JudikaturJustizBsw3455/05

Bsw3455/05 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
19. Februar 2009

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Große Kammer, Beschwerdesache A. u.a. gegen das Vereinigte Königreich, Urteil vom 19.2.2009, Bsw. 3455/05.

Spruch

Art. 3 EMRK, Art. 5 EMRK, Art. 13 EMRK, Art. 14 EMRK, Art. 15 EMRK - Unbefristete Präventivhaft terrorverdächtiger Ausländer.

Unzulässigkeit der Beschwerde des ZweitBf. hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 3 EMRK und Art. 13 EMRK (einstimmig).

Zulässigkeit der Beschwerde der übrigen Bf. hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 3 EMRK und Art. 13 EMRK (einstimmig).

Zulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK (einstimmig).

Unzulässigkeit der Beschwerde des ZweitBf. und des ViertBf. hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 5 Abs. 4 EMRK (einstimmig).

Zulässigkeit der Beschwerde der übrigen neun Bf. hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 5 Abs. 4 EMRK (einstimmig).

Unzulässigkeit der Beschwerde des ZweitBf. und des ViertBf. hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 5 Abs. 5 EMRK (einstimmig).

Zulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 3 EMRK alleine oder in Verbindung mit Art. 13 EMRK (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK hinsichtlich des ZweitBf. und des ViertBf. (einstimmig).

Verletzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK hinsichtlich der übrigen neun Bf. (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 5 Abs. 4 EMRK hinsichtlich des SechstBf., des SiebtBf., des AchtBf., des NeuntBf. und des ElftBf. (einstimmig).

Verletzung von Art. 5 Abs. 4 EMRK hinsichtlich des ErstBf., des DrittBf., des FünftBf. und des ZehntBf. (einstimmig).

Verletzung von Art. 5 Abs. 5 EMRK hinsichtlich aller Bf. außer des ZweitBf. und des ViertBf. (einstimmig).

Keine gesonderte Behandlung der behaupteten Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: Je € 3.900,- an den ErstBf., den DrittBf. und den SechstBf., € 3.400,- an den FünftBf., € 3.800,- an den SiebtBf., € 2.800,- an den AchtBf., € 3.400,- an den NeuntBf., € 2.500,- an den ZehntBf. und € 1.700.- an den ElftBf. für materiellen und immateriellen Schaden; € 60.000,- für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Die Regierung des Vereinigten Königreichs gab am 18.12.2001 gegenüber dem Generalsekretär des Europarats eine Erklärung nach Art. 15 Abs. 3 EMRK ab. Sie führte aus, angesichts der Terroranschläge vom 11.9.2001 und der weiterhin aufrechten Terrorgefahr bestünde ein öffentlicher Notstand iSv. Art. 15 Abs. 1 EMRK. Um der Bedrohung Herr zu werden, sei es erforderlich, von Art. 5 Abs. 1 EMRK abzuweichen. Teil 4 des Anti-terrorism, Crime and Security Act 2001 ermögliche eine Festnahme und Anhaltung von Ausländern, auch wenn ihre Ausweisung nicht möglich ist und ihre Anhaltung daher nach Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK unrechtmäßig wäre (Anm.: Teil 4 („Einwanderung und Asyl") des am 4.12.2001 in Kraft getretenen Anti-terrorism, Crime and Security Act 2001 ermächtigte den Innenminister (Secretary of State) dazu, einen Ausländer per Zertifikat zu einem „Terrorverdächtigen" (suspected international terrorist) zu erklären, wenn er hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass dieser in terroristische Aktivitäten verstrickt sei und eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstelle. Solche Personen konnten nach § 23 Anti-terrorism, Crime and Security Act 2001 auch dann angehalten werden, wenn ihre Ausweisung aus praktischen oder rechtlichen Gründen – etwa wegen im Zielstaat drohender Folter – nicht möglich war). Da die Anwendung des Anti-terrorism, Crime and Security Act 2001 insofern gegen die völkerrechtlichen Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs verstoßen könnte, erklärte die Regierung, von ihrem Derogationsrecht nach Art. 15 EMRK Gebrauch zu machen. Bereits am 11.12.2001 hatte der Innenminister eine entsprechende Derogationserklärung nach § 14 Human Rights Act 1998 erlassen und dem Parlament zur Kenntnisnahme vorgelegt.

