JudikaturVwGH

Ra 2025/09/0020 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
04. September 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Doblinger, den Hofrat Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar, Mag. Schindler und Mag. Bayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die außerordentliche Revision des Disziplinaranwalts beim Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer in Wien, vertreten durch die Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 31. Jänner 2025, VGW 172/V/091/13556/2024 3, betreffend ein Disziplinarverfahren nach dem Ärztegesetz 1998 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer Disziplinarkommission für Wien; weitere Partei: Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz; mitbeteiligte Partei: Dr. A B, vertreten durch Mag. Christian Haas, Rechtsanwalt in Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 4 VwGG dahingehend abgeändert, dass der Beschluss des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer Disziplinarkommission für Wien vom 1. Juli 2024, Dk 13/2020 W, ersatzlos behoben wird.

1Mit dem - nach dem vom Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer Disziplinarkommission für Wien (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde) nach § 154 Ärztegesetz 1998 (ÄrzteG 1998) gefassten Einleitungsbeschluss vom 2. Juli 2020 ergangenen Disziplinarerkenntnis vom 24. August 2020 sprach die belangte Behörde die Mitbeteiligte, eine Fachärztin für Hautund Geschlechtskrankheiten, schuldig, sie habe im März 2020, nachdem sie von der Wiener Ärztekammer darauf hingewiesen worden war, dass die Verrechnung einer Zutrittspauschale von 50 Euro für Patienten (als Ausgleich für eine fehlende kassenseitige Versorgung mit Desinfektionsmittel) unzulässig sei, die Behandlung von Kassenpatienten verweigert und sei nur mehr bereit gewesen, Patienten gegen Zahlung eines Privathonorars zu behandeln. Dadurch habe sie das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft beeinträchtigt und damit das Disziplinarvergehen gemäß § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 begangen. Über die Mitbeteiligte wurde deshalb gemäß § 139 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 die Disziplinarstrafe der Geldstrafe in der Höhe von 2.000 Euro verhängt und sie zum Ersatz der mit 1.000 Euro bestimmten Kosten des Disziplinarverfahrens verpflichtet.

2Das im Beschwerdeverfahren ergangene, die Mitbeteiligte von diesem Vorwurf gemäß § 161 Abs. 1 ÄrzteG 1998 freisprechende Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 24. August 2021 wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Mai 2022, Ra 2021/09/0242, auf das für Näheres verwiesen wird, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

3Im fortgesetzten Verfahren stellte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 9. November 2022 beim Verfassungsgerichtshof den dort zu G 293/2022 protokollierten Antrag, dieser möge näher bezeichnete Bestimmungen des Ärztegesetzes 1998, u.a. § 140 ÄrzteG 1998, als verfassungswidrig aufheben.

4 Mit Erkenntnis vom 6. März 2023, G 237/202220, u.a., hob der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge „und auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen bestellt wird“ in § 140 Abs. 3 erster Satz, die Wortfolge „auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen“ in § 140 Abs. 3 zweiter Satz und den dritten Satz in § 140 Abs. 3 ÄrzteG 1998, BGBl I Nr. 169, idF BGBl I Nr. 140/2003, mit Ablauf des 30. September 2024 als verfassungswidrig auf, und sprach aus, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten. Dies wurde vom Bundeskanzler im Bundesgesetzblatt vom 21. März 2023, BGBl. I Nr. 19/2023, kundgemacht.

5 Das Verwaltungsgericht hob in der Folge mit (Ersatz )Erkenntnis vom 24. März 2023 das eingangs dargestellte Disziplinarerkenntnis vom 24. August 2020 wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde auf.

