JudikaturJustiz7Ob103/98t

7Ob103/98t – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Juli 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Liselotte Z*****, vertreten durch Dr.Peter Wagner, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Allgemeine S*****gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Walter Rinner, Rechtsanwalt in Linz, sowie die auf seiten der beklagten Partei beigetretene Nebenintervenientin K***** Bau GesmbH, ***** vertreten durch Dr.Winfried Sattlegger, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 80.000,-- samt Anhang und Feststellung (Feststellungsstreitwert S 15.000,--), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 7.Jänner 1998, GZ 13 R 573/97v-34, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 7.August 1997, GZ 9 C 843/96h-25, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist Eigentümerin der Liegenschaft H*****straße 23 (im folgenden Haus Nr.23) in L***** samt dem darauf befindlichen Haus, die beklagte Partei war im April und Mai 1993 Eigentümerin der benachbarten Liegenschaft H*****straße 27 (im folgenden Haus Nr.27) in L*****, auf der sich damals ebenfalls ein Haus befand. Die beiden Häuser grenzten unmittelbar aneinander. Das Haus der Klägerin wurde im Jahr 1866, jenes der beklagten Partei im Jahr 1855 errichtet. Die beklagte Partei war auf Grund des Bescheides des Magistrates der Landeshauptstadt L***** vom 27.9.1990 wegen festgestellter Baugebrechen zur Abtragung ihres Hauses verpflichtet. Die Nebenintervenientin begann am 26.4.1993 über Auftrag der beklagten Partei mit dem Abriß dieses Hauses.

Darüber hinaus stellte das Erstgericht (zum Teil bestritten) fest:

Bereits seit dem Jahr 1987 waren in der Außenfassade und im Hausdurchgang des Hauses der Klägerin Haarrisse ersichtlich, die aber bis zum Beginn der Abbrucharbeiten stabil blieben. Mit der Durchführung der Abbrucharbeiten bildeten sich jedoch massive Risse in der Fassade auf der Hofseite, in der Decke über dem Hausdurchgang, in den Wänden des Durchgangs, auf dem straßenseitigen Teil der Fassade, auf dem stirnseitigen Teil der Fassade, im Gang und im Stiegenaufgang des Hauses sowie im Zimmer im Obergeschoß über dem Durchgang.

Das Haus Nr.23 ist im Bereich der Grundgrenze zum Nachbarhaus Nr.27 im Gegensatz zu diesem nicht unterkellert. Die Ursachen der Rißbildungen liegen in einer unzureichenden Verschließung der Decke über dem Erdgeschoß und/oder in einem Nachgeben des Fundamentes der Außenwand. Die aufgetretenen Bauwerksbewegungen waren ursprünglich durch den Bestand des Hauses Nr.27 begrenzt. Nach Abtragung dieses Objektes konnten durch die geänderten Bauanlageverhältnisse weitere Bewegungen eintreten; mittlerweile sind diese Bewegungen zum Stillstand gekommen. Das Ausmaß der Risse ist derartig groß, daß eine umgehende Sanierung unumgänglich ist. Der Abbruch des Hauses Nr.27 ist kausal zum vermehrten Auftreten von Rissen und einer Vergrößerung der Rißbreite beim Haus Nr.23. Da diese Auswirkungen zeitversetzt zu den Abbrucharbeiten auftraten, ist zu folgern, daß nicht die Art der Durchführung der Abbrucharbeiten, sondern die durch den Abbruch geänderten Bauanlageverhältnisse dafür kausal sind. Ohne Verschließung der Decke über dem Durchgang im klägerischen Haus treten unzulässige Beanspruchungen in der Decke und in der Stirnhaut auf. Schäden aus einer mangelhaften Verschließung sind dem Haus Nr.23 zuzuordnen. Bei der Errichtung des Hauses Nr.23 wäre dieses Haus so zu fundieren gewesen, daß die Standsicherheit unter Berücksichtigung des vorhandenen Kellers des Hauses Nr.27 gegeben gewesen wäre, d.h. die Fundamente wären bis zu den Kellerfundamenten zu führen und der einseitige Erddruck wäre durch Anker aufzunehmen gewesen. Schäden aus einer zu seichten Fundierung oder mangelhaften Verankerung sind dem Haus Nr.23 zuzuordnen.