Die vorliegende Beschwerde wurde von elf jener insgesamt 16 Personen erhoben, die aufgrund dieser Gesetzgebung inhaftiert und angehalten wurden. Die ersten sechs Bf. wurden Ende Dezember 2001 inhaftiert, der SiebtBf. Anfang Februar 2002, der NeuntBf. am 22.4.2002, der AchtBf. am 23.10.2002, der ZehntBf. am 14.1.2003 und der ElftBf. am 2.10.2003. Der ZweitBf. entschied sich, das Vereinigte Königreich zu verlassen und reiste am 22.12.2001 nach Marokko aus (Anm.: Der Anti-terrorism, Crime and Security Act 2001 räumte jeder als terrorverdächtig zertifizierten Person die Möglichkeit ein, der Präventivhaft durch freiwillige Ausreise zu entgehen). Der ViertBf. verließ Großbritannien am 13.3.2002 in Richtung Frankreich. Der FünftBf. wurde am 22.4.2004 aus gesundheitlichen Gründen gegen Kaution aus der Haft entlassen und unter streng überwachten Hausarrest gestellt. Die übrigen Bf. wurden wie Strafgefangene, für die eine erhöhte Sicherheitsstufe gilt, im Londoner Belmarsh Gefängnis inhaftiert. Der ErstBf., der SiebtBf. und der ZehntBf. wurden später in die Haftanstalt für psychisch kranke Personen in Broadmoor verlegt.

Aufgrund eines von sieben der Bf. erhobenen Rechtsmittels hob das House of Lords mit Urteil vom 16.12.2004 die Derogationserklärung des Innenministers auf und erklärte, dass § 23 des Anti-terrorism, Crime and Security Act 2001 unvereinbar mit Art. 5 Abs. 1 und Art. 14 EMRK sei (Anm.: Eine solche gerichtliche Erklärung der Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit der EMRK nach dem Human Rights Act 1998 führt nicht zu einer Unwirksamkeit der gesetzlichen Vorschrift. Sie verpflichtet jedoch Regierung und Parlament, eine Prüfung des Gesetzes vorzunehmen).

Die im selben Verfahren erhobenen Einsprüche gegen die individuelle Zertifizierung der Bf. als Terrorverdächtige wurde von der Special Immigration Appeals Commission (SIAC) geprüft. Die Kommission traf in ihrem Grundsatzurteil vom 29.10.2003 einige Feststellungen, die für alle Einsprüche gegen die Zertifizierung galten. Sie stellte unter anderem fest, dass auch durch Folter erlangte Informationen nicht automatisch als Beweismittel ausgeschlossen wären. Diese Rechtsansicht wurde von den Bf. in einer Berufung an den Court of Appeal erfolglos angefochten. Das House of Lords gab einer weiteren Berufung jedoch statt und hielt fest, dass durch Folter erlangte Aussagen vor keinem britischen Gericht verwendet werden dürften, egal durch wen oder auf wessen Anordnung die Folter erfolgt sei. Das House of Lords verwies die Fälle daher zur neuerlichen Entscheidung zurück an die SIAC.

Die SIAC wies in allen elf Fällen die Einsprüche gegen die Zertifizierung der Bf. als Terrorverdächtige ab, wobei sie sich in erheblichem Maße auf geheimes Material stützte (Anm.: Nach den besonderen Vorschriften für ihr Verfahren kann die SIAC nicht nur Material berücksichtigen, das öffentlich gemacht werden kann („offenes Material"), sondern auch Material, das aus Gründen der nationalen Sicherheit geheim bleiben muss. Weder dem Antragsteller noch seinem Rechtsanwalt wird Zugang zu diesem geheimen Material gewährt. Es wurde jedoch für jeden Antragsteller ein special advocate eingesetzt, der Zugang zu diesem Material erhielt. Allerdings durfte der special advocate nicht mehr mit dem Antragsteller oder dessen Rechtsanwalt kommunizieren, sobald er dieses Material eingesehen hatte).

Die Bf. blieben – von den erwähnten Ausnahmen abgesehen – auch nach dem Urteil des House of Lords vom 16.12.2004 in Haft. Der Anti-terrorism, Crime and Security Act 2001 wurde mit Wirkung vom 11.3.2005 durch den Prevention of Terrorism Act 2005 ersetzt. Am 10. bzw. 11.3.2005 wurden die Bf. auf freien Fuß gesetzt und sogenannten Kontrollverfügungen nach dem neuen Prevention of Terrorism Act 2005 unterworfen. Die britische Regierung nahm die nach Art. 15 EMRK abgegebene Derogationserklärung am 16.3.2005 zurück.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behaupten Verletzungen von Art. 3 EMRK (hier: Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung), Art. 5 Abs. 1 EMRK (Recht auf persönliche Freiheit), Art. 5 Abs. 4 EMRK (Recht auf richterliche Haftkontrolle), Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren), Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz) und von Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 3 EMRK alleine und iVm. Art. 13 EMRK:

Die Bf. bringen vor, die unbestimmte Dauer ihrer Haft ohne Aussicht auf Entlassung habe ihnen Leid zugefügt, das über das jeder Freiheitsentziehung innewohnende Maß hinausging. Außerdem behaupten sie, die Haftbedingungen wären unvereinbar mit Art. 3 EMRK gewesen.

