JudikaturJustiz2Ob247/07y

2Ob247/07y – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Januar 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der (richtig) gefährdeten Parteien 1. Petra R*****, und 2. Gregor L*****, vertreten durch Mag. Hubertus Weben, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den (richtig) Gegner der gefährdeten Parteien Bernhard M*****, vertreten durch Dr. Andreas König und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen (richtig) Aufhebung einer einstweiligen Verfügung, über den Revisionsrekurs des Gegners der gefährdeten Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 28. September 2007, GZ 4 R 357/07i-10, womit der Rekurs des Gegners der gefährdeten Parteien gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 22. August 2007, GZ 30 Nc 4/06f-6, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über den Rekurs des Gegners der gefährdeten Parteien unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund an das Rekursgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsrekurses sind weitere Kosten des Rekursverfahrens.

Die Revisionsrekursbeantwortung der gefährdeten Parteien wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

In ihrem am 18. 7. 2006 beim Erstgericht eingebrachten Schriftsatz begehrten die Antragsteller (die Bezeichnung der Parteien als Antragsteller und Antragsgegner wird im Folgenden beibehalten) die Beweissicherung durch Überprüfung der im Zentrallabor der Universitätskliniken Innsbruck aufbewahrten Blutprobe des Antragsgegners auf dessen allfällige Alkoholisierung zum Unfallszeitpunkt am 18. 8. 2005 durch einen Sachverständigen, in eventu die gerichtliche Anordnung, dem Antragsgegner dessen im Zentrallabor der Universitätskliniken Innsbruck aufbewahrte Blutprobe bis zur abschließenden Klärung der zivilrechtlichen Ansprüche der Antragsteller gegen den Antragsgegner nicht auszufolgen. Die Antragsteller brachten vor, sie seien die leiblichen Kinder der am 18. 8. 2005 bei einem vom Antragsgegner verschuldeten Verkehrsunfall getöteten Priska L*****. Dem Antragsgegner sei am Unfallort Blut abgenommen worden, um eine allfällige Alkoholisierung zu prüfen. Die Blutprobe werde im Zentrallabor der Universitätskliniken Innsbruck verwahrt. Der Antragsgegner bemühe sich um die Ausfolgung der Blutprobe; es sei zu befürchten, dass diese als Beweismittel für die Antragsteller verloren gehe. Diese hätten ein erhebliches Interesse daran, die Blutprobe des Antragsgegners zur Durchsetzung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche gegen den Antragsgegner und dessen Haftpflichtversicherer sichern und/oder durch einen medizinischen Sachverständigen überprüfen zu lassen. Hilfsweise seien die Antragsteller auch mit einer weiteren Aufbewahrung der Blutprobe durch die Universitätskliniken Innsbruck einverstanden.

Das Erstgericht bewilligte mit Beschluss vom 18. 7. 2006 das Eventualbegehren der Antragsteller, ohne die Abweisung des Hauptbegehrens im Spruch seiner Entscheidung zum Ausdruck zu bringen. Der Beschluss wurde den Parteien und der medizinischen Universität Innsbruck zugestellt und erwuchs in Rechtskraft.

Mit Schriftsatz vom 30. 5. 2007 beantragte der Antragsgegner, „die Beweissicherung aufzuheben" und die Anordnung vom 18. 7. 2006 zu widerrufen. Die Erstantragstellerin habe mittlerweile den Haftpflichtversicherer des Antragsgegners, nicht aber auch diesen selbst geklagt. Die Blutabnahme sei ohne Einwilligung des Antragsgegners erfolgt, als dieser bewusstlos gewesen sei. Die Auswertung der Blutprobe sei daher unzulässig. Der Antragsgegner sei ausschließlich befugt, über die Blutprobe zu verfügen. Er benötige diese zur Abwicklung seiner unfallversicherungsrechtlichen Ansprüche. Nach Einholung einer Äußerung der Antragsteller und einer Gegenäußerung des Antragsgegners wies das Erstgericht den Antrag auf „Aufhebung der Beweissicherung" ab. Es vertrat die Ansicht, die Voraussetzungen einer Beweissicherung nach § 384 ZPO seien weiterhin gegeben; die beantragte Aufhebung entbehrte jeglicher Konsequenz. Das Rekursgericht wies den gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs des Antragsgegners zurück und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, die Antragsteller hätten eine Beweissicherung angestrengt, die im Gesetz gar nicht vorgesehen sei. Das Erstgericht hätte die Beweissicherung daher nicht bewilligen dürfen. Unter diesen Umständen wäre dem Antragsgegner trotz des in § 386 Abs 4 ZPO normierten Rechtsmittelausschlusses ein Rekurs gegen den Bewilligungsbeschluss offen gestanden