JudikaturJustiz5Ob90/21b

5Ob90/21b – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. November 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J* N*, vertreten durch Mag. Andreas Friedl, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die beklagte Partei H* F*, vertreten durch Dr. Christian Hirtzberger, Rechtsanwalt in St. Pölten, wegen 5.270 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 5.001,17 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 2. Dezember 2020, GZ 21 R 195/20i 27, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 27. August 2020, GZ 7 C 134/19a 22, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 501,91 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 83,65 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger gewährte dem Beklagten im Jahr 2017 ein Darlehen von 5.270 EUR. Dieses Darlehen war nach der dazu getroffenen Vereinbarung bis spätestens Jänner 2018 zurückzuzahlen.

[2] Mit Mahnklage begehrte der Kläger, den Beklagten zur Rückzahlung des Darlehens zu verpflichten. Aufgrund des (zunächst) unbeeinsprucht gebliebenen Zahlungsbefehls vom 8. 5. 2019 wurde dem Kläger zur Hereinbringung seiner Forderung die Forderungsexekution nach § 294a EO gegen den Beklagten bewilligt. Der Drittschuldner leistete daraufhin an den Kläger Zahlungen in Höhe von insgesamt 5.001,17 EUR.

[3] Mit Beschluss vom 22. 11. 2019 wurde dem Beklagten im Titelverfahren die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung eines Einspruchs gegen den Zahlungsbefehl vom 8. 5. 2019 bewilligt. Das Exekutionsverfahren wurde daraufhin mit Beschluss vom 17. 1. 2020 gemäß § 39 Abs 1 Z 1 EO eingestellt. Alle schon vollzogenen Exekutionsakte wurden aufgehoben.

[4] In seinem mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundenen Einspruch bestritt der Beklagte das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach. Zur Konkretisierung seines Bestreitungsvorbringens brachte er in der Folge vor, dass der Kläger und der Beklagte keinen Darlehensvertrag geschlossen hätten und der Kläger dem Beklagten auch kein Geld gezahlt und keine Geldbeträge übergeben habe. Tatsächlich schulde der Kläger dem Beklagten Geld. Der Kläger habe nämlich titellos 4.000 EUR aus der Gehaltsexekution erhalten und sich somit unrechtmäßig bereichert. Dieser Betrag werde als Gegenforderung geltend gemacht. In der Verhandlung vom 11. 3. 2020 bezifferte der Beklagte den Betrag, den der Kläger aufgrund der bewilligten Drittschuldnerexekution insgesamt erhalten habe, mit 5.001,17 EUR. Hilfsweise, also „für den Fall, dass das Gericht von einer Darlehensgewährung ausgehe“, werde daher „Zahlung eingewendet“. Das „Vorbringen, dass der Betrag von 5.001,17 EUR als Gegenforderung eingewendet wird“, zog der Beklagte hingegen ausdrücklich zurück. Der Kläger stellte die Tatsache und Höhe der Zahlungen der Drittschuldnerin außer Streit. Nach Erörterung (unmittelbar vor dem Schluss der Verhandlung) erklärte er, das Klagebegehren nicht einzuschränken.