1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde:

Der ZweitBf. wurde nach drei Tagen aus der Haft entlassen, nachdem er sich für eine freiwillige Ausreise nach Marokko entschieden hatte. Seine Beschwerde unter Art. 3 und Art. 13 EMRK ist daher offensichtlich unbegründet und für unzulässig zu erklären (einstimmig).

Was die übrigen Bf. betrifft stellt der GH fest, dass ihre Beschwerde komplexe Rechts- und Sachfragen aufwirft, die eine Entscheidung in der Sache erfordern. Da die Beschwerde somit nicht offensichtlich unbegründet ist und auch kein anderer Unzulässigkeitsgrund geltend gemacht wurde, ist sie für zulässig zu erklären (einstimmig).

2. Entscheidung in der Sache:

Der GH ist sich der Schwierigkeiten bewusst, mit denen Staaten beim Schutz ihrer Bevölkerung vor terroristischer Gewalt konfrontiert sind. Umso wichtiger ist es zu betonen, dass Art. 3 EMRK einen der grundlegendsten Werte demokratischer Gesellschaften schützt. Art. 3 EMRK sieht keine Ausnahmen vor und auch eine Derogation im Notstandsfall nach Art. 15 EMRK ist nicht zulässig.

Eine Misshandlung muss ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Dies ist nur dann der Fall, wenn Leid oder Erniedrigung über das mit einer legitimen Behandlung oder Strafe unvermeidbar einhergehende Maß hinausgehen. Die Verhängung einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe ohne jede Aussicht auf Entlassung kann ein Problem unter Art. 3 EMRK aufwerfen.

Drei der Bf. wurden ca. drei Jahre und drei Monate festgehalten, während die übrigen Bf. weniger lang in Haft waren. Während eines großen Teils dieser Freiheitsentziehung konnten die Bf. nicht vorhersehen, wann – wenn überhaupt – sie entlassen würden. Die Ungewissheit über ihre Position und die Angst vor einer endlosen Haft muss ihnen ohne Zweifel große Angst und Leid bereitet haben, wie es nahezu bei jedem Gefangenen in ihrer Position der Fall wäre. Überdies war der Druck wahrscheinlich ausreichend ernst und anhaltend, um die geistige Gesundheit einiger der Bf. zu beeinträchtigen.

Es kann jedoch nicht gesagt werden, dass die Bf. ohne jede Aussicht oder Hoffnung auf Entlassung gewesen wären. Sie konnten die Rechtmäßigkeit ihrer Anhaltung anfechten und die SIAC musste diese alle sechs Monate von Amts wegen überprüfen. Die Situation der Bf. war daher nicht vergleichbar mit einer nicht reduzierbaren lebenslänglichen Freiheitsstrafe.

Was die Haftbedingungen angeht stellt der GH fest, dass jeder einzelne der Bf. die jedem Strafgefangenen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel erheben hätte können. Da sie jedoch keinen Versuch unternahmen, die Haftbedingungen auf diesem Wege anzufechten, haben sie den innerstaatlichen Instanzenzug nach Art. 35 EMRK nicht ausgeschöpft. Der GH kann daher die Beschwerde über die Haftbedingungen nicht prüfen und diese auch nicht in seine Gesamtbeurteilung nach Art. 3 EMRK einbeziehen. Der GH stellt daher fest, dass die Freiheitsentziehung der Bf. nicht die hohe Schwelle einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung erreicht hat.

In Hinblick auf die behauptete Verletzung von Art. 13 EMRK verweist der GH auf seine Feststellung, wonach den Bf. Rechtsbehelfe in Hinblick auf ihre Haftbedingungen zur Verfügung gestanden wären. Zu ihrem Vorbringen, die Freiheitsentziehung verstoße als solche gegen Art. 3 EMRK, erinnert der GH daran, dass Art. 13 EMRK keinen Rechtsbehelf zur Anfechtung der Gesetzgebung garantiert.

Es liegt daher keine Verletzung von Art. 3 EMRK alleine oder in Verbindung mit Art. 13 EMRK vor (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK:

Die Bf. bringen vor, Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK würde eine Anhaltung nicht erlauben, wenn eine Abschiebung wie in ihren Fällen wegen der Gefahr einer Art. 3 EMRK verletzenden Behandlung im Zielstaat unmöglich sei.

