4Ob31/25z – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Istjan, LL.M., Mag. Waldstätten, Mag. Böhm und Dr. Gusenleitner-Helm in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Parteien 1. * und 2. *, beide pA *, und vertreten durch die Eberle Ender Rechtsanwälte OG in Feldkirch, gegen die beklagten und widerklagenden Parteien 1. *, und 2. *, beide vertreten durch die Battlogg Rechtsanwalts GmbH in Schruns, wegen Feststellung, Unterlassung und Einverleibung (Gesamtstreitwert 22.700 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten und widerklagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 9. Jänner 2025, GZ 3 R 198/24a 55, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Parteien streiten über ein Geh- und Fahrrecht. Sie sind (Mit )Eigentümer benachbarter Liegenschaften, wobei (vereinfacht gesagt) die Liegenschaft der Kläger (und Widerbeklagten) im Süden einen Zugang zur S* Straße hat und jene der Beklagten (und Widerkläger) im Norden zur W*straße.
[2] Die Vorinstanzen kamen übereinstimmend zum Ergebnis, dass die Beklagten ein Recht, über die Liegenschaft der Kläger zu gehen und zu fahren, weder vertraglich erworben noch ersessen hätten, die Kläger als Eigentümer des südlichen Grundstücks daher nicht in die Einverleibung einer entsprechenden Grunddienstbarkeit einwilligen müssten, und auch nicht schuldig seien, Störhandlungen, etwa durch das Abstellen von KFZ auf dem behaupteten Weg zu unterlassen. Vielmehr stellten sie fest, dass die Beklagten nicht berechtigt seien, über das Grundstück der Kläger zu gehen oder zu fahren, und gaben entsprechenden Begehren der Kläger auf Feststellung und Unterlassung Folge.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die außerordentliche Revision der Beklagten, mit der sie eine Abweisung der Klage und eine Stattgebung ihrer Widerklage erreichen wollen, ist mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig und daher zurückzuweisen .
[4] 1.1 Während die eigentliche Ersitzungneben der Echtheit und Redlichkeit des Besitzes auch die Rechtmäßigkeit des Besitzes voraussetzt, dh den Nachweis eines Titels zum Rechtserwerb (§ 1461 ABGB), bedarf es für die uneigentliche Ersitzung über die lange Ersitzungszeit von (grundsätzlich) 30 Jahren keines rechtmäßigen Titels (§ 1477 ABGB).
[5]Die Redlichkeit verlangt jedoch zumindest den Glauben an einen gültigen Titel (vgl RS0010172; § 326 ABGB), dies über die gesamte Ersitzungszeit (vgl RS0010175). Ein Rechtsbesitzer ist redlich, wenn er glauben kann, dass ihm die Ausübung des Rechts zusteht (RS0010137; vgl auch RS0010197). Redlichkeit setztbei Dienstbarkeiten sohin den Glauben an ein bestimmtes Nutzungsrecht an einer fremden Sache voraus (vgl 1 Ob 232/20d). Maßgeblich ist, ob ein durchschnittlicher Verkehrsteilnehmer die in seiner Ausübungshandlung liegende Rechtsverletzung erkennen hätte können (RS0010184 [T11]). Bereits leichte Fahrlässigkeit bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit schließt guten Glauben aus (RS0103701, RS0010189 [T6]). Die Redlichkeit fehlt regelmäßig auch dann, wenn dem Nutzer der Umstand einer bloß obligatorischen Gebrauchsüberlassung bekannt ist oder bei ausreichender Sorgfalt bekannt sein musste; die (uneigentliche) Ersitzung hat in jenen Fällen Bedeutung, in denen der Ersitzende zwar eine frühere vertragliche (dinglich gemeinte) Rechtseinräumung annimmt, diese aber nicht ausreichend nachweisbar ist, oder wenn ein Recht trotz ausreichenden Titels nicht verbüchert wurde (vgl 1 Ob 129/16a).
[6]Die Redlichkeit des Besitzes wird im Zweifel vermutet (§ 328 Satz 2 ABGB; § 1477 Satz 2 ABGB). Die Beweislast für die Unredlichkeit und Unechtheit des Besitzes an einer Dienstbarkeit trifft den Ersitzungsgegner (vgl RS0010187, RS0010185, RS0010186).
[7] Ob von einer Redlichkeit ausgegangen werden kann, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd§ 502 Abs 1 ZPO (vgl RS0010184 [T13], RS0010185 [T7]; 1 Ob 232/20d: dies umso weniger, als sich der Oberste Gerichtshof in der Vergangenheit mit Fragen der Redlichkeit bei Streitigkeiten über die Ersitzung einer Servitut bereits häufig befasst hat).
[8] 1.2 Die Vorinstanzen verneinten hier eine Redlichkeit, weil die Beklagten und deren Rechtsvorgänger nie auf einen Titel für die N utzung des südlichen Grundstücks als Geh- und Fahrweg vertraut hätten. Nachdem diese die nördlichen Grundstücke in den 1970iger-Jahren erworben hatten, um dort ein Wohnhaus zu errichten, begannen sie über das damals noch als Wiese, Obstgarten und Weide genutzte südliche Grundstück zu gehen und (ua) mit dem Rad zu fahren, ohne dass es jedoch eine Vereinbarung mit den damaligen Grundeigentümern gegeben hätte. Dieses Verhalten wurde auch nach dem Ankauf des südlichen Grundstücks und Hausbau durch die Kläger von den Mitgliedern und Freunden der Familie der Beklagten fortgeführt, „weil das bereits die Großeltern so gemacht hätten“.
