Ra 2021/21/0363 1 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Rechtssatz
Die Beurteilung der (Un-)Zumutbarkeit bzw. der faktischen (Un-)Möglichkeit der Beschaffung eines gültigen Reisedokuments iSd § 88 Abs. 2a FrPolG 2005 stellt eine einzelfallbezogene Beurteilung dar, die - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht erfolgreich mit Revision iSd. Art. 133 Abs. 4 B-VG bekämpft werden kann (vgl. VwGH 20.10.2020, Ra 2020/22/0061; VwGH 25.2.2016, Ra 2016/21/0052). Es mangelt an einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage, weil das VwG zu Unrecht vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014 ausgegangen ist: Den Erwägungen des VwG liegt zentral die Annahme zugrunde, es wäre dem Fremden möglich gewesen, durch persönliches Aufsuchen der Botschaft seines Heimatstaates ein Reisedokument zu erlangen. Das steht jedoch im Widerspruch zum gegenteiligen, vom VwG nicht berücksichtigten Vorbringen in der Beschwerde, die Botschaft habe auf wiederholte telefonische Anfrage die Auskunft erteilt, Personen mit Schutzstatus in Österreich werde von der Botschaft weder ein Reisedokument oder ein anderes Identitätsdokument ausgestellt noch hierüber eine schriftliche Bestätigung erteilt. Demzufolge hätte das VwG entgegen seiner Begründung für die Nichtdurchführung der beantragten Beschwerdeverhandlung insoweit nicht von einem "aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärten Sachverhalt" iSd § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014 ausgehen dürfen, sondern die Richtigkeit des Beschwerdevorbringens einer amtswegigen Prüfung (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0124) unterziehen müssen. Darüber hinaus wendet sich die Revision - unter Hinweis auf eine dem Revisionswerber "höchstwahrscheinlich" drohende Festnahme bei persönlichem Erscheinen in der Botschaft - zu Recht auch gegen die vom VwG angenommene Zumutbarkeit des persönlichen Aufsuchens der bengalischen Botschaft. Nach den Feststellungen des VwG, sei dem Fremden deshalb subsidiärer Schutz zuerkannt worden, weil er im Falle seiner Rückkehr mit der Fortführung eines Strafverfahrens zu rechnen habe, wobei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch angenommen wurde, es bestehe gegen den Fremden ein Haftbefehl. Angesichts dessen entbehrt die ohne Weiteres getroffene Annahme des VwG, es sei dem Fremden zumutbar, die Botschaft seines Heimatstaates persönlich aufzusuchen, einer nachvollziehbaren Begründung (vgl. EGMR 14.6.2022, L.B. gg. Litauen, 38121/20, Z 94/96 iVm Z 67/68).