1. Zu den Verfahrenseinreden der Bf.:

Die Bf. wenden ein, dass sich die Regierung zur Rechtfertigung der Freiheitsentziehung nicht auf Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK berufen könne, weil sie dieses Argument nicht im innerstaatlichen Verfahren vorgebracht habe.

Nach Ansicht des GH kann sich die Regierung auf Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK berufen, weil sie die Frage der Anwendung von Art. 5 EMRK im Text der Derogationserklärung und im innerstaatlichen Verfahren ausdrücklich offen gelassen hat.

Die Bf. wenden außerdem ein, die Regierung sei nicht berechtigt, vor dem GH die Feststellung des House of Lords zu bestreiten, die Derogation nach Art. 15 EMRK wäre ungültig.

Die vorliegende Situation ist ungewöhnlich, weil Regierungen normalerweise die Entscheidungen ihrer eigenen Höchstgerichte nicht in Frage stellen. Der GH sieht jedoch keinen Grund, warum die Regierung nicht die Möglichkeit haben sollte, alle Argumente zur Verteidigung der in Beschwerde gezogenen Verfahren vorzubringen, selbst wenn sie dabei die Schlussfolgerungen ihres eigenen Höchstgerichts in Frage stellt.

Der GH weist daher die beiden Verfahrenseinreden der Bf. zurück (einstimmig).

2. Zur Zulässigkeit der Beschwerde:

Die Beschwerde unter Art. 5 Abs. 1 EMRK wirft komplexe Sach- und Rechtsfragen auf, die eine Entscheidung in der Sache erfordern. Da dieser Teil der Beschwerde daher nicht offensichtlich unbegründet ist und auch kein anderer Unzulässigkeitsgrund vorliegt, ist er für zulässig zu erklären (einstimmig).

3. Entscheidung in der Sache:

Der GH muss zunächst prüfen, ob die Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK rechtmäßig war. Wenn nämlich diese Bestimmung eine Verteidigung in Hinblick auf die Beschwerde unter Art. 5 Abs. 1 EMRK bietet, erübrigt sich eine Entscheidung über die Gültigkeit der Derogation.

a) Wurde den Bf. nach Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK rechtmäßig die Freiheit entzogen?

Eine Freiheitsentziehung wird nach dem zweiten Halbsatz des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur solange gerechtfertigt sein, wie ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist. Wird ein solches Verfahren nicht mit der gebotenen Sorgfalt geführt, ist die Freiheitsentziehung nicht länger rechtmäßig.

Es kann nicht bestritten werden, dass den Bf. iSv. Art. 5 Abs. 1 EMRK die Freiheit entzogen wurde.

Bei den Bf. handelt es sich um Bürger fremder Staaten, die abgeschoben worden wären, wenn es möglich gewesen wäre, einen Empfangsstaat zu finden, in dem keine Gefahr einer Misshandlung drohte. Der Derogationserklärung, dem Anti-terrorism, Crime and Security Act 2001 und der Entscheidung, die Bf. zu inhaftieren, lag die Annahme zugrunde, dass sie „vorläufig" nicht ausgewiesen oder abgeschoben werden konnten. Es gibt – abgesehen vom ZweitBf. und vom ViertBf. – keine Hinweise dafür, dass während der Zeit der Anhaltung der Bf. eine realistische Aussicht bestand, sie ohne Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Misshandlung abschieben zu können. Die Regierung hat anscheinend bis Ende 2003 auch keine Verhandlungen mit den Herkunftsländern aufgenommen, um eine sichere Rückkehr der Bf. zu ermöglichen. Unter diesen Umständen ist der GH nicht der Ansicht, dass die Vorgangsweise der Regierung, die Möglichkeit einer Abschiebung der Bf. „aktiv im Auge zu behalten" ausreichend bestimmt war, um als „Ausweisungsverfahren" iSv. Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK angesehen werden zu können.

Etwas anderes gilt in Hinblick auf die dreitägige Anhaltung des ZweitBf. und die weniger als drei Monate dauernde Freiheitsentziehung des ViertBf. Da diese Haft der Vorbereitung ihrer Abschiebung diente, liegt in Bezug auf den ZweitBf. und den ViertBf. keine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK vor (einstimmig).

Die Freiheitsentziehung der übrigen neun Bf. fiel hingegen nicht in die Ausnahme des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK. Sie wurden vielmehr in Haft gehalten, weil sie unter dem Verdacht standen, internationale Terroristen zu sein, deren Anwesenheit als Gefahr für die nationale Sicherheit erachtet wurde. Der GH weist das Argument der Regierung zurück, Art. 5 Abs. 1 EMRK erlaube eine Abwägung zwischen dem Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und dem staatlichen Interesse am Schutz seiner Bevölkerung vor der Gefahr des Terrors.

