JudikaturJustiz4Ob248/06h

4Ob248/06h – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Februar 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerlinde B*****, vertreten durch Dr. Roland Kassowitz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Gertrude P*****, vertreten durch Dr. Martin Schober, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, wegen Abgabe einer Erklärung (Streitwert 6.000 EUR), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 28. Juli 2006, GZ 17 R 208/06v-14, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom 7. April 2006, GZ 8 C 1320/05y-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 499,39 EUR (darin 83,23 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Alleineigentümerin der Liegenschaft EZ ***** Grundbuch *****, auf der sich ein Haus befindet. Für die Beklagte, die Cousine der Klägerin, ist auf dieser Liegenschaft bezüglich der „Wohnung über dem Stall und dem Schuppen bestehend aus Zimmer, Küche, Kabinett" ein Wohnrecht grundbücherlich einverleibt. Seit ihrer Heirat im Jahr 1970 hat die Beklagte diese Wohnung zusammen mit ihrem Mann und ihren Kindern hauptsächlich als Wochenendwohnung benutzt und verbrachte dort Urlaube und freie Tage mit ihrer Familie. Bis 1994 wohnte die Mutter der Beklagten in der Wohnung, und die Kinder der Beklagten hielten sich damals in den Ferien oft 14 Tage lang bei ihrer Großmutter auf. Als die Kinder schon größer waren, benutzten sie die Wohnung auch allein und abwechselnd mit der Beklagten und ihrem Mann. 1989 versorgte die Beklagte ihren 2004 verstorbenen Vater nach einer längeren Krankheit in dieser Wohnung, dies geschah vorwiegend unter der Woche. 2005 unternahmen die Beklagte und ihr Mann anlässlich ihres Hochzeitstags einen Radausflug und übernachteten bei Kerzenlicht in der Wohnung. Die letzten eineinhalb Jahre davor hat die Beklagte zwei Mal in der Wohnung übernachtet. Wenn die Beklagte ihre Mutter besucht, die nur ein Schlafzimmer bewohnt, muss sie in der gegenständlichen Wohnung übernachten. Die Beklagte zahlt die Betriebskosten und die Feuerversicherung für die Wohnung sowie den Zins für die Zufahrt und den Schuppen, die sich auf fremdem Grund befinden. Sie hat in den letzten 30 Jahren verschiedene Reparatur- und Ausbesserungsarbeiten durchführen lassen, so wurden neue Fenster eingebaut, vor etwa zehn Jahren wurde die Holzfassade mit Lasur gestrichen, und 2005 wurde das Dach auf der für die Beklagte zugänglichen Seite repariert. In der Wohnung befinden sich Möbel, Hausrat und Kleidung. Vor drei Jahren wurde der Strombezug abgemeldet. Derzeit gibt es in der Wohnung keine Heizmöglichkeit, nachdem ein kaputter Ofen 2004 nach dem Tode des Vaters entsorgt worden ist; mit der Anschaffung eines neuen Ofens wartet die Beklagte bis zur Beendigung dieses Verfahrens zu.