Vor Beginn der Abbrucharbeiten war davon auszugehen, daß die Häuser Nr.23 und Nr.27 so errichtet wurden, daß jedes Hauses für sich standfest war. Aufgrund der erkennbaren Anlageverhältnisse - keine Unterkellerung des Hauses Nr.23, Risse in diesem Haus, keine erkennbare Baufuge zwischen den Häusern und fehlende Planung der Lage des Bestandes - war bei einem Abbruch des Hauses Nr.27 ein besonders sorgsames Vorgehen erforderlich, da einerseits die Gefahr bestand, das Haus Nr.23 könne zu seicht fundiert sein, andererseits, daß seinerzeit keine ausreichenden Maßnahmen zur Aufnahme des horizontalen Erddruckes vorgenommen worden sind. In beiden Fällen wäre davon auszugehen gewesen, daß der Keller des Hauses Nr.27 eine Stützwirkung ausübt und ein Abtrag Schäden am Haus Nr.23 verursachen kann. Schäden, die aus einem Nachgeben der Fundierung des Hauses Nr.23 im Zuge des Abbruches von Haus Nr.27 resultieren, sind daher anteilig kausal der Durchführung der Abbrucharbeiten zuzuordnen.

Der Keller des Hauses Nr.27 wurde im Anschluß an das Haus Nr.23 nicht abgetragen, sondern hinterfüllt. Durch den Abtrag der Kellerdecke wurde aber die Aussteifung der Kellerwände vermindert und kam es trotz der späteren Hinterfüllung zu Setzungen im Bereich des Hauses Nr.27, welche in weiterer Folge zu den festgestellten Rißbildungen führten. Aus den geringeren Rißbildungen, die vor Abtrag des Hauses Nr.27 vorlagen, waren konstruktive Mängel im Bereich der Decke über dem Durchgang nicht zwingend abzuleiten. Spezielle Maßnahmen für die Abbrucharbeiten - außer einer erhöhten Achtsamkeit im Hinblick auf die bereits gestörte Bausubstanz von Haus Nr.23 - waren daher in diesem Zusammenhang zum damaligen Zeitpunkt im Rahmen der Sorgfaltspflicht nicht zu ergreifen.

Derzeit sind am Haus Nr.23 folgende Sanierungsmaßnahmen durchzuführen: Verschließung des Gewölbes, Rissesanierung, Rückankerung und Unterfangung der Fundierung des Hauses. Folgende Beträge für die Sanierung der durch den Abbruch kausal verursachten Schädigungen am Haus H*****straße Nr.23 wären aufzuwenden:

Verschließung des Gewölbes S 45.000, Sanierung der Risse aus Gewölbe S 32.280, Sanierung der Risse aus Fundierung S 19.368, Sanierung der Risse aus Abbruch S 12.912, insgesamt sohin S 109.560. Aufgrund des Abbruches ist auch weiters die Rückankerung und Unterfangung der Fundierung des Hauses Nr.23 kausal veranlaßt. Ein genaues Schadensausmaß steht hiefür noch nicht fest.

