2R52/25v – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Hofmann als Vorsitzenden sowie die Richterin MMag. Pichler und den Richter Mag. Viktorin in der Rechtssache der klagenden Partei A*, geb. **, ** , vertreten durch die Laback Rechtsanwalts GmbH in Wien, wider die beklagte Partei B* Ltd , **, Malta, vertreten durch Mag. Patrick Bugelnig, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 21.932,06 samt Anhang, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 29. Jänner 2025, **-12, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 2.482,62 (darin enthalten EUR 413,77 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte ist eine Kapitalgesellschaft mit Sitz in Malta. Sie bietet über ihre Website Online-Glücksspiele (auch) in Österreich an.
Der in Österreich wohnhafte Kläger nahm über die deutschsprachige Version der Website der Beklagten an von der Beklagten angebotenen Online-Glücksspielen teil und erlitt im Zeitraum von 20.1.2021 bis 17.10.2023 einen Gesamtspielverlust in Höhe des Klagebetrags.
Die Beklagte verfügt über eine maltesische, aber über keine österreichische Glücksspielkonzession.
Der Klägerforderte den Spielverlust samt Zinsen ab 6.8.2024 aus den Titeln der ungerechtfertigten Bereicherung und des Schadenersatzes zurück. Die geschlossenen Verträge seien unwirksam, weil die Beklagte über keine Konzession nach dem GSpG verfüge.
Die Beklagte bestritt und beantragte Klageabweisung. Soweit für das Berufungsverfahren relevant, stützte sie sich im Wesentlichen darauf, dass das österreichische Glücksspielmonopol unionsrechtswidrig sei und selbst bei gegebener Unionsrechtskonformität kein Rückforderungsanspruch des Klägers bestehe.
Mit dem angefochtenen Urteilgab das Erstgericht dem Klagebegehren statt. Es traf die eingangs zusammengefasst wiedergegebenen und die weiteren auf der Seite 3 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen, auf die verwiesen wird. Rechtlich führte es aus, dass es sich bei den Glücksspielen um verbotene Ausspielungen iSd § 2 Abs 4 GSpG handle. Verträge über verbotene Glücksspiele seien gemäß § 879 ABGB nichtig. Daher bestehe ein bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch des Klägers. Nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung entspreche das österreichische Glücksspielmonopol dem Unionsrecht.
Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, das Klagebegehren abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
1. Zur Verfahrensrüge :
Als Stoffsammlungsmangel rügt die Beklagte die unterbliebene Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens aus den Fachbereichen Marktforschung und Werbepsychologie, wodurch unter Beweis hätte gestellt werden können, dass die Werbemaßnahmen der Monopolisten in ihren tatsächlichen Auswirkungen dem Spielerschutz zuwiderliefen. Daraus hätte sich ergeben, dass das österreichische Glücksspielmonopol die unionsrechtlichen Kohärenzkriterien verfehle.
Das Erstgericht hat zum Werbeverhalten der Konzessionsinhaber keine Feststellungen getroffen, weshalb die von der Berufung relevierten Umstände keinen (primären) Stoffsammlungsmangel, sondern nur eine sekundäre Mangelhaftigkeit im Sinn des § 496 Abs 1 Z 3 ZPO begründen könnten, die mit der Rechtsrüge aufzugreifen und im Rahmen von deren Erledigung zu behandeln ist. Einen primären Verfahrensmangel im Sinn des § 496 Abs 1 Z 2 ZPO bringt die Berufungswerberin damit nicht zur Darstellung (vgl RS0043304).
2. Zur Rechtsrüge :
2.1. Die Beklagte macht geltend, dass das österreichische Glücksspielmonopol dem unionsrechtlichen Kohärenzgebot widerspreche. Sie rügt das Fehlen von Feststellungen zu den vom EuGH vorgegebenen Kohärenzkriterien als sekundäre Feststellungsmängel. Insbesondere vermisst sie Feststellungen zu den Werbemaßnahmen, der Geschäftsstrategie und der Ausweitung der Geschäftstätigkeit der Monopolisten sowie zu den Werbepraktiken anderer privater Wirtschaftsteilnehmer und zum Vorliegen staatlicher Politik, die darauf abziele, zur Teilnahme an dem Monopol unterliegenden Glücksspielen zu ermuntern. Dabei stützt sich die Beklagte darauf, dass die im Jahr 2016 ergangene höchstgerichtliche Rechtsprechung im Sinn der vom EuGH verlangten dynamischen Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht mehr aktuell sei.