Der GH erinnert an seine Judikatur, wonach Internierung und Präventivhaft ohne Anklage unvereinbar mit dem Recht auf persönliche Freiheit sind, wenn keine gültige Derogation nach Art. 15 EMRK vorliegt. Er muss daher prüfen, ob die Derogationserklärung des Vereinigten Königreichs gültig war.

b) Lag eine gültige Derogation vor?

• Zum Ansatz des GH:

Es ist Sache jedes Konventionsstaats zu entscheiden, ob das „Leben der Nation" durch einen öffentlichen Notstand bedroht ist und wie weit er gehen muss, um diesen Notstand zu überwinden. Dabei kommt den Staaten ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Sie genießen jedoch kein uneingeschränktes Ermessen. Es ist Sache des GH zu entscheiden, ob die Staaten über das hinausgegangen sind, was „die Lage unbedingt erfordert".

Unter den ungewöhnlichen Umständen des vorliegenden Falls, wo das höchste innerstaatliche Gericht entschieden hat, dass ein das Leben der Nation bedrohender Notstand herrschte, die Maßnahmen jedoch über das hinausgingen, was die Lage unbedingt erforderte, wäre es nach Ansicht des GH nur dann gerechtfertigt, zu einem gegenteiligen Schluss zu gelangen, wenn das innerstaatliche Gericht Art. 15 EMRK oder die dazu ergangene Judikatur des GH falsch interpretiert oder angewendet hätte oder zu einer offensichtlich nicht vertretbaren Schlussfolgerung gelangt wäre.

• Zum Vorliegen eines öffentlichen Notstands:

Der Innenminister legte den innerstaatlichen Gerichten Beweise über die Bedrohung durch schwere Terroranschläge vor. Weiteres geheimes Beweismaterial wurde der SIAC unterbreitet. Alle innerstaatlichen Richter akzeptierten, dass die Gefahr glaubwürdig war. Auch wenn zur Zeit der Derogation noch kein Angriff der Al-Qaida im Vereinigten Königreich stattgefunden hatte, können die Behörden angesichts der ihnen damals zur Verfügung gestandenen Informationen nicht dafür kritisiert werden, einen solchen Angriff befürchtet zu haben. Das Erfordernis des Bevorstehens kann nicht so eng ausgelegt werden, dass der Staat das Eintreten der Katastrophe abwarten müsste, bevor er Maßnahmen zu ihrer Abwehr ergreift. Außerdem zeigten die Londoner Bombenanschläge vom Juli 2005 auf tragische Weise, dass die Gefahr äußerst real war.

Entgegen der Ansicht der Bf. hat der GH bislang nie explizit verlangt, dass ein Notstand vorübergehend sein muss. Seine Judikatur zeigt vielmehr, dass ein öffentlicher Notstand iSv. Art. 15 EMRK auch mehrere Jahre andauern kann. Die Derogationsmaßnahmen, die nach den Terroranschlägen in den USA ergriffen und jährlich vom Parlament überprüft wurden, können daher nicht als ungültig angesehen werden, weil sie nicht „vorübergehend" waren.

Die Bf. behaupten, das Leben der Nation sei nicht bedroht gewesen, weil eine solche Bedrohung nur vorliege, wenn die Einrichtungen der Regierung oder das Bestehen der zivilen Gesellschaft in Gefahr sei. Der GH hat jedoch in früheren Fällen anerkannt, dass Notstandssituationen auch bestehen können, wenn die Einrichtungen des Staates nicht in diesem Ausmaß gefährdet erscheinen.

Zwar war das Vereinigte Königreich der einzige Konventionsstaat, der im Wege einer Derogation nach Art. 15 EMRK auf die Bedrohung durch Al-Qaida reagierte, doch ist es Sache jeder einzelnen Regierung als Hüter der Sicherheit ihres Volkes, eine eigene Einschätzung aufgrund der ihr vorliegenden Informationen zu treffen. Dabei muss dem Urteil der Regierung und des Parlaments des Vereinigten Königreichs sowie der Ansicht seiner Gerichte erhebliches Gewicht beigemessen werden.

Der GH teilt daher die Ansicht des House of Lords, dass es einen öffentlichen Notstand gab, der das Leben der Nation bedrohte.

• Zur unbedingten Erforderlichkeit der Maßnahmen:

Die Regierung behauptet, das House of Lords hätte der Regierung und dem Parlament einen viel größeren Ermessensspielraum bei der Entscheidung über die Notwendigkeit der Freiheitsentziehung einräumen müssen.

Wie das House of Lords festgestellt hat, ist die Frage der Verhältnismäßigkeit letztendlich eine gerichtliche Entscheidung. Angesichts der umsichtigen Weise, wie das Höchstgericht die Angelegenheit behandelt hat, kann nicht gesagt werden, dass den Ansichten von Regierung oder Parlament zu wenig Gewicht beigemessen worden wäre.