Mit der vorliegenden Klage begehrte die Klägerin unter Berufung auf § 364b ABGB und Schadenersatz ursprünglich die Zahlung von S 80.000 samt Anhang dehnte jedoch in der Tagsatzung vom 7.5.1997 das Leistungsbegehren auf S 100.000 aus - und begehrte die Feststellung, daß die beklagte Partei der klagenden Partei für die Steigerung der Behebungskosten der im Haus H*****straße 23 in L***** aufgetretenen Risse - welche ihre Ursache im Abbruch des Hauses H*****straße 27 im April/Mai 1993 haben - zu haften habe. Der Abbruch des Hauses Nr.27 sei weder den Regeln der Technik noch dem Abbruchbescheid entsprechend erfolgt. Aufgrund der in der Natur ersichtlichen Gegebenheiten hätte der Abbruch nur sehr vorsichtig durchgeführt werden dürfen, um das Haus der Klägerin nicht zu beschädigen bzw dessen Fundament nicht die notwendige Stütze zu entziehen. Überdies habe die Klägerin gemäß § 475 Abs 1 Z 1 ABGB das Recht ersessen, die Last ihres Gebäudes auf das fremde Gebäude H*****straße Nr.27 zu setzen.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren, beantragte die Klagsabweisung und wendete ein, der Abbruch sei den Regeln der Technik entsprechend erfolgt, das Haus der Klägerin habe sich jedoch in unzulässiger Weise an ihrem Haus abgestützt. Die Klägerin sei daher selbst verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen für die Sicherheit ihres Hauses durchzuführen. Sie treffe ein Mitverschulden und eine Verletzung der Schadensminderungspflicht, weil sie nicht für die ordnungsgemäße Absicherung ihres Hauses gesorgt und bei der Bauverhandlung für die Abbrucharbeiten nicht mitgeteilt habe, daß ihr Haus in einem baufälligen bzw zumindest abstützungsbedürftigen Zustand und nicht unterkellert sei. Die beklagte Partei habe die Liegenschaft H*****straße 27 gutgläubig frei von jeglicher Servitut - eine solche sei auch nicht offenkundig gewesen - erworben.

Die auf seiten der beklagten Partei beigetretene Nebenintervenientin schloß sich im wesentlichen diesen Ausführungen an.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der klagenden Partei S 80.000 zu bezahlen und gab dem Feststellungsbegehren statt. Die Klagsausdehnung hinsichtlich der S 20.000,-- ließ es nicht zu, weil die beklagte Partei dieser nicht zugestimmt habe und mit ihrer Zulassung die bezirksgerichtliche Wertgrenze überschritten worden wäre. Dieser in das erstgerichtliche Urteil aufgenommene Beschluß erwuchs unbekämpft in Rechtskraft. Der Klägerin stehe gegenüber der beklagten Grundnachbarin ein verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 364b ABGB zu, weil der Abbruch des Hauses Nr.27 eine Beeinträchtigung der natürlichen bodenphysikalischen Beschaffenheit ihres Grundstückes bewirkt habe und dadurch die Festigkeit und Standsicherheit ihres Hauses erschüttert worden sei. Dem Umstand, daß sich das Haus der Klägerin gegen das Haus Nr.27 abgestützt habe, komme bei der Beurteilung des Ausgleichsanspruches nach § 364b ABGB keine maßgebliche Bedeutung zu, weil nach der Judikatur auch ein schlechter Bauzustand eines Hauses den Nachbarn nicht von seiner Haftung befreie.

