JudikaturOLG Wien

33R134/24d – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
08. Januar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden, die Richterin Mag. Tscherner und den Kommerzialrat Schiefer in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. A*, **, vertreten durch Mag. Johannes Kerschbaumer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. B* OG , FN **, 2. Dr. C* , 3. Dr. D* und 4. Univ. Doz. Dr. E* , alle **, alle vertreten durch die Winkler Reich-Rohrwig Illedits Wieger Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, wegen EUR 157.300 und Feststellung (EUR 10.000) über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 24.7.2024, **–22, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 4.983,72 (darin enthalten EUR 830,62 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe

Die Erstbeklagte betreibt das F*, wo sie Brustkrebs-Früherkennungsuntersuchungen nach dem ÖÄK-Qualitätszertifikat für Mammadiagnostik durchführt. Die Zweit- und Drittbeklagte und der Viertbeklagte sind unbeschränkt haftende Gesellschafter:innen der Erstbeklagten. Die Klägerin unterzog sich erstmals am 8.6.2018 und dann am 12.10.2020 einer Brustkrebs-Früherkennungsuntersuchung, konkret einer Mammographie, bei der Erstbeklagten. Im Rahmen des Brustkrebs-Früherkennungsprogramms ist dafür ein zweijährliches Intervall vorgesehen. Am 12.4.2021 hat die Klägerin die Erstbeklagte aufgrund einer Zuweisung durch ihre Ärztin aufgesucht, weil sie an der linken Brust einen Knoten ertastet hatte. Im Rahmen einer Sonographie hat die Erstbeklagte bei diesem Termin eine komplizierte Zyste diagnostiziert, die sie mit BI-RADS3 klassifiziert und wegen der sie eine Kontrolluntersuchung in sechs Monaten empfohlen hat. Im Rahmen der Kontrolluntersuchung vom 16.12.2021 hat die Erstbeklagte erneut eine Sonographie durchgeführt und die Veränderung neuerlich als BI-RADS3 klassifiziert. Im Zuge der weiteren Verlaufskontrolle am 9.8.2022 hat die Sonographie ein suspektes und abklärungsbedürftiges unscharf begrenztes Areal links oben außen gezeigt, das unabhängig von der bekannten komplizierten Zyste aufgetreten war. Die daraufhin durchgeführte MRT hat ergeben, dass die Klägerin unter Brustkrebs leidet.

Die Klägerin begehrt die Zahlung von EUR 157.300 an Schadenersatz (Schmerzengeld EUR 130.000, Verunstaltungsentschädigung EUR 15.000, Kosten für Pflege- und Haushaltshilfe für November 2022 bis Mai 2023 EUR 12.300) und die Feststellung, dass die Beklagten ihr solidarisch zur ungeteilten Hand für sämtliche zukünftigen Schäden aus den nicht lege artis vorgenommenen Behandlungen/Untersuchungen und unterlassener Aufklärungen am 12.10.2020, 12.4.2021 und 16.12.2021 haften.

Die drei genannten Untersuchungen hätten nicht dem zugesicherten erhöhten Sorgfaltsmaßstab und Qualitätsstandard entsprochen, der auf ein spezialisiertes Institut wie die Erstbeklagte anzuwenden sei. Bereits nach der Untersuchung am 12.10.2020, jedenfalls aber nach den Untersuchungen am 12.4.2021 und am 16.12.2021 hätte eine Abklärung mittels Biopsie erfolgen müssen. Außerdem wirft die Klägerin der Erstbeklagten vor, dass bei den Untersuchungen am 12.4.2021 und am 16.12.2021 keine Mammografie, sondern nur eine Sonographie durchgeführt worden sei. Das von den Beklagten gewählte Diagnoseverfahren habe zu einer rechtswidrigen und grob schuldhaften massiven Diagnoseverzögerung geführt und die Klägerin an der Gesundheit geschädigt. Bei lege artis vorgenommener frühestmöglicher Diagnose wäre die Notwendigkeit einer Chemotherapie und Mastektomie mit lebenslangen Spät- und Dauerfolgen unterblieben.