2.2. Der Oberste Gerichtshof hat – im Einklang mit der Rechtsprechung der beiden anderen österreichischen Höchstgerichte – auf Basis der einschlägigen Judikatur des EuGH in mehreren aktuellen Entscheidungen neuerlich festgehalten, dass das österreichische System der Glücksspiel-Konzessionen einschließlich der Werbemaßnahmen der Konzessionäre im hier relevanten Zeitraum nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben entspricht und nicht gegen Unionsrecht verstößt (siehe etwa 1 Ob 95/23m; 1 Ob 111/23i; 1 Ob 78/24p; 7 Ob 150/24w; 6 Ob 157/24t).
Der vorliegende Fall bietet keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Nach dem klagsgegenständlichen Spielzeitraum sind bereits etliche weitere Entscheidungen des Obersten Gerichtshof ergangen, welche an der bisherigen Judikatur festhalten (insbesondere jüngst 7 Ob 16/25s, 6 Ob 19/25z, 2 Ob 194/24d, 7 Ob 135/24i, 4 Ob 112/24k).
2.3. Mit den von der Beklagten aufgegriffenen Themen hat sich der OGH bereits befasst. Schon zu 4 Ob 31/16m ging er davon aus, dass die Werbung der Konzessionäre auch den Zweck verfolgt, Personen zur aktiven Teilnahme am Spiel anzuregen, die bisher nicht ohne weiteres zu spielen bereit waren, dass durch zugkräftige Werbebotschaften die Anziehungskraft der angebotenen Spiele erhöht sowie neue Zielgruppen zum Spielen angeregt werden sollten und dass die Werbung der Konzessionäre laufend ausgedehnt wurde. Dennoch erachtete er das im GSpG vorgesehene Monopol- bzw Konzessionssystem – unter Berücksichtigung der zwischenzeitig ergangenen Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts – als unionsrechtskonform (1 Ob 229/20p).
2.4. Unter dem Gesichtspunkt der „horizontalen Kohärenz“ releviert die Beklagte, dass das österreichische System der Glücksspielregulierung wegen der ungleichen Behandlung von herkömmlichen Glücksspielautomaten gegenüber Video Lottery Terminals („VLT“) sowie von Online-Sportwetten gegenüber Online-Glücksspiel inkohärent sei.
Die unterschiedlichen Beschränkungen des Angebots von Online-Sportwetten und Online-Glücksspielen begründen aber nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung keine Unionsrechtswidrigkeit (1 Ob 229/20p). Der OGH folgte ebenso der Argumentation des VwGH, wonach auch Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten einem vergleichbaren ordnungs- und aufsichtsrechtlichen Regime wie die im Glücksspielgesetz geregelten Glücksspiele unterliegen und auch diese Regelungen als unionsrechtskonform zu beurteilen sind (3 Ob 72/21s).
Dies steht im Einklang mit der Judikatur des EuGH, wonach der Umstand, dass von verschiedenen Arten von Glücksspielen einige einem staatlichen Monopol und andere einer Regelung unterliegen, nach der private Veranstalter eine Bewilligung benötigen, im Hinblick darauf, dass mit Maßnahmen, die – wie das staatliche Monopol – auf den ersten Blick als am restriktivsten und wirkungsvollsten erscheinen, legitime Ziele verfolgt werden, für sich genommen nicht dazu führen, dass diese Maßnahmen ihre Rechtfertigung verlieren. Derart divergierende rechtliche Regelungen ändern nämlich als solche nichts an der Eignung einer solchen Maßnahme zur Verwirklichung des mit seiner Errichtung verfolgten Ziels, Anreize für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen (EuGH C-920/19, Fluctus/Fluentum , Rn 30 mwN).
2.5. Dem Verlangen der Beklagten nach Tatsachenfeststellungen zur Frage der Unionsrechtswidrigkeit ist entgegenzuhalten:
Grundsätzlich ist die Vereinbarkeit von nationalem Recht mit Unionsrecht als Rechtsfrage von Amts wegen zu prüfen, sodass sich Fragen zu einer Darlegungspflicht (Behauptungslast) nicht stellen. Können aber bei Regelungen, bei denen sowohl der Wortlaut und als auch die erklärte Zielsetzung des Gesetzgebers gegen die Annahme eines Unionsrechtsverstoßes sprechen, ausnahmsweise tatsächliche Umstände zu einem anderen Ergebnis führen, so hat sich diese Prüfung grundsätzlich an diesbezüglichen Parteienbehauptungen zu orientieren. Dabei trifft hier die Beklagte die Verpflichtung zur Behauptung entsprechender Tatsachen, weil es sich beim Einwand der Unionsrechtswidrigkeit um eine anspruchsvernichtende Einwendung handelt (vgl RS0129945).