[9] Damit bewegt sich die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach eine Ersitzung mangels 30 jährigen guten Glaubens an einen Titel für eine Grunddienstbarkeit des Gehens und Fahrens ausgeschlossen sei, im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung (s zur fehlenden Redlichkeit trotz jahrelanger unwidersprochener Nutzung eines Wegs jüngst etwa 3 Ob 125/21k ,4 Ob 64/24a, 4 Ob 211/24v; s auch 4 Ob 182/24d, wonach ein Kläger, der über die wahren Eigentumsverhältnisse immer Bescheid wusste, zu keiner Zeit redlicher Ersitzungsbesitzer war).
[10] Auch der von der Revision ins Treffen geführte Widerspruch zwischen den Entscheidungen 4 Ob 64/24a und 7 Ob 549/77 liegt tatsächlich nicht vor. In 7 Ob 549/77 (= RS0011542 ) bejahte der Oberste Gerichtshof die Ersitzung einer Skiabfahrt zugunsten der Allgemeinheit durch eine Gemeinde, wobei der dortige Beklagte die Vermutung der Redlichkeit – anders als hier – gerade nicht entkräftet hatte (s dazu auch 1 Ob 41/08y ).
[11] 2.1 Ein Dienstbarkeitsvertrag kann zwar auch durch schlüssiges Verhalten iSd § 863 ABGB begründet werden . Ein schlüssiger Dienstbarkeitsvertragkommt nach der Rechtsprechung aber nicht schon durch die bloße Duldung eines bestimmten Gebrauchs des dienenden Guts, sondern erst dann zustande, wenn zusätzliche Sachverhaltselemente den Schluss erlauben, der aus einem bestimmten Verhalten abzuleitende rechtsgeschäftliche Wille der (jeweils) Belasteten habe sich auf die Einräumung einer Dienstbarkeit als dingliches Recht bezogen (vgl RS0111562, RS0011661). An schlüssige Servitutsbegründungen sind, weil dies einem Teilrechtsverzicht gleichkommt, grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen (RS0114010 [T6, T7]).
[12]Das Vorliegen einer konkludenten Vereinbarung zur Begründung einer Servitut muss vom Berechtigten behauptet und bewiesen werden (RS0134787 = 4 Ob 75/24v).
[13] 2.2 Die Revision vertritt dieAnsicht, dass das Berufungsverfahren insofern mangelhaft geblieben sei, weil das Berufungsgericht das Argument einer konkludenten oder sogar ausdrücklichen Rechteeinräumung mit dem Hinweis auf das Neuerungsverbot des § 482 ZPO verworfen habe und sich auch mit der Beweisrüge zu Gesprächen anlässlich der Entfernung eines Zauns nur unzureichend befasst habe.
[14] 2.3 Das Erstgericht stellte fest, dass im Zeitraum zwischen 2000 und 2005 im Einvernehmen ein Zaun zwischen den Liegenschaften entfernt wurde, traf aber eine Negativfeststellung zur Frage , ob die Streitteile hierbei eine „Vereinbarung“ trafen, dass man wechselseitig über das Grundstück des jeweils anderen gehen dürfe.
[15] Das Berufungsgericht verwarf eine Beweisrüge der Beklagten, mit der sie die „Ersatzfeststellung“ begehrten, dass die Streitteile eine Grunddienstbarkeit vereinbart hätten. Aus den von den Beklagten ins Treffen geführten Beweisergebnissen lasse sich lediglich ein Tolerieren des wechselseitigen Begehens der Liegenschaften durch Familienmitglieder ableiten, dies im Hinblick auf die (damals noch) gute nachbarschaftliche Beziehung. Dass ein von den handelnden Personen unabhängiges, mit dem Liegenschaftseigentum verknüpftes dingliches Geh- und Fahrrecht begründet werden sollte, noch dazu durch den Garten und direkt am Wohnhaus der Kläger vorbei, sei daraus hingegen nicht abzuleiten.
[16] Auch in ihrer Revision können die Beklagten nicht schlüssig aufzeigen, aus welchen tatsächlichen Feststellungen sich in rechtlicher Hinsicht eine konkludente oder ausdrückliche Einräumung der begehrten Grunddienstbarkeit ableiten ließe und/oder worin (noch dazu relevante) Mängel des Berufungsverfahrensoder sekundäre Feststellungsmängel liegen sollen. Auf eine persönliche Dienstbarkeit (vgl § 479 ABGB, 8 Ob 134/19t ) haben sich die Beklagten in den Vorinstanzen ebenso wenig berufen wie auf ein durchgängiges Vertrauen auf einen Vertragsabschluss über die lange Ersitzungszeit.
[17] 3. Ob im Rahmen der Entfernung des Zauns und der dazu geführten Gespräche ein rein obligatorisches wechselseitiges Gehrecht für die Familienmitglieder der Streitteile (ausdrücklich oder konkludent) zustande kam, oder darin nur eine nachbarschaftliche Gefälligkeitshandlung ohne rechtsgeschäftlichen Willen auf eine Rechteeinräumung zu sehen ist (vgl 1 Ob 81/01w ), mussten die Vorinstanzen nicht näher untersuchen. Die Kläger brachten bereits in der Klage vor, dass sie nach einem Scheitern von Versuchen, die wechselseitigen Rechte in einem Prekariumsvertrag zu konkretisieren, erklärt hätten, selbst nicht mehr über die nördlichen Grundstücke zu gehen und ein Begehen ihres Grundstücks nicht mehr zu tolerieren. Die Wirksamkeit dieses einseitigen Widerrufs bzw der Kündigung einer (allfälligen) Vereinbarung wurde von den Beklagten in den Vorinstanzen nur unter Verweis auf eine (fälschlich angenommene) ersessene Grunddienstbarkeit bestritten.