2Ob127/25b – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richterin und weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Z*, vertreten durch Mag. Joachim Matt, Rechtsanwalt in Lochau, gegen die beklagte Partei G*, vertreten durch die Advokaten Keckeis Fiel Scheidbach OG in Feldkirch, wegen 21.469,61 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 10. April 2025, GZ 4 R 17/25v 157, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 21. November 2024, GZ 57 Cg 37/19g 149, teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der Beschluss wird aufgehoben und die Rechtssache zur allfälligen Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Aufgrund eines Verkehrsunfalls im Jahr 2000 haftet die Beklagte für 75 % des Verdienstentgangs des Klägers. Die Ansprüche des Klägers wurden vorerst aufgrund der vom Kläger zur Verfügung gestellten Unterlagen außergerichtlich reguliert und dem Kläger der Bruttoverdienstentgang ersetzt. Im Jahr 2019 erfuhr die Beklagte, dass der Kläger nicht nur Geschäftsführer, sondern auch Inhaber eines Taxiunternehmens ist, woraufhin der Kläger trotz Aufforderung durch die Beklagte die Vorlage der Einkommenssteuerbescheide verweigerte. Der Kläger hat die von der Beklagten erhaltenen Zahlungen beim Finanzamt als Einkommen deklariert, es konnte jedoch nicht festgestellt werden, welche Einkommenssteuer der Kläger für die Jahre 2014 bis 2017 tatsächlich entrichtet hat.
[2] Der Kläger begehrt 21.469,61 EUR sA an Verdienstentgang für das Jahr 2018. Zur im Rekursverfahren allein strittigen Gegenforderung brachte er vor, die Höhe der bisherigen Zahlungen sei einvernehmlich festgelegt worden, sodass eine Rückforderung aufgrund der vergleichsweisen Einigung ausgeschlossen sei. Soweit es sich um Zahlungen bis zum Jahr 2015 handle, seien diese Rückforderungsansprüche zudem verjährt.
[3] Die Beklagte hält dem Klagebegehren, soweit für das Rekursverfahren relevant, eine Gegenforderung von „zumindest“ 25.000 EUR entgegen, weil sie stets den Bruttoverdienstentgang abgegolten habe, der Kläger aber keine Steuer abführen habe müssen, sodass ihr ein Rückforderungsanspruch zukomme.
[4] Das Erstgericht stellte fest, dass die Klagsforderung mit 15.090,48 EUR zu Recht, die eingewendete Gegenforderung hingegen nicht zu Recht bestehe, und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 15.090,48 EUR. Das Mehrbegehren wies es (inzwischen rechtskräftig) ab. Die Gegenforderung bestehe nicht zu Recht, weil die Beklagte nicht darauf hingewiesen habe, lediglich die tatsächliche Steuerlast abgelten zu wollen, sodass von einer vergleichsweisen Einigung auszugehen sei, die der Rückforderung einer allfälligen Überzahlung entgegenstehe. Zudem könne nicht festgestellt werden, welche Einkommenssteuer der Kläger in den Jahren 2014 bis 2017 bezahlt habe.
[5] Das Berufungsgericht hob die Entscheidung hinsichtlich der Feststellung des Nichtbestehens der Gegenforderung und der sich daraus ergebenden Zahlungspflicht der Beklagten auf und verwies die Rechtssache insofern an das Erstgericht zurück.
[6] Die Zahlungen der Beklagten in den vorangegangen Jahren seien nicht als Vergleich über den zu ersetzenden Steuerschaden zu qualifizieren, weil die Verdienstentgangsansprüche des Klägers nicht strittig gewesen seien. Da der Nachweis des Steuerschadens für die Beklagte mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten verbunden wäre, sei von einer Verschiebung der Beweislast zu Lasten des Klägers auszugehen, dem diese Informationen ohne weiteres zur Verfügung stünden. Da der Verjährungseinwand im Fall einer vorsätzlichen Täuschung gegen Treu und Glauben verstieße, hänge der Rückforderungsanspruch zudem von weiteren Feststellungen ab. Im fortgesetzten Verfahren werde das Erstgericht die Rechtslage mit den Streitteilen erörtern und dem Kläger Gelegenheit geben müssen, seiner Beweispflicht nachzukommen. Die Beweisrüge der Beklagten zur Negativfeststellung in Bezug auf die Zahlung von Einkommenssteuer für die Jahre 2014 bis 2017 erledigte das Berufungsgericht nicht.