6Mit Beschluss vom 1. Juli 2024 stellte die nach der mit 1. Jänner 2024 in Kraft getretenen Novelle des Ärztegesetzes 1998 mit BGBl. I Nr. 195/2023 neu zusammengesetzte belangte Behörde das Disziplinarverfahren gegen die Mitbeteiligte mit der Begründung ein, mittlerweile sei gemäß § 137 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 Verfolgungsverjährung eingetreten. Der, die erste Verfolgungshandlung im Sinn dieser Bestimmung darstellende, nicht abgesondert anfechtbare Einleitungsbeschluss vom 2. Juli 2020, so wurde zusammengefasst begründet, teile das rechtliche Schicksal der verfahrensbeendenden Entscheidung und sei daher von der Aufhebung des Disziplinarerkenntnisses wegen Unzuständigkeit mitumfasst. Der Erlassung eines neuen Einleitungsbeschlusses oder der Setzung einer anderen Verfolgungshandlung stehe die inzwischen nach § 137 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 eingetretene Verfolgungsverjährung von einem Jahr ab Kenntnis des Disziplinaranwalts von dem dem Disziplinarvergehen zugrundeliegenden Sachverhalt entgegen.

7 Die gegen diesen Beschluss von der revisionswerbenden Disziplinaranwältin erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 31. Jänner 2025 ab. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte es für unzulässig.

8Rechtlich begründete das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis im Wesentlichen dahingehend, dass es zwar gemäß § 32 Abs. 2 VStG innerhalb der Frist des § 137 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 durch die Fassung des Einleitungsbeschlusses zu einer Verfolgung gekommen sei, sei eine Verfolgungshandlung in diesem Sinn doch jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung, u.a. auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig gewesen sei. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 22.3.2023, Ra 2023/09/0001, Rn. 18) müsse die Verfolgungshandlung jedoch von einer nach dem Ärztegesetz 1998 zuständigen Behörde gesetzt werden. Dies sei im Hinblick auf die verfassungswidrige Zusammensetzung der Disziplinarkommission nicht erfolgt, sodass die Verfolgungsverjährungsfrist des § 137 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 verstrichen sei, ohne dass eine nach dem Ärztegesetz 1998 zuständige Behörde eine Verfolgungshandlung gesetzt habe.

9 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Fehlen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision des Disziplinaranwalts der Österreichischen Ärztekammer wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit. In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete die Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung.

11Die revisionswerbende Partei sieht die zur Zulässigkeit ihrer außerordentlichen Revision führende Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zusammengefasst darin gelegen, dass es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur verjährungsunterbrechenden Wirkung eines Einleitungsbeschlusses gemäß § 154 Abs. 2 ÄrzteG 1998 fehle, der von einer unrichtig zusammengesetzten Disziplinarkommission gefasst worden sei, wobei sich die unrichtige Zusammensetzung erst durch ein später ergangenes Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ergeben habe. Mit dieser Rechtsfrage habe sich der Verwaltungsgerichtshof entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch nicht in dem von diesem zitierten Erkenntnis vom 22. März 2023, Ra 2023/09/0001, auseinandergesetzt. Vielmehr sei darin die Übertragbarkeit der Judikatur zu § 32 Abs. 2 VStG auf das Ärztegesetz 1998 betont worden. Nach jener (näher dargelegten) Rechtsprechung gehe die faktische Wirkung als Verfolgungshandlung jedoch auch durch eine Aufhebung der diese bewirkende Entscheidung im Rechtsmittelweg nicht verloren. Insofern sei das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12 Die Revision erweist sich aus den von der revisionswerbenden Partei dargelegten Gründen als zulässig. Sie ist auch begründet.

13§ 137 Ärztegesetz 1998 (ÄrzteG 1998), BGBl. I Nr. 169/1998 in der Fassung BGBl. I Nr. 112/2007 lautet (auszugsweise):

„§ 137. (1) Durch Verjährung wird die Verfolgung eines Arztes oder außerordentlichen Kammerangehörigen ausgeschlossen, wenn

1. innerhalb eines Jahres ab Kenntnis des Disziplinaranwaltes von dem einem Disziplinarvergehen zugrundeliegenden Sachverhalt oder von allfälligen Wiederaufnahmsgründen keine Verfolgungshandlung gesetzt oder

2. innerhalb von fünf Jahren nach der Beendigung eines disziplinären Verhaltens kein Einleitungsbeschluß gefaßt oder ein rechtskräftig beendetes Disziplinarverfahren nicht zu seinem Nachteil wiederaufgenommen worden ist.