Die Regierung brachte weiters vor, das House of Lords habe die Gesetzgebung abstrakt geprüft, statt die konkreten Fälle der Bf. zu behandeln.

Nach Ansicht des GH stellt der Ansatz unter Art. 15 EMRK insofern notwendigerweise auf die im betroffenen Land bestehende allgemeine Situation ab, als das – innerstaatliche oder internationale – Gericht die in Derogation der Konventionsrechte getroffenen Maßnahmen prüfen und gegen die Art der durch den Notstand begründeten Bedrohung der Nation abwägen muss. Wenn die Maßnahmen, wie im vorliegenden Fall, als unverhältnismäßig zu dieser Bedrohung und als diskriminierend in ihren Auswirkungen qualifiziert werden, besteht kein Anlass, ihre Anwendung im konkreten Fall jedes einzelnen Bf. zu prüfen.

Das dritte von der Regierung gegen die Entscheidung des House of Lords vorgebrachte Argument richtet sich gegen dessen Ansatz hinsichtlich des Vergleichs zwischen Terrorverdächtigen mit und solchen ohne Staatsbürgerschaft des Vereinigten Königreichs.

Nach Ansicht des GH ist das House of Lords zu Recht davon ausgegangen, dass die umstrittenen Befugnisse nicht als Maßnahme auf dem Gebiet der Einwanderung, wo eine Unterscheidung aufgrund der Nationalität gerechtfertigt wäre, sondern als Maßnahme betreffend die nationale Sicherheit anzusehen seien. Teil 4 des Anti-terrorism, Crime and Security Act 2001 diente der Abwehr einer realen und bevorstehenden Gefahr eines Terroranschlags, die sowohl von Staatsbürgern als auch von Ausländern ausging. Die Entscheidung von Regierung und Parlament, eine Maßnahme der Einwanderungskontrolle heranzuziehen, um eine Sicherheitsangelegenheit zu regeln, führte dazu, dass das Problem nicht angemessen gelöst und einer Gruppe von Terrorverdächtigen die unverhältnismäßige und diskriminierende Last der unbefristeten Freiheitsentziehung auferlegt wurde. Wie das House of Lords feststellte, bestand kein wesentlicher Unterschied in den potentiellen nachteiligen Auswirkungen einer Freiheitsentziehung ohne Anklage auf einen Staatsbürger oder einen Fremden, der das Land aus Furcht vor Folter im Ausland praktisch nicht verlassen kann.

Der GH gelangt daher, wie auch das House of Lords, zu dem Schluss, dass die Derogationsmaßnahmen unverhältnismäßig waren, da sie ohne Rechtfertigung zwischen britischen Staatsbürgern und Angehörigen fremder Staaten unterschieden. In Bezug auf neun Bf. liegt daher eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK vor (einstimmig).

Angesichts dieser Feststellungen ist eine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 5 Abs. 1 iVm. Art. 14 EMRK nicht notwendig (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 5 Abs. 4 EMRK:

Die Bf. bringen vor, das Verfahren vor der SIAC zur Anfechtung ihrer Zertifizierung als Terrorverdächtige und der darauf beruhenden Freiheitsentziehung habe nicht den Anforderungen des Art. 5 Abs. 4 EMRK entsprochen.

1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde:

Art. 5 Abs. 4 EMRK gewährt jeder Person, „die festgenommen oder der die Freiheit entzogen ist" das Recht, die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haft zu beantragen und gegebenenfalls eine Entlassung zu erreichen. Da der ZweitBf. und der ViertBf. sich bei Beginn der verschiedenen Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehungen bereits auf freiem Fuß befanden, ist ihre Beschwerde unter Art. 5 Abs. 4 EMRK offensichtlich unbegründet und für unzulässig zu erklären (einstimmig).

Die Beschwerden der übrigen Bf. werfen komplexe Rechts- und Sachfragen auf, die eine Entscheidung in der Sache erfordern. Dieser Teil der Beschwerde ist daher nicht offensichtlich unbegründet. Da auch kein anderer Unzulässigkeitsgrund vorgebracht wurde, ist er für zulässig zu erklären (einstimmig).

2. Entscheidung in der Sache:

Während die Richter der SIAC sowohl offenes als auch geheimes Material heranziehen konnten, wurde den Bf. und ihren Rechtsanwälten der Zugang zu den geheimen Informationen verwehrt. Dieser wurde nur special advocates gestattet, die zur Vertretung der Bf. bestellt worden waren und diese in den Verhandlungen vertraten. Sobald der special advocate das geheime Material gesehen hatte, durfte er jedoch keinen weiteren Kontakt zu dem Bf., den er vertrat, oder dessen Anwalt haben.