[7] Das Berufungsgericht ließ den Rekurs gegen die aufhebende Entscheidung mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Beweislast bei der Rückforderung von Steuerschadenersatzzahlungen zu.
[8] Dagegen richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, den Beschluss des Berufungsgerichts ersatzlos zu beheben oder dahin abzuändern, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt werde. Inhaltlich wendet sich der Rekurs ausschließlich gegen die Verneinung eines Vergleichs über die Höhe der Zahlungen in den Jahren 2014 bis 2017 und gegen die Annahme einer Verschiebung der Beweislast auf den Kläger.
[9] Die Beklagte beantragt das Rechtsmittel zurückzuweisen, hilfsweise dem Rekurs nicht Folge zu geben.
[10] Der Rekurs ist zulässig , weil dem Berufungsgericht eine auch im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist, er ist im Sinne des darin enthaltenen Aufhebungsantrags auch berechtigt .
Rechtliche Beurteilung
[11] 1. Durch einen Vergleichwerden die Streitigkeiten oder Zweifel über den Bestand eines Rechts dadurch beseitigt, dass beide Parteien nachgeben und einvernehmlich festlegen, in welchem Umfang das Recht als bestehend angesehen werden soll (RS0032661; RS0032674; RS0032681). Die Bereinigungswirkung des Vergleichs hat zur Folge, dass er auch dann gültig bleibt, wenn sich später herausstellt, dass die strittige oder unsichere Forderung tatsächlich nicht bestanden hat (RS0032661). Im vorliegenden Fall wurde aber gar nicht behauptet, dass die Steuerpflicht des Klägers hinsichtlich der von der Beklagten erhaltenen Zahlungen vor dem Jahr 2019 strittig oder unklar gewesen wäre, was der Annahme eines (stillschweigenden) Vergleichs für die Jahre 2014 bis 2017 entgegensteht. In einem solchen Fall steht es der Rückforderung auch nicht entgegen, dass die Zahlungen ohne Vorbehalt erfolgten (RS0033612 [T6]).
[12] 2. Die vom Geschädigten zu zahlenden Steuern stellen einen erstattungspflichtigen Teil des zu leistenden Schadenersatzes für Verdienstentgangdar (RS0031017; RS0031597). Der Geschädigte hat Anspruch auf Ersatz jener Steuerbelastung, die nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge für ihn zu erwarten ist (RS0109819). Die Fälligkeit dieser Steuern ist nicht Voraussetzung ihrer Berücksichtigung bei der Bemessung des Schadenersatzanspruchs (RS0031017 [T7, T8]; RS0031597 [T1]). Ergibt sich aus der Vorschreibung des Finanzamts eine höhere Steuerschuld, als dies ursprünglich angenommen wurde, hat der Geschädigte einen zusätzlichen Vermögensschaden erlitten, der vom Schädiger zu ersetzen ist (RS0109819). Der Bescheid des Finanzamts kann aufgrund der damit verbundenen Bindungswirkung im Schadenersatzprozess nicht inhaltlich überprüft werden, sodass eine Steuerbelastung des Geschädigten, die mit Bescheid festgesetzt wurde, vom Schädiger zu ersetzen ist (2 Ob 210/07g; 2 Ob 1/15h; 2 Ob 71/15b jeweils mwN). Setzen die zuständigen Finanzbehörden die Einkommensteuer des Geschädigten hingegen geringer fest, als dies ursprünglich angenommen wurde, steht dem Schädiger ein bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch zu (2 Ob 210/07g; 2 Ob 228/08f).