(2) Der Lauf der im Abs. 1 genannten Fristen wird gehemmt, wenn

1.wegen des dem Disziplinarvergehen zugrunde liegenden Sachverhaltes ein Verfahren nach der StPO oder ein Verwaltungsstrafverfahren oder ein Verfahren vor einem anderen Träger der Disziplinargewalt oder vor dem Verfassungs oder Verwaltungsgerichtshof anhängig ist, für die Dauer dieses Verfahrens,

2. die Berechtigung eines Arztes zur ärztlichen Berufsausübung während des Laufes der Verjährungsfrist erlischt, bis zu seiner allfälligen Wiedereintragung in die Ärzteliste.

...“

14§ 140 ÄrzteG 1998, BGBl. I Nr. 169/1998, lautete:

„Disziplinarrat und Disziplinaranwalt in erster Instanz

§ 140. (1) Über Disziplinarvergehen erkennt in erster Instanz der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer.

(2) Im Rahmen des Disziplinarrates ist zur Durchführung der Disziplinarverfahren für den Bereich eines jeden Oberlandesgerichtssprengels zumindest eine Disziplinarkommission einzurichten. Die Bestellung mehrerer Disziplinarkommissionen mit örtlich verschiedenem Wirkungsbereich ist zulässig. Überdies sind jeder Disziplinarkommission mehrere vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu bestellende rechtskundige Untersuchungsführer beizugeben, die in einer vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu führenden Liste zu erfassen sind.

(3) Jede Disziplinarkommission besteht aus dem Vorsitzenden, der rechtskundig sein muß und auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales bestellt wird, sowie aus zwei ärztlichen Beisitzern, die vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer bestellt werden. Für den Vorsitzenden sind gleichzeitig zwei Stellvertreter, die rechtskundig sein müssen, auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales und für die ärztlichen Beisitzer gleichzeitig vier Stellvertreter vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu bestellen. Mitglieder des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer dürfen einer Disziplinarkommission nicht angehören.

(4) Die ärztlichen Beisitzer haben dem Vorsitzenden vor Antritt ihrer Tätigkeit die gewissenhafte und unparteiische Erfüllung ihrer Pflichten zu geloben.

(5) Die einzelnen Disziplinarkommissionen des Disziplinarrates sind ermächtigt, soweit dies zur Vermeidung unnötiger Kosten und zur rascheren Durchführung des Verfahrens angezeigt ist, ihre Tätigkeit in den Räumlichkeiten jener Ärztekammer auszuüben, der der Beschuldigte angehört.“

15 Mit Erkenntnis vom 6. März 2023, G 237/2022 20, u.a., erkannte der Verfassungsgerichtshof zu Recht:

„1. Die Wortfolge ‚und auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen bestellt wird‘ in § 140 Abs. 3 erster Satz, die Wortfolge ‚auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen‘ in § 140 Abs. 3 zweiter Satz und der dritte Satz in § 140 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1998ÄrzteG 1998), BGBl. I Nr. 169, idF BGBl. I Nr. 140/2003 werden als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. September 2024 in Kraft.

3. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.“

16Diese Aufhebung von Teilen des § 140 Abs. 3 ÄrzteG 1998 wurde vom Bundeskanzler am 21. März 2023 kundgemacht (BGBl. I Nr. 19/2023).

17Aufgrund der Novelle BGBl. I Nr. 195/2023 hat § 140 Abs. 3 ÄrzteG 1998 nunmehr folgenden Wortlaut:

„(3) Jede Disziplinarkommission besteht aus der/dem Vorsitzenden, die/der rechtskundig sein muss, sowie aus zwei ärztlichen Beisitzerinnen/Beisitzern. Für die/den Vorsitzenden sind gleichzeitig zwei rechtskundige Stellvertreterinnen/Stellvertreter, für die ärztlichen Beisitzerinnen/Beisitzer sind gleichzeitig vier Stellvertreterinnen/Stellvertreter zu bestellen. Die Bestellung ist durch den Vorstand der Österreichischen Ärztekammer vorzunehmen. Mitglieder des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer dürfen einer Disziplinarkommission nicht angehören.“

18Diese Änderung trat mit 1. Jänner 2024 in Kraft; bereits anhängige Disziplinarverfahren sind gemäß § 253 Abs. 1 ÄrzteG 1998 durch die nach diesem Zeitpunkt zusammengesetzten Disziplinarkommissionen fortzuführen.

