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines asylrechtlich relevante Intensität erreichenden Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. neuerlich VwGH 27.1.2025, Ra 2024/20/0776 bis 0778, mwN).
12 Mit den Ausführungen in den Revisionen wird nicht dargetan, dass die auf Basis der Berichtslage zur Situation in der Türkei gezogene Schlussfolgerung des Bundesverwaltungsgerichtes, der türkische Staat sei fähig und willens, die hier in Rede stehenden privaten Verfolgungshandlungen des ehemaligen Lebensgefährten der Zweitrevisionswerberin zu unterbinden, aus revisionsrechtlicher Sicht zu beanstanden wäre. Die revisionswerbenden Parteien weisen insbesondere selbst darauf hin, dass die Zweitrevisionswerberin in der Türkei unbestrittenermaßen ein einmonatiges Annäherungsverbot gegen den ehemaligen Lebensgefährten erwirkt und selbst angegeben habe, nach weiteren Drohungen durch den ehemaligen Lebensgefährten, sich nicht nochmals an staatliche Behörden gewendet, sondern das Land danach verlassen zu haben. Dass aus Sicht der revisionswerbenden Parteien das einmonatige Annäherungsverbot aufgrund der weiteren Drohungen des Ex Lebensgefährten nicht ausreichend gewesen sei, führt nicht dazu, von einem systematisch unzulänglichen Rechtssystem auszugehen.
13 In den Revisionen wird weiters im Zusammenhang mit der Versagung der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten die Prämisse zugrunde gelegt, dass sie mangels wirksamer Abhilfe durch türkische Behörden der Gefahr einer Verletzung der von Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt seien. Damit gehen die revisionswerbenden Parteien aber begründungslos von den bereits erwähnten Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes ab und es wird schon daher keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG aufgezeigt (vgl. zum Nichtvorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, wenn sich das Zulässigkeitsvorbringen vom festgestellten Sachverhalt entfernt, VwGH 10.12.2024, Ra 2024/20/0364, mwN).
14 Soweit sich die revisionswerbenden Parteien im Zulässigkeitsvorbringen erkennbar gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidungen erfolgte Interessenabwägung nach § 9 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG) wenden, ist festzuhalten, dass die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden hat. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 31.5.2024, Ra 2024/20/0286, mwN).
15 Eine solche Abwägung unter Einbeziehung der fallbezogen maßgeblichen Aspekte hat das Bundesverwaltungsgericht vorgenommen. Dass die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Fehler behaftet wäre, wird in den Revisionen nicht dargelegt.
16 Die revisionswerbenden Parteien rügen in ihrem Vorbringen zur Zulässigkeit der Revisionen auch die Verletzung der Verhandlungspflicht. Ihnen sei durch die Unterlassung der Verhandlung die Möglichkeit genommen worden, ihre private und familiäre Gefahrensituation eingehend zu erläutern.
17 § 21 Abs. 7 BFA VG erlaubt das Unterbleiben einer Verhandlung trotz ausdrücklichen Antrags, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (vgl. zu den Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes zu den Kriterien für die Abstandnahme von einer Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG ausführlich VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018; sowie aus der weiteren Rechtsprechung etwa VwGH 25.10.2024, Ra 2024/20/0433, mwN). Aus der genannten Bestimmung ergibt sich, dass die Unterlassung einer Verhandlung nur dann einen zur Aufhebung führenden Verfahrensmangel begründet, wenn ein entscheidungswesentlicher Sachverhalt klärungsbedürftig ist; dieser ist in der Revision darzutun. Mit den Ausführungen in den Begründungen zur Zulässigkeit ihrer Revisionen, die revisionswerbenden Parteien hätten (mangels Durchführung einer Verhandlung) kein persönliches und eingehendes Vorbringen zu ihrer Verfolgungssituation samt den wirtschaftlichen, familiären, privaten und auch psychischen Auswirkungen auf sie erstatten können, legen die revisionswerbenden Parteien nicht dar, dass das Bundesverwaltungsgericht von den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Leitlinien abgewichen wäre.
18 In den Revisionen wird sohin keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 23. Juni 2025