JudikaturVwGH

Ra 2025/09/0023 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
04. September 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Doblinger sowie den Hofrat Mag. Feiel und die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die außerordentliche Revision des Disziplinaranwalts beim Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer in Wien, vertreten durch die Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 31. Jänner 2025, VGW 172/V/091/13555/2024 3, betreffend ein Disziplinarverfahren nach dem Ärztegesetz 1998 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer Disziplinarkommission für Wien; weitere Partei: Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz; mitbeteiligte Partei: Univ. Doz. DDr. A B, vertreten durch Dr. Michael Paul Parusel, Rechtsanwalt in Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 4 VwGG dahingehend abgeändert, dass der Beschluss des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer Disziplinarkommission für Wien vom 1. Juli 2024, Dk 8/2022 W, ersatzlos behoben wird.

1Mit Beschluss vom 17. März 2022 leitete der entsprechend § 140 Abs. 3 Ärztegesetz 1998 (ÄrzteG 1998), BGBl. I Nr. 169/1998 in der Fassung BGBl. I Nr. 140/2023, zusammengesetzte Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer Disziplinarkommission für Wien (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde) gegen den Mitbeteiligten, einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, das Disziplinarverfahren ein und ordnete die mündliche Disziplinarverhandlung an (Einleitungsbeschluss§ 154 Abs. 2 ÄrzteG 1998).

2 Mit Disziplinarerkenntnis vom 21. April 2022 sprach die belangte Behörde den Mitbeteiligten entsprechend der im Einleitungsbeschluss dargelegten Beschuldigungspunkte schuldig, er habe ab November 2021 in Wien in einem auf YouTube abrufbaren Video einen unzulässigen Vergleich zwischen Ivermectin und den CoronaImpfstoffen gezogen und behauptet, die negative Berichterstattung über Ivermectin sei mit der Absicht begründet, einem neuartigen Medikament der Firma Pfizer mit ähnlichem Wirkstoff und ähnlicher Wirkweise den Weg zu bereiten. Er habe dadurch das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft beeinträchtigt sowie solcherart zugleich entgegen § 53 Abs. 1 ÄrzteG 1998 in Verbindung mit §§ 1, 2 Abs. 1 und 2 der Verordnung Arzt und Öffentlichkeit unsachliche Informationen veröffentlicht und dadurch die Disziplinarvergehen nach § 136 Abs. 1 Z 1 und Z 2 ÄrzteG 1998 begangen. Über den Mitbeteiligten wurde hiefür gemäß § 139 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verhängt und er zum Ersatz der mit 1.000 Euro bestimmten Kosten des Disziplinarverfahrens verpflichtet.

3Gegen dieses Disziplinarerkenntnis erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien, das mit Beschluss vom 9. November 2022 beim Verfassungsgerichtshof den dort zu G 294/2022 protokollierten Antrag stellte, dieser möge näher bezeichnete Bestimmungen des Ärztegesetzes 1998, u.a. § 140 ÄrzteG 1998, als verfassungswidrig aufheben.

4 Mit Erkenntnis vom 6. März 2023, G 237/202220, u.a., hob der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge „und auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen bestellt wird“ in § 140 Abs. 3 erster Satz, die Wortfolge „auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen“ in § 140 Abs. 3 zweiter Satz und den dritten Satz in § 140 Abs. 3 ÄrzteG 1998, BGBl. I Nr. 169, idF BGBl. I Nr. 140/2003, mit Ablauf des 30. September 2024 als verfassungswidrig auf, und sprach aus, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten. Dies wurde vom Bundeskanzler im Bundesgesetzblatt vom 21. März 2023, BGBl. I Nr. 19/2023, kundgemacht.

5 Das Verwaltungsgericht hob in der Folge mit Erkenntnis vom 6. März 2023 das eingangs dargestellte Disziplinarerkenntnis vom 21. April 2022 wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde auf.

6Mit Beschluss vom 1. Juli 2024 stellte die nach der mit 1. Jänner 2024 in Kraft getretenen Novelle des Ärztegesetzes 1998 mit BGBl. I Nr. 195/2023 neu zusammengesetzte belangte Behörde das Disziplinarverfahren gegen den Mitbeteiligten mit der Begründung ein, mittlerweile sei gemäß § 137 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 Verfolgungsverjährung eingetreten. Der, die erste Verfolgungshandlung im Sinn dieser Bestimmung darstellende, nicht abgesondert anfechtbare Einleitungsbeschluss vom 19. Jänner 2022, so wurde zusammengefasst begründet, teile das rechtliche Schicksal der verfahrensbeendenden Entscheidung und sei daher von der Aufhebung des Disziplinarerkenntnisses wegen Unzuständigkeit mitumfasst. Der Erlassung eines neuen Einleitungsbeschlusses oder der Setzung einer anderen Verfolgungshandlung stehe die inzwischen nach § 137 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 eingetretene Verfolgungsverjährung von einem Jahr ab Kenntnis des Disziplinaranwalts von dem dem Disziplinarvergehen zugrundeliegenden Sachverhalt entgegen.