[13] 3. Da der Geschädigte damit nur Anspruch auf Ersatz jener Steuer hat, die ihm später vom Finanzamt tatsächlich vorgeschriebenwird, handelt es sich beim Anspruch auf Ersatz der Einkommensteuer um einen bloßen Vorschuss. Der schadenersatzrechtliche Vorschussanspruch rechtfertigt sich in der Überlegung, dass der Geschädigte nicht verpflichtet ist, auf eigenes Kapital zurückzugreifen (RS0030571). Wird ein zu leistender Vorschuss nicht bestimmungsgemäß verwendet, ist der Geschädigte gemäß § 1435 ABGB zu dessen Zurückzahlung verpflichtet (RS0021411). Deshalb ist im Schadenersatzrecht allgemein anerkannt, dass den Geschädigten eine Auskunfts- und Rechnungslegungspflichttrifft (5 Ob 94/13d; Reischauer in Rummel 3§ 1323 ABGB Rz 13; Harrer / Wagner in Schwimann / Kodek 4§ 1323 ABGB Rz 13). Dies gilt auch für die im Rahmen des Verdienstentgangs vorschussweise zu ersetzende Einkommensteuer ( Huber in Schwimann / Neumayr , TaKomm 6§ 1325 ABGB Rz 25). Durch die Verweigerung der Vorlage der Einkommensteuerbescheide hat der Kläger diese Auskunfts- und Rechnungslegungspflicht verletzt.
[14]4. Die grundsätzliche Regel der Beweislastverteilung lautet, dass jede Partei die Voraussetzungen der ihr günstigen Norm zu behaupten und zu beweisen hat (RS0039939). Dementsprechend hat der Anspruchsberechtigte jene Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, aus denen sich sein Anspruch ergibt (RS0039936). Wer eine Leistung zurückfordert, hat deshalb zu beweisen, dass die Schuld, die er mit seiner Leistung begleichen wollte, in Wirklichkeit nicht besteht (RS0033564; RS0033566). Die Beweisnähe rechtfertigt keine Umkehrung der objektiven Beweislast (RS0039939 [T35]). Eine Verschiebung der Beweislast ist auch nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil sich der Beweispflichtige wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls in Beweisnotstand befindet (RS0039939 [T31, T33]). Die Beweislastregel gilt vielmehr auch dann, wenn der Nachweis für den Anspruchsberechtigten schwierig oder sogar unmöglich ist (RS0039939 [T12]). Nach der allgemeinen Beweislastverteilung ist deshalb die Beklagte dafür beweispflichtig, dass die vom Finanzamt festgesetzte Steuerbelastung des Klägers geringer ist, als diese ursprünglich angenommen wurde.
[15] 5. Dennoch hat die Rechtsprechung in der Vergangenheit mitunter eine Verschiebung der Beweislast angenommen, wenn der Anspruchsberechtigte mangels genauer Kenntnis der Tatumstände ganz besondere, unverhältnismäßige Beweisschwierigkeitenhat, während dem anderen Teil diese Kenntnisse zur Verfügung stehen und es ihm daher nicht nur leicht möglich, sondern nach Treu und Glauben auch ohne weiteres zumutbar ist, die erforderlichen Aufklärungen zu geben (RS0039939 [T16, T33]; RS0040182 [T4, T5, T9, T10]). Ob das zutrifft, kann hier aber offen bleiben. Denn im gegenständlichen Fall liegen solche unverhältnismäßigen Beweisschwierigkeiten schon deshalb nicht vor, weil die Beklagte einen Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch gegen den Kläger hat, den sie nötigenfalls klagsweise durchsetzen kann, um auf dieser Grundlage eine allfällige Überzahlung zurückzufordern. Aufgrund des materiellrechtlichen Anspruchs auf Rechnungslegung hätte der Kläger die Vorlage der Einkommensteuerbescheide nach § 304 Abs 1 Z 2 ZPO auch im gegenständlichen Verfahren nicht verweigern dürfen ( Wilfinger in Spitzer / Wilfinger, Beweisrecht § 304 ZPO Rz 7).
