JudikaturJustiz2Ob262/08f

2Ob262/08f – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Juni 2009

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI Dr. Heinz P*****, vertreten durch Dr. Bernd Fritsch und andere Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei (nunmehr) B***** GmbH, *****, vertreten durch Klein, Wuntschek Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 16.200 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 14. Juli 2008, GZ 5 R 117/08p-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 16. April 2008, GZ 22 Cg 87/07d-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Die Bezeichnung der beklagten Partei wird von „T***** GmbH" auf „B***** GmbH" berichtigt.

II. Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Zu 1.:

Nach der am 17. 9. 2008 von der Generalversammlung der beklagten Partei beschlossenen und am 18. 11. 2008 im Firmenbuch eingetragenen Änderung des Gesellschaftsvertrags wurde der Firmenwortlaut der beklagten Partei von „T***** GmbH" geändert in „B***** GmbH". Die Parteienbezeichnung war daher gemäß § 235 Abs 5 ZPO von Amts wegen zu berichtigen.

Zu II.:

Die beklagte Partei und die K*****-GmbH (in der Folge: K*****) schlossen am Beginn des Jahres 2005 einen Kooperationsvertrag, dessen Gegenstand die Entwicklung des von der Ö***** F*****gesellschaft mbH (in der Folge: F*****) subventionierten Projekts „Richtlinie für die dynamische Berechnung von Eisenbahnbrücken" (in der Folge: RL-Dynamik) war. Eine wichtige Rolle bei der Ausarbeitung der Richtlinie kam dem Kläger zu, der damals noch einer der beiden Gesellschafter und Geschäftsführer der beklagten Partei war. Für die K***** war er die „Schlüsselperson" des Projekts.

Mit Abtretungsvertrag vom 31. 5. 2005 veräußerte der Kläger seinen Geschäftsanteil an der beklagten Partei (im Wesentlichen) an seinen Mitgesellschafter DI Dorian J*****. Er schied auch aus seiner Funktion als Geschäftsführer aus. Aufgrund eines mit der beklagten Partei ebenfalls am 31. 5. 2005 abgeschlossenen Konsulentenvertrags blieb er jedoch in das Projekt RL-Dynamik weiterhin eingebunden. In der Folge entwickelten sich zwischen dem Kläger und der beklagten Partei bzw DI Dorian J***** Streitigkeiten, die zu insgesamt drei Prozessen führten. Mit Schreiben vom 24. 11. 2005 kündigte der Kläger den Konsulentenvertrag auf.

Bereits am 4. 11. 2005 hatte er die beklagte Partei beim Erstgericht zu AZ 18 Cg 209/05p auf Zahlung von 11.150,36 EUR sA geklagt. Den Gegenstand dieses Rechtsstreits bildeten Honoraransprüche des Klägers für Leistungen aus dem Konsulentenvertrag, deren (vollständige) Berichtigung die beklagte Partei mit dem Vorwurf, der Kläger habe ein Konkurrenzunternehmen beworben und Kunden der beklagten Partei abzuwerben versucht, verweigerte. Dieser Rechtsstreit endete am 6. 10. 2006 mit einem Vergleich, worin sich die beklagte Partei zur Zahlung von 12.400 EUR an den Kläger verpflichtete und festgehalten wurde, dass damit „sämtliche klagsgegenständlichen Ansprüche verglichen und bereinigt" seien.

Die (hier) beklagte Partei und DI Dorian J***** brachten ihrerseits am 30. 12. 2005 beim Erstgericht gegen den nunmehrigen Kläger Klagen ein. Während die (hier) beklagte Partei zu AZ 16 Cg 2/06h die Rückerstattung einer Gewinnausschüttung und Schadenersatz wegen Verstoßes gegen ein vereinbartes Konkurrenzverbot im Gesamtbetrag von 125.285,58 EUR sA geltend machte, begehrte DI Dorian J***** zu AZ 22 Cg 4/06x die Feststellung, dass er aus dem Abtretungsvertrag vom 31. 5. 2005 keine weiteren Zahlungen zu leisten habe. In diesen beiden Verfahren wurde das Projekt RL-Dynamik nur im Zusammenhang mit den dafür gewährten Subventionen und deren umstrittenen Bedeutung für die Erstellung einer Bilanz erwähnt.

