JudikaturJustiz7Ob148/02v

7Ob148/02v – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Oktober 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schenk, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Erich U*****, und 2. Christine U*****, beide ***** vertreten durch Dr. Jürgen Hinterwirth, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. E***** Cooperation ***** British Virgin Islands, 2. Ilan A***** Tel Aviv, 3. Brigitte R*****, letztere vertreten durch Mag Martin Mennel, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen EUR 18.531,57 samt Anhang, über den Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 22. April 2002, GZ 1 R 77/02m-6, womit der Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch vom 27. Februar 2002, GZ 6 Cg 44/02m-4, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen. Die Kosten des Rekursverfahrens und des Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Kläger begehren mit ihrer am 7.3.2002 beim Erstgericht eingelangten Klage von den Beklagten zur ungeteilten Hand die Bezahlung des Klagsbetrages aus dem Titel des Schadenersatzes. Die Drittbeklagte sei einzige Gesellschafterin und Geschäftsführerin der V***** GesmbH (in der Folge: V*****) mit dem Sitz in Bregenz, deren Geschäftsgegenstand Finanzdienstleistungen sei. Die V***** sei weltweit der einzige Vermittler für diverse Anlageformen (EACC-Vorzugsaktien bzw EACC-Direktbeteiligungen), die die Erstbeklagte seit dem Jahr 1996 angeboten habe. Der Zweitbeklagte sei Präsident der Erstbeklagten und deren Alleinverantwortlicher, er "stehe" als natürliche Person "hinter" der Erstbeklagten. Die Kläger hätten im Jahr 1997 Anlageformen erworben und das Entgelt auf Konten der Erstbeklagten überwiesen. Trotz Zusicherung seien seit dem dritten Quartal 2000 weder die jährliche Festrendite ausbezahlt worden, noch eine Kapitalrückführung getätigt worden. Die Beträge seien offenbar zum überwiegenden Teil für andere Zwecke verwendet worden. Gegen den Zweitbeklagten und die Drittbeklagte sei im Zusammenhang mit Anlagegeschäften Voruntersuchungen wegen des Verdachtes der Verbrechen der Untreue und des schweren Betruges anhängig. Es bestehe nämlich der Verdacht, dass bereits im Zusammenhang mit dem Anbot/Abschluss der gegenständlichen Anlagegeschäfte die Anleger durch unrichtige Angaben im schriftlichen Prospekt und in Zeitungsinseraten oder auch durch mündliche Zusagen über die Art und die tatsächliche Abwicklung der Anlagegeschäfte mit Bereicherungsvorsatz getäuscht worden seien. Die Erstbeklagte hafte aus dem Anlage- bzw Beteiligungsvertrag, der Zweitbeklagte aus dem Anlagebetrug bzw der Untreue, die Drittbeklagte aus der vorsätzlichen Mitwirkung am Anlagebetrug bzw der Untreue.

Hinsichtlich der Erstbeklagten beriefen sich die Kläger (ergänzend) auf die Gerichtsstände nach Art 13, 14 und 5 EuGVÜ/LGVÜ, es handle sich um ein Verbrauchergeschäft. Die VTH sei als weltweit einzige Vermittlerin für EACC-Beteiligungen Agentur bzw sonstige Niederlassung im Sinne des Art 13 EuGVÜ gewesen. Die gesamte örtliche Beratung und Betreuung der Anleger (so auch der Kläger), einschließlich der Vertragsunterfertigung, sei durch die Repräsentanz in Bregenz erfolgt. Hinsichtlich des Zweitbeklagten beriefen sich die Kläger (ebenfalls ergänzend) auf § 92a JN. Er habe wiederholt vor Ort persönlich die Koordination der Anlagegeschäfte durchgeführt, Gelder übernommen und sei darüber hinaus in Österreich allein zeichnungsberechtigt für die Konten der Erstbeklagten gewesen. Die Zuständigkeit der Drittbeklagten gründe sich auf deren allgemeinen Gerichtsstand.