Mit der Behauptung, deren Wohnrecht sei durch weit mehr als dreißigjährigen Nichtgebrauch erloschen, begehrt die Klägerin, die Beklagte schuldig zu erkennen, in die Einverleibung der Löschung des Wohnrechts einzuwilligen. Die Beklagte sei 1970 unmittelbar nach ihrer Heirat aus der Wohnung ausgezogen und übe seit diesem Zeitpunkt ihr Wohnrecht nicht mehr aus. Nach dem Auszug deren Mutter aus der Wohnung habe diese formlos auf ihr Wohnrecht verzichtet, auch die Beklagte habe seit damals die Wohnung nicht mehr benützt. Der gesamte Bereich über dem Stall sei konsenslos errichtet worden und müsse abgetragen werden, weshalb auch aus diesem Grund das Wohnrecht nicht zu Recht bestehe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie habe ihr Wohnrecht ständig, auch während der letzten Jahre, ausgeübt. Bis 1994 habe sie die Wohnung gemeinsam mit ihren Eltern benützt, danach alleine. In letzter Zeit sei sie dort alle zwei bis drei Wochen aufhältig; auch trage sie weiterhin die anteiligen Betriebskosten. Noch vor einigen Jahren habe sie die Klägerin wegen einer aufzunehmenden Hypothek um ihre Zustimmung ersucht. Ihre Mutter habe nicht auf deren Wohnrecht verzichtet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Wohnrecht sei nicht gemäß § 1479 ABGB erloschen. Die Beklagte und ihre Familie hätten in den letzten 30 Jahren die Wohnung benützt, wenn auch zuletzt etwas weniger intensiv. Ob es sich bei der Wohnung um einen illegalen Zubau handle, sei ohne Bedeutung.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands zwar 4.000 EUR, nicht jedoch 20.000 EUR übersteige; auf Antrag der Klägerin gem § 508 Abs 1 ZPO sprach es letztlich aus, dass die ordentliche Revision mangels Rechtsprechung zur Frage zulässig sei, ab welcher Intensität der Nutzung die Annahme eines Nichtgebrauchs des Wohnungsrechts ausscheide. Das Wohnungsgebrauchsrecht erlösche nicht schon dann, wenn die dem Dienstbarkeitsberechtigten überlassenen Räume von ihm nur mehr eingeschränkt zu Wohnzwecken verwendet würden, sondern gem § 524 ABGB erst dann, wenn die Umstände sich so verändert hätten, dass dem herrschenden Gut - hier: dem persönlich Berechtigten - kein Vorteil mehr erwachse. Völlig zwecklos sei eine Dienstbarkeit erst dann, wenn sie ihren Sinn ganz verloren habe und die Ausübung der Dienstbarkeit nicht nur vorübergehend, sondern dauernd unmöglich geworden sei; das Ruhen der Rechtsausübung ändere hingegen am Bestand der Dienstbarkeit nichts. Jeder auch nur einigermaßen ins Gewicht fallende Vorteil genüge für die Aufrechterhaltung des erworbenen Rechts. Nach diesen Grundsätzen sei das Wohnungsgebrauchsrecht der Beklagten nicht erloschen. Auch wenn die Beklagte die Wohnung nicht regelmäßig als Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit und ihres Familienlebens benütze, reiche es zur Aufrechterhaltung ihres Wohnungsgebrauchsrechts aus, dass sie die Wohnung fallweise - wenn auch unregelmäßig - aufsuche und manchmal dort auch übernachte. Unter diesen Umständen könne nämlich nicht gesagt werden, die Wohnung bringe für die Beklagte überhaupt keinen Vorteil (mehr). Dass die Beklagte nicht daran gedacht habe, die Wohnung zur Gänze aufzulassen, zeige auch, dass diese in den letzten 30 Jahren teilweise saniert sowie Ausbesserungs- und Reparaturarbeiten vorgenommen habe. Von einer völligen Zwecklosigkeit der Dienstbarkeit könne keine Rede sein.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig; das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

1. Die Klägerin macht geltend, ein Wohnrecht werde regelmäßig zur Sicherung des Wohnbedürfnisses des Berechtigten, meist zur Versorgung von Angehörigen, eingeräumt und setze schon begrifflich eine Verwendung zu Wohnzwecken voraus. Die von der Rechtsprechung zum Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG (Nichtbenützung der Wohnung) entwickelten Grundsätze seien analog auch bei der Interessenabwägung zwischen Eigentümer und Wohnungsberechtigtem heranzuziehen. Die Beklagte verwende die Wohnung seit 1970 nicht mehr während eines beachtlichen Zeitraums im Jahr als wirtschaftlichen und familiären Mittelpunkt und damit nicht zu Wohnzwecken, weshalb das ihr eingeräumte Wohnrecht infolge Nichtausübung verjährt sei.

2. Die persönliche Dienstbarkeit des Gebrauchs berechtigt zur Nutzung einer fremden Sache ohne Verletzung ihrer Substanz (§ 504 ABGB). Der praktisch wichtigste Fall dieser Dienstbarkeit ist jener des Wohnungsgebrauchsrechts (§ 521 ABGB), das dem Berechtigten auf Lebenszeit (§ 529 ABGB; Koch in KBB, ABGB § 473 Rz 4) die Befugnis gewährt, die vom Recht umfassten Gebäudeteile im Rahmen seiner Bedürfnisse zum eigenen Bedarf zu verwenden (4 Ob 186/00g = SZ 73/125; RIS-Justiz RS0011821).

