JudikaturVwGH

Ra 2022/17/0142 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
16. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Horvath als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des G E, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2022, I419 22561431/7E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005, Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang nämlich soweit damit die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Nigeria, die Nichtgewährung einer Frist für seine freiwillige Ausreise, die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde und die Erlassung eines befristeten Einreiseverbots abgewiesen wurde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1.1. Der Revisionswerber, ein im Jahr 1996 geborener nigerianischer Staatsangehöriger, stellte laut den Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Jahr 2016 in Italien einen Antrag auf internationalen Schutz; im Jahr 2017 erlangte er in Italien eine Aufenthaltsgenehmigung, deren Gültigkeit mit 18. Juni 2022 endete. Im Jahr 2021 hielt er sich mehrfach vorübergehend und ab Jänner 2022 permanent in Österreich auf.

Im Februar 2022 wurde der Revisionswerber wegen des Verdachts der Straffälligkeit im Bereich der Suchtmittelkriminalität verhaftet. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 19. April 2022 wurde er wegen gewerbsmäßiger entgeltlicher Überlassung von Kokain in mehreren Angriffen sowie wegen Besitzes von Cannabiskraut der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3 SMG sowie gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG schuldig erkannt und über ihn eine Freiheitsstrafe von zwölf Monaten (davon acht Monate bedingt) verhängt.

1.2. Aufgrund dieser strafgerichtlichen Verurteilung bzw. des ihr zugrundeliegenden Fehlverhaltens sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Behörde) mit Bescheid vom 14. Mai 2022 von Amts wegen aus, dass dem Revisionswerber eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFAVG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Nigeria festgestellt, gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für seine freiwillige Ausreise eingeräumt, einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFAVG die aufschiebende Wirkung aberkannt und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen ihn ein Einreiseverbot in der Dauer von fünf Jahren erlassen werde.

1.3. Am 17. Mai 2022 wurde der Revisionswerber gemäß § 46 Abs. 1 StGB bedingt aus der Freiheitsstrafe entlassen und unter einem in Schubhaft genommen. Daraufhin stellte er am 20. Mai 2022 aus der Schubhaft heraus einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 11. Juni 2022 erhob der Revisionswerber Beschwerde gegen den Bescheid vom 14. Mai 2022.

2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 27. Juni 2022 wies das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: Verwaltungsgericht) die Beschwerde des Revisionswerbers mit (hier nicht näher zu erörternden) Maßgaben als unbegründet ab. Ferner sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

In den Entscheidungsgründen hielt das Verwaltungsgericht soweit hier von Bedeutung unter anderem fest, dass der Revisionswerber am 20. Mai 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, über den die Behörde noch nicht entschieden habe, und dass er bei der anschließenden Erstbefragung angegeben habe, keinen Asylantrag stellen zu wollen. In der Folge ging das Verwaltungsgericht auf den Asylantrag nicht mehr weiter ein.

3.1. Gegen dieses Erkenntnissoweit damit die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbots abgewiesen wurde (die Abweisung der Beschwerde gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 blieb unbekämpft) wendet sich die außerordentliche Revision, zu deren Zulässigkeit unter anderem geltend gemacht wird, das Verwaltungsgericht habe außer Acht gelassen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs eine Rückkehrentscheidung nicht ergehen dürfe, bevor über einen anhängigen Antrag auf internationalen Schutz abgesprochen worden sei. Vorliegend sei im Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts ein Asylverfahren anhängig gewesen (die erstinstanzliche Abweisung des betreffenden Antrags sei erst später erfolgt), sodass das Verwaltungsgericht den bekämpften Bescheid soweit damit eine Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und ein Einreiseverbot erlassen worden seien hätte beheben müssen.

3.2. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hatin einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Revision istentgegen dem den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Ausspruch gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus dem oben (Pkt. 3.1.) wiedergegebenen Grund zulässig und auch berechtigt.

5.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung in der Regel (ein ausnahmsweises Abstellen auf einen anderen Zeitpunkt kommt fallbezogen nicht in Betracht) an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sachund Rechtslage auszurichten (vgl. etwa VwGH 26.6.2024, Ra 2024/17/0042 bis 0046, Pkt. 12.2., mwN).

5.2. Gegenständlich war wie die Revision zutreffend aufzeigt im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts der am 20. Mai 2022 vom Revisionswerber aus der Schubhaft heraus gestellte Antrag auf internationalen Schutz bei der Behörde anhängig (und darüber nicht rechtskräftig abgesprochen). Ein vom Verwaltungsgericht allenfalls angenommeneswirksames Zurückziehen des Antrags durch den Revisionswerber im Zuge seiner Erstbefragung bei der Behörde war gemäß § 25 Abs. 2 AsylG 2005 nicht möglich.

6.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht zulässig, bevor über einen anhängigen Antrag auf internationalen Schutz abgesprochen wurde. Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 ist die Rückkehrentscheidung nämlich mit der negativen Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz „zu verbinden“, gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat sie „unter einem“ zu ergehen, sie setzt also die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz voraus. Auch dann, wenn ein Rückkehrentscheidungsverfahren unabhängig vom Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutzbereits anhängig ist, darf die Rückkehrentscheidung (unbeschadet eines allenfalls weiter bestehenden unrechtmäßigen Aufenthalts des Fremden) grundsätzlich nicht vor der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergehen. Zugleich mit der Rückkehrentscheidung ist nämlich die Feststellung gemäß § 52 Abs. 9 FPG zu treffen, dass die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist; dies würde aber jedenfalls in Bezug auf den Herkunftsstaatbedeuten, das Ergebnis des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz, in dem diese Frage erst zu klären ist, vorwegzunehmen (vgl. VwGH 4.8.2016, Ra 2016/21/0162, Rn. 12; ebenso VwGH 21.12.2021, Ra 2021/21/0328, Rn. 9).

6.2. Ausgehend von dieser Rechtsprechung war vorliegend im Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vor der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz nicht zulässig. Vielmehr wäre in einem solchen Fall ein anhängiges Rückkehrentscheidungsverfahren einzustellen und eine wie hierbereits vor der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz erlassene erstinstanzliche, mit Beschwerde bekämpfte Rückkehrentscheidung samt den damit verbundenen Nebenaussprüchen und dem darauf gemäß § 53 Abs. 1 FPG aufbauenden Einreiseverbot vom Verwaltungsgericht ersatzlos zu beheben gewesen (vgl. erneut VwGH 4.8.2016, Ra 2016/21/0162, nunmehr Rn. 13 und 14).

6.3. Im fortgesetzten Verfahren wird das Verwaltungsgericht über die Beschwerde auf Basis der nunmehrigen Sachlage neu zu entscheiden haben.

7. Im Hinblick darauf war das angefochtene Erkenntnis im angefochtenen Umfang nämlich soweit damit die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Nigeria, die Nichtgewährung einer Frist für seine freiwillige Ausreise, die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde und die Erlassung eines befristeten Einreiseverbots abgewiesen wurdewegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 16. Dezember 2024