Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. M. Mayr als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann-Preschnofsky, über die Revision des J A in W, vertreten durch die Gahler Rechtsanwalts GmbH in 1010 Wien, Schulerstraße 18/7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2023, W146 2278067 1/3E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 7. Mai 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Als Fluchtgrund brachte er im Wesentlichen vor, es herrsche in seiner Heimat Krieg und es gebe keine Sicherheit und keine Zukunft. Er habe auch zweimal mündlich einen Einberufungsbefehl erhalten.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 12. Juli 2023 hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Revisionswerber jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung mit der Gültigkeit für ein Jahr. Die Heimatregion des Revisionswerbers so die Behörde in ihrer Begründung stehe nicht unter der Kontrolle der syrischen Regierung. Es bestehe für den Revisionswerber keine maßgebliche Gefahr, von der syrischen Armee oder anderen Gruppen zwangsrekrutiert oder wegen unterstellter oppositioneller Gesinnung verfolgt zu werden.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen die Nichtzuerkennung von Asyl erhobene Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung der in der Beschwerde beantragten Verhandlung ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht sowie nach Einleitung des Vorverfahrens - es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
5 Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision u.a. geltend, dass das Bundesverwaltungsgericht mit dem Unterlassen der Durchführung einer Verhandlung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei.
6 Die Revision ist vor dem Hintergrund dieses Vorbringens zulässig. Sie ist auch begründet.
7 Gemäß dem hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG) kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob im Sinn des § 21 Abs. 7 erster Satz BFA VG „der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ und die Durchführung einer Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:
9 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018, sowie aus der jüngeren Rechtsprechung etwa VwGH 26.2.2024, Ra 2023/20/0221, mwN).
10 Diesen Grundsätzen hat das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall was in der Revision zutreffend aufgezeigt wird - nicht entsprochen.
11 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit dem in der Beschwerde erstatteten ergänzenden Vorbringen, wonach dem Revisionswerber eine sichere Rückkehr in sein Herkunftsgebiet nicht möglich sei und ihm aufgrund der Asylantragstellung (asylrechtlich relevante) Verfolgung drohe, des Näheren befasst, ohne dieses Vorbringen als dem Neuerungsverbot gemäß § 20 BFA VG unterworfen anzusehen. Das Bundesverwaltungsgericht kam in seinen beweiswürdigenden Erwägungen zum Ergebnis, dass den Angaben des Revisionswerbers zu einer asylrechtlich relevanten Verfolgung nicht zu folgen sei. Dabei nahm es auf eine Vielzahl von Überlegungen Bezug, die das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht ins Treffen geführt hatte. Dies gilt auch für die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommenen Überlegungen zur Glaubwürdigkeit des Revisionswerbers, welche im Vergleich zum Bescheid der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde wesentlich erweitert wurden.
12 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und wie hier des Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass im Revisionsverfahren die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. etwa VwGH 7.9.2023, Ra 2022/20/0385, mwN).
13 Sohin war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Auf das übrige Vorbringen in der Revision war nicht weiter einzugehen.
14 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und Z 5 VwGG abgesehen werden.
15 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 24. April 2024