JudikaturVwGH

Ra 2024/20/0421 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
17. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer und die Hofräte Mag. Eder und Mag. M. Mayr als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Stüger, über die Revision des O A in W, vertreten durch Mag. Adelheid Moser, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Plankengasse 2, diese vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwältin in 1220 Wien, Brachelligasse 16, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Juni 2024, W284 22567372/4E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1Der Revisionswerber, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 29. September 2021 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31. Mai 2022 wurde sein Antrag betreffend die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde ihm hingegen zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Die in der Folge seitens des Revisionswerbers erhobene Beschwerde gegen die Abweisung seines Antrags auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 21. November 2022 ab. Die daraufhin eingebrachte Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 9. März 2023, Ra 2022/19/0317, zurück.

2Am 17. Mai 2023 stellte der Revisionswerber neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 18. April 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auch diesen Antrag hinsichtlich der Gewährung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.) und betreffend den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt II.).

3 Die (ausschließlich) gegen Spruchpunkt I. des genannten Bescheids gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht das ohne Begründung davon ausgegangen ist, das Bundesamt habe den Antrag des Revisionswerbers zurückgewiesen ohne Durchführung einer Verhandlung ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Dagegen richtet sich der Revisionswerber mit der vorliegenden Revision. Zu deren Zulässigkeit wird unter anderem vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe.

5Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Revision und der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht sowie nach Einleitung des Vorverfahrens - es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch berechtigt.

7 Gemäß dem hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 BFA Verfahrensgesetz (BFAVG) kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob im Sinn des § 21 Abs. 7 erster Satz BFA VG „der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ und die Durchführung einer Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:

9 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFAVG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018, sowie aus der jüngeren Rechtsprechung etwa VwGH 26.2.2024, Ra 2023/20/0221, mwN).

10Das Verwaltungsgericht erfüllt diese Anforderungen nicht, wenn es eine zusätzliche Beweiswürdigung vornimmt, die dazu führt, dass es die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unmaßgeblich ergänzt. Eine solche (ergänzende) Beweiswürdigung hat regelmäßig erst nach einer Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck von der betroffenen Person gewonnen werden kann, zu erfolgen (vgl. VwGH 24.9.2024, Ra 2024/20/0494, mwN).

11 Diesen Grundsätzen hat das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall was in der Revision zutreffend aufgezeigt wird nicht entsprochen.

12 Der Revisionswerber brachte in der Beschwerde gegen die in Bezug auf sein Begehren auf Gewährung von Asyl erfolgte Abweisung seines Folgeantrags vor, dass er aufgrund eines Stammeskonflikts seiner Familie mit den Kurden (SDF) der auch in der Tötung mehrerer Familienmitglieder des Revisionswerbers gegipfelt habe nicht in seinen ursprünglichen Herkunftsort zurückkehren könne. Dieser Konflikt habe auch dazu geführt, dass der Vater, die Ehefrau und Kinder des Revisionswerbers von diesem Ort in ein Gebiet, das unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehe, geflüchtet seien. Zudem habe er neue Urkunden vorgelegt, die von der Behörde ohne Übersetzung auf Grund des Umstandes, dass sie sechs Stempel aufwiesen als lebensfremd und keiner Beweiskraft zukommend beurteilt worden seien, sogar der Verdacht der Fälschung sei erhoben worden.

13 Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte im Rahmen seiner Beweiswürdigung ausgehend von der irrigen Annahme, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe den Antrag des Revisionswerbers auf Gewährung des Status des Asylberechtigten zurückgewiesen letztlich im Wesentlichen die Sachverhaltsfeststellungen des Bundesamts. Auf die vom Revisionswerber im Zuge des Beschwerdeverfahrens vorgelegten Beweismittel (Links zu online abrufbaren Videos) ging es dabei aber nur kursorisch insofern ein, als es ausführt, diese könnten „nicht dazu führen, ‚neue‘ Fluchtgründe [...] glaubhaft dazutun“. Worauf das Bundesverwaltungsgericht diese Annahme stützt, bleibt im Dunkeln.

14 Das Bundesverwaltungsgericht führte weiters aus, der Umzug der Ehefrau und der Kinder des Revisionswerbers in ein Gebiet, in dem auch das Regime zugegen sei, deute daraufhin, dass dort eben keine konkrete Gefahr für seine Familienmitglieder oder den Revisionswerber drohe. Der Revisionswerber hat jedoch wie bereits der Beschwerde zu entnehmen ist vorgebracht, der Umzug seiner Familie resultiere aus Konflikten in seiner von den Kurden kontrollierten Herkunftsregion und belege, dass ihm in dieser Region asylrelevante Verfolgung drohe. Die dargestellten Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts lassen nicht erkennen, warum es davon ausgegangen ist, dem Revisionswerber drohe entgegen seiner Behauptungen keine asylrelevante Verfolgung in seiner Heimatregion.

15 Das Bundesverwaltungsgericht gelangt schließlich in den Erwägungen des angefochtenen Erkenntnisses (erstmals) zum Ergebnis, es handle sich im revisionsgegenständlichen Fall um einen (missbräuchlich) gestellten Folgeantrag des Revisionswerbers zu dem ausschließlichen Zweck, eine Familienzusammenführung (früher) herbeizuführen. Feststellungen, anhand deren eine missbräuchliche Antragstellung abzuleiten wäre, hatte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zuvor nicht getroffen.

16Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und wie hierdes Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass im Revisionsverfahren die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. etwa VwGH 24.4.2024, Ra 2023/20/0556, mwN).

Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung nach dem oben Gesagten auch mit weiteren Verfahrensfehlern (Aktenwidrigkeit, Ermittlungsmängeln und Begründungsmängeln) behaftet, denen die Relevanz für den Verfahrensausgang nicht abgesprochen werden kann.

17Sohin war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Auf das übrige Vorbringen in der Revision war nicht weiter einzugehen.

18Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 17. Dezember 2024