JudikaturOLG Wien

16R111/24x – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
06. Dezember 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Sonntag als Vorsitzenden sowie die Richterinnen des Oberlandesgerichts Mag. Elhenicky und Dr. Rieder in der Rechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch Dr. Ronald Rast und Dr. Thomas Rast, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei B* , **, wegen Anfechtung (Streitwert: EUR 58.829,43), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 10. Juli 2024, 4 Cg 64/24x-2, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos behoben und dem Erstgericht aufgetragen, das gesetzmäßige Verfahren über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund einzuleiten.

Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung:

Mit Anfechtungsklage vom 9.7.2024 begehrt die Klägerin, die Rechtshandlung der Einräumung von Belastungs- und Veräußerungsverboten ob der Liegenschaft EZ **, KG ** (in der Folge: Liegenschaft) zugunsten des Beklagten gegenüber der Klägerin für unwirksam zu erklären und den Beklagten schuldig zu erkennen, zur Hereinbringung der vollstreckbaren Forderung von EUR 54.874,87 sA die Exekution in die insgesamt 809/890 Anteile an der Liegenschaft zu dulden. C*, der Vater des Beklagten, schulde der Klägerin aufgrund des rechtskräftigen und vollstreckbaren Zahlungsbefehls des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 7.5.2024 zu 66 Cg 78/24m EUR 54.874,87 an Kapital zzgl. Zinsen und EUR 3.954,65 an Kosten. C* sei unter anderem Eigentümer von insgesamt 809/890 Anteilen (B-LNR 12-22) der Liegenschaft, ob denen zugunsten des Beklagten Belastungs- und Veräußerungsverbote intabuliert seien, welche die Zwangsversteigerung der Liegenschaftsanteile verhinderten. Die Vereinbarung zur Begründung der Belastungs- und Veräußerungsverbote sei am 20.1.2023, sohin innerhalb der letzten zwei Jahre vor Einbringung der gegenständlichen Anfechtungsklage abgeschlossen und grundbücherlich intabuliert worden. Die Befriedigungschancen der Klägerin stünden ohne die Belastungs- und Veräußerungsverbote besser, weil sie in diesem Fall exekutiv mittels Zwangsversteigerung auf die Liegenschaftsanteile greifen und (rascher) Befriedigung erlangen könnte. Die Klägerin fechte die Vereinbarung und die Intabulation der Belastungs- und Veräußerungsverbote, insbesondere gem. § 439 Z 3 EO, an.

Mit dem angefochtenen Beschlusswies das Erstgericht die Klage a limine (wegen Streitanhängigkeit) zurück. Begründend führte es aus, dass die Klägerin gegen den Beklagten bereits zu 11 Cg 64/23x des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien (in der Folge: Parallelverfahren) eine Anfechtungsklage eingebracht habe, mit welcher sie die Unwirksamerklärung der Einräumung der Belastungs- und Veräußerungsverbote ob der Liegenschaft zugunsten des Beklagten sowie die Duldung der Exekution in die Liegenschaft zur Hereinbringung der ihr mit Urteil des Oberlandesgerichts Wien zu 13 R 195/22z zugesprochenen vollstreckbaren Forderungen gegen C* von EUR 3.702,42 sA und EUR 20.313,48 sA begehrt habe. Auch im Parallelverfahren habe sich die Klägerin darauf gestützt, dass das Belastungs- und Veräußerungsverbot zu ihrem Nachteil innerhalb der letzten zwei Jahre vor Einbringung der Anfechtungsklage abgeschlossen und grundbücherlich intabuliert worden sei, die Zwangsversteigerung der Liegenschaftsanteile verhindere und die Befriedigungschancen der Klägerin ohne die benachteiligende Rechtshandlung (Vereinbarung und Intabulation des Belastungs- und Veräußerungsverbots) besser stünden, weil sie exekutiv mittels Zwangsversteigerung auf die Liegenschaftsanteile hätte zugreifen und (rascher) Befriedigung hätte erlangen können. Eine während der Streitanhängigkeit wegen des nämlichen Anspruchs angebrachte Klage sei auf Antrag oder von Amts wegen zurückzuweisen. Hier seien die Parteien ident mit jenen des Parallelverfahrens; außerdem fechte die Klägerin in beiden Verfahren das zwischen C* und dem Beklagten am 20.1.2023 vereinbarte Belastungs- und Veräußerungsverbot betreffend die 809/890 Anteile an der Liegenschaft gemäß § 439 Z 3 EO an. Die Klagebegehren lauteten in ihrem Punkt 1. übereinstimmend jeweils auf Unwirksamerklärung der Rechtshandlung der Einräumung von Belastungs- und Veräußerungsverboten. Der Unterschied der beiden Klagen liege allein in den verschiedenen Exekutionstiteln. Grundlage der Anfechtungsklage nach § 439 Z 3 EO seien die Rechtshandlungen, durch welche die Gläubiger des Schuldners benachteiligt worden seien. Die Rechtshandlung sei gegenständlich die Vereinbarung eines Belastungs- und Veräußerungsverbots zugunsten des Beklagten. Trotz unterschiedlicher, dem Duldungsbegehren zugrunde liegender Exekutionstitel sei der Anfechtungstatbestand damit in beiden Verfahren derselbe. Die Klage sei daher wegen Streitanhängigkeit zurückzuweisen.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss ersatzlos aufzuheben und dem Erstgericht die Einleitung oder Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt .

1. Die Klägerin wendet sich im Rahmen der Rechtsrüge gegen die Auffassung des Erstgerichts, aufgrund der im Parallelverfahren erhobenen Anfechtungsklage liege das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit vor; sie argumentiert, weder das Klagebegehren noch der rechtserzeugende Sachverhalt seien im gegenständlichen Verfahren und im Parallelverfahren ident.

2. Gemäß § 233 Abs 1 ZPO hat die Streitanhängigkeit die Wirkung, dass während ihrer Dauer über den geltend gemachten Anspruch weder bei demselben noch bei einem anderen Gericht ein Rechtsstreit durchgeführt werden darf. Eine während der Streitanhängigkeit wegen des nämlichen Anspruchs angebrachte Klage ist auf Antrag oder von Amts wegen zurückzuweisen.

Das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit beginnt mit der Zustellung der Klage an den Beklagten und endet erst mit der (rechtskräftigen) Beendigung des Rechtsstreits, mag diese durch Sachurteil, Zurückweisung der Klage oder einem anderen formellen Grund erfolgen (RS0039482).

Die Zurückweisung einer Klage wegen Streitanhängigkeit setzt zwei nacheinander streitanhängig gewordene Prozesse sowie die Identität der Parteien und Ansprüche in diesen beiden Prozessen voraus (RS0039473). Der gleiche Streitgegenstand liegt nur vor, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch sowohl hinsichtlich des Begehrens als auch des rechtserzeugenden Sachverhalts, also des Klagegrundes, ident ist mit jenem des Vorprozesses (RS0039347). Die Streitanhängigkeit ist hingegen dort ausgeschlossen, wo die Identität der rechtserzeugenden Tatsachen nur eine teilweise ist, also beim weiteren Anspruch zu dem im ersten Antrag vorgebrachten Tatsachen weitere rechtserzeugende Tatsachen behauptet werden (RS0039347 [T12]).

3. Die Einzelanfechtung nach der AnfO, die mit der Gesamtreform des Exekutionsrechts (GREx) im Wesentlichen unverändert in den Fünften Teil der EO (§§ 438–453) übernommen wurde, sodass die Rechtsprechung und Literatur zur AnfO grundsätzlich weiterhin herangezogen werden kann ( Meisinger in Deixler-Hübner,EO Vor §§ 438ff Rz 1), bezweckt die Befriedigung eines Gläubigers, dessen Forderung in ihren Befriedigungsaussichten durch den Verlust des schuldnerischen Vermögens wegen der anfechtbaren Rechtshandlung unmöglich gemacht oder verkürzt wird. Nach erfolgreicher Anfechtung ist die betroffene Rechtshandlung nicht schlechthin (absolut), sondern nur dem Anfechtenden gegenüber (relativ) unwirksam. Die Anfechtung hat also keine rechtsvernichtende absolute Wirkung. Der Anfechtungsanspruch zielt nur auf die durch das (titulierte) Interesse des Gläubigers begrenzte Herstellung jenes Zustands ab, der bei Unterbleiben der anfechtbaren Rechtshandlung eingetreten wäre (1 Ob 295/01s; 1 Ob 186/04s jeweils mwN).