19Im vorliegenden Fall stellten sowohl die belangte Behörde wie auch das Verwaltungsgericht das Disziplinarverfahren wegen Eintritts von Verfolgungsverjährung nach § 137 Abs. 2 Z 1 ÄrzteG 1998 ein. Während die belangte Behörde dies damit begründete, dass der bereits gefasste Einleitungsbeschuss mit der Behebung des Disziplinarerkenntnisses wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde infolge des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes als nicht abgesondert anfechtbare verfahrensrechtliche Entscheidung weggefallen sei und es daher an einer rechtzeitigen Verfolgungshandlung fehle, verwies das Verwaltungsgericht zwar darauf, dass der Einleitungsbeschluss als Verfolgungshandlung zu qualifizieren sei, meinte aber, dass dieser von einer zuständigen Behörde zu fassen gewesen wäre, weshalb es im Ergebnis ebenfalls vom Fehlen einer rechtzeitigen Verfolgungshandlung ausging.

20 Beide Begründungen halten einer Überprüfung im Licht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht stand.

21 Voranzustellen ist, dass gemäß Art. 140 Abs. 7 BVG die Aufhebung eines Gesetzes durch den Verfassungsgerichtshof auf den Anlassfall zurückwirkt. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte (VwGH 24.4.2025, Ra 2023/10/0314, mwN).

22Dem Verwaltungsgericht ist nun zwar zuzustimmen, dass im gegenständlichen Verfahren, das einen solchen Anlassfall darstellt, die Unzuständigkeit der belangten Behörde infolge gesetzwidriger Zusammensetzung auch den nicht abgesondert anfechtbaren Einleitungsbeschluss (siehe dazu VwGH 28.3.2017, Ro 2016/09/0001, zu § 154 Abs. 2 ÄrzteG 1998 in der Fassung vor der Novellierung BGBl. I Nr. 80/2013; sowie ErläutRV 2166 BlgNR 24. GP 9; vgl. etwa auch VwGH 20.12.1999, 99/10/0249, VwSlg. 15303 A, zum Disziplinarstatut der Rechtsanwälte 1990) betrifft.

23§ 137 Abs. 1 ÄrzteG 1998 unterscheidet jedoch (wie auch § 151 Abs. 2 ÄrzteG 1998) zwischen einer Verfolgungshandlung und dem Einleitungsbeschluss. Verfolgungshandlungen können etwa in Erhebungen, insbesondere der Einvernahme des Beschuldigten oder von Zeugen durch einen bestellten Untersuchungsführer gelegen sein (siehe VwGH 10.9.2015, Ro 2015/09/0002, VwSlg. 19195 A). Andererseits kann die die Verfolgungsverjährung nach § 137 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 ausschließende erste Verfolgungshandlung auch im Einleitungsbeschluss gelegen sein (vgl. dazu VwGH 9.3.2021, Ra 2019/09/0104, Rn. 10).

24Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem bereits genannten Erkenntnis vom 10. September 2015, Ro 2015/09/0002, mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass der Gesetzgeber mit dem Begriff „Verfolgungshandlung“ in § 137 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 an diesen Begriff in § 32 Abs. 2 VStG anknüpfte und festgehalten, dass es sich bei einer „Verfolgungshandlung“ im Sinn des § 137 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 nur um der Disziplinarkommission zuzurechnende Akte handeln kann, während Handlungen des Disziplinaranwalts nicht als „Verfolgungshandlungen“ im Sinn des § 137 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 zu qualifizieren sind (siehe dazu auch VwGH 8.5.2020, Ra 2020/09/0012, u.a.; 22.3.2023, Ra 2023/09/0001, Rn. 12).

