JudikaturVwGH

Ra 2023/10/0314 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
24. April 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, über die Revision der Niederösterreichischen Landesregierung gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 27. März 2023, Zlen. LVwG AV 1098/001 2022, LVwG AV 1325/001 2022, betreffend Sozialhilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld; mitbeteiligte Parteien: 1. G L und 2. I R, beide in T), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit damit den Mitbeteiligten für den Zeitraum vom 1. Dezember 2022 bis zum 30. September 2023 Leistungen nach dem NÖ Sozialhilfe Ausführungsgesetz zur Befriedigung des Wohnbedarfs zuerkannt wurden, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Revision als unbegründet abgewiesen.

1 1.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 27. März 2023 erkannte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich den mitbeteiligten Parteien im Beschwerdeverfahren (auch) für den Zeitraum vom Dezember 2022 bis September 2023 Geldleistungen nach dem NÖ Sozialhilfe Ausführungsgesetz NÖ SAG zur Befriedigung des Lebensunterhaltes sowie zur Befriedigung des Wohnbedarfs in bestimmter Höhe zu, wobei es die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zuließ.

2 Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung soweit für den Revisionsfall von Interesse zugrunde, die Mitbeteiligten hielten sich nach ihrer Flucht vor politischer Verfolgung aus der Russischen Föderation seit 29. Februar 2004 in Österreich auf; sie lebten seit 2005 in einer bestimmten Gemeinde in Niederösterreich, hätten in dieser Zeit viele soziale Kontakte geknüpft, seien in der Gemeinde gut integriert und weder straf noch verwaltungsstrafrechtlich vorbestraft. Den Mitbeteiligten fehlten jegliche soziale Bindungen und Anknüpfungspunkte zu ihrem Heimatland; sie besäßen „rechtmäßig die ‚Rot Weiß Rot Karte plus‘ als Aufenthaltstitel“.

3 Aufgrund dieser Umstände vertrat das Verwaltungsgerichtunter Berufung auf das (sein im selben Verwaltungsverfahren ergangenes Erkenntnis vom 26. Jänner 2021 aufhebende) hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2022, Ra 2021/10/0043, 0044,die Rechtsauffassung, die mitbeteiligten Parteien erfüllten die „Voraussetzungen der Bestimmung des § 5 NÖ SAG“. (In dem genannten Erkenntnis Ra 2021/10/0043, 0044, erachtete der Verwaltungsgerichtshof mit Blick auf ein Vorbringen der damals revisionswerbenden, nunmehr mitbeteiligten Parteien zu deren Aufenthaltsverfestigung in Österreich den Revisionsfall sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht mit jenem als vergleichbar, der mit hg. Erkenntnis vom 28. April 2022, Ra 2021/10/0042, entschieden wurde, und verwies daher gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf dessen Begründung.)

4 Mit Blick auf die zuerkannten Leistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs stellte das Verwaltungsgericht (unter anderem) fest, die Mitbeteiligten hätten am 12. September 2022 Brennholz im Ausmaß von 6 m 3 zum Preis von € 600,00 für zwei in ihrer Wohnung aufgestellte Öfen gekauft, um mit diesem Brennholz ihre Wohnung ein Jahr lang somit bis zum 30. September 2023 beheizen zu können.

5 Aus diesem Grund erkannte das Verwaltungsgericht den Mitbeteiligten für den Zeitraum Oktober 2022 bis September 2023 als Leistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs (auch) „monatliche Heizkosten in der Höhe von jeweils € 50,00“ zu (welche zu den monatlichen Miet und Stromkosten dazuzurechnen seien).

6 1.2. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision der Niederösterreichischen Landesregierung.

7 Die Mitbeteiligten haben Revisionsbeantwortungen erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 2. Für den Revisionsfall sind folgende Bestimmungen des NÖ Sozialhilfe Ausführungsgesetzes NÖ SAG, LGBl. Nr. 70/2019 idF LGBl. Nr. 69/2022, in den Blick zu nehmen:

„§ 5

Anspruchsberechtigte Personen

(1) Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe haben nach Maßgabe dieses Abschnittes Personen, die

1. von einer sozialen Notlage betroffen sind,

2. ihren Hauptwohnsitz und ihren tatsächlichen dauernden Aufenthalt in Niederösterreich haben und

3. zu einem dauernden Aufenthalt im Inland berechtigt sind.

(2) Zum Personenkreis nach Abs. 1 Z 3 gehören:

1.österreichische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen sowie deren Familienangehörige, die über einen Aufenthaltstitel ‚Familienangehöriger‘ gemäß § 47 Abs. 2 NAG verfügen und seit 5 Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig sind;

2. Staatsangehörige eines anderen Vertragsstaates des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz sowie deren Familienangehörige im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG, jeweils soweit sie durch den Bezug dieser Leistungen nicht ihr Aufenthaltsrecht verlieren würden oder die Einreise nicht zum Zweck des Bezuges von Leistungen der Sozialhilfe erfolgt ist;

3.Asylberechtigte gemäß § 3 AsylG 2005;

4. Drittstaatsangehörige mit einem Aufenthaltstitel

a) ‚DaueraufenthaltEU‘ gemäß § 45 NAG oder

b) ‚DaueraufenthaltEU‘ eines anderen Mitgliedstaates und einem Aufenthaltstitel gemäß § 49 NAG

(3) [...]