Über Berufung der beklagten Partei sowie der auf ihrer Seite einschreitenden Nebenintervenientin hob das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ es mit der Begründung zu, daß eine höchstgerichtliche Entscheidung zum vorliegenden Sachverhalt unter Anwendung des § 364b ABGB bislang nicht ergangen sei. Für einen Ausgleichsanspruch nach § 364b ABGB sei es zwar grundsätzlich gleichgültig, in welchem Zustand sich das Gebäude des Nachbarn vor der Vertiefung befunden habe, der Anspruch bestehe sohin auch, wenn der durch die Vertiefung bedrohte Bau schon vorher schadhaft gewesen sei; sollte die Abtragung des Nachbarhauses allerdings nur unmittelbarer Anlaß für die Sanierung eines schon zuvor die statische Sicherheit gefährdenden Zustandes eines Gebäudes sein, so stehe für diese Kosten kein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch zu. Dieser Aufwand sei dann nämlich durch den Abbruch des Hauses nicht adäquat verursacht worden. Der Grundnachbar hafte nur für die eigene Schadensverursachung, nicht aber für Schäden, die ihre ausschließliche Ursache im schlechten Bauzustand des beschädigten Hauses hätten. Im konkreten Fall bedeute dies, daß jene Kosten, die für die Standsicherheit des Hauses Nr.23 von vornherein erforderlich gewesen seien bzw für die schon bei der Errichtung des Gebäudes notwendigen Maßnahmen aufzuwenden gewesen wären, insbesondere die Rückankerung und Unterfangung der Fundierung bzw die Verschließung des Gewölbes, grundsätzlich von der Klägerin selbst zu tragen seien. Jene Schäden, die ihre Ursache nicht in konstruktiven Mängeln, sondern ausschließlich im Abbruch hätten, seien hingegen im Sinne eines verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruches von der beklagten Partei zu tragen. Hinsichtlich jener Schäden, die einerseits ihre Ursache in den konstruktiven Mängeln des Hauses, andererseits auch im Abbruch hätten - die Risse aus dem Gewölbe und aus der Fundierung - sei differenziert vorzugehen. Falls die beklagte Partei bzw das Abbruchunternehmen nicht alles vorgekehrt habe, um Schäden zu vermeiden, bestehe eine Haftung. Nur wenn die Schäden unvermeidbar gewesen seien, d.h. die angewendeten Sicherungsmaßnahmen hinreichend gewesen und die Risse ausschließlich auf von der beklagten Partei nicht zu vertretende Umstände zurückzuführen gewesen seien und damit nicht zu verhindern gewesen wären, habe auch diese Kosten die Klägerin selbst zu tragen. All diese Ausführungen kämen nur dann zum Tragen, wenn die Klägerin das Recht, die Last ihres Gebäudes auf das Haus H*****straße 27 zu setzen (Servitut gemäß § 475 Abs 1 Z 1 ABGB), nicht ersessen habe. Zur Frage der Ersitzung seien vom Erstgericht keine Feststellungen getroffen worden, sodaß das Verfahren zu ergänzen sei, um - im Fall der Verneinung der Ersitzung der Servitut - bei den vorzunehmenden Sanierungen des Hauses hinsichtlich der allfälligen Ersatzpflicht ausreichend differenzieren zu können. Ein Mitverschulden oder eine Verletzung der Schadensminderungspflicht durch die Klägerin liege nicht vor, weil sich über die Frage, ob eine fehlende Unterkellerung bei Abbrucharbeiten bedeutsam sein könne, grundsätzlich der Bauführer Gewißheit zu verschaffen habe. Im übrigen ergebe sich entgegen der Ansicht des Erstgerichtes keine anteilsmäßige Kürzung des Sanierungsaufwandes zur Behebung der Rißbildungen aus dem Sachverständigengutachten.

Der von der klagenden Partei dagegen erhobene Rekurs ist im Ergebnis nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsmittelwerberin macht im wesentlichen geltend, daß sämtliche Schäden für die Ersatz begehrt werde, durch den Abriß des Hauses Nr.27 adäquat verursacht worden seien. Richtig erkennt die Rechtsmittelwerberin, daß es grundsätzlich gleichgültig ist, in welchem Zustand sich das Gebäude des Nachbarn vor der Vertiefung befunden hat; der Ausgleichsanspruch nach § 364b ABGB besteht auch, wenn der durch die Vertiefung bedrohte Bau schon vorher schadhaft war. Allerdings übersieht die Rekurswerberin, daß - wie auch das Rekursgericht ausführt - die schon vor Beginn der Abbrucharbeiten vorhandenen Risse - jene Haarrisse in der Außenfassade und im Hausdurchgang - nicht von der Ersatzpflicht der beklagten Partei umfaßt sein können, weil es hier schon am Erfordernis der adäquaten Verursachung des Aufwandes durch den Abriß des Nachbarhauses fehlt. Diese Schäden waren schließlich schon vor Beginn der Abbrucharbeiten aufgetreten.

