Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Chvosta und Mag. Schartner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Wagner, über die Revision des F U, vertreten durch Dr. Christa Maria Scheimpflug, Rechtsanwältin in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. März 2024, L507 1400586 4/3E, betreffend Versagung eines Fremdenpasses (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
1Dem Revisionswerber, einem türkischen Staatsangehörigen, wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 23. November 2011 gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei zuerkannt und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine (in der Folge verlängerte) befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
2 In den Entscheidungsgründen ging der Asylgerichtshof unter Berufung auf näher genannte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte davon aus, dass die Gefahr einer wiederholten Bestrafung des Revisionswerbers in der Türkei wegen Wehrdienstverweigerung sehr wahrscheinlich sei und dies auch zu einer sich lebenslang wiederholenden strafrechtlichen Verfolgung wegen ein und desselben Deliktes führen könne. Daher bestehe im Fall des Revisionswerbers die Gefahr einer unmenschlichen Bestrafung bzw. Behandlung.
3Am 1. Dezember 2022 stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses für subsidiär Schutzberechtigte nach § 88 Abs. 2a FPG, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 10. Oktober 2023 gemäß § 88 Abs. 1 Z 2 FPG abwies.
4 In der dagegen erhobenen Beschwerde wies der Revisionswerber unter anderem unter Verweis auf den Akteninhalt darauf hin, in seiner Heimat gefährdet und daher „aufgrund der Gefährdungssituation“ nicht in der Lage zu sein, sich ein Reisedokument beim türkischen Generalkonsulat zu beschaffen. Ferner wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Befragung des Revisionswerbers beantragt.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 12. März 2024 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlungmit der Maßgabe, dass es die Antragsabweisung auf § 88 Abs. 2a FPG stützte, als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
6 Begründend nahm das BVwG an, dass es dem Revisionswerber „in Anbetracht seines Status als subsidiär Schutzberechtigter“ zumutbar sei, sich persönlich an ein türkisches Konsulat in Österreich zu wenden, um dort die Ausstellung eines türkischen Reisepasses zu erwirken oder zumindest deren Versagung nachzuweisen. Der Revisionswerber habe derartige Bemühungen jedoch erst gar nicht unternommen. Es sei kein objektiv nachvollziehbarer Grund ersichtlich, weshalb der Revisionswerber nicht in der Lage sein sollte, sich ein gültiges Reisedokument seines Heimatlandes zu beschaffen.
7 Eine mündliche Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG unterbleiben können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erschienen sei. Das BVwG habe insbesondere die Angaben des Revisionswerbers in der Beschwerde der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt.
8Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die gegenständliche außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen hat:
9 Die Revision erweist sich wie die nachstehenden Ausführungen zeigenentgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig; sie ist auch berechtigt.
10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt nämlich die Beurteilung der (Un )Zumutbarkeit bzw. der faktischen (Un)Möglichkeit der Beschaffung eines gültigen Reisedokuments im Sinne des § 88 Abs. 2a FPG zwar eine einzelfallbezogene Beurteilung dar, die wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht erfolgreich mit Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG bekämpft werden kann (vgl. VwGH 3.4.2025, Ra 2024/21/0029 bis 0033, Rn. 12, mwN).
11 Allerdings mangelt es im vorliegenden Fall an einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage, weil das BVwG wie die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung auch geltend macht zu Unrecht vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA VG ausgegangen ist. Den Erwägungen des BVwG liegt zentral die Annahme zugrunde, es wäre dem Revisionswerber möglich gewesen, durch persönliches Aufsuchen des Generalkonsulats seines Heimatstaates ein Reisedokument zu erlangen. Dies steht jedoch im Widerspruch zum gänzlich außer Acht gelassenen Beschwerdevorbringen, dass er dazu aufgrund seiner Gefährdungssituation nicht in der Lage sei. Vor dem Hintergrund der Ausführungen des Asylgerichtshofes im Erkenntnis vom 23. November 2011 über die Gründe für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten hätte das BVwG entgegen seiner Begründung für das Unterbleiben der beantragten Beschwerdeverhandlung insoweit nicht von einem „aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärten Sachverhalt“ iSd § 21 Abs. 7 BFAVG ausgehen dürfen. Stattdessen hätte es sich mit dem Beschwerdevorbringen auseinandersetzen und dessen Richtigkeit einer amtswegigen Prüfung unterziehen müssen (vgl. etwa auch VwGH 27.7.2023, Ra 2021/21/0363, Rn. 11/12). Schon deshalb hat es das angefochtene Erkenntnis mit einem relevanten Verfahrens und Begründungsmangel belastet.
12Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
13Die Entscheidung über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGHAufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil Umsatzsteuer in den Pauschalbeträgen nach der genannten Verordnung bereits enthalten ist (vgl. etwa VwGH 30.3.2023, Ra 2021/21/0234, Rn. 21, mwN).
Wien, am 24. Oktober 2025
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