(4) Keinen Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe des Landes haben insbesondere:

[...]

6. Personen, welche nicht vom Personenkreis nach Abs. 2 erfasst sind.

[...]

§ 13

Leistungen zur Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts, Leistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs

(1) [...]

(2) Leistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs umfassen den für die Gewährleistung einer angemessenen Wohnsituation erforderlichen regelmäßig wiederkehrenden Aufwand für Miete, Hausrat, Heizung und Strom sowie sonstige allgemeine Betriebskosten und Abgaben.

§ 14

Monatliche Leistungen der Sozialhilfe

(1) Die Landesregierung hat ausgehend vom Ausgleichszulagenrichtsatz nach § 293 Abs. 1 lit. a bb) ASVG abzüglich des Beitrages zur gesetzlichen Krankenversicherung durch Verordnung die Höhe der monatlichen Leistungen zur Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts und zur Befriedigung des Wohnbedarfs festzulegen. Diese Verordnung kann auch rückwirkend in Kraft gesetzt werden. Die Summe der monatlichen Geld und Sachleistungen (Richtsätze) wird für folgende hilfsbedürftige Personen entsprechend den folgenden Prozentsätzen festgelegt:

1. für eine alleinstehende oder alleinerziehende Person ..................... 100 %

2. für in Haushaltsgemeinschaft lebende volljährige Personen

a) pro leistungsberechtigter Person .............................................. 70 %

b) ab der drittältesten leistungsberechtigten Person ........................... 45 %

[...]

(2) Leistungen nach Abs. 1 Z 1 und Z 2 beinhalten eine Geldleistung zur Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts in Höhe von 60 % und eine Leistung zur Befriedigung des Wohnbedarfs im Ausmaß von 40 %. Wohnt eine Hilfe suchende Person in einer Eigentumswohnung oder in einem Eigenheim wird die Leistung zur Befriedigung des Wohnbedarfs nur im halben Ausmaß (20 %) gewährt. Besteht kein oder ein geringerer Aufwand zur Befriedigung des Wohnbedarfs oder erhält die hilfebedürftige Person bedarfsdeckende Leistungen (z. B. eine Wohnbeihilfe oder einen Wohnzuschuss), sind die jeweiligen Leistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs um diese Anteile entsprechend zu reduzieren. Ein Aufwand zur Befriedigung des Wohnbedarfs ist in dem Monat zu berücksichtigen, in welchem er fällig ist.

[...]“

9 3. Die vorliegende außerordentliche Revision bekämpft das angefochtene Erkenntnis lediglich im Umfang der damit für den Zeitraum vom 1. Dezember 2022 bis zum 30. September 2023 zuerkannten Leistungen nach dem NÖ Sozialhilfe Ausführungsgesetz.

10 In ihren Zulässigkeitsausführungen macht die Revisionswerberin (unter anderem) Rechtsfragen in Zusammenhang mit der am 1. Dezember 2022 in Kraft getretenen Novelle LGBl. Nr. 69/2022 zum NÖ SAG geltend; damit sei normiert worden, dass Personen, welche nicht vom Personenkreis des § 5 Abs. 2 NÖ SAG umfasst seien, keinen Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe des Landes hätten (Hinweis auf § 5 Abs. 4 Z 6 NÖ SAG). Für den Leistungszeitraum ab Dezember 2022 hätte das Verwaltungsgericht da Sozialhilfeansprüche zeitraumbezogene Ansprüche seien die derart novellierte Fassung des NÖ SAG anwenden müssen.

11 Mit Blick darauf ist die Revision zulässig. Sie erweist sich als teilweise begründet.

12 3.1. Die Rechtsrüge der Revisionswerberin führt zunächst die durch die erwähnte Novelle LGBl. Nr. 69/2022 eingefügte Bestimmung des § 5 Abs. 4 Z 6 NÖ SAG ins Treffen, welche nunmehr (entgegen der vom Verwaltungsgericht zitierten hg. Rechtsprechung; vgl. oben Rz 3) „klargestellt“ habe, dass es sich bei dem in § 5 Abs. 2 NÖ SAG genannten Personenkreis um eine taxative Aufzählung handle.

13 Aus Anlass der vorliegenden Revision stellte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 11. April 2024, A 2024/0001, an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, die Wortfolge „6. Personen, welche nicht vom Personenkreis nach Abs. 2 erfasst sind“, in § 5 Abs. 4 NÖ Sozialhilfe Ausführungsgesetz, LGBl. Nr. 70/2019 idF LGBl. Nr. 69/2022, als verfassungswidrig aufzuheben.

