Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und den Hofrat Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Bamer, über die Revision des M M, vertreten durch Mag. Veap Elmazi, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 3/A/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. November 2021, W195 2213956 2/2E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Ausstellung eines Fremdenpasses (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
1 Dem Revisionswerber, einem Staatsangehörigen der Volksrepublik Bangladesch, wurde mit dem im Beschwerdeweg ergangenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 29. März 2021 der beantragte Status des Asylberechtigten versagt, jedoch der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
2 Am 3. April 2021 beantragte der Revisionswerber die Ausstellung eines Fremdenpasses nach § 88 Abs. 2a FPG. Nach Erteilung eines erfolglos gebliebenen Verbesserungsauftrags durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 5. Mai 2021 wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers mit Bescheid vom 25. August 2021 gemäß § 88 Abs. 2a FPG ab.
3 In der dagegen erhobenen Beschwerde machte der Revisionswerber unter anderem geltend, im Rahmen telefonischer Anfragen durch einen „Vertreter gleicher Staatsangehörigkeit“ sei seitens der Botschaft der Volksrepublik Bangladesch mitgeteilt worden, dass für Personen mit Schutzstatus in Österreich weder Reisedokumente noch sonstige Identitätsdokumente ausgestellt würden. „Darüber hinaus“ werde keine schriftliche Bestätigung „über diesen Sachverhalt“ erteilt. Nach Erteilung des Verbesserungsauftrags sei wiederholt bei der Vertretungsbehörde „angefragt“ worden, wobei die „gleichen ausschließlich mündlichen Informationen“ erteilt worden seien. Der Revisionswerber sei daher nicht in der Lage, sich ein gültiges Reisedokument zu beschaffen. Abschließend beantragte der Revisionswerber auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG „zur Klärung des maßgeblichen Sachverhalts“.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 15. November 2021 wies das BVwG die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Gleichzeitig sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
5 In der Begründung stellte das BVwG unter anderem fest, dem Revisionswerber sei der Status des subsidiär Schutzberechtigtem zuerkannt worden, weil er in seinem Heimatstaat mit der Fortführung eines Strafverfahrens und mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Verhängung einer Freiheitsstrafe zu rechnen habe, die er unter Art. 3 EMRK widersprechenden Haftbedingungen verbüßen müsste. In der rechtlichen Beurteilung nahm das BVwG dann ohne auf diese Feststellungen zurückzukommen an, es sei dem Revisionswerber trotz des ihm zuerkannten Status als subsidiär Schutzberechtigtem zumutbar, sich persönlich an die Botschaft seines Heimatstaates zu wenden, um dort die Ausstellung eines Reisepasses zu beantragen oder zumindest eine Bestätigung über die Nichtausstellung eines Reisedokuments zu erlangen. Das BVwG gehe „deswegen“ davon aus, dass es dem Revisionswerber konkret möglich sei, ein Reisedokument seines Heimatstaates zu erlangen. Schon nach dem Vorbringen in der Beschwerde habe sich der Revisionswerber jedoch nicht persönlich, sondern lediglich telefonisch und über einen „Vertreter gleicher Staatsangehörigkeit“ an die Botschaft gewendet. Eine tatsächliche Verweigerung der Ausstellung eines Reisedokuments könne daraus nicht abgeleitet werden. Folglich seien die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Fremdenpasses iSd § 88 Abs. 2a FPG nicht gegeben.
6 Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG abgesehen werden können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt sei.
7 Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:
8 Die Revision erweist sich entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig und auch als berechtigt, weil das BVwG wie in der Zulässigkeitsbegründung der Revision aufgezeigt wird von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist, indem es von amtswegigen Ermittlungen und der Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen hat.
9 Gemäß § 88 Abs. 2a FPG sind Fremden, denen in Österreich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt und die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen, auf Antrag Fremdenpässe auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.