Bei der Beurteilung des allfälligen Ersatzes der übrigen Schäden mißt das Berufungsgericht aber zu Unrecht dem Umstand, daß ein Teil, insbesondere die Risse im Gewölbe auf die fehlende Fundierung, bzw auf konstruktive Mängeln des klägerischen Hauses zurückzuführen sind, andererseits aber auch durch den Abbruch des Nachbarhauses verursacht worden seien, rechtliche Bedeutung zu. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes, daß die beklagte Partei für diese Schäden nur hafte, wenn sie bzw das Abbruchunternehmen nicht alle Maßnahmen vorgekehrt habe, um das Auftreten von Schäden zu vermeiden, daß aber im Falle der Unvermeidbarkeit des Auftretens von Rissen, d.h. wenn die angewendeten Sicherungsmaßnahmen hinreichend gewesen und die Risse ausschließlich auf von der beklagten Partei nicht zu vertretende Umstände zurückzuführen seien, die Klägerin auch diese Kosten zu tragen habe, kann nicht geteilt werden. Damit stellt das Berufungsgericht nämlich auf ein allfälliges Verschulden der beklagten Partei ab, welches mit dem verschuldensunabhängigen Anspruch nach § 364b ABGB nicht zu vereinbaren ist:

Gemäß § 364 b ABGB darf ein Grundstück nicht in der Weise vertieft werden, daß der Boden oder das Gebäude des Nachbarn die erforderliche Stütze verliert, es sei denn, daß der Besitzer des Grundstückes für eine genügende anderweitige Befestigung vorsorgt. Zu der im wesentlichen inhaltsgleichen Bestimmung des § 909 BGB wird die Auffassung vertreten, daß eine Vertiefung keine Unterschreitung des allgemeinen Bodenniveaus voraussetze, sondern auch durch Abgraben eines Hanges erfolgen könne (vgl. Säcker in Münchener Kommentar2 § 909 BGB Rz 8). Für den Nachbarn ergebe sich bei jedem Festigkeitsverlust eines Grundstückes als Folge von bodenrelevanten Grundstücksarbeiten eine gleichartige Störungsbetroffenheit; wesentlich für die Anwendung der Bestimmung des § 909 BGB sei daher, daß das Nachbargrundstück einen Stützverlust erleidet, demnach so darauf eingewirkt wird, daß der Boden in der Senkrechten den Halt verliert oder die unteren Bodenschichten in ihrem waagrechten Verlauf beeinträchtigt werden. Auch in der österreichischen Rechtsprechung wurde die Bestimmung des § 364 b ABGB in diesem Sinne verstanden (vgl. SZ 61/61 mwN). Zweck dieser Bestimmung ist offensichtlich ganz allgemein die Sicherung der Festigkeit und Standsicherheit des Nachbargrundstückes gegen Vorkehrungen, die einen Eingriff in die natürliche bodenphysikalische Beschaffenheit des Nachbargrundstückes bewirken. Die allfällige Ortsüblichheit spielt bei Ansprüchen nach § 364b ABGB keine Rolle (vgl. SZ 61/61 mwN). Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nach § 364b ABGB ist nach der bisherigen Rechtsprechung unter den Voraussetzungen des § 364a ABGB, auf dessen Wertung abzustellen ist, verschuldensunabhängig (vgl. SZ 61/61 mwN). Die Neuregulierung des Nachbarrechtes durch die §§ 364 ff ABGB durch die III.TN bezweckte, die schon vorher strittige Kollision gleicher Rechte zu regeln, nämlich zwischen zwei Grundeigentümern, von denen jeder zwar nach § 362 ABGB berechtigt ist, frei über sein Eigentum zu verfügen und in der Regel seine Sache nach Willkür zu benützen, andererseits nach § 364 Abs 1 ABGB bei der Ausübung des Eigentumsrechtes in die Rechte eines Dritten nicht eingreifen darf. Die erklärte Absicht des Novellengesetzgebers, die Lücke durch ein richtiges Mittelmaß zwischen der Abwehr gegenseitiger Schädigungen und Belästigungen der Grundeigentümer einerseits und der Gewähr der volkswirtschaftlichen notwendigen Bewegungsfreiheit vor allem industrieller Unternehmen, andererseits in klarer Weise zu schließen (vgl. 78 BlgHH, 21.Session, 162), wurde jedoch nicht befriedigend verwirklicht (vgl. Rummel, Ersatzansprüche bei summierten Immissionen, 13; Herz in ÖJZ 1967, 7; 7 Ob 2062/96b mwN). Im besonderen läßt der dem § 909 BGB nachgebildete § 364 b ABGB, der den Fall des Eingriffs durch Vertiefung des eigenen Grundes regelt, infolge der Nennung eines bloßen Verbotes ohne Bestimmung klarer Rechtsfolgen im Gesetzeswortlaut offen, ob es sich dabei um einen Fall gleich der anerkannten Eingriffshaftung des § 364 a ABGB oder der sonst grundsätzlichen Verschuldenshaftung handelt (vgl. SZ 48/61).