Die Beklagten brachten im Wesentlichen vor, sie hätten die Behandlungen und Untersuchungen der Klägerin nach den Regeln der Kunst vorgenommen und den vorausgesetzten Sorgfaltsmaßstab eingehalten. Auf die Beklagten würde kein gegenüber anderen Radiologen erhöhter Sorgfaltsmaßstab zur Anwendung kommen. Die Untersuchungen im April 2021, Dezember 2021 und August 2022 seien innerhalb eines zweijährigen Intervalls für die Mammographie-Untersuchung laut Brustkrebs-Früherkennungsprogramm aufgrund einer ärztlichen Zuweisung zur Sonographie durchgeführt worden. Aus der dabei befundeten Zyste und dem tastbaren Knötchen sei auch keine Malignität entstanden; weder eine Biopsie noch die Durchführung einer Mammographie seien angezeigt gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Über den eingangs dargestellten Sachverhalt hinaus traf es die auf den Seiten 5 bis 7 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen, auf die verwiesen wird. Rechtlich kam das Erstgericht zum Ergebnis, dass auf die Erstbeklagte der Haftungsmaßstab eines Facharzts der Radiologie anzuwenden sei. Die Erstbeklagte habe kein haftungsbegründendes Verhalten gesetzt; die vorgenommenen Untersuchungen seien lege artis durchgeführt und befundet worden, und die Ärzte hätten die angezeigten Untersuchungsmethoden angewendet. Für eine bioptische Abklärung und Durchführung weiterer Untersuchungen habe keine Indikation bestanden.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung. Sie beantragt, dem Klagebegehren stattzugeben, in eventu, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben, in eventu, diese zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

1. Zur Rechtsrüge:

1.1. Die Klägerin wirft der Erstbeklagten einen Kunstfehler vor, der darin bestanden habe, dass sie am 12.10.2020, am 12.4.2021 und am 16.12.2021 keine Biopsie veranlasst und am 12.4.2021 und am 16.12.2021 keine Mammographie durchgeführt habe. Dadurch sei es zu einer verspäteten Diagnose des Brustkrebs erst nach der Sonographie vom 9.8.2022 gekommen; die Verspätung habe zu einem schlechteren Verlauf für die Klägerin geführt.

1.2. Die Erstbeklagte haftet als Sachverständige nach § 1299 ABGB mit einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab; Maßstab sind nicht die subjektiven Fähigkeiten, sondern die übliche generell höher anzusetzende Sorgfalt jener Personen, die derartige Tätigkeiten ausüben (RS0026422). Ein Sachverständiger haftet zwar nicht für außergewöhnliche Kenntnisse und außergewöhnlichen Fleiß, wohl aber für die Kenntnisse und den Fleiß, den seine Fachgenossen gewöhnlich haben (RS0026489). Es ist dabei auf den durchschnittlichen Fachmann des jeweiligen Fachgebiets abzustellen, wobei der Sorgfaltsmaßstab nicht überspannt werden darf (RS0026535; 7 Ob 82/14f).

1.3. Das Berufungsgericht stimmt der Klägerin zu, dass die Tätigkeit der Erstbeklagten nicht am Wissen und den Fähigkeiten eines durchschnittlichen Radiologen zu messen ist, sondern an den Fähigkeiten eines im Bereich der Brustkrebsdiagnose tätigen Radiologen (vgl 6 Ob 303/02f und 1 Ob 91/99k, wo der Oberste Gerichtshof darauf verwiesen hat, dass die Pränataldiagnostik in der Ambulanz eines Bezirkskrankenhauses nicht ohne Weiteres am Maßstab einer auf bestimmte Untersuchungen spezialisierten Fachabteilung einer Universitätsklinik gemessen werden könne).

1.4. Auf Basis des festgestellten Sachverhalts kommt es aber auf die Frage, ob die behandelnden Ärzte der Erstbeklagten mit der Sorgfalt eines durchschnittlichen auf die Brustkrebsfrüherkennung spezialisierten Radiologen vorgegangen sind, nicht an:

1.4.1. Es steht fest, dass im Zuge der Untersuchungen vom 12.10.2020, 12.4.2021 und 16.12.2021 keine Abklärung mittels Biopsie indiziert war und noch am 16.12.2021 keine Indikation zur Durchführung einer Mammographie im Hinblick auf die seit 12.4.2021 beobachtete komplizierte Zyste bestand. Darüber hinaus steht fest, dass die im Zuge der Sonographie vom 9.8.2022 entdeckte Veränderung, die schließlich als Brustkrebs diagnostiziert wurde, unabhängig von der (gutartigen) Zyste aufgetreten ist.