2.6. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind zwar auch die tatsächlichen Auswirkungen der nationalen Regelungen in die Kohärenzprüfung einzubeziehen (vgl C 390/12, Pfleger , Rn 56), der Begriff „tatsächlich“ ist aber nicht dahin auszulegen, dass die nationalen Gerichte angeleitet werden, „empirisch mit Sicherheit“ das Vorhandensein von bestimmten Auswirkungen der nationalen Regelung nach ihrem Erlass festzustellen (C-464/15, Admiral Casinos Entertainment AGua, Rn 29). Der Rechtsprechung des EuGH lässt sich gerade nicht entnehmen, dass die Kohärenz jeder einzelnen Differenzierung im nationalen Glücksspielrecht durch eine empirische Studie untermauert werden müsste (3 Ob 72/21s mwN).
2.7. Der EuGH setzte sich in einer neueren Entscheidung (C-920/19, 18. 5. 2021, Fluctus/Fluentum) wieder mit dem österreichischen Glücksspielmonopol auseinander und bestätigte seine bisherige Rechtsprechung zu den Grenzen der Zulässigkeit wettbewerbsbeschränkender Maßnahmen. Er ging davon aus, dass für die Prüfung der Kohärenz einer expansiven (Werbe-)Politik des Monopolisten auch Umstände wie aggressive Werbemaßnahmen privater Anbieter zugunsten rechtswidriger Aktivitäten oder die Heranziehung neuer Medien wie des Internets durch private Anbieter zu berücksichtigen seien und eine Inkohärenz von das Glücksspielangebot beschränkenden Maßnahmen nicht allein deshalb anzunehmen sei, weil die Werbepraktiken des Monopolisten darauf abzielen, zur aktiven Teilnahme an den Spielen anzuregen, etwa indem das Spiel verharmlost, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen, erhöht wird (Rn 52 f; vgl 1 Ob 229/20p).
2.8. Die Beklagte bringt keine Tatsachen vor, die eine geänderte Beurteilung rechtfertigen könnten.
2.9. Unter Verweis auf Rechtsprechung des EuGH (EuGH C-390/12, Pfleger ua, Rn 50; EuGH C-685/15, Online Games ua, Rn 50; EuGH C-347/09, Dickinger und Ömer , Rn 54) argumentiert die Beklagte, dass der Staat Österreich die Erforderlichkeit des Glücksspielmonopols entgegen den vom EuGH gestellten Anforderungen nicht dargelegt habe. Dass das Erstgericht hierzu keine Feststellungen traf, rügt sie als sekundären Feststellungsmängel.
Nach der zitierten Rechtsprechung obliegt es dem Mitgliedstaat, der sich auf ein Ziel berufen möchte, mit dem sich eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen lässt, dem Gericht, das über diese Frage zu entscheiden hat, alle Umstände darzulegen, anhand deren dieses Gericht sich vergewissern kann, dass die Maßnahme tatsächlich den sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergebenden Anforderungen genügt (Rs Dickinger und Ömer , Rn 54).
Die von der Beklagten herangezogenen Entscheidungen des EuGH betreffen gerichtliche bzw verwaltungsrechtliche Strafverfahren bzw die verwaltungsrechtliche Beschlagnahme von Spielautomaten. Die zitierten Ausführungen des EuGH sind schon deshalb nicht einschlägig, weil im gegenständlichen Zivilverfahren der Staat nicht Verfahrenspartei ist, die eine Nachweispflicht gegenüber dem erkennenden Gericht treffen könnte.
2.10. Zu der in der Berufung thematisierten Frage einer Verpflichtung zur Notifikation der Bestimmung des § 14 GSpG idF BudgetG 2011, BGBl I Nr. 111/2010, nach Maßgabe der Richtlinie 98/34/EG idF der Richtlinie 98/48/EG und 2006/96/EG („Transparenz-RL“, nunmehr Richtlinie 2015/1535/EU) nahm der OGH zu 3 Ob 200/21i Stellung und kam zum Ergebnis, dass unter Zugrundelegung der einschlägigen Judikatur des EuGH keine Notifikationsverpflichtung für die Bestimmung erkennbar sei. Damit geht auch dieser Einwand der Beklagten ins Leere.
2.11. Die Beklagte führt aus, das GSpG gebiete allenfalls ein Abschluss-, aber kein „Inhaltsverbot“, sodass auch bei einem Verstoß gegen dieses Verbot kein Rückforderungsanspruch bestehe.
Dieser Einwand greift nicht. Die Durchführung einer Ausspielung ohne Konzession ist ein verbotenes Glücksspiel. Was auf der Grundlage eines unerlaubten und damit unwirksamen Glücksvertrags gezahlt wurde, ist rückforderbar (6 Ob 124/16b). Verbotene Spiele erzeugen nicht einmal eine Naturalobligation (RS0134152).
Die Berufung ist daher nicht erfolgreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
Die Revision ist mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.