DI Dorian J***** und der nunmehrige Kläger schlossen im Verfahren AZ 22 Cg 4/06x in der Tagsatzung vom 18. 1. 2007 den folgenden Vergleich:

„1.) Der Kaufpreis aus dem Abtretungsvertrag vom 31. 5. 2005, [...], wird einvernehmlich auf 194.000 EUR reduziert. Festgehalten wird, dass davon bereits ein Betrag von 144.000 EUR vom Kläger an den Beklagten bezahlt wurde.

2.) Der restlich noch aushaftende Kaufpreis von 50.000 EUR ist unter Aufrechterhaltung der Sicherheiten im Betrag von 50.000 EUR in zwei Raten zu bezahlen und zwar 14.000 EUR bis längstens zum 15. 1. 2008 und 36.000 EUR bis längstens zum 1. 7. 2008.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig. Die Auslegung eines Vergleichs richtet sich nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zwar stets nach den Umständen des Einzelfalls und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (2 Ob 83/06d; RIS-Justiz RS0113785, RS0044358 [T18]). Hier ist dem Berufungsgericht aber eine grobe Fehlbeurteilung unterlaufen, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf. Die Revision ist im Sinne des in jedem Abänderungsantrag auch enthaltenen Aufhebungsantrags berechtigt.

Der Kläger macht geltend, maßgeblich für den Umfang der Bereinigungswirkung eines Vergleichs sei der Parteiwille. Danach seien zwischen den Streitteilen sämtliche wechselseitigen Ansprüche zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses verglichen worden. Der erst nach diesem Zeitpunkt entstandene Anspruch des Klägers, der von der Erbringung weiterer Leistungen abhängig gewesen sei, könne von dem Vergleich nicht umfasst gewesen sein. Folge man der Argumentation des Berufungsgerichts, hätte der Kläger seinerseits keine Leistungen mehr erbringen müssen. Darüber hinaus diene ein Vergleich der Bereinigung strittiger und zweifelhafter Rechtsverhältnisse. Auch diese Voraussetzung liege nicht vor, weil das Vertragsverhältnis zwischen den Streitteilen nie strittig gewesen sei. Das Berufungsgericht sei von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen, wonach auch bei einem Generalvergleich eine einschränkende Auslegung geboten sein könne.

Hiezu wurde erwogen:

1. Was die Streitteile als Gegenstand der Streitbereinigung angenommen haben, bestimmt sich nach dem übereinstimmend erklärten Parteiwillen (RIS-Justiz RS0017954; Neumayr in KBB2 § 1389 Rz 1), wobei dem konkreten Vergleichszweck bei der Auslegung großes Gewicht beizumessen ist (1 Ob 617/91 = SZ 64/160; 1 Ob 256/05m; 2 Ob 83/06d). Es gelten die Grundsätze der Vertrauenstheorie (RIS-Justiz RS0014696; Neumayr aaO § 1389 Rz 1), sodass Vergleiche nach den allgemeinen Regeln (§§ 914 f ABGB) auszulegen sind. Entscheidend für das Verständnis der wechselseitigen Erklärungen ist der objektive Erklärungswert (1 Ob 617/91; 2 Ob 83/06d; 2 Ob 150/06g; Neumayr aaO § 1380 Rz 6). Dabei ist das gesamte Verhalten der Vertragsteile zu berücksichtigen (1 Ob 256/05m mwN). Diese Grundsätze sind auch dann maßgeblich, wenn es um die Auslegung einer in den Vergleichstext aufgenommenen Generalklausel geht (vgl 1 Ob 617/91; 9 Ob 110/06a mwN).

