JudikaturVwGH

Ra 2022/21/0160 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
29. Januar 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger, den Hofrat Dr. Chvosta, die Hofrätin Dr. in Oswald und den Hofrat Mag. Schartner als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des G E, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das am 13. Juli 2022 mündlich verkündete und mit 24. August 2022 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, G309 2256718 1/18E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchpunkt A.I., soweit damit die Beschwerde gegen die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft ab dem 8. Juli 2022 abgewiesen wurde, sowie in seinen Spruchpunkten A.II. und A.III. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein 1996 geborener nigerianischer Staatsangehöriger, wurde im Februar 2022 wegen des Verdachts der Begehung strafbarer Handlungen festgenommen und befand sich in weiterer Folge zunächst in Untersuchungs und anschließend in Strafhaft.

2Mit Bescheid vom 14. Mai 2022 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) aus, dass dem Revisionswerber (von Amts wegen) eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFAVG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen und die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Nigeria gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde. Ferner wurde einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFAVG die aufschiebende Wirkung aberkannt, demnach eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 4 FPG nicht eingeräumt und schließlich gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen den Revisionswerber wegen seiner Straffälligkeit ein Einreiseverbot in der Dauer von fünf Jahren erlassen.

3Am 17. Mai 2022 wurde der Revisionswerber aus der Strafhaft bedingt entlassen und über ihn mit dem umgehend in Vollzug gesetzten Bescheid des BFA vom selben Tag gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sowie zur Sicherung der Abschiebung (nach Nigeria) verhängt.

4 Am 20. Mai 2022 stellte der Revisionswerber im Stande der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der Erstbefragung am selben Tag gab er ungeachtet der Rechtsbelehrung, dass eine Antragszurückziehung unzulässig seian, doch keinen Asylantrag stellen zu wollen. Am darauf folgenden Tag hielt das BFA in einem Aktenvermerk fest, dass die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 6 FPG aufrecht bleibe, weil „zum jetzigen Zeitpunkt“ im Sinne der genannten Bestimmung Gründe für die Annahme bestünden, der Antrag auf internationalen Schutz sei vom Revisionswerber (nur) zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt worden. Dem Revisionswerber wurde dieser Aktenvermerk wie sich aus dem Verwaltungsakt ergibt noch am selben Tag ausgefolgt.

5 Eine am 11. Juni 2022 erhobene Beschwerde gegen den Bescheid vom 14. Mai 2022, mit dem wie erwähnt (u.a.) die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot gegen den Revisionswerber erlassen worden waren, wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 27. Juni 2022 mit einer hier nicht weiter relevanten Maßgabe als unbegründet ab.

6 Mit Bescheid vom 5. Juli 2022 wies das BFA dann den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz vom 20. Mai 2022 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes aus diesem Anlass unterblieb.

7 Schließlich erhob der Revisionswerber, der sich weiterhin in Schubhaft befand, mit Schriftsatz vom 6. Juli 2022 gegen den Schubhaftbescheid vom 17. Mai 2022 und die darauf gegründete Anhaltung eine Beschwerde. Darin machte er vor allem und einzig tragfähig die Rechtswidrigkeit des die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot bestätigenden Erkenntnisses des BVwG vom 27. Juni 2022 geltend, weil aufgrund seines (anhängigen) Antrages auf internationalen Schutz vom 20. Mai 2022 im Rahmen des Asylverfahrens über die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusprechen gewesen wäre. Deshalb werde er gegen dieses Erkenntnis Revision erheben.

8 Am 7. Juli 2022 legte das BFA die Schubhaftbeschwerde dem BVwG vor. In der Stellungnahme anlässlich der Beschwerdevorlage verwies das BFA darauf, dass die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot nach der diesbezüglichen Beschwerdeabweisung mit Erkenntnis des BVwG vom 27. Juni 2022 in Rechtskraft erwachsen seien und deshalb im Zuge der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 5. Juli 2022 keine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen worden sei.

9Das BVwG wies die Schubhaftbeschwerde mit dem angefochtenen, nach Durchführung einer Verhandlung am 13. Juli 2022 mündlich verkündeten und mit 24. August 2022 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.) und stellte fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (Spruchpunkt A.II.). Zugleich verpflichtete es den Revisionswerber zum Aufwandersatz an den Bund (Spruchpunkt A.III.). Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:

11 Die Revision ist wie die weiteren Ausführungen zeigenentgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch im angefochtenen Erkenntnis unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG teilweise zulässig; sie ist insoweit auch berechtigt.

12Der mit „Schubhaft“ überschriebene § 76 FPG lautet auszugsweise:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. [...]

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. [...] oder

3. [...].

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. [...]

[...]

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. [...]“

13Im vorliegenden Fall hatte das BFA die am 17. Mai 2022 über den Revisionswerber verhängte Schubhaft angesichts der zuvor mit Bescheid vom 14. Mai 2022 erlassenen durchsetzbaren, aber noch nicht durchführbaren Rückkehrentscheidung zutreffend zur Verfahrenssicherung und zur Sicherung der Abschiebung auf § 76 Abs. 2 Z 2 FPG gestützt. Gegen die maßgebliche Begründung im Schubhaftbescheid, insbesondere gegen das angenommene Vorliegen von Fluchtgefahr, trägt der Revisionswerber in der Revision sowie auch schon in der Beschwerde argumentativ nichts vor.