Verfehlt ist die Ansicht einer älteren Entscheidung (Rsp 1935, 234), daß die III.TN bei der Schaffung des § 364b ABGB absichtlich von der Modellvorschrift des § 909 BGB abgehen wollte und nur im Verwaltungsweg geprüft werden dürfe, ob die Grundvertiefung durch eine behördlich genehmigte Anlage vom Verwaltungsbescheid abweiche oder nicht, weil sich, was § 364 b ABGB betrifft, genau das Gegenteil aus den Materialien ergibt (vgl 78 BlgHH, 21 Session, 164). Tatsächlich hat die deutsche Rechtsprechung zu § 909 BGB den verwaltungsbehördlich genehmigten Vertiefungen des Nachbargrundstückes nicht die Bedeutung zugemessen, daß dadurch der Unterlassungsanspruch nach § 909 BGB verlorenginge (vgl. Säcker aaO Rz 6). Auch in der österreichischen Rechtsprechung wurde wiederholt die Auffassung vertreten, daß eine Baubewilligung und dementsprechend ein Abbruchbescheid im Hinblick auf einen Anspruch nach § 364 b ABGB nicht die privatrechtlichen Beziehungen der beiden Grundnachbarn beeinflussen könne und daß eine Baugenehmigung nur den hohen Anschein einer Gefahrlosigkeit und der damit verbundenen Rechtmäßigkeit der Grundstücksvertiefung schaffe, daß aber das Handeln des Bauführers in dem Augenblick wieder sorgfalts- und damit rechtswidrig wird, wenn eine Gefährdung des Nachbargrundstückes erkennbar wird (EvBl.1981/155 = JBl.1981, 534; SZ 56/158 = MietSlg.35.029 sowie 7 Ob 573/92).

§ 364b ABGB verbietet sohin Baumaßnahmen im Bereich bzw unter der Erdoberfläche auf dem eigenen Grundstück auf eine Weise, daß dem Nachbargrund dadurch die Stütze entzogen wird, ohne daß das ortsübliche Maß überstiegen werden muß (JBl 1993, 188; MietSlg 21/17 ua; Oberhammer in Schwimann, ABGB2 Rz 2 zu § 364b).