[5] Das Erstgericht gab der Klage statt. Der Kläger habe dem Beklagten auf der Grundlage des geschlossenen Darlehensvertrags 5.270 EUR übergeben. Der Beklagte sei zur Rückzahlung dieses Betrags verpflichtet. Eine Einschränkung des Klagebegehrens aufgrund des exekutiv erlangten Teils der Darlehensforderung habe nicht zu erfolgen gehabt, weil keine Zahlung oder anderweitige Erfüllung durch den Beklagten vorliege. Der Beklagte habe das Klagebegehren vielmehr immer bestritten.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts. Die bewilligte Wiedereinsetzung und der unter einem erhobene Einspruch habe den Exekutionstitel beseitigt. Damit sei zwar der Rechtsgrund für das Behalten der exekutiv bewirkten Zahlungen durch den Drittschuldner weggefallen. Eine Einstellung nach § 39 Abs 1 Z 1 EO unter gleichzeitiger Aufhebung aller bis dahin vollzogenen Exekutionsakte führe aber nicht dazu, dass der Drittschuldner ausbezahlte Beträge wieder zurückfordern oder die betreibende Partei diese Beträge im Zug des Exekutionsverfahrens zurückerstatten müsse. Der Wegfall des Exekutionstitels habe vielmehr lediglich einen bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch des Beklagten begründet. Der Beklagte habe hier seine Aufrechnungseinrede aber nicht aufrechterhalten, sondern sich auf eine (teilweise) Tilgung der Darlehensforderung durch die exekutiv hereingebrachten Zahlungen berufen. Die Zahlungen durch den Drittschuldner hätten aber nicht zur Tilgung der Darlehensforderung geführt, weil diese Zahlung auf den „scheinrechtskräftigen“ Zahlungsbefehl und damit auf eine Judikatsschuld und nicht auf die Vertragsschuld hin erfolgt sei. Ähnlich wie bei einer außerordentlichen Revision könne die Zahlung in der Exekution aufgrund eines scheinrechtskräftigen Exekutionstitels nicht sofort zur Tilgung des materiell-rechtlichen Anspruchs führen. Die Zahlung durch den Drittschuldner habe vielmehr infolge der Beseitigung des Exekutionstitels keinen Einfluss auf den Bestand des materiell-rechtlichen Anspruchs gehabt. Der Wegfall des Exekutionstitels habe lediglich einen bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch des Beklagten begründet. Erst mit der Rechtskraft der Entscheidung in diesem Verfahren wandle sich die Vertrags-, konkret die Darlehensschuld wieder in eine Judikatsschuld um und der Beklagte könne sich erst nach Rechtskraft des Urteils erfolgreich auf die (teilweise) Tilgung durch die bereits erfolgte Zahlung des Drittschuldners berufen.

[7] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu. Zur Frage, ob exekutiv hereingebrachte Zahlungen im Fall der Einstellung einer Exekution nach § 39 Abs 1 Z 1 EO infolge Wegfalls eines Zahlungsbefehls wegen Bewilligung der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung eines Einspruchs zur Tilgung des mit der Mahnklage geltend gemachten Anspruchs führen, fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.

[8] Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Beklagten. Er macht unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, das im Umfang des Zuspruchs von 5.001,17 EUR angefochtene Urteil im [richtig] klageabweisenden Sinn abzuändern. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[9] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung , die Revision nicht zuzulassen, hilfsweise dieser nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

[11] 1.1. Gemäß § 39 Abs 1 Z 1 EO ist die Exekution unter gleichzeitiger Aufhebung aller bis dahin vollzogener Exekutionsakte einzustellen, wenn der ihr zugrunde liegende Exekutionstitel durch rechtskräftige Entscheidung für ungültig erkannt, aufgehoben oder sonst für unwirksam erklärt wurde.

[12] 1.2. Die „gleichzeitige Aufhebung aller bis dahin vollzogenen Exekutionsakte“ nach § 39 Abs 1 EO führt nicht dazu, dass der Drittschuldner in Beachtung der Forderungsexekution schon ausbezahlte Beträge von dieser wieder zurückfordern muss oder dass etwa die betreibende Partei diese Beträge im Zug des Exekutionsverfahrens zurückerstatten muss (3 Ob 27/86 = RIS Justiz RS0001114).

[13] 1.3. Dem Verpflichteten, der aufgrund eines gemäß § 39 Abs 1 Z 1 EO nachträglich für ungültig erkannten, aufgehobenen oder sonst für unwirksam erklärten Exekutionstitel geleistet hat, steht vielmehr in der Regel ein bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch zu.