25Nach § 32 Abs. 2 VStG ist Verfolgungshandlung jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Beratung, Strafverfügung u. dgl.), und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat.

26Dementsprechend setzte die belangte Behörde, auch wenn sie in dem einen Anlassfall darstellenden Verfahren durch die Aufhebung von Teilen des § 140 Abs. 3 ÄrzteG 1998 durch den Verfassungsgerichtshof infolge (sodann) unrichtiger Zusammensetzung unzuständig war, innerhalb offener Frist eine wirksame Verfolgungshandlung.

27 Obwohl dieser Einleitungsbeschluss von einer (nunmehr) unzuständigen Behörde gefasst wurde, kann ihm die Wirkung als relevante Verfolgungshandlung nicht genommen werden (vgl. VwGH 27.4.1989, 88/09/0004, VwSlg. 12920 A, zum Beamten Dienstrechtsgesetz 1979).

28Wie in der Revision zutreffend aufgezeigt wird, wurde vom Verwaltungsgerichtshof auch im Zusammenhang mit § 32 Abs. 2 VStG bereits festgehalten, dass selbst eine mit Wirkung ex tunc erfolgte Aufhebung eines als Verfolgungshandlung zu qualifizierenden Ladungsbescheids nicht zur Folge hat, dass die faktische Wirkung des Landungsbescheids als Verfolgungshandlung weggefallen wäre (VwGH 20.2.2014, 2013/09/0046; 7.3.2023, Ra 2020/05/0016).

29 Gegenteiliges ist anders als das Verwaltungsgericht in seiner angefochtenen Entscheidung argumentiertauch nicht aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. März 2023, Ra 2023/09/0001, abzuleiten. In jenem Verfahren wurde betont, dass der Disziplinaranwalt mangels behördlicher Befugnisse keine Verfolgungshandlung setzen konnte. Dem dort zunächst von der Disziplinarkommission gefassten Rücklegungsbeschluss fehlte die Eigenschaft als Verfolgungshandlung, weshalb ihm keine die Verjährung unterbrechende Wirkung zukam. Nur dahingehend ist die in Rn. 18 des genannten Erkenntnisses gebrauchte Wendung „Verfolgungshandlung von einer hiefür nach dem ÄrzteG 1998 zuständigen Behörde“ zu verstehen. Die Unterscheidung erfolgte zwischen der für die Vornahme einer Verfolgungshandlung im Ärztegesetz 1998 vorgesehenen Behörde und dem Disziplinaranwalt, dem behördliche Befugnisse fehlen. Zu einer fehlerhaften Besetzung oder etwa einer örtlichen Unzuständigkeit wurde in diesem Zusammenhang keine Aussage getroffen. Eine solche nimmt im gegebenen Zusammenhang einem deshalb rechtswidrigen Einleitungsbeschluss nicht die Wirkung einer Verfolgungshandlung.

30Indem das Verwaltungsgericht die Einstellung des Disziplinarverfahrens wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung nach § 137 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 bestätigte, belastete es sein Erkenntnis deshalb mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes nach § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG.

31 Unter Berücksichtigung der Zeiten der Fristhemmung durch die Verfahren vor dem Verwaltungsund dem Verfassungsgerichtshof gemäß § 137 Abs. 2 ÄrzteG 1998 ist auch die Strafbarkeitsverjährungsfrist des § 137 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 offenkundig noch nicht abgelaufen.

32Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie wie im vorliegenden Fall entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt. Das wie aufgezeigt inhaltlich rechtswidrige angefochtene Erkenntnis war daher im Sinn der ersatzlosen Behebung des Einstellungsbeschlusses der belangten Behörde abzuändern.

33 Die Disziplinarkommission hat nun neuerlich unter Abstandnahme von der Annahme des Eintritts von Verfolgungsverjährung über die Durchführung eines Disziplinarverfahrens gegen die Mitbeteiligte wegen der wider sie erhobenen Vorwürfe zu entscheiden.

Wien, am 4. September 2025