10 Zwar stellt die Beurteilung der (Un )Zumutbarkeit bzw. der faktischen (Un )Möglichkeit der Beschaffung eines gültigen Reisedokuments iSd § 88 Abs. 2a FPG eine einzelfallbezogene Beurteilung dar, die wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht erfolgreich mit Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG bekämpft werden kann (vgl. zur ähnlich ausgestalteten Regelung des § 19 Abs. 8 Z 3 NAG VwGH 20.10.2020, Ra 2020/22/0061, Rn. 9, u.a. mit dem Hinweis auf VwGH 25.2.2016, Ra 2016/21/0052, Rn. 13, ergangen zu § 88 Abs. 2a FPG).
11 Allerdings mangelt es im vorliegenden Fall an einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage, weil das BVwG zu Unrecht vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA VG ausgegangen ist: Den Erwägungen des BVwG liegt zentral die Annahme zugrunde, es wäre dem Revisionswerber möglich gewesen, durch persönliches Aufsuchen der Botschaft seines Heimatstaates ein Reisedokument zu erlangen. Das steht jedoch im Widerspruch zum gegenteiligen, vom BVwG nicht berücksichtigten Vorbringen in der Beschwerde, die Botschaft habe auf wiederholte telefonische Anfrage die Auskunft erteilt, Personen mit Schutzstatus in Österreich werde von der Botschaft weder ein Reisedokument oder ein anderes Identitätsdokument ausgestellt noch hierüber eine schriftliche Bestätigung erteilt. Demzufolge hätte das BVwG entgegen seiner Begründung für die Nichtdurchführung der beantragten Beschwerdeverhandlung insoweit nicht von einem „aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärten Sachverhalt“ iSd § 21 Abs. 7 BFA VG ausgehen dürfen, sondern die Richtigkeit des Beschwerdevorbringens einer amtswegigen Prüfung (vgl. dazu VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0124) unterziehen müssen, wobei zunächst etwa auch eine diesbezügliche Anfrage bei der Botschaft oder beim Bundesministerium für Inneres in Betracht gekommen wäre. Schon deshalb hat es das angefochtene Erkenntnis mit einem relevanten Verfahrens und Begründungsmangel belastet.
12 Darüber hinaus wendet sich die Revision unter Hinweis auf eine dem Revisionswerber „höchstwahrscheinlich“ drohende Festnahme bei persönlichem Erscheinen in der Botschaft zu Recht auch gegen die vom BVwG angenommene Zumutbarkeit des persönlichen Aufsuchens der bengalischen Botschaft. Nach den Feststellungen des BVwG, sei dem Revisionswerber deshalb subsidiärer Schutz zuerkannt worden, weil er im Falle seiner Rückkehr mit der Fortführung eines Strafverfahrens zu rechnen habe, wobei im diesbezüglichen Erkenntnis des BVwG vom 29. März 2021 (siehe Seite 43 Mitte und Seite 47 oben) mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch angenommen wurde, es bestehe gegen den Revisionswerber ein Haftbefehl. Angesichts dessen entbehrt die ohne Weiteres getroffene Annahme des BVwG, es sei dem Revisionswerber zumutbar, die Botschaft seines Heimatstaates persönlich aufzusuchen, einer nachvollziehbaren Begründung (siehe u.a. auch zu diesem Gesichtspunkt EGMR 14.6.2022, L.B. gg. Litauen , 38121/20, Z 94/96 iVm Z 67/68).
13 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus den genannten Gründen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
14 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren, auch den Ersatz „ausgelegter Dolmetschergebühren in Höhe von EUR 359,10“ zuzusprechen, war abgesehen davon, dass nach der Aktenlage der Vertreter des Revisionswerbers diese Kosten bis zum 28. Juni 2023 nicht entrichtet hat schon deshalb abzuweisen, weil es dafür im Verfahren über die Revision keine gesetzliche Grundlage gibt.
Wien, am 27. Juli 2023