Auch wenn das Vereinigte Königreich keine Derogationserklärung in Bezug auf Art. 5 Abs. 4 EMRK abgegeben hat, muss doch berücksichtigt werden, dass zur Zeit der Anhaltung der Bf. ein starkes Interesse daran bestand, Informationen über die Al-Qaida und ihre Verbündeten zu erlangen und die Quellen solcher Informationen nicht offenzulegen.

Gegen dieses wichtige öffentliche Interesse muss jedoch das Recht der Bf. auf prozessuale Fairness nach Art. 5 Abs. 4 EMRK abgewogen werden. Unter den Umständen des vorliegenden Falls und angesichts der dramatischen Auswirkungen der langen Haft muss Art. 5 Abs. 4 EMRK im Wesentlichen die gleichen Garantien wie Art. 6 Abs. 1 EMRK gewähren.

Von wesentlicher Bedeutung war daher, dass soviel Information über die Vorwürfe und Beweise gegen die Bf. offengelegt wurde, wie möglich war, ohne die nationale Sicherheit oder die Sicherheit Dritter zu gefährden. Der GH sieht keine Hinweise dafür, dass Beweise ungerechtfertigterweise geheim gehalten wurden. Wo eine volle Offenlegung nicht möglich war, erforderte Art. 5 Abs. 4 EMRK, dass die dadurch verursachten Schwierigkeiten so ausgeglichen wurden, dass jeder Bf. trotzdem die Möglichkeit hatte, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe wirksam zu bestreiten.

Der special advocate konnte eine wichtige Rolle beim Ausgleich des Fehlens einer Offenlegung aller Beweise und einer öffentlichen Verhandlung spielen, indem er die Beweise in Frage stellte und in der Verhandlung Argumente zugunsten der Angehaltenen vorbrachte. Er konnte diese Funktion jedoch nicht in einer nützlichen Weise ausüben, solange der Angehaltene nicht ausreichend über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe informiert wurde, um dem special advocate entsprechende Anweisungen geben zu können.

Diese Frage muss anhand der einzelnen Bf. entschieden werden. Der GH stellt jedoch allgemein fest, dass dann, wenn das offene Material die vorherrschende Rolle spielte, nicht gesagt werden kann, dass dem Bf. die Möglichkeit einer wirksamen Bestreitung des Verdachts gegen ihn genommen wurde. Wenn in anderen Fällen die Vorwürfe in dem offenen Material ausreichend spezifisch waren, sollte es für den Bf. möglich gewesen sein, seine Anwälte und den special advocate entsprechend anzuweisen, um diese zu widerlegen, selbst wenn die Beweise selbst geheim blieben. Wenn hingegen das offene Material nur aus allgemeinen Behauptungen bestand und sich die Entscheidung der SIAC, die Freiheitsentziehung aufrecht zu erhalten, in entscheidendem Maße auf geheimes Material stützte, wäre den Anforderungen von Art. 5 Abs. 4 EMRK nicht Genüge getan.

Der GH muss daher das Verfahren gegen jeden einzelnen Bf. im Lichte dieser Kriterien prüfen. Das offene Material gegen den SechstBf., den SiebtBf., den AchtBf., den NeuntBf. und den ElftBf. enthielt detaillierte Informationen über den Kauf spezieller Telekommunikationsausrüstung, den Besitz bestimmter Dokumente, die in Verbindung zu namentlich genannten Terrorverdächtigen standen, und über Treffen mit solchen an bestimmten Zeiten und Orten. Diese Behauptungen waren ausreichend detailliert, um den Bf. zu erlauben, sie wirksam in Frage zu stellen. Der GH stellt daher hinsichtlich dieser fünf Bf. keine Verletzung von Art. 5 Abs. 4 EMRK fest (einstimmig).

Der hauptsächliche Vorwurf gegen den ErstBf. und den ZehntBf. bestand darin, dass sie in die Beschaffung finanzieller Mittel für mit Al-Qaida in Verbindung stehende Terrorgruppen verstrickt waren. Im Fall des ErstBf. gab es offene Beweise für die Bewegung großer Geldmengen über sein Bankkonto, im Fall des ZehntBf. für die Beteiligung an Geldbeschaffung durch Betrug. Die Informationen, die angeblich die Verbindung zwischen der Geldbeschaffung und dem Terrorismus bewiesen, wurden jedoch keinem der Bf. zugänglich gemacht. Die Bf. waren daher nicht in der Lage, die Vorwürfe wirksam zu bestreiten, weshalb der GH in Bezug auf den ErstBf. und den ZehntBf. eine Verletzung von Art. 5 Abs. 4 EMRK feststellt (einstimmig).

