3Ob91/25s – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Brenn als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und die Hofräte Dr. Stefula und Mag. Schober als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen J*, geboren * 2024, *, Mutter: Dr. K*, vertreten durch Mag. Matthias Strohmayer, Rechtsanwalt in Wien, Vater: Dr. S*, vertreten durch Mag. Thomas Lechner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Obsorge und Kontaktrechts, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 30. April 2025, GZ 43 R 247/24d 53, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Eltern von J* trennten sich bereits vor seiner Geburt. Das Kind lebt im Haushalt der Mutter, der auch die alleinige Obsorge zukommt.
[2] Seit der Geburt von J* kam es zu fünf zeitlich begrenzten Kontakten mit dem Vater bei einer von der Mutter vorgeschlagenen Eltern Kind Beraterin. Zu weiteren Kontakt en kam es nicht, weil die Mutter mittlerweile das Vertrauen zur Eltern Kind Beraterin verloren hat. Die Vertrauensbasis zwischen der Mutter und dem Vater ist gestört und die Kommunikation zwischen ihnen schlecht bzw kaum vorhanden , weil die Mutter Kontakte zum Vater derzeit ablehnt.
[3] Das Erstgerichträumte dem Vater gemäß § 107 AußStrG ein vorläufiges wöchentliches Kontaktrecht in einem Besuchscafé in der Dauer von 30 Minuten für die ersten beiden, von 40 Minuten für die beiden anschließenden und von einer Stunde für alle weiteren Kontakte zum damals fünf Monate alten Kind ein.
[4] Das Rekursgericht wies den von der Mutter erhobenen Rekurs im Umfang der Bekämpfung wöchentlicher Kontakte in der Dauer von 30 Minuten mangels Beschwer zurück. Im Übrigen gab es dem Rekurs nicht Folge. Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte das Rekursgericht für nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[5] In ihrem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs gelingt es der Mutter nicht, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufzuzeigen.
[6] 1.1. Nach ständiger Rechtsprechung setzt jedes Rechtsmittel eine Beschwer voraus ( RS0043815 [insb T29]; 3 Ob 177/24m Rz 6). Diese muss zum Zeitpunkt der Erhebung des Rechtsmittel s gegeben sein und zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel noch fortbestehen, andernfalls ist es als unzulässig zurückzuweisen ( RS0041770 ; RS0002495 [T46]; RS0006880 ). Das gilt auch im Verfahren außer Streitsachen ( RS0006598 ; RS0006880 [T26]).
[7] 1.2. In der Tagsatzung vom 20. Februar 2025 hat sich die Mutter mit wöchentlichen Besuchskontakten des Vaters in einem Besuchscafé in der Dauer von zunächst 30 Minuten sowie mit deren kontinuierlichen Ausdehnung ausdrücklich einverstanden erklärt. Sie hat nur gefordert, die Verlängerung der Kontaktdauer vom positiven Verlauf der vorangegangenen Kontakte abhängig zu machen. Gegen die vom Erstgericht mit den Parteien besprochene Vorgangsweise, eine entsprechende (vorläufige) Regelung der Kontakte zu treffen, den Verlauf der begleiteten Kontakte zu evaluieren und parallel dazu eine Stellungnahme der Familiengerichtsh ilfe einzuholen, hat sich die Mutter nicht ausgesprochen.
[8]1.3. Davon ausgehend begründet die Ansicht des Rekursgerichts, dass durch eine Entscheidung derjenige nicht beschwert sei, der die Entscheidung selbst beantragt (RS0006471; RS0006587) oder dem Antrag, dem stattgegeben wurde, ausdrücklich zugestimmt habe (RS0006771; RS0006598 [T38]), was hinsichtlich der begleiteten wöchentlichen Besuchskontakte in der Dauer von 30 Minuten auf die Mutter zutreffe, kein e vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.
[9] 2. Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter führt zum Zurückweisungsbeschluss des Rekursgerichts (mangels Beschwer) hinsichtlich der Zuerkennung eines vorläufigen wöchentlichen Kontaktrechts in der Dauer von 30 Minuten zu keinem Eingreifen des Obersten Gerichtshofs. Da die Erhebung eines unzulässigen Rechtsmittels den Eintritt der Rechtskraft nicht hindern kann ( RS0041838 [T4]; 2 Ob 235/23g Rz 15; vgl RS0049521), kann die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 107 Abs 2 AußStrG überhaupt vorliegen, nicht mehr releviert werden. Zu prüfen ist demnach nur mehr die die Dauer von 30 Minuten übersteigende Regelung der Besuchskontakte des Vaters.