Das Erstgericht wies die Klage gegen die Erstbeklagte und den Zweitbeklagten a limine litis zurück. Bei den British Virgin Islands handle es sich nicht um ein Gebiet, das zur Europäischen Union gehöre. Der Gerichtsstand der Schadenszufügung betreffe lediglich Streitigkeiten über den Ersatz des Schadens, der aus der Tötung oder Verletzung einer oder mehrerer Personen, aus einer Freiheitsberaubung oder aus einer Beschädigung einer körperlichen Sache entstanden sei. Schäden aus Veruntreuungs- oder Untreuetatbeständen seien davon nicht umfasst.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Kläger nicht Folge. Es vertrat die Ansicht, dass eine Klage auch bei Vorliegen eines sanierbaren Mangels internationaler Zuständigkeit a limine litis zurückgewiesen werden dürfe, sofern das EuGVÜ/LGVÜ auf den Rechtsfall nicht anzuwenden sei. Dies sei jedoch nicht der Fall. Der Vermögensgerichtsstand sei für beide Parteien aus dem Vorbringen nicht einmal andeutungsweise indiziert. Das Gericht sei nicht verpflichtet, von Amts wegen nicht behauptete Gerichtsstände einer Prüfung zu unterziehen. Auf Grund des Datums der Klagseinbringung sei das EuGVÜ/LGVÜ auf den Rechtsstreit anzuwenden. § 13 EuGVÜ/LGVÜ komme deshalb nicht zur Anwendung, weil die Begriffe Zweigniederlassung, Agentur und Niederlassung dadurch charakterisiert seien, dass sie der Aufsicht und Leitung des Stammhauses unterlägen. Demnach scheide ein selbständiger Handelsvertreter (Vermittlungsvertreter), aber auch ein selbständiger Handelsmäkler aus. Die V***** sei nur Vermittler der Anlageformen gewesen, und es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass dieses Unternehmen unter Aufsicht oder Leitung der Erstbeklagten gestanden wäre. Der Gerichtsstand nach § 87 Abs 1 JN komme nicht zum Tragen, da die V***** nicht unter dem Namen der Erstbeklagten betrieben worden sei und auch in ihrem Firmenwortlaut kein Hinweis auf die Erstbeklagte enthalten sei. Die behauptete Vermittlungstätigkeit begründe keine Niederlassung. Es lägen daher auch nicht die Voraussetzungen für eine Anscheinsniederlassung vor. Abgesehen davon, dass sich die Kläger auf den Vermögensgerichtsstand nach § 99 Abs 3 JN nicht berufen hätten, sei dieser auch wegen der Behauptung der Vermittlungstätigkeit nicht gegeben. Die Durchführung von Geschäftsbesorgungstätigkeiten sei nicht behauptet worden. Es ergebe sich kein Anhaltspunkt dafür, dass der Zweitbeklagte einen ständigen inländischen Wohnsitz habe oder für einen überwiegenden Zeitraum während eines Jahres im Inland für die Erstbeklagte tätig gewesen sei. Da die Kläger nicht mehr auf ihr Vorbringen zurückkommen, dass die Beklagten den Klägern ex contractu bzw ex delicto zur ungeteilten Hand haften, und daraus weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Rekurs eine internationale Zuständigkeit daraus abgeleitet worden sei, erübrige es sich, darauf einzugehen. Der Gerichtsstand nach § 92a JN sei hinsichtlich des Zweitbeklagten für die Geltendmachung reiner Vermögensschäden aus Vertragsverletzung nicht begründet.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil der Rechtsfrage, inwieweit auch die Anwendung des EuGVÜ/LGVÜ allein nach den Klagsbehauptungen zu prüfen sei und ob und inwieweit fehlende Angaben in diesem Zusammenhang verbesserungsfähig seien und a limine-Zurückweisungen auch in Verbrauchersachen zulässig seien, eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme. Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Kläger mit einem Abänderungsantrag, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig, er ist auch berechtigt.

Bei der Prüfung der Zuständigkeit, auch der inländischen Gerichtsbarkeit (internationale Zuständigkeit), ist gemäß § 41 Abs 2 JN zunächst von den Klagsangaben auszugehen (1 Ob 236/01i; RIS-Justiz RS0046204; Mayr in Rechberger2, § 41 JN, Rz 2). Wird ein anderer als der allgemeine Gerichtsstand in Anspruch genommen, so hat der Kläger schon in der Klage ausdrücklich und konkret jene Tatsachen zu behaupten, die den besonderen Gerichtsstand begründen. Er ist nicht gehalten, Zuständigkeitstatbestände in ihrer rechtlichen Konfiguration zu benennen, er muss aber das erforderliche Tatsachensubstrat vorbringen (7 Ob 202/00g, RIS-Justiz RS0046204). Die Kläger haben zwar in der Klage konkret Gerichtsstände genannt, es kam aber durch ihr Vorbringen nicht hervor, dass sie die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes ausschließlich auf diese Gerichtsstände stützen wollen und nicht auf alle, die sich aus den Klagsangaben ableiten lassen, worauf der Revisionsrekurs zutreffend hinweist.