14Dem am 20. Mai 2022 gestellten Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz trug das BFA insoweit Rechnung, als es die Aufrechterhaltung der Schubhaft mit dem Vorliegen der Voraussetzungen nach § 76 Abs. 6 FPG begründete (vgl. zu dieser Bestimmung etwa VwGH 15.12.2020, Ra 2020/21/0071, Rn. 9, mit dem Hinweis auf das grundlegende Erkenntnis VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0204). Somit diente die Schubhaft nunmehr der Sicherung des Verfahrens über den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme. Dass die Voraussetzungen des § 76 Abs. 6 FPG im gegenständlichen Fall vorlagen, wurde weder in der Beschwerde noch in der Revision ausreichend konkret in Frage gestellt.

15 Die Revision zeigt daher in Bezug auf die Abweisung der Beschwerde, soweit sie sich gegen den Schubhaftbescheid und gegen die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft bis zum Einlangen der Schubhaftbeschwerde beim BVwG am 7. Juli 2022 richtete, keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 BVG auf. Sie war daher insoweit in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat mit Beschluss zurückzuweisen.

16 Die Schubhaft konnte jedoch nicht mehr auf den Zweck der Sicherung des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestützt werden, nachdem der Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 5. Juli 2022 abgewiesen worden war. Die Abweisung dieses Antrags erging nämlich ohne Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme.

17Ab diesem Zeitpunkt diente die Aufrechterhaltung der Schubhaft somit gemäß § 76 Abs. 6 FPG zwar weiterhin der Sicherung des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz, allerdings vor dem Hintergrund des ersten Satzes im UAbs. 2 des § 76 Abs. 2 FPG „im Hinblick“ auf die aufgrund des Erkenntnisses des BVwG vom 27. Juni 2022 mittlerweile in Rechtskraft erwachsene Rückkehrentscheidung. Diesbezüglich wendet die Revision wie auch schon in der Schubhaftbeschwerde ein, dass das genannte Erkenntnis der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes widerspreche, weil die Rückkehrentscheidung vom BVwG im Hinblick auf das anhängige Asylverfahren nicht hätte bestätigt werden dürfen. Das wäre so ist der Revisionswerber zu verstehen vom BVwG bei Erledigung der (ihm am 7. Juli 2022 vorgelegten) Beschwerde im Schubhaftverfahren zu berücksichtigen gewesen.

18Aus Anlass der bereits in der gegenständlichen Schubhaftbeschwerde angekündigten Revision hob der Verwaltungsgerichtshof mit dem Erkenntnis VwGH 16.12.2024, Ra 2022/17/0142, das Erkenntnis des BVwG vom 27. Juni 2022 insbesondere soweit damit die Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und des darauf aufbauenden Einreiseverbotes abgewiesen worden warwegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf. In den Entscheidungsgründen (Punkt 6.1.) wies der Verwaltungsgerichtshof auf die ständige Rechtsprechung hin, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung bzw. deren Bestätigung durch das Verwaltungsgericht nicht zulässig sei, bevor über einen anhängigen Antrag auf internationalen Schutz abgesprochen wurde. Auf die diesbezügliche Begründung des genannten Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen. Fallbezogen folgerte der Verwaltungsgerichtshof dann, ausgehend von dieser Rechtsprechung wäre die mit Beschwerde bekämpfte Rückkehrentscheidung samt dem darauf aufbauenden Einreiseverbot vom Verwaltungsgericht ersatzlos zu beheben gewesen.

19 Im vorliegend angefochtenen Erkenntnis erwähnte das BVwG zwar den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz, ging aber darauf, dass im Asylverfahren keine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wurde, nicht ein. Das BVwG wies zwar auf die mit dem Erkenntnis des BVwG vom 27. Juni 2022 bestätigte und in Rechtskraft erwachsene Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot hin, ohne sich jedoch mit der in Rn. 18 dargestellten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und mit dem Umstand auseinander zu setzen, dass das Erkenntnis vom 27. Juni 2022 wie vom Revisionswerber schon in der Schubhaftbeschwerde zutreffend geltend gemacht wurdeoffensichtlich im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung in rechtswidriger Weise ergangen war und in Anbetracht der angekündigten Erhebung einer Revision voraussichtlich keinen Bestand haben würde. Damit ließ das BVwG außer Acht, dass die (damals) rechtskräftige Rückkehrentscheidung in Verbindung mit dem Vorliegen der Voraussetzungen nach § 76 Abs. 6 FPG als Grundlage für die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft im hier zu beurteilenden Zeitraum zwar formal in Betracht kam, jedoch die Aufrechterhaltung der Schubhaft auf Basis des evident rechtswidrigen Titels, dessen Bestand überdies nicht gesichert war, in dieser besonderen Konstellation als unverhältnismäßig zu qualifizieren gewesen wäre. Da folglich mit der erforderlichen Verhältnismäßigkeit eine der Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Schubhaft iSd § 80 Abs. 1 FPG weggefallen ist, wäre die Schubhaft zumal der Vorwurf der mangelnden Auseinandersetzung mit dem Parteienvorbringen auch in der Revision nur gegenüber dem BVwG erhoben wird ab dem 8. Juli 2022 als rechtswidrig anzusehen und insoweit der Beschwerde stattzugeben sowie ein negativer Fortsetzungsausspruch zu treffen gewesen.

20Das angefochtene Erkenntnis war daher insoweit (samt Spruchpunkt A.III. betreffend die Auferlegung von Kostenersatz) wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

21Der Kostenzuspruch beruht auf den §§ 47 ff VwGG, insbesondere auch auf § 50 VwGG, in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 29. Jänner 2025