[16] 6. Eine Beweislastverschiebung wegen Beweisvereitelung wird in der Lehre abgelehnt ( Rassi , Die Aufklärungs- und Mitwirkungspflichten der nicht beweisbelasteten Partei im Zivilprozess aus österreichischer Sicht, ZZP 121 [2008] 165 [199]; ders , Kooperation und Geheimnisschutz bei Beweisschwierigkeiten im Zivilprozess [2020] Rz 188 ff [statt dessen Berücksichtigung bei der Beweiswürdigung]; Deixler-Hübner, Gesetzliche Normen zur Begegnung von Beweisschwierigkeiten im Zivilprozess, FS Konecny [2022] 53 [59]); der Oberste Gerichtshof ist dem in der Entscheidung 4 Ob 115/17s (RS0040182 [T17] = RS0013491 [T7]) gefolgt. Das trifft – im Einklang mit der oben zitierten Rechtsprechung – jedenfalls dann zu, wenn der beweisbelasteten Partei – wie hier mit dem Auskunftsanspruch – ein anderer Weg zur Beseitigung ihres Beweisnotstands zur Verfügung steht.
[17]7. Wohl aber muss der Umstand, dass der Kläger die Vorlage der Einkommensteuerbescheide verweigert hat, im Rahmen der Beweiswürdigung entsprechend berücksichtigt werden. Denn nach § 272 ZPO hat die Tatsachenfeststellung „unter Berücksichtigung der Ergebnisse der gesamten Verhandlung und Beweisführung“ zu erfolgen. Maßgebend sind daher nicht nur die Beweisergebnisse im engeren Sinn, sondern das gesamte Prozessverhalten der Parteien (4 Ob 20/24f [Rz 11]; Spitzer in Spitzer/Wilfinger, Beweisrecht § 272 ZPO Rz 6; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka 5§ 272 ZPO Rz 1; Rechberger in Fasching/Konecny 3§ 272 ZPO Rz 6; Rassi, Kooperation Rz 61). Beweisvereitelung durch die Gegenseite kann daher letztlich dazu führen, dass die Tatsacheninstanzen das Vorbringen einer Partei auch ohne weitere Beweisergebnisse für wahr halten (vgl 9 Ob 12/05p; 6 Ob 44/09b).
[18] 8. Im Ergebnis bleibt es daher bei der allgemeinen Beweislastverteilung, wonach die Beklagte, die eine Rückforderung beansprucht, nachweisen muss, dass der Kläger für die erhaltenen Zahlungen keine Einkommensteuer entrichten musste. Mangels Verschiebung der Beweislast fällt die diesbezügliche Negativfeststellung des Erstgerichts daher der Beklagten zur Last.
[19]Die Beklagte hat diese Feststellung allerdings in ihrer Berufung bekämpft und statt dessen die Feststellung beantragt, dass der Kläger keine Einkommensteuer zu entrichten hatte. Sie beruft sich damit gerade darauf, dass dem Kläger entgegen der ursprünglichen Annahme keine Einkommensteuer vorgeschrieben wurde. Da sich das Berufungsgericht nicht mit der gegen diese Negativfeststellung erhobenen Beweisrüge befasste, ist das Berufungsverfahren mangelhaft geblieben (RS0043144 [T1, T2]). Der angefochtene Beschluss ist aus diesem Grund aufzuheben. Die Rechtssache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen und diesem aufzutragen, über die in der Berufung der Beklagten geltend gemachte Beweisrüge zu entscheiden. Dabei wird es die in Punkt 7 angestellten Erwägungen zu beachten haben.
[20] 9. Der Kostenausspruchberuht auf § 52 Abs 1 Satz 3 ZPO.