1.4.2. Nach § 1299 ABGB hat der Geschädigte den Schaden, das Vorliegen eines Kunstfehlers und die Ursächlichkeit oder die Mitursächlichkeit für den eingetretenen Schaden zu beweisen. Steht ein Behandlungsfehler fest, hat der Patient zum Nachweis der Kausalität (nur) zu beweisen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts durch den ärztlichen Kunstfehler nicht bloß unwesentlich erhöht wurde (RS0038222; RS0026768; jüngst etwa 8 Ob 58/24y). Da feststeht, dass die von der Klägerin geforderten Untersuchungsmethoden zu den von ihr genannten Zeitpunkten nicht indiziert waren, ist ihr schon der Nachweis eines Kunstfehlers nicht gelungen. Mit ihren Berufungsausführungen, wonach die Erstbeklagte verpflichtet gewesen wäre, weitere Diagnostikverfahren anzuwenden, setzt sich die Beklagte rechtlich über die nicht bekämpften Feststellungen zur fehlenden Indikation dieser Untersuchungen hinweg.

1.4.3. Darüber hinaus konnte nicht festgestellt werden, ob mittels einer anderen Untersuchungsmethode eine frühere Diagnose überhaupt möglich gewesen wäre. Da der Klägerin nach der genannten Rechtsprechung der, wenn auch abgeschwächte, Kausalitätsnachweis obliegt, geht diese Negativfeststellung zu ihren Lasten (RS0022664; RS0026209; 8 Ob 58/24y).

1.5. Entgegen der von der Klägerin vertretenen Ansicht hält sich die Feststellung (Seite 5 der Urteilsausfertigung), wonach eine kurative Untersuchung auf Grundlage einer Überweisung nur der Abklärung von bestimmten Beschwerden diene und dafür kein Einsatz bestimmter Untersuchungsmethoden, konkret die Vornahme einer Mammographie samt Zweitbefundung, vorgesehen sei, im Rahmen des Beklagtenvorbringens, wonach keine über die von der Erstbeklagten durchgeführten Sonographien hinausgehenden Untersuchungsmethoden angezeigt gewesen seien. Sie ist nicht unzulässig überschießend (vgl RS0040318; RS0037972; RS0036933).

1.6. Da feststeht, dass die von der Klägerin geforderten Untersuchungsmethoden nicht indiziert waren, sie somit keinen Kunstfehler nachgewiesen hat, und sie auch einen allfälligen Kausalitätsbeweis nicht erbringen konnte, kommt es auch nicht darauf an, ob die Beklagte sich als führende Institution präsentiert und welche besondere Qualifikation die bei ihr tätigen Ärzte aufweisen.

Mit der Behauptung im Rahmen der Rechtsrüge, die Parteien hätten schlüssig vereinbart, dass bei der Klägerin am 12.4.2021 und am 16.12.2021 eine Mammographie samt Zweitbefundung durchgeführt wird, verstößt die Klägerin gegen das Neuerungsverbot. In erster Instanz hat die Klägerin vorgebracht, zwischen der Klägerin und der Beklagten sei ein Behandlungsvertrag bezüglich Brustkrebs/Vorsorge/Früherkennung entsprechend dem „Qualitätszertifikat“ für Mammadiagnostik zustande gekommen. Auch ein besonders ausgebildeter führender Experte ist zur Einhaltung eines schadenersatzrechtlich kunstgerechten Vorgehens nicht verpflichtet, Untersuchungsmethoden anzuwenden, die im konkreten Fall nicht angezeigt sind. Darüber hinaus konnte die Klägerin auch den Kausalitätsbeweis nicht erbringen (siehe oben), und die Frage, ob eine schlüssige Vereinbarung zustande gekommen ist, wäre eine Rechts- und keine Tatfrage. Dass das Erstgericht nicht festgestellt hat, dass „aufgrund des jedenfalls schlüssig vereinbarten Behandlungsvertrags mit der Zusicherung einer durchgeführten Mammographie im Sinne einer Tomosynthese-Mammographie samt Zweitbefundung und den neuesten Geräten ohne Differenzierung zwischen einer normalen Untersuchung im Intervall der Brustfrüherkennung oder im Rahmen einer kurativen Untersuchung die Ärzte der Erstbeklagten bei den kurativen Untersuchungen der Klägerin am 12.4.2021 und am 16.12.2021 jedenfalls auch eine Tomosynthese-Mammographie samt Zweitbefundung [hätten] durchführen müssen“, begründet daher keinen sekundären Feststellungsmangel. Dasselbe gilt für unterlassene Feststellungen zu den Zielen und Voraussetzungen für das ÖÄK-Zertifikat und die Qualifikation der für die Erstbeklagte tätigen Ärzte.