[10] 3.1. Für die Regelung des Kontaktrechts ist das Wohl des Kindes ausschlaggebend ( RS0047958 ; RS0048062 [T3]; RS0087024). Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, ob und inwieweit einem Elternteil im Hinblick darauf ein Kontaktrecht eingeräumt wird, ist stets eine solche des Einzelfalls, der grundsätzlich keine erhebliche Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zukommt, solange nicht leitende Grundsätze der Rechtsprechung verletzt wurden ( RS0097114 ; RS0087024 [T6, T9]; RS0007101 [T20]). Das giltauch für vorläufige Maßnahmen nach § 107 Abs 2 AußStrG (RS0097114 [T18]; RS0130780 [T4]; RS0007101 [T12]). Eine in diesem Sinn korrekturbedürftige Fehlbeurteilung zeigt der Revisionsrekurs nicht auf.
[11] 3.2. Gemäß § 187 Abs 1 ABGB hat die Regelung des Kontaktrechts nicht nur die Wahrung, sondern auch die Anbahnung des besonderen Naheverhältnisses zwischen Eltern und Kind sicherzustellen. Das Alter, die Bedürfnisse und die Wünsche des Kindes sowie die Intensität der bisherigen Beziehung sind dabei besonders zu berücksichtigen (§ 187 Abs 1 letzter Satz ABGB). Vor diesem Hintergrund sind nach d er Rechtsprechung bei Kleinkindern im Allgemeinen häufigere,jedoch kürzere Kontakte zu bevorzugen (RS0047735 [T11, T13]; 7 Ob 198/14i).
[12]Entgegen der Ansicht der Mutter bezieht sich diese Judikatur nicht nur auf Kleinkinder ab dem zweiten Lebensjahr. Eine solche Einschränkung lässt sich weder dem Gesetz entnehmen noch wäre sie mit dem Grundsatz vereinbar, dass das Kontaktrecht des Kindes und jeden Elternteils ein unter dem Schutz des Art 8 EMRK stehendes Grundrecht der Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist (vgl RS0047754 [insb T19];9 Ob 38/24i Rz 1 ). Die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Kontaktrecht zu Kleinkindern sind daher inBeachtung der in § 187 Abs 1 letzter Satz ABGB genannten Kriterien auch auf Kinder im ersten Lebensjahr anzuwenden (vgl5 Ob 243/02z).
[13] 3.3. Soweit die Mutter belastbare Kriterien und eine darauf aufbauende eingehende Auseinandersetzung mit den Auswirkungen eines Kontakt rechts auf das Wohl von Kleinkindern im Alter von J* vermisst,übersieht sie, dass verlässliche Kontakte sowie sichere Bindungen des Kindes zu beiden Elternteilen gemäß § 138 Z 9 ABGB zu den maßgebenden Kriterien für die Beurteilung des Kindeswohls gehören. Dementsprechend ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Kontakt zu beiden Eltern für eine gedeihliche Entwicklung des Kindes grundsätzlich erforderlich ist und daher im wohlverstandenen Interesse des Kindes liegt ( RS0048072 ; vgl RS0047754 [insb T2, T8]), solange dadurch das Kindeswohl nicht gefährdet wird (vglRS0047955; RS0047754). E ine weitgehende Entfremdung widerspricht dagegen dem Wohl des Kindes, weshalb grundsätzlich eine möglichst rasche, wenngleich behutsame Anbahnung von Kontakten geboten ist. Der Zweck des Kontaktrechts liegt in dieser Situation darin, die Entfremdung durch eine dem Kindeswohl entsprechende Ausgestaltung wieder abzubauen(RS0049070 [T17]; RS0048072 [T8]; 8 Ob 57/19v Pkt 1.) oder wie hier ein Naheverhältnis erstmals aufzubauen.
[14] Angesichts dessen hält sich di e Beurteilung der Vorinstanzen, dass es im Interesse von J* gelegen sei, möglichst früh eine vertrauensvolle Bindung zu seinem Vater zu entwickeln und daraus positive Erfahrungen zu gewinnen, sowie dass es dafür stabiler und verlässlicher Kontakte bedürfe, im Rahmen der Rechtsprechung. Dabei haben sie unter anderem das Alter von J* und die in einem liebevollen sowie behutsamen Umgang zum Ausdruck kommende Zuneigung des Vaters zu ihm berücksichtigt und das Vorliegen kindeswohlgefährdender Umstände verneint. Da die persönlichen Kontakte eine gewisse Intensität haben müssen, um ihrem Zweck, dem Aufbau und der Erhaltung eines Naheverhältnisses, gerecht zu werden (vgl RS0048072 [T 6]; 8 Ob 47/21a Rz 9), hält sich die sukzessive Verlänge rung der Kontakte auf letztlich eine Stunde wöchentlich im Rahmen des den Vorinstanzen zukommenden Entscheidungsspielrau ms. Den Bedenken der Mutter wird durch die Besuchsbegleitung und die Evaluierung der Besuchskontakte ausreichend Rechnung getragen.
[15] 4. Mangels erheblicher Rechtsfrage ist der außerordentliche Revisionsrekurs zurückzuweisen.