Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer, Hofrat Mag. Eder und Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann Preschnofsky, über die Revision des A F in W, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Februar 2024, L516 2278577 1/7E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber stammt aus Pakistan. Nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet stellte er am 28. Februar 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 7. August 2023 in Bezug auf das Begehren auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und in Bezug auf das Begehren auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Die Behörde sprach weiters aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 sowie § 9 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG) eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde dem Revisionswerber unter Hinweis auf § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt VI.) und einer Beschwerde gegen den Bescheid nach § 18 Abs. 1 Z 4 BFA VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.).
3 In seiner Begründung ging das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl soweit für das Revisionsverfahren wesentlich davon aus, dem Vorbringen des Revisionswerbers zu jenen Geschehnissen, weshalb er im Herkunftsstaat (asylrelevante) Verfolgung befürchte, sei kein Glauben zu schenken.
4 Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde zunächst vom Bundesverwaltungsgericht mit (Teil )Erkenntnis vom 4. Oktober 2023 insoweit stattgegeben, als dessen Spruchpunkte VI. und VII. aufgehoben wurden und festgestellt wurde, dass der Beschwerde aufschiebende Wirkung zukomme.
5 In der Folge wies das Bundesverwaltungsgericht, das von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten Verhandlung abgesehen hatte, mit Erkenntnis vom 14. Februar 2024 die Beschwerde gegen die übrigen behördlichen Aussprüche als unbegründet ab und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
6 Das Bundesverwaltungsgericht legte seiner Entscheidung anders als zuvor das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zugrunde, dass die Angaben des Revisionswerbers zu den von ihm geschilderten Auseinandersetzungen mit den Taliban der Wahrheit entsprächen. Es ging jedoch im Weiteren davon aus, dass ihm nicht gelungen sei, glaubhaft zu machen, er wäre im Fall der Rückkehr im Herkunftsstaat aus diesem Grund mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer aktuellen, unmittelbar persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung von erheblicher Intensität ausgesetzt. Derartiges ergebe sich auch nicht aus sonstigen Gründen. Dazu finden sich im Erkenntnis vom 14. Februar 2024 zahlreiche beweiswürdigende Überlegungen, die sich darauf beziehen, welchen Angaben des Revisionswerbers nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts zu folgen war und welche als nicht glaubwürdig einstufen waren.
7 In Bezug auf den Entfall der Verhandlung merkte das Bundesverwaltungsgericht (lediglich) an, eine solche habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben können, weil der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde geklärt gewesen sei.
8 Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Erhebung einer Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage durch die in seinem Erkenntnis zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt sei.
9 Der Revisionswerber brachte dagegen eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof ein, der deren Behandlung mit Beschluss vom 11. Juni 2024, E 1171/2024 7, ablehnte und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
10 Das Bundesverwaltungsgericht hat die in der Folge gegen das Erkenntnis vom 14. Februar 2024 erhobene Revision samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt. Vom Verwaltungsgerichtshof wurde das Vorverfahren eingeleitet. Es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat über die Revision erwogen:
12 Der Revisionswerber wendet sich in der Begründung für die Zulässigkeit der Revision gegen den Entfall der Verhandlung. Hätte das Bundesverwaltungsgericht eine solche durchgeführt, hätte er in deren Rahmen vorbringen können, dass die Taliban in seiner Heimatregion in Pakistan wiedererstarkt seien und er infolgedessen immer noch Verfolgung ausgesetzt sei. Da er aufgrund der Teilnahme an Kämpfen gegen die Taliban „im Visier“ der Taliban stehe, drohe ihm in Pakistan weiterhin durch diese asylrechtlich relevante Verfolgung.
13 Die Revision ist aufgrund dieses Vorbringens zulässig. Sie ist auch begründet.
14 Gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
15 Für die Beurteilung, ob im Sinn der hier maßgeblichen im ersten Satz des § 21 Abs. 7 BFA VG enthaltenen Wendung „der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ und die Durchführung einer Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgende Kriterien beachtlich:
16 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. dazu ausführlich VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018; sowie aus der dem folgenden Rechtsprechung etwa VwGH 31.5.2024, Ra 2024/20/0286, mwN).
17 Das Verwaltungsgericht erfüllt diese Anforderungen nicht, wenn es eine zusätzliche Beweiswürdigung vornimmt, die dazu führt, dass es die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unmaßgeblich ergänzt. Eine solche (ergänzende) Beweiswürdigung hat regelmäßig erst nach einer Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck von der betroffenen Person gewonnen werden kann, zu erfolgen (vgl. VwGH 12.2.2021, Ra 2020/19/0214, mwN; darauf abstellend weiters etwa VwGH 28.3.2023, Ra 2023/20/0005; 7.9.2023, Ra 2022/20/0385; 28.2.2024, Ra 2023/20/0494; 26.2.2024, Ra 2023/20/0221).
18 Das Bundesverwaltungsgericht hat seiner Entscheidung einen gänzlich anderen Sachverhalt zugrunde gelegt, als zuvor das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im in Beschwerde gezogenen Bescheid. Überlegungen dazu, weshalb die vom Revisionswerber vorgebrachte Verfolgung trotz der damaligen Ereignisse aktuell nicht (mehr) stattfinde, hat die Behörde nicht angestellt. Diese ist nämlich davon ausgegangen, dass die Angaben des Revisionswerbers zu den früheren Geschehnissen nicht der Wahrheit entsprochen hätten.
19 Das Bundesverwaltungsgericht hat sohin mit seinen Überlegungen, weshalb den Angaben des Revisionswerbers, wonach er immer noch verfolgt werde, nicht zu folgen sei, eine zusätzliche Würdigung der vorliegenden Beweise vorgenommen, die dazu führt, dass die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unmaßgeblich ergänzt wurden. Infolgedessen lagen die Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA VG für eine Abstandnahme von der Verhandlung nicht vor.
20 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und wie hier des Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass im Revisionsverfahren die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. nochmals VwGH Ra 2023/20/0221, mwN).
21 Sohin war das angefochtene Erkenntnis zur Gänze, weil die rechtlich von der Versagung der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abhängenden Aussprüche ihre Grundlage verlieren gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Auf das übrige Vorbringen in der Revision war daher nicht weiter einzugehen.
22 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 24. September 2024