Die Unwirksamkeit der anfechtbaren Rechtshandlung gegenüber dem anfechtenden Gläubiger hat nur soweit Bedeutung, als sie die Voraussetzung für eine Leistung an den anfechtenden Gläubiger und damit eine Rückgängigmachung der eingetretenen Befriedigungsverletzung bildet. Sie ist daher immer nur als Voraussetzung oder Vorfrage der Leistungspflicht des Anfechtungsgegners von Bedeutung (RS0050367).

Nach ständiger Rechtsprechung ist das Begehren einer Anfechtungsklage auf Duldung der Exekution in das durch das angefochtene Rechtsgeschäft dem Anfechtungskläger entzogene Exekutionsobjekt oder auf Unterlassung von Handlungen, die eine solche Exekution verhindern könnten, zu richten, wobei Anfechtungsgegner nicht der Schuldner, sondern derjenige ist, zu dessen Gunsten die anfechtbare Rechtshandlung gesetzt wurde und der aus dieser einen Vorteil erlangt hat (RS0050316).

Die Anfechtungsklage nach § 1 AnfO (für Rechtshandlungen nach dem 30.6.2021: nach § 438 EO) ist weder eine Feststellungsklage noch eine Gestaltungsklage, sondern eine Leistungsklage (RS0050448). Ein Begehren, zwischen dem Anfechtungsgegner und dem Schuldner gesetzte Rechtshandlungen dem Kläger gegenüber als unwirksam zu erklären, wird von der Rechtsprechung sogar als verfehlt angesehen. § 12 AnfO (nunmehr: § 446 EO), der die Inhaltserfordernisse der Anfechtungsklage umschreibt, lässt nämlich keinen Raum für eine bloße Feststellungsklage; eine Klage, die nur den Ausspruch der Unwirksamkeit einer Rechtshandlung des Anfechtungsgegners begehrt, ist daher unzulässig und nicht geeignet, die im Gesetz vorgesehene Anfechtungsfrist zu wahren. Für die Geltendmachung der Anfechtung durch Klage ist bloß die Leistungsklage zulässig (RS0050318). Die relative Unwirksamkeit der angefochtenen Rechtshandlung ist Vorfrage für das erhobene Leistungsbegehren und als solche grundsätzlich nicht selbstständig feststellungsfähig (RS0050318 [T4]).

Das Begehren einer Anfechtungsklage, mit welcher die Unwirksamkeit der Einräumung eines Belastungs- und Veräußerungsverbots geltend gemacht wird, hat nach der Rechtsprechung daher auf Duldung der Exekution in das Objekt der anfechtbaren Handlung zu lauten (vgl RS0050359; 17 Ob 3/21x). In das Begehren ist jedenfalls die Forderung (nach Kapital, Zinsen und Kosten) aufzunehmen, zu deren Hereinbringung die Anfechtung vorgenommen und die Exekution geduldet werden soll (RS0037487 [T1]; vgl § 446 EO).

Dass der Oberste Gerichtshof mit seiner Entscheidung zu 17 Ob 3/21x, mit welcher er einem Rechtsgestaltungsbegehren auf (relative) Unwirksamkeitserklärung der angefochtenen Rechtshandlung neben dem sich daraus ergebenden Duldungsbegehren (als negativem Leistungsbegehren) ohne Auseinandersetzung mit der dargestellten ständigen Rechtsprechung, wonach ein Begehren auf Unwirksamerklärung einer Rechtshandlung im Rahmen von Einzelanfechtungen nach der AnfO verfehlt ist und auch die Verbindung eines Feststellungsbegehrens mit einem Leistungsbegehren bei der Anfechtungsklage unzulässig ist (RS0050321), von dieser abgehen wollte, lässt sich nicht erkennen. Damit vermag auch diese Entscheidung nichts daran zu ändern, dass über die relative Unwirksamkeit der angefochtenen Rechtshandlung nur als Vorfrage für das konkret erhobene Duldungsbegehren entschieden wurde und der Ausspruch über die Unwirksamerklärung der Rechtshandlung keine über das konkrete Anfechtungsverfahren hinausgehende Bindungswirkung entfaltet.