Dienstbarkeiten verjähren durch bloßen Nichtgebrauch (Passivität des Berechtigten), wenn das Recht dreißig Jahre lang nicht ausgeübt wird (§ 1479 ABGB; Koziol/Welser I13 432; 1 Ob 516/96 = SZ 69/135). Bei fortdauernden Servituten beginnt die Verjährungsfrist, wenn die an sich mögliche Rechtsausübung unterbleibt, mit dem Beginn der Ausübungsmöglichkeit, sonst mit der letzten Ausübungshandlung (Mader/Janisch in Schwimann, ABGB³ § 1479 Rz 5; M. Bydlinski in Rummel, ABGB³ § 1479 Rz 2; RIS-Justiz RS0108084).

Dass zur Vermeidung der Verjährung einer persönlichen Dienstbarkeit eine bestimmte hohe Qualität oder Intensität deren Ausübung innerhalb der Verjährungsfrist erforderlich sei, ist der durch Rechtsprechung und Lehre erläuterten Rechtslage nicht zu entnehmen. Im Gegenteil:

Bei persönlichen Dienstbarkeiten gilt umso mehr der Grundsatz, dass nur völlige Zwecklosigkeit deren weiteren Rechtsbestand vernichten kann (5 Ob 95/01h = SZ 74/88; 7 Ob 2185/96s [Wohnrecht]; siehe ferner RIS-Justiz RS0011541). Diese Leitlinie ist auch für die Beurteilung der - tieferstehend behandelten - Rechtsausübung von Bedeutung.

3. Ein Wohnungsgebrauchsrecht wird dann ausgeübt, wenn der Berechtigte die Wohnräume im Rahmen seiner Bedürfnisse benützt. Da beim Wohnungsgebrauchsrecht Benutzungshandlungen unterschiedlichster Art möglich sind, ist in der Frage der Verjährung dieser Dienstbarkeit im Rahmen einer Gesamtschau zu beurteilen, ob das Gebrauchsrecht ausgeübt wird oder nicht.

Unstrittig ist, dass die Beklagte die gegenständliche Wohnung weder als Ehewohnung noch als Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen verwendet. Sie hielt sich aber innerhalb der letzten dreißig Jahre (wenn auch nur fallweise) tagsüber in der Wohnung auf, nächtigte dort (wenn auch nur fallweise), bewahrte in der Wohnung Möbel, Hausrat und Kleidung auf und ließ Reparatur- und Verbesserungsarbeiten an den vom Recht umfassten Gebäudeteilen durchführen. Diese Nutzungshandlungen der Beklagten sind - vor dem Hintergrund der voranstehenden Erwägungen - zweifelsfrei als Ausübung ihres Wohnungsrechts zu beurteilen und haben zur Folge, dass die Dienstbarkeit weiterhin besteht; eine Verjährung durch bloßen Nichtgebrauch konnte infolge Rechtsausübung durch die Berechtigte innerhalb der Frist des § 1479 ABGB nicht eintreten.

4. Der von der Rechtsmittelwerberin angestrebte Analogieschluss setzt eine planwidrige Unvollständigkeit der gesetzlichen Regelung voraus. Um eine solche annehmen zu können, müssen die für den geregelten wie den ungeregelten Fall maßgebenden Wertungen übereinstimmen, wofür es deutlicher Anhaltspunkte im Gesetz bedarf. Eine Gesetzesanalogie ist demnach immer dann ausgeschlossen, wenn ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber die Rechtsfolge nur eintreten lassen will, wenn gerade die Voraussetzungen des geregelten Tatbestandes erfüllt sind, also die Nichtregelung dem Plan des Gesetzes entspricht (RIS-Justiz RS0008826).