14 Mit Erkenntnis vom 11. März 2025, G 63/2024, hob der Verfassungsgerichtshof die Bestimmung des § 5 Abs. 4 Z 6 NÖ SAG als verfassungswidrig auf und sprach (unter anderem) aus, dass die Aufhebung mit Ablauf des 31. März 2026 in Kraft trete und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft träten.

15In den Erwägungen dieses Erkenntnisses führte der Verfassungsgerichtshof abschließend aus, zur Beseitigung der verfassungswidrigen Rechtslage sei es ausreichend, § 5 Abs. 4 Z 6 NÖ SAG aufzuheben, „weil § 5 Abs 2 NÖ SAG dadurch seinen demonstrativen Charakter im Sinne einer grundsatzgesetzkonformen Auslegung (VwGH 28.4.2022, Ra 2021/10/0042) wiedererlangt“.

16 Gemäß Art. 140 Abs. 7 BVG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte (vgl. etwa VwGH 7.12.2020, Ra 2019/21/0163, mwN).

17 Der vorliegende Revisionsfall bildet den Anlassfall für die durch das Erkenntnis G 63/2024 erfolgte Gesetzesaufhebung durch den Verfassungsgerichtshof, sodass die von der Revisionswerberin geltend gemachte (durch die Novelle LGBl. Nr. 69/2022 eingefügte) Bestimmung des § 5 Abs. 4 Z 6 NÖ SAG auf den Revisionsfall nicht anzuwenden ist.

18 Die Revisionswerberin kann somit eine Rechtswidrigkeit der Auffassung des Verwaltungsgerichtes, die Mitbeteiligten erfüllten (auch für den Leistungszeitraum ab dem 1. Dezember 2022) aufgrund näher angeführter hg. Rechtsprechung (vgl. oben Rz 3) die „Voraussetzungen der Bestimmung des § 5 NÖ SAG“ (und seien somit anspruchsberechtigt iSd § 5 Abs. 1 NÖ SAG), nicht aufzeigen.

19 3.2. Die Revision wendet sich allerdings unter Hinweis auf den ebenfalls mit der Novelle LGBl. Nr. 69/2022 eingefügten letzten Satz des § 14 Abs. 2 NÖ SAG auch gegen die im angefochtenen Erkenntnis erfolgte Zuerkennung von monatlichen Heizkosten als Leistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs ab 1. Dezember 2022 (vgl. oben Rz 4 und 5) und bringt dazu vor, das Verwaltungsgericht hätte den (im September 2022 angefallenen) Aufwand für Heizmaterial ab 1. Dezember 2022 nicht (mehr) „aliquot auf die restlichen Monate anrechnen dürfen“.

20 Mit der damit angesprochenen Bestimmung des § 14 Abs. 2 letzter Satz NÖ SAG idF BGBl. Nr. 69/2022 wird angeordnet, dass ein „Aufwand zur Befriedigung des Wohnbedarfs in dem Monat zu berücksichtigen“ ist, „in welchem er fällig ist“.

21 Ausweislich der Gesetzesmaterialien (vgl. Antrag der Abg. Erber u.a., LT NÖ, Ltg. 2250/A 1/1592022) stellt diese Bestimmung eine Antwort auf das hg. Erkenntnis vom 28. April 2022, Ra 2020/10/0110, dar, in dem der Gerichtshof ausgesprochen hat, dass es keinen Bedenken begegne, den gemäß § 13 Abs. 2 NÖ SAG für die Gewährleistung einer angemessenen Wohnsituation erforderlichen regelmäßig wiederkehrenden Aufwand dahin zu berücksichtigen, dass nicht monatlich anfallende (im Sinn von: zu bezahlende) Wohnaufwände beim monatlichen Wohnbedarf aliquot eingerechnet werden.

22 Erklärte Absicht des Gesetzgebers der Novelle BGBl. Nr. 69/2022 war in diesem Zusammenhang, „eine gesetzliche Klarstellung vorzunehmen, dass ein Aufwand zur Befriedigung des Wohnbedarfs in dem Monat zu berücksichtigen ist, in dem er fällig ist“.

23Die im angefochtenen Erkenntnis vorgenommene aliquote Berücksichtigung eines im September 2022 angefallenen Aufwandes für Brennholz im daran anschließenden Jahr (Oktober 2022 bis September 2023) entspricht zwar dem erwähnten hg. Erkenntnis Ra 2020/10/0110.

24 Zutreffend macht die Revision allerdings geltend, dass eine solche Berücksichtigung von Wohnaufwand außerhalb des Monats, in welchem dieser bezahlt wurde, ab dem 1. Dezember 2022 (dem In Kraft Treten der Novelle BGBl. Nr. 69/2022; vgl. deren Art. 1 Z 7) nicht mehr im Einklang mit § 14 Abs. 2 NÖ SAG stand.

25 4. Das angefochtene Erkenntnis ist daher, soweit damit den Mitbeteiligten für den Zeitraum vom 1. Dezember 2022 bis zum 30. September 2023 Leistungen nach dem NÖ SozialhilfeAusführungsgesetz zur Befriedigung des Wohnbedarfs zuerkannt wurden, mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, sodass es insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

26Im Übrigen war die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 24. April 2025