[14] Die Bestimmung des § 1435 ABGB wird nach ständiger Rechtsprechung über ihren Wortlaut hinaus als Grundlage für die Anerkennung eines Rückforderungsanspruchs wegen Wegfalls des Grundes und Nichteintritts des erwarteten Erfolgs verstanden (RS0033952). Er greift nicht nur bei Wegfall des Geschäftszwecks ein, sondern allgemein bei Wegfall jener Umstände, die nach Interessenabwägung und nach dem Sinn des Geschäfts die Grundlage der Leistung bildeten (RS0033931). Der Bestimmung des § 1435 ABGB sind demnach der Wegfall der Schuld, der Wegfall einer sonstigen Leistungsgrundlage oder der Nichteintritt einer erwarteten Entwicklung zu subsumieren (1 Ob 663/85).

[15] Davon ausgehend hat der Oberste Gerichtshof dem Verpflichteten im Fall des nachträglichen Wegfalls eines vollstreckbaren, in der Folge aber mit außerordentlicher Revision erfolgreich bekämpften Urteils einen Rückforderungsanspruch nach § 1435 ABGB zuerkannt (1 Ob 663/85 = RS0001153; 7 Ob 6/04i; 4 Ob 230/18d; vgl auch 6 Ob 54/12b). Im Fall einer außerordentlichen Revision fallen die Vollstreckbarkeit und Rechtskraft des Urteils nicht zusammen. In diesem Fall bestehen der materiell-rechtliche, klageweise geltend gemachte Anspruch und die vollstreckbare, noch nicht rechtskräftig festgestellte Judikatschuld aufgrund des Berufungsurteils bis zur Rechtskraft der Entscheidung über den Klageanspruch bzw Aufhebung des Berufungsurteils durch den Obersten Gerichtshof nebeneinander. Zahlung der Judikatschuld während des Schwebezustands führt somit nicht sofort zu einer Tilgung des materiell-rechtlichen Anspruchs. Hebt der Oberste Gerichtshof die Entscheidung der Vorinstanzen auf, steht dem Leistenden noch vor Abschluss des fortzusetzenden Verfahrens ein Rückforderungsanspruch nach § 1435 ABGB zu, weil der Grund der Bezahlung, nämlich das vollstreckbare Urteil, nachträglich weggefallen ist (RS0087797).

[16] Der Oberste Gerichtshof stellte mit dieser Rechtsprechung auf das materiell-rechtliche Faktum des tatsächlichen Bestehens eines Urteils als Leistungsgrund sowie auf dessen nachträgliches Erlöschen ab (4 Ob 230/18d). Diese Rechtsprechung ist daher auf andere Fälle der Beseitigung des Exekutionstitels iSd § 39 Abs 1 Z 1 EO zu übertragen. Das gilt jedenfalls auch für den hier zu beurteilenden Fall der Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung eines Einspruchs gegen einen Zahlungsbefehl.

[17] 1.4. Dieser bereicherungsrechtliche Rückforderungsanspruch gebührt dem Verpflichteten auch bei Zahlungen, die ein Drittschuldner aufgrund einer Forderungsexekution vor deren Einstellung an den betreibenden Gläubiger geleistet hat. Die betreibende Partei hat diese Beträge im Zug des Exekutionsverfahrens nicht zurückzuerstatten (3 Ob 27/86 = RS0001114), gleichzeitig wird der Drittschuldner nach dem Verhältnis der von ihm an den betreibenden Gläubiger geleisteten Zahlung von seiner Verbindlichkeit befreit (§ 313 Abs 1 EO). Die Zahlung des Drittschuldners ist daher im gegebenen Zusammenhang einer Zahlung des Verpflichteten gleichzuhalten. Durch den Wegfall der Rechtsgrundlage für das Behalten dieser Zahlung entsteht ein Bereicherungsanspruch des Verpflichteten.

[18] 2.1. Der Rückforderungsanspruch des Beklagten könnte (nur) im Weg der Aufrechnung die Tilgung der Klageforderung bewirken. Im Prozess kann die Aufrechnung dabei als Schuldtilgungseinwand, der sich auf eine (vor oder während des Prozesses) bereits vollzogene (außergerichtliche) Aufrechnung stützt, oder durch prozessuale Aufrechnungseinrede geltend gemacht werden (RS0033915 [T2]; RS0040879 [T1]).