Die offenen Vorwürfe gegen den DrittBf. und den FünftBf. waren allgemeiner Natur. Sie bestanden in erster Linie darin, dass sie Mitglieder bestimmter extremistischer islamistischer Gruppen mit Verbindungen zu Al-Qaida wären. Wie die SIAC in ihren Entscheidungen feststellte, waren die offenen Beweise gegen diese beiden Bf. nicht stichhaltig, weshalb sie sich auf das geheime Material stützte. Da auch diese beiden Bf. nicht in der Lage waren, die gegen sie erhobenen Vorwürfe wirksam zu bestreiten, stellt der GH in Bezug auf den DrittBf. und den FünftBf. eine Verletzung von Art. 5 Abs. 4 EMRK fest (einstimmig).

Angesichts dieser Feststellungen ist eine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 5 Abs. 1 iVm. Art. 13 EMRK nicht notwendig (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 5 Abs. 5 EMRK:

Die Bf. beschweren sich über das Fehlen eines Anspruchs auf Haftentschädigung.

Der GH erklärt die Beschwerde des ZweitBf. und des ViertBf. für unzulässig und die Beschwerden der übrigen Bf. für zulässig (einstimmig).

Die festgestellten Verletzungen von Art. 5 EMRK zogen keinen vor den innerstaatlichen Gerichten durchsetzbaren Anspruch auf Schadenersatz nach sich. Daher liegt in Hinblick auf alle Bf. außer dem ZweitBf. und dem ViertBf. eine Verletzung von Art. 5 Abs. 5 EMRK vor (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK:

Die Bf. bringen vor, das Verfahren vor der SIAC sei unvereinbar mit Art. 6 EMRK.

Der GH erklärt diesen Beschwerdepunkt für zulässig (einstimmig), erachtet eine gesonderte Prüfung angesichts seiner Feststellungen zu Art. 5 Abs. 4 EMRK aber nicht als notwendig (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK:

Der GH hat in der Vergangenheit bei unrechtmäßiger Freiheitsentziehung hohe Summen zugesprochen. Der vorliegende Fall ist jedoch grundlegend anders. Nach den Anschlägen vom 11.9.2001 war die Regierung verpflichtet, die Bevölkerung des Vereinigten Königreichs vor terroristischer Gewalt zu schützen. Die im Anti-terrorism, Crime and Security Act 2001 enthaltenen Befugnisse zur Freiheitsentziehung wurden im guten Glauben ausgearbeitet, um die Notwendigkeit der Verhinderung von Terroranschlägen mit der Verpflichtung nach Art. 3 EMRK in Einklang zu bringen, niemanden in ein Land abzuschieben, wo ihm die Gefahr einer Misshandlung droht. Auch wenn der GH festgestellt hat, dass die Derogationsmaßnahmen unverhältnismäßig waren, beruhte dieses Ergebnis im Kern auf der Diskriminierung aufgrund der Nationalität. Überdies wurden alle Bf. nach der Aufhebung des Anti-terrorism, Crime and Security Act 2001 Kontrollverfügungen nach dem Prevention of Terrorism Act 2005 unterworfen. Es kann daher nicht angenommen werden, dass sie, selbst wenn es nicht zu den im vorliegenden Urteil festgestellten Verletzungen gekommen wäre, nicht gewissen Einschränkungen ihrer Freiheit unterworfen worden wären.

Vor diesem Hintergrund rechtfertigen es die Umstände, Summen zuzusprechen, die deutlich niedriger sind als jene, die der GH in anderen Fällen unrechtmäßiger Freiheitsentziehung zugesprochen hat: je € 3.900,– an den ErstBf., den DrittBf. und den SechstBf., € 3.400,– an den FünftBf., € 3.800,– an den SiebtBf., € 2.800,– an den AchtBf., € 3.400,– an den NeuntBf., € 2.500,– an den ZehntBf. und € 1.700,– an den ElftBf. für materiellen und immateriellen Schaden, € 60.000,– für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Lawless/IRL (Nr. 3) v. 1.7.1961, A/3.

Irland/GB v. 18.1.1978, EuGRZ 1979, 149.

Chahal/GB v. 15.11.1996, NL 1996, 168; ÖJZ 1997, 632.

Saadi/GB v. 29.1.2008 (GK), NL 2008, 18.

Kafkaris/CYP v. 12.2.2008 (GK), NL 2008, 24.

Saadi/I v. 28.2.2008 (GK), NL 2008, 36.

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 19.2.2009, Bsw. 3455/05, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2009, 46) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/09_1/A..pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rechtssätze
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