Nach den Klagsangaben nehmen die Kläger die Beklagten zur ungeteilten Hand in Anspruch und begehren die Rückzahlung der für die Anlageformen bezahlten Beträge aus dem Titel des Schadenersatzes (wegen Vertragsverletzung und Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung). Damit ist zwanglos und zweifelsfrei genügend Tatachensubstrat zur Begründung des Wahlgerichtsstandes nach § 93 Abs 1 JN vorgebracht worden. Dieses Vorbringen erfuhr auch - entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichtes - im Rechtsmittelverfahren keine Änderung, sodass davon bei der umfassenden Prüfung der rechtlichen Beurteilung durch das Rekursgericht ohne Beschränkung auf die vom Rechtsmittelwerber geltend gemachten Gründe auszugehen gewesen wäre. Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft setzt das Vorliegen einer materiellen Streitgenossenschaft voraus (3 Ob 514/94). Eine materielle Streitgenossenschaft liegt nach § 11 Z 1 ZPO vor, wenn die gemeinschaftlich geklagten Personen in Ansehung des Streitgegenstandes in Rechtsgemeinschaft stehen oder aus demselben tatsächlichen Grund oder solidarisch berechtigt oder verpflichtet sind. Jede Solidarverpflichtung reicht also aus, die verpflichteten Personen als Streigenossen nach § 93 Abs 1 JN gemeinsam zu klagen (3 Ob 514/94). Die Solidarschuld setzt keineswegs voraus, dass die gemeinschaftliche Schuld aus demselben Rechtsgrund entstand. Passive Korrealität liegt vor, wenn eine Mehrheit von Schuldnern auf Grund Vertrages oder Gesetzes dem Gläubiger gegenüber in einem persönlichen Verpflichtungsverhältnis für dieselbe Schuld steht, sohin jeder einzelne Schuldner auf Grund eines selbständigen Verpflichtungsgrundes persönlich mit seinem eigenen Vermögen für die Schuld haftet. Wesentlich ist nur, dass eine Erfüllungsgemeinschaft vorliegt und dem Gläubiger das Privileg zukommt, wählen zu können, auf welchen seiner Schuldner er zuerst greifen will (8 Ob 319/97s, 3 Ob 514/94, RIS-Justiz RS0017315). Ist daher neben dem Anspruch auf Schadenersatz auf Grund eines Vertrages ein Dritter deliktisch zum Ersatz desselben Schadens verpflichtet, liegt Korrealität und damit eine materielle Streitgenossenschaft nach § 11 Z 1 ZPO vor (3 Ob 514/94). Dem Gerichtsstand der Streitgenossenschaft unterliegen auch solche Personen, die ihren Wohnsitz in einem Land haben, das kein Vertragsstaat der Europäischen Gemeinschaft ist (vgl RIS-Justiz RS0045425, Mayr in Rechberger2, § 93 JN, Rz 4). Es ist egal, an welcher Stelle ein Beklagter genannt wird, auf den die Zuständigkeitsvoraussetzungen zutreffen. Da bei der Zuständigkeitsprüfung bei Anhängigwerden der Streitsache von den Klagsangaben auszugehen ist (§ 41 Abs 2 JN), bleibt es den Beklagten unbenommen, die Unzuständigkeitseinrede zu erheben, über die das Gericht gesondert zu entscheiden hat (vgl Mayr aaO, § 41 JN, Rz 4, § 93 JN, Rz 4).

Da sich die Zuständigkeit des Erstgerichtes bereits nach § 93 Abs 1 JN zwanglos aus den Klagsangaben ableiten lässt, ist auf die übrigen Rechtsfragen nicht weiter einzugehen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
9
  • RS0024184OGH Rechtssatz

    09. Oktober 2002·3 Entscheidungen

    Von einer Gesamtschuld im Sinne einer passiven Korrealität nach Maßgabe der §§ 891, 893, 896 ABGB kann nur dann gesprochen werden, wenn eine Mehrheit von Schuldnern auf Grund Vertrages oder Gesetzes dem Gläubiger gegenüber in einem persönlichen Verpflichtungsverhältnis für eben dieselbe Schuld steht, sohin jeder einzelne Schuldner auf Grund eines selbständigen Verpflichtungsgrundes persönlich mit seinem eigenen Vermögen für die Schuld haftbar ist. Daraus ergibt sich, daß im Falle einer allgemeinen, bereits unter Lebenden wirksamen Gütergemeinschaft die rein sachliche Haftung (vgl jedoch SZ 18/179) des einen Ehegatten, in dessen Person die Schuld nicht entstanden ist, mangels eines eigenen, persönlichen Verpflichtungsverhältnisses durch die allein bestehende persönliche Verbindlichkeit des anderen Ehegatten, gegen den die Forderung erwachsen ist, ausschließlich bestimmt wird, demnach zum Unterschied vom Fall der passiven Korrealität (§ 894 ABGB) die gleichen Änderungen erfährt wie die Verbindlichkeit selbst. Demnach müssen im Falle der Gütergemeinschaft auch die Rechtswirkungen des Ausgleiches des einen Ehegatten dem anderen nur mit dem Gemeinschaftsgut sachlich haftenden Ehegatten zustattenkommen, so daß dieser nur nach Maßgabe der dem anderen Ehegatten durch den Ausgleich gewährten Stundung in Anspruch genommen werden kann. Desgleichen kann die Bestimmung des § 48 AO gegen den nur mit dem Gemeinschaftsgut sachlich haftenden Ehegatten mangels eines persönlichen Mitverpflichtungsverhältnisses zugunsten der Ausgleichsgläubiger des anderen Ehegatten nicht angewendet werden.