[19] 2.2. Die außergerichtliche Aufrechnung wird unbedingt und ohne Rücksicht auf den Bestand der Hauptforderung erklärt. Sie setzt die Anerkennung der Hauptforderung voraus und stellt ihr nur die Gegenbehauptung entgegen, dass sie wegen Schuldtilgung nicht mehr bestehe (RS0033970 [T10]; RS0033915 [T4]; RS0040879 [T4]). Hingegen ist die prozessuale Aufrechnungseinrede eine bedingte Erklärung, die erst und nur für den Fall wirksam wird, dass das Gericht den Bestand der Hauptforderung bejaht (RS0034013 [T1]; RS0033887; RS0033911), und bei der die Tilgungswirkung erst mit der Rechtskraft der Entscheidung eintritt (RS0109614 [T2]). Die verfahrensrechtliche Besonderheit der Prozessaufrechnung ist darin gelegen, dass die Urteilsvollstreckung ausnahmsweise bereits in das Titelverfahren einbezogen wird, weil der Beklagte für den Fall, dass der vom Kläger angestrebte Leistungsbefehl in Ansehung seiner Klageforderung zu erlassen wäre, dessen Durchsetzung auf den Befriedigungsgegenstand seiner Gegenforderung beschränkt und gleichzeitig auch vollzogen wissen will (RS0033911 [T1]).

[20] 2.3. Der Beklagte hat sich in diesem Prozess weder auf eine bereits vollzogene außergerichtliche Aufrechnung gestützt, noch seine ursprünglich erhobene prozessuale Aufrechnungseinrede aufrecht erhalten. Er steht in seiner Revision selbst auf dem Standpunkt, dass eine außergerichtliche Aufrechnung die Anerkennung der Forderung des Klägers vorausgesetzt hätte. Zugleich verweist er darauf, dass er seine ursprüngliche (prozessuale) Aufrechnungseinrede fallen gelassen habe. Sein Einwand der Schuldtilgung bezog und bezieht sich vielmehr auf die Behauptung, die in der Drittschuldnerexekution hereingebrachten Beträge hätten seine Schuld unmittelbar getilgt.

[21] 2.4. Eine solche schuldtilgende Wirkung ist aber zu verneinen. Gemäß § 1412 ABGB wird die Verbindlichkeit vorzüglich durch Zahlung, das ist durch die Leistung dessen, was man zu leisten schuldig ist, aufgelöst. Die Erfüllung erfordert grundsätzlich nur die Herbeiführung des Leistungserfolgs durch eine Leistungshandlung, die der geschuldeten entspricht (2 Ob 12/10v; RS0033219, RS0033273). Aus der Zahlung darf aber noch nicht ohne Weiteres geschlossen werden, dass damit die Forderung des Gläubigers jedenfalls zum Erlöschen gebracht wird. Der Schuldner ist nämlich nicht bloß verpflichtet, dem Gläubiger den geschuldeten Betrag in irgendeiner Weise – und sei es bloß auch nur vorübergehend – zu leisten, sondern er hat ihm die den Schuldinhalt bildende Leistung endgültig zu verschaffen (RS0107954 [T4]). Aus diesem Grund ist im – hier vorliegenden – Fall der Behauptung und des Bestehens eines Rückforderungsanspruchs eine Zahlung in diesem Sinn bloß vorläufig geleistet und nicht als Erfüllung der Verbindlichkeit anzusehen (3 Ob 82/14a; 2 Ob 12/10v [jeweils zu einer der Gläubigeranfechtung unterliegenden Zahlung]). Dies gilt konsequenterweise auch bei exekutiv hereingebrachten Beträgen (3 Ob 82/14a [§ 261 Abs 1 EO]).

[22] 3.1. Aus diesen Erwägungen war der Revision nicht Folge zu geben.

[23] 3.2. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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