7 Die gegen diesen Beschluss vom revisionswerbenden Disziplinaranwalt erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 31. Jänner 2025 ab. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte es für unzulässig.

8Rechtlich begründete das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis im Wesentlichen dahingehend, dass es zwar gemäß § 32 Abs. 2 VStG innerhalb der Frist des § 137 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 durch die Fassung des Einleitungsbeschlusses zu einer Verfolgung gekommen sei, sei eine Verfolgungshandlung in diesem Sinn doch jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung, u.a. auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig gewesen sei. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 22.3.2023, Ra 2023/09/0001, Rn. 18) müsse die Verfolgungshandlung jedoch von einer nach dem Ärztegesetz 1998 zuständigen Behörde gesetzt werden. Dies sei im Hinblick auf die verfassungswidrige Zusammensetzung der Disziplinarkommission nicht erfolgt, sodass die Verfolgungsverjährungsfrist des § 137 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 verstrichen sei, ohne dass eine nach dem Ärztegesetz 1998 zuständige Behörde eine Verfolgungshandlung gesetzt habe.

9 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Fehlen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision des Disziplinaranwalts der Österreichischen Ärztekammer wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit. In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung.

11Die revisionswerbende Partei sieht die zur Zulässigkeit ihrer außerordentlichen Revision führende Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zusammengefasst darin gelegen, dass es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur verjährungsunterbrechenden Wirkung eines Einleitungsbeschlusses gemäß § 154 Abs. 2 ÄrzteG 1998 fehle, der von einer unrichtig zusammengesetzten Disziplinarkommission gefasst worden sei, wobei sich die unrichtige Zusammensetzung erst durch ein später ergangenes Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ergeben habe. Mit dieser Rechtsfrage habe sich der Verwaltungsgerichtshof entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch nicht in dem von diesem zitierten Erkenntnis vom 22. März 2023, Ra 2023/09/0001, auseinandergesetzt. Vielmehr sei darin die Übertragbarkeit der Judikatur zu § 32 Abs. 2 VStG auf das Ärztegesetz 1998 betont worden. Nach jener (näher dargelegten) Rechtsprechung gehe die faktische Wirkung als Verfolgungshandlung jedoch auch durch eine Aufhebung der diese bewirkende Entscheidung im Rechtsmittelweg nicht verloren. Insofern sei das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

12 Die Revision erweist sich aus den von der revisionswerbenden Partei dargelegten Gründen als zulässig. Sie ist auch begründet.

13Die vorliegende Revisionssache gleicht im Hinblick auf die Entscheidungsbegründung durch das Verwaltungsgericht und das in der Revision erstattete Vorbringen sowohl in tatsächlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht in den entscheidungswesentlichen Umständen jenem Fall, der dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom heutigen Tag, Ra 2025/09/0020, zu Grunde lag und auf dessen Begründung daher gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird.

14 Auch das gegenständliche Verfahren stellt in Bezug auf die mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 6. März 2023, G 237/202220, u.a., erfolgte Aufhebung von Teilen des § 140 Abs. 3 ÄrzteG 1998 in der Fassung BGBl. I Nr. 140/2003 einen Anlassfall im Sinn des Art. 140 Abs. 7 B VG dar. Die sich daraus ergebende Unzuständigkeit der belangten Behörde infolge gesetzwidriger Zusammensetzung auch betreffend den nicht abgesondert anfechtbaren Einleitungsbeschluss führte jedoch nicht dazu, dass diesem die Wirkung als relevante Verfolgungshandlung genommen worden wäre.

15Das die Einstellung des Disziplinarverfahrens wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung nach § 137 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 bestätigende Erkenntnis ist deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

16Da auch im vorliegenden Fall die Strafbarkeitsverjährungsfrist des § 137 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 offenkundig noch nicht abgelaufen ist, war auch hier vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in der Sache selbst zu entscheiden und das angefochtene Erkenntnis daher im Sinn der ersatzlosen Behebung des Einstellungsbeschlusses der belangten Behörde abzuändern.

17 Mit den vom Mitbeteiligten in seiner Revisionsbeantwortung im Zusammenhang mit Art. 120c BVG gegen die nach § 140 ÄrzteG 1998 im Disziplinarrat eingerichtete Disziplinarkommission vorgebrachten Bedenken hat sich der Verfassungsgerichtshof im oben genannten Erkenntnis bereits auseinandergesetzt (siehe VfGH 6.3.2023, G 237/2022, u.a., Rn. 58 ff, 66 ff) und sie insoweit als nicht überzeugend beurteilt. Vor diesem Hintergrund war der Anregung auf Einleitung eines (weiteren) Normprüfungsverfahrens nicht näherzutreten.

Wien, am 4. September 2025