Der daraus resultierende Ersatzanspruch gegen den Nachbarn ist auf den Ausgleich aller nachteiligen Auswirkungen von Veränderungen an Grund und Boden auf die Nachbarliegenschaft gerichtet, in erster Linie aber auf die Wiederherstellung des vorigen Zustands durch Behebung der eingetretenen Schäden (Oberhammer aaO Rz 5), etwa durch Wiederherstellung der erforderlichen Stütze, nicht aber auf die Herstellung einer anderweitigen genügenden Befestigung gerichtet (vgl SZ 41/74; Oberhammer aaO Rz 5). Der Ausgleichsanspruch ist einem Entschädigungsanspruch aus Anlaß der Enteignung gleichzustellen (SZ 65/38) und richtet sich auf volle Genugtuung (SZ 43/139 mwN; SZ 25/67 = JBl 1953, 17 ua; Spielbüchler aaO Rz 9 zu § 364a ABGB mwN; Oberhammer aaO Rz 57 zu § 364 ABGB). Für die Berechnung des zu ersetzenden Interesses sind die subjektiven Verhältnisse des Geschädigten maßgebend (SZ 65/38 mwN). Es ist nach dem Wert der beschädigten oder zerstörten Sache gerade im Vermögen des Geschädigten zu fragen. Dies geschieht mit Hilfe der "Differenzmethode": Das zu leistende Interesse besteht in der Differenz zwischen der Vermögenslage des Geschädigten, wie sie sich im Beurteilungszeitpunkt ohne schädigendes Ereignis darstellen würde, und dem nach dem schädigenden Ereignis nun tatsächlich vorhandenen Vermögensstand (Koziol-Welser, Grundriß I10 459 f).

Auch auf einen Ausgleichsanspruch nach § 364b ABGB ist in analoger Anwendung des § 364a ABGB die Bestimmung des § 1323 ABGB anzuwenden (Oberhammer aaO Rz 56 zu § 364 ABGB); danach ist der Schaden in erster Linie durch Zurückversetzung in den vorigen Stand (Naturalrestitution) auszugleichen: Der Geschädigte ist demnach primär real so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis gestellt wäre (SZ 63/53). Da der Schädiger grundsätzlich das gesamte subjektiv zu berechnende Interesse zu ersetzen hat (SZ 65/38; Koziol aaO 203), dürfen der Tunlichkeit der Wiederherstellung (§ 1323 ABGB) keine engen Grenzen gezogen werden.

Berücksichtigt man die dargelegten Grundsätze, ergibt sich folgendes:

Die von der Klägerin begehrten Kosten für die Rißbehebung und Verschließung der Decke sind - mehr wird von ihr gar nicht begehrt -, soweit sie sich nicht einen Abzug für die Kosten der Behebung der ursprünglich vorhandenen kleinen Risse gefallen lassen muß, jedenfalls berechtigt (allerdings fehlen Feststellungen darüber, welcher Reperaturaufwand für die Behebung der schon vor Beginn der Abbruchsarbeiten vorhandenen Risse erforderlich gewesen wäre); ansonsten kommt es auf die Schadhaftigkeit des klägerischen Gebäudes vor den Abbrucharbeiten der Beklagten nicht an. Die gar nicht begehrten Kosten einer zusätzlichen Fundamentierung bzw einer Verankerung des klägerischen Hauses sind nicht aktuell, weil dieses seine Standfestigkeit offenbar wieder erlangt hat.

Auf die von der Klägerin als ersessen behauptete Servitut, ihr Gebäude an jenes der Beklagten anlehnen zu dürfen, ist schon allein aufgrund ihres eigenen Vorbringens nicht weiter einzugehen; denn eine Servitut kann nur dann ersessen werden, wenn sie der Ausübende durch 30 Jahre im Bewußtsein der rechtmäßigen Ausübung für den Eigentümer des dienenden Grundstückes erkennbar vornimmt (vgl Mader in Schwimann ABGB**2 § 1460 Rz 10 f). Dies ist beim "Sichanlehnen eines Hauses an das andere" schon allein begrifflich nicht vorstellbar.

Zusammenfassend ergibt sich daher, daß der Klägerin grundsätzlich verschuldensunabhängig alle durch den Abbruch des Nachbarhauses kausal verursachten Schäden an ihrem Haus zu ersetzen sind und daß nur jene Schäden, die bereits davor bestanden haben, mit einem entsprechenden Abschlag in Abzug zu bringen sind, daß sie aber über die Sicherung der Standfestigkeit ihres Hauses hinaus keine Verbesserungen von der beklagten Partei fordern kann. Der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes erweist sich daher im Ergebnis als berechtigt.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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