4.1. Zunächst ist - nach den Erwägungen unter 2. und 3. - nicht zu erkennen, dass die gesetzlichen Bestimmungen über das Wohnungsgebrauchsrecht nach § 521 ABGB insoweit planwidrig unvollständig wären, als Regelungen über das Erlöschen dieses Rechts im Fall nicht ausreichend intensiver Ausübung fehlen. Die gesetzliche Aufzählung der Erlöschungsgründe für Servituten (§§ 524 ff ABGB) ist demnach nicht ergänzungsbedürftig.

4.2. Abgesehen von dem soeben erörterten Gesichtspunkt unterscheidet sich die Dienstbarkeit des Wohnungsgebrauchsrechts durch ihre gesetzliche Ausgestaltung als dingliches, im Grundbuch einverleibtes Recht, das dem Berechtigten höchstpersönlich auf Lebensdauer eingeräumt wird, vom obligatorischen Benützungsverhältnis auf Grund eines Bestandvertrags. Rechte daraus sind der grundsätzlich übertragbar und vererblich. Die Wohnungsdienstbarkeit wird, auch wenn ein Zins zu entrichten ist, nicht zum Bestandvertrag, genauso wenig wie sich der Bestandvertrag durch Verbücherung zur Servitut wandelt (1 Ob 47/55 = SZ 28/68; 7 Ob 617/90 = MietSlg 42.078; RIS-Justiz RS0011831). Diese strukturellen Unterschiede der beiden Rechtsverhältnisse - mögen auch beide die Nutzung von Wohnraum zum Gegenstand haben - bewirken unterschiedliche Interessenlagen der Beteiligten, die in unterschiedlichen Wertungen des Gesetzgebers zum Ausdruck kommen.

4.3. Dass der bestandrechtlichen Sondervorschrift des § 30 Abs 2 Z 6 MRG andere Wertungen zu Grunde liegen als dem Wohnungsgebrauchsrecht des § 521 ABGB, zeigt sich insbesondere daran, dass der mit dem Mietengesetz eingeführte Kündigungsschutz im wesentlichen historisch begründet (vgl dazu Würth in Rummel, ABGB³ vor § 1090 Rz 1) und - als lex specialis - von Anfang an auf den Vertragstyp Bestandvertrag beschränkt war. Die zentrale Kündigungsschutznorm des § 30 MRG als Nachfolgebestimmung des § 19 MG beschränkt das Kündigungsrecht des Vermieters auf bestimmte, im Gesetz angeführte Tatbestände. Dieser Kündigungsschutz bedeutete die im Sinne des ABGB systemwidrige Bindung der ordentlichen Kündigung des Vermieters an einen wichtigen Grund bei gleichzeitiger Beschränkung der Möglichkeit, durchsetzbare Befristungen von Mietverträgen vorzunehmen (Böhm in Schwimann, ABGB² vor § 1 MRG Rz 12).

Es ist somit auch auf diesem Boden nicht zu erkennen, dass die gesetzlichen Bestimmungen über das Wohnungsgebrauchsrecht des § 521 ABGB planwidrig unvollständig und durch die Übertragung der bestandrechtlichen Sondervorschrift des § 30 Abs 2 Z 6 MRG zu ergänzen wären.

5. Alle voranstehenden Ausführungen sind daher folgendermaßen zusammenzufassen:

Eine bestimmte hohe Qualität oder Intensität der Ausübung der persönlichen Dienstbarkeit des Wohnungsgebrauchs innerhalb der Verjährungsfrist ist zur Vermeidung der Verjährung des Rechts nicht erforderlich. Im Gegenteil: Bei persönlichen Dienstbarkeiten gilt umso mehr der Grundsatz, dass nur völlige Zwecklosigkeit deren weiteren Rechtsbestand vernichten kann. Daher wird ein Wohnungsgebrauchsrecht immer dann ausgeübt, wenn der Berechtigte die Wohnräume im Rahmen seiner jeweiligen Bedürfnisse benützt. Dabei kann es sich um Benutzungshandlungen unterschiedlichster Art handeln, sodass die Frage nach der Rechtsausübung im Rahmen einer Gesamtschau zu prüfen ist. Eine Beurteilung der Rechtsausübung in analoger Anwendung der von der Rechtsprechung zum Kündigungsgrund gemäß § 30 Abs 2 Z 6 MRG entwickelten Leitlinien kommt nicht in Betracht.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

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