4. Ein eingetragenes Belastungs- und Veräußerungsverbot hindert die zwangsweise Einverleibung eines Pfandrechts (die Zwangsversteigerung der Liegenschaft), sofern nicht die betreibende Partei die - ausdrückliche (vgl RS0002512) - Zustimmung der durch das Verbot begünstigten Person(en) zur Exekutionsführung nachweist (RS0002625). Nach ständiger Rechtsprechung ist die Anfechtung eines vertraglichen Veräußerungs- und Belastungsverbotes, welches den Gläubiger an der Exekutionsführung in die betroffene Liegenschaft hindert, gegenüber dem Berechtigten zulässig und möglich (10 Ob 1586/95 mwN). Die Einräumung eines Veräußerungsverbots und Belastungsverbots ist eine anfechtbare Handlung; der Berechtigte ist der „andere Teil“, somit der Anfechtungsgegner (RS0050778).

Will sich der betreibende Gläubiger darauf berufen, dass trotz der grundbücherlichen Eintragung die Voraussetzungen für die dingliche Wirkung eines solchen Verbots nicht gegeben seien, so muss er das und die begründenden Tatsachen schon im Exekutionsantrag behaupten und auch beweisen (5 Ob 214/14b). Dies gilt auch für den Fall, dass der Verbotsberechtigte in einem Anfechtungsprozess zur Duldung der Exekution verpflichtet wurde; der Betreibende muss daher die das Belastungs- und Veräußerungsverbot überspielende Entscheidung im Anfechtungsprozess im Exekutionsantrag anführen und beilegen (RS0010732 [T4]).

5. In Anwendung dieser Grundsätze ist daher - wie die Klägerin im Rekurs richtig aufzeigt – entscheidend, dass das Klagebegehren im Parallelverfahren auf die Duldung der Exekution zur Hereinbringung vollstreckbarer Forderungen von EUR 3.702,42 sA und EUR 20.313,48 sA aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Wien zu 13 R 195/22z gerichtet ist, während mit der gegenständlichen Anfechtungsklage der Beklagte zur Duldung der Exekution zur Hereinbringung vollstreckbarer Forderungen von EUR 54.874,87 sA aus dem Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien zu 66 Cg 78/24m verpflichtet werden soll. Damit stehen sich im gegenständlichen Verfahren und im Parallelverfahren zwar dieselben Parteien gegenüber, es fehlt aber (jedenfalls) in Ansehung von Spruchpunkt 2. des Klagebegehrens (Duldungsverpflichtung) an der Identität der Begehren.

Da die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung gemäß § 439 Z 3 EO unter anderem vom Zeitpunkt der Anfechtung ( „in den letzten zwei Jahren vor der Anfechtung“) abhängt und gerade diese Klagefrist in jedem der beiden Anfechtungsprozesse ebenso wie die vom Bestehen einer (in beiden Verfahren unterschiedlichen) vollstreckbaren Forderung abhängige Anfechtungsbefugnis der Klägerin nach § 443 Abs 1 EO als Voraussetzung der Berechtigung des geltend gemachten Anfechtungsanspruchs gesondert zu beurteilen ist, demnach in jedem der beiden Verfahren eine eigenständige Vorfrage bildet, kann auch in Ansehung des Spruchpunktes 1., der im Sinn der dargelegten Grundsätze keine über die konkrete Anfechtungsklage (insbesondere das im jeweiligen Verfahren geltend gemachte titulierte Interesse) hinausgehende Wirkung entfaltet, nicht von einer Identität des rechtserzeugenden Sachverhalts ausgegangen werden. Die Klägerin könnte daher – worauf sie im Rekurs zu Recht hinweist – allein aufgrund eines klagsstattgebenden Urteils im Parallelverfahren die Duldung der exekutiven Verwertung der Liegenschaftsanteile des Schuldners zur Hereinbringung der hier geltend gemachten vollstreckbaren Forderung nicht exekutiv durchsetzen.

Das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit liegt demnach nicht vor.

Der angefochtene Beschluss war daher in Stattgebung des Rekurses ersatzlos zu beheben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

Ein Rechtsmittel gegen den Beschluss, mit dem das Rekursgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über eine vom Erstgericht vor Streitanhängigkeit zurückgewiesene Klage aufträgt, steht dem Beklagten nach ständiger Rechtsprechung nicht zu (RS0039200 [T25, T37]). Da die Klägerin durch die Aufhebung der Zurückweisung nicht beschwert ist, ist der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig ( Kodek in Rechberger/Klicka 5§ 527 ZPO Rz 3).