JudikaturVwGH

Ra 2023/20/0221 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
26. Februar 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Dr. in Oswald als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann-Preschnofsky, über die Revision des M A, vertreten durch Dr. Bernhard Wychera, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottengasse 3/7/37, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12. April 2023, W204 2264708 1/4E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Der Revisionswerber, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 25. September 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Als Fluchtgrund brachte er im Wesentlichen vor, er habe seinen Herkunftsstaat wegen der Pflicht zur Ableistung des Wehrdienstes verlassen.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 5. Dezember 2022 hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Revisionswerber jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung mit der Gültigkeit für ein Jahr.

3 Zur Begründung führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, der Revisionswerber habe nicht glaubhaft machen können, dass er wegen Wehrdienstverweigerung gesucht werde, weil er bisher nicht zum Wehrdienst einberufen worden sei, weshalb das Militär „keine Kenntnis von seiner Existenz“ habe. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Revisionswerber seinen Herkunftsstaat aufgrund der allgemein herrschenden Kriegssituation verlassen habe.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung der in der Beschwerde beantragten Verhandlung ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht sowie nach Einleitung des Vorverfahrens es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

6 Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision mit näherer Begründung geltend, dass das Bundesverwaltungsgericht die angefochtene Entscheidung nicht ohne Durchführung der beantragten Verhandlung hätte erlassen dürfen.

7 Die Revision ist vor dem Hintergrund dieses Vorbringens zulässig. Sie ist auch begründet.

8 Gemäß dem hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG) kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob im Sinn des § 21 Abs. 7 erster Satz BFA VG „der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:

10 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018, sowie aus der jüngeren Rechtsprechung etwa VwGH 7.9.2023, Ra 2022/20/0385, mwN).

11 Diesen Grundsätzen hat das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall was in der Revision zutreffend aufgezeigt wird nicht entsprochen:

12 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, das seinen Erwägungen zugrunde legte, der Revisionswerber stamme aus der Stadt Aleppo, verneinte eine asylrelevante Verfolgungsgefahr wegen der vom Revisionswerber vorgebrachten Weigerung, den Wehrdienst zu leisten, weil es seinem darauf gerichteten Vorbringen die Glaubwürdigkeit absprach und davon ausging, das wahre Motiv für das Verlassen des Herkunftsstaates seien die allgemeinen Gefahren des Krieges gewesen. Demgegenüber stützte das Bundesverwaltungsgericht seine beweiswürdigenden Erwägungen maßgeblich darauf, dass nach Maßgabe der gegenüber den Feststellungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl aktualisierten Länderberichte die vom Bundesverwaltungsgericht angenommene Herkunftsstadt des Revisionswerbers A‘zaz nicht unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehe, sodass ihm dort schon aus diesem Grund keine Verfolgung wegen einer Weigerung, den Wehrdienst zu leisten, drohen könne.

13 Das Bundesverwaltungsgericht hat mit diesen Überlegungen eine zusätzliche Würdigung der vorliegenden Beweise vorgenommen, die dazu führt, dass die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unmaßgeblich ergänzt wurden. Infolgedessen lagen schon aus diesem Grund die Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA VG für eine Abstandnahme von der Verhandlung nicht vor (vgl. erneut VwGH 7.9.2023, Ra 2022/20/0385, mwN). Daran kann nach der oben angeführten ständigen Rechtsprechung auch die vom BVwG vorgenommene Einräumung von Parteiengehör zu den aktualisierten Länderberichten auf schriftlichem Wege nichts ändern (vgl. VwGH 18.5.2017, Ra 2016/20/0258, mwN).

14 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und wie hier des Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass im Revisionsverfahren die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. erneut VwGH 7.9.2023, Ra 2022/20/0385, mwN).

15 Sohin war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Auf das übrige Vorbringen in der Revision war daher nicht weiter einzugehen.

16 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 26. Februar 2024

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