2. § 1389 Satz 2 ABGB enthält für die Auslegung von allgemeinen Vergleichen (Generalvergleichen) insoweit eine Zweifelsregel, als von der Bereinigungswirkung Rechte ausgenommen werden, die geflissentlich verheimlicht worden sind oder an die „die sich vergleichenden Parteien nicht denken konnten". Allgemeine Vergleiche erstrecken sich damit, mangels entgegenstehender Parteienabsicht, zwar auf Fälle, an welche die Parteien nicht gedacht haben, nicht aber auf solche, an die sie nicht denken konnten (4 Ob 21/03x; 2 Ob 83/06d; RIS-Justiz RS0032453). Das sind jene Ansprüche, mit deren späterem Entstehen die Parteien trotz Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt nicht rechnen konnten (4 Ob 21/03x).

3. Im vorliegenden Fall enthält der im Rechtsstreit zwischen dem Kläger und seinem ehemaligen Mitgesellschafter, der zum damaligen Zeitpunkt auch selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer der beklagten Partei war, abgeschlossene Vergleich die - ausdrücklich auch auf das Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der beklagten Partei erstreckte - Regelung, dass damit „sämtliche wechselseitigen wie immer gearteten Ansprüche [...] bereinigt und verglichen sind". Dieser Vergleichspunkt umfasst seinem Wortlaut nach jede Art von Ansprüchen und zwar unabhängig davon, ob sie für die Parteien bei Vergleichsabschluss erkennbar waren oder nicht (vgl 4 Ob 21/03x). Ehe die Zweifelsregel des § 1389 Satz 2 ABGB zur Anwendung gelangt, ist nach den dargelegten Auslegungskriterien aber zu prüfen, ob ein von diesem weit gefassten Wortlaut abweichender Parteiwille bestand. Behauptungs- und beweispflichtig hiefür war der Kläger (vgl RIS-Justiz RS0032504; Neumayr aaO § 1389 Rz 6).

4. Nach den vom Prozessvorbringen des Klägers gedeckten Feststellungen des Erstgerichts schlossen die Streitteile den die weitere Mitwirkung des Klägers an dem Projekt RL-Dynamik sichernden Vertrag am 15. 12. 2005 in einer Phase, in welcher der Konflikt zwischen ihnen bereits ausgebrochen war. Hatte doch der Kläger wenige Wochen vorher den Konsulentenvertrag aufgekündigt und die beklagte Partei auf Zahlung geklagt, während die „Gegenklagen" der beklagten Partei und des damaligen Hauptgesellschafters unmittelbar bevorstanden. Dass es dennoch zu der vertraglichen Einigung kommen konnte, war ausschließlich auf den Wunsch und den Druck des Projektpartners der beklagten Partei zurückzuführen, der in der Person des Klägers eine „Schlüsselfigur" für das Gelingen des Projekts sah. In einer Ergänzung zum Kooperationsvertrag hatte die beklagte Partei dem Projektpartner (und -leiter) auch zugesichert, die weitere Mitwirkung des Klägers zu ermöglichen, „um eine konfliktfreie Projektfortführung zu gewährleisten". Es war zwischen den Projektpartnern vereinbart, dass der Kläger während des gesamten Projekts einbezogen sein soll. Zudem sollte ausschließlich dem Projektpartner die Beurteilung obliegen, ob die Leistungen des Klägers termingerecht und verwendbar sind. Das Projektende war zwar mit 31. 12. 2006 vorgesehen, die Kooperation wurde aber - wie die beklagte Partei selbst zugestand - verlängert, weil das Projekt zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen war. Dies war den Beteiligten am Tag des Vergleichsabschlusses (18. 1. 2007) ebenso bekannt, wie der Umstand, dass der Kläger über diesen Termin hinaus noch Leistungen zu erbringen hatte. Den Feststellungen ist weiters zu entnehmen, dass dem Kläger die endgültige Fertigstellung der Richtlinie vor dem März 2007 gar nicht möglich war, weil er abwarten musste, bis die Ergebnisse der von der beklagten Partei und ihrem Projektpartner zu erstellenden Serienrechnungen verfügbar waren. Vor dem Hintergrund dieser Tatsachenfeststellungen konnte ein redlicher, verständiger Erklärungsempfänger die Generalklausel des Vergleichs vom 18. 1. 2007 nur in einschränkendem Sinn dahin verstehen, dass der damit zum Ausdruck gebrachte Parteiwille zwar auf die endgültige Bereinigung der bereits beendeten Vertragsverhältnisse gerichtet war, das am 15. 12. 2005 begründete Vertragsverhältnis hingegen unberührt ließ. Die gegenteilige Auffassung hätte zur faktischen und rechtlichen Konsequenz gehabt, dass die Mitwirkung des Klägers an dem Projekt RL-Dynamik noch vor dessen Fertigstellung beendet worden wäre, obwohl dies dem ausdrücklichen, dem Kläger bekannten Wunsch des Projektpartners und dessen mit der beklagten Partei getroffenen Vereinbarung widersprochen hätte und der Projektpartner an den Vergleichsverhandlungen nicht mitgewirkt hat. Nicht nur der Kläger, sondern auch die beklagte Partei hätte nämlich ab dem Tag des Vergleichsabschlusses keine weiteren vertraglichen Ansprüche mehr gehabt, sodass der Kläger zur Erbringung der noch ausständigen Leistungen weder berechtigt noch verpflichtet gewesen wäre. Sein Anspruch auf den zweiten Teil des Honorars konnte in diesem Fall gar nicht entstehen.