2. Das Verfahren war auch nicht mangelhaft:

2.1. Die Klägerin erblickt einen Verfahrensmangel darin, dass das Erstgericht ihr zu I. der Schriftsätze ON 12 und ON 18 (über mehrere Seiten) erstattetes Vorbringen, das die Beklagte nicht bestritten habe, nicht als unstrittigen Sachverhalt zugrunde gelegt habe. Abgesehen davon, dass die Klägerin nicht ausführt, welche konkreten Feststellungen der rechtlichen Beurteilung unstrittig zugrundezulegen gewesen wären, und die Klägerin in den genannten Schriftsätzen nur Vorbringen erstattet hat, zu dem ohnehin auch ein Bestreitungsvorbringen der Beklagten vorgelegen hat, könnte es keinen relevanten Verfahrensmangel begründen, wenn das Gericht sich über eine unstrittige Tatsache hinweggesetzt hätte. Der Entscheidung wären trotzdem die getroffenen Feststellungen und ein allfälliges Geständnis zugrundezulegen (vgl 1 Ob 121/17a; 17 Ob 19/11k; 1 Ob 80/17x; 17 Ob 1/11p; RS0039949 [T7, T8], RS0040110 [T5]).

2.2. Auch dass die Erstrichterin die Klägerin nicht einvernommen hat, begründet keinen relevanten Verfahrensmangel: Abgesehen davon, dass die Klägerin nicht konkret darlegt, welche für sie günstigen Verfahrensergebnisse bei ihrer Einvernahme erzielt worden wären (RS0043039 [T4, T5]), ist das in der Verfahrensrüge angedeutete Thema, die Frage, das Wissen welcher vergleichbaren Berufsgruppe als Maßstab heranzuziehen ist, eine Rechtsfrage. Wie oben dargelegt, geht das Berufungsgericht im Übrigen ohnehin davon aus, dass die Erstbeklagte und ihre behandelnden Ärzte mit der Sorgfalt eines auf Brustkrebserkennung spezialisierten Radiologen zu handeln hatten.

3. Die Beweisrüge der Klägerin erschöpft sich in der Kritik an den Ausführungen des Sachverständigen, der einerseits zu S3-Leitlinie zur Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften nicht Stellung genommen habe, andererseits laut den Ausführungen in der Beweisrüge sehr wohl dazu ausgeführt habe. Zwar hat die Klägerin richtig erkannt, dass die Frage, ob dem Sachverständigen-Gutachten in den Feststellungen gefolgt werden kann, oder ob ein weiteres Gutachten einzuholen ist, eine Frage der Beweiswürdigung ist (RS0043163; RS0043320; RS0043414 ua). Die Klägerin gibt aber in ihrer Beweisrüge nicht an, welche Feststellung sie bekämpft, welche Beweise die Erstrichterin unrichtig gewürdigt hat, aus welchen Erwägungen sich dies ergibt und welche Feststellungen bei richtiger Beweiswürdigung zu treffen gewesen wären (RS0041835 ua).

4. Die Kostenentscheidung des Berufungsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

5. Da keine Rechtsfragen von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zu lösen waren, war die Revision nicht zuzulassen.