JudikaturJustiz9Ob15/17x

9Ob15/17x – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. April 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshof Dr. Hargassner sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn und Dr. Weixelbraun Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Mag. Wolfgang P. Winkler, Rechtsanwalt in Neudauberg, sowie des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei Mag. J*****, gegen die beklagte Partei Ing. K*****, vertreten durch Dr. Christian Widl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Löschung eines Höchstbetragspfandrechts (Streitwert 150.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 20. Jänner 2017, GZ 43 R 610/16y 75, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1 Die Entscheidung darüber, ob eine Berufungsverhandlung im Einzelfall erforderlich ist, steht seit der Neufassung des § 480 Abs 1 ZPO und dem Außerkrafttreten des § 492 ZPO durch das Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl I 2009/52, generell im Ermessen des Berufungsgerichts (RIS Justiz RS0127242 [T1]). Eine Verpflichtung zur Beweiswiederholung oder -ergänzung besteht nicht (RIS Justiz RS0126298 [T5]).

Das Berufungsgericht hat hier die Stichhaltigkeit der Beweiswürdigung des Erstgerichts anhand der Begründung im Ersturteil überprüft; damit ergibt sich bereits aus der Berufungsentscheidung, dass zur abschließenden Sacherledigung weder die Durchführung einer Beweiswiederholung noch eine Beweisergänzung erforderlich war (7 Ob 180/16w; s auch RIS Justiz RS0126298 [T4]). Für „Willkür“ des Berufungsgerichts gibt es keine Anhaltspunkte. Die Frage, welches „Bewusstsein“ der Beklagte zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Vergleichsabschlusses im Mai 2007 hatte und ob er davon ausgehen konnte, dass die Klägerin von der Belastung des Grundstücks (durch ein erst rund ein dreiviertel Jahr zuvor einverleibtes Höchstbetragspfandrecht zur Besicherung seines Kredits) Kenntnis hatte, vermag für sich allein keine besondere Komplexität des Rechtsstreits im Sinn des § 480 Abs 1 ZPO zu begründen.

1.2 Die Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Beweisrüge ist mangelfrei, wenn sich das Berufungsgericht mit dieser befasst, die Beweiswürdigung des Erstgerichts überprüft und nachvollziehbare Überlegungen in seinem Urteil festhält (RIS Justiz RS0043150). Das Berufungsgericht ist nicht verpflichtet, auf die einzelnen Aussagen und sonstigen Beweisergebnisse einzugehen, wenn es gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts keine Bedenken hegt. Es muss sich auch nicht mit jedem einzelnen Beweisergebnis und jedem Argument des Berufungswerbers auseinandersetzen (RIS Justiz RS0043371 [T18]).

Im vorliegenden Fall hat sich das Berufungsgericht mit den Argumenten der Beweisrüge auseinandergesetzt und es hat erklärt, aufgrund welcher Überlegungen es die sorgfältige Beweiswürdigung des Erstgerichts für unbedenklich erachte. Von „Willkür“ oder einem „Abwürgen einer Berufungsverhandlung“ kann – entgegen der Ansicht des Revisionswerbers – nicht gesprochen werden.

2. In seiner Rechtsrüge wendet sich der Revisionswerber zunächst gegen die vom Berufungsgericht als berechtigt erachtete Anfechtung (Anpassung) des gerichtlichen Vergleichs vom 21. Mai 2007 im Aufteilungsverfahren wegen Arglist. Das Verhalten des Beklagten sei lediglich als fahrlässig zu qualifizieren. Außerdem sei unbestritten, dass im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses das Pfandrecht einverleibt und damit für die Klägerin sichtbar gewesen sei, weshalb der Tatbestand der Arglist (durch unterbliebenen Hinweis seinerseits darauf) schon mangels einer entsprechenden Aufklärungspflicht des Beklagten nicht erfüllt sein könne.

Nach den Feststellungen war es dem Beklagten jedoch bewusst und er dachte auch daran, dass auf der Liegenschaft, die durch den Vergleichsabschluss der Klägerin in deren Alleineigentum übertragen werden sollte, die Belastung mit dem Pfandrecht für seine Kreditverbindlichkeit vorhanden war. Er wies die Klägerin und deren Vertreter jedoch zu keiner Zeit darauf hin. Die Parteien hatten (gerichtlich und außergerichtlich) bereits seit dem Jahr 2004 über eine Ausgleichszahlung für das – zuvor als Ehewohnung genutzte – Haus verhandelt; ein Gutachten über den Wert der Liegenschaft samt Haus stammte aus dem Sommer 2005. Der Beklagte erhielt im Jahr 2006 eine Krediterhöhung jedoch nur gegen Pfandbestellung; daher wurde ein Höchstbetragspfandrecht zugunsten der Bank im Sommer 2006 auf der Liegenschaft einverleibt. Der Beklagte wusste, dass die Klägerin und ihr Vertreter (der nunmehrige Nebenintervenient) keine Kenntnis von diesem Pfandrecht hatten. Es war ihm auch bewusst, dass dieser Umstand wesentlichen Einfluss auf den Willensentschluss der Klägerin für den Inhalt des abgeschlossenen Vergleichs hatte. Die Klägerin hätte den Vergleich nur in dieser Form abgeschlossen, sofern „sichergestellt gewesen wäre, dass das Pfandrecht [...] gelöscht würde“.

Damit sind – entgegen der Ansicht des Revisionswerbers, der in einigen Punkten nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht, – die Voraussetzungen für die Anfechtung nach § 870 ABGB erfüllt. Listige Irreführung liegt nach der Rechtsprechung auch bei Verschweigen bekannter, dem anderen Vertragsteil aber unbekannter Tatsachen vor, wenn der verschweigende Vertragspartner positive Kenntnis davon hat, dass der andere Teil irrt (RIS Justiz RS0014816).

3. Zutreffend weist der Revisionswerber darauf hin, dass Vertragsanpassung nach der Rechtsprechung nur bei einem unwesentlichen Irrtum (wenn das Geschäft mit anderem Inhalt abgeschlossen worden wäre: RIS Justiz RS0082957; auch bei Arglist: RS0014768) und nur dann möglich ist, wenn der Gegner im Zeitpunkt des Kontrahierens hypothetisch den Willen gehabt hätte, gegebenenfalls auch zu den Bedingungen, die der andere Teil nunmehr durchzusetzen bestrebt ist, abzuschließen (RIS Justiz RS0016237). Es trifft allerdings nicht zu, dass eine Vertragsanpassung voraussetzen würde, dass eine „unwesentliche Arglist vorgelegen“ hätte.

Der listig Irregeführte ist nach der Rechtsprechung für die Voraussetzungen der §§ 870 und 872 ABGB behauptungs und beweispflichtig. Es ist aber Sache des Täuschenden, Tatsachen zu behaupten und erforderlichenfalls auch zu beweisen, aus denen sich ein zuverlässiger Schluss dafür ableiten lässt, dass er bei Aufklärung des Irrtums den Vertrag nicht gegen ein angemessenes statt gegen das vereinbarte Entgelt geschlossen hätte (RIS Justiz RS0014792). Allgemein ist die Vertragsanpassung nur dann abzulehnen, wenn positiv feststeht, dass der (arglistige) Vertragspartner nicht zu den geänderten Bedingungen abgeschlossen hätte; andernfalls ist darauf abzustellen, mit welchem Inhalt redliche, nicht in einem Irrtum verfangene Parteien den Vertrag abgeschlossen hätten (3 Ob 23/13y mwN).

Im Anlassfall konnte nicht festgestellt werden, dass der Beklagte den Vergleich in der von der Klägerin gewünschten Form (mit einer Verpflichtung zur Veranlassung der Löschung des vom Beklagten verheimlichten Pfandrechts) nicht abgeschlossen hätte. Damit ist dem Beklagten der von ihm zu erbringende Nachweis dafür, dass ein Vertragsabschluss zu den geänderten Bedingungen nicht zustande gekommen wäre, nicht gelungen. Auch in diesem Punkt vermag die Revision daher keine aufzugreifende Fehlbeurteilung der Berufungsentscheidung darzustellen.

Für die Beurteilung der listigen Irreführung spielt es im Übrigen keine Rolle, ob die Nachteile tatsächlich eingetreten sind, denen sich der irregeführte Vertragspartner mit dem Abschluss des Vertrags ausgesetzt hat. Maßgebend ist allein, dass der listig irregeführte Vertragspartner den Vertrag bei Kenntnis des wahren Sachverhalts nicht geschlossen hätte (RIS Justiz RS0115485; RS0087570 [T3] ua).

4. Eine Anfechtung eines Vertrags wegen List verjährt gemäß § 1487 iVm § 1478 ABGB erst in 30 Jahren ab Vertragsabschluss (1 Ob 184/13k mwN). Der von der Klägerin angefochtene Vergleichsabschluss datiert vom 21. Mai 2007, weshalb sich weitere Erörterungen zur Frage der Verjährung erübrigen.

5. Dem Revisionswerber gelingt es damit insgesamt nicht, eine durch den Obersten Gerichtshof aufzugreifende erhebliche Fehlbeurteilung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

Einer weiteren Begründung bedarf ein Zurückweisungsbeschluss gemäß § 510 Abs 3 Satz 3 ZPO nicht.

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