Dies hat das Berufungsgericht offensichtlich nicht bedacht, wenn es seiner Auslegung die Ansicht zugrundelegte, dass dem Kläger „für seine späteren Leistungen" noch die zweite Honorarrate zugestanden wäre, dieser Anspruch aber, weil die Parteien an ihn denken konnten, von der Bereinigungswirkung des Vergleichs umfasst worden sei. Stattdessen ist davon auszugehen, dass, folgte man der Auslegung des Berufungsgerichts, das Projekt RL-Dynamik zumindest gefährdet gewesen, wenn nicht gescheitert wäre. Der Kläger konnte die in den Vergleich aufgenommene Generalklausel unter den konkreten Umständen, insbesondere aber unter Berücksichtigung des Geschäftszwecks des Vertrags vom 15. 12. 2005 und der diesem zugrundeliegenden Kooperationsvereinbarung als redlicher Erklärungsempfänger somit nur dahin verstehen, dass dieses Vertragsverhältnis davon jedenfalls unberührt bleiben sollte. Dazu kommt, worauf der Kläger schon in erster Instanz zutreffend verwiesen hat, dass die Rechte aus diesem Vertragsverhältnis bis zum Tag des Vergleichsabschlusses nicht streitig oder zweifelhaft waren, sodass es auch an dieser grundsätzlichen Voraussetzung für eine vergleichsweise Bereinigung fehlte (vgl 2 Ob 83/06d mwN).

5. Aus den dargelegten Erwägungen folgt, dass der Vergleich vom 18. 1. 2007 der Honorarforderung des Klägers nicht entgegenstünde. Dennoch ist die Rechtssache noch nicht spruchreif. Die beklagte Partei hat mehrere der ihrem Standpunkt widersprechenden und die obige Auslegung des Obersten Gerichtshofs stützenden Feststellungen in zweiter Instanz mit Beweisrüge bekämpft. So wandte sie sich insbesondere gegen jene Feststellung, wonach der Kläger nach dem Vergleichsabschluss noch wesentliche Leistungen für das Projekt erbracht habe, er über den 31. 12. 2006 hinaus in das Projekt RL-Dynamik eingebunden sein sollte und die beklagte Partei von einer nach diesem Zeitpunkt entfalteten projektbezogenen Tätigkeit des Klägers Kenntnis gehabt habe. Das Berufungsgericht ließ diese Rüge mit dem Hinweis auf seine Rechtsausführungen unerledigt. Da diese vom erkennenden Senat nicht gebilligt werden, ist das zweitinstanzliche Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur Erledigung der Beweisrüge an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Bleibt es danach bei den angefochtenen Feststellungen, ist das stattgebende Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen. Andernfalls hätte das Berufungsgericht, je nach Sachverhaltsgrundlage, erneut durch Auslegung des Vergleichs zu ermitteln, ob die Honorarforderung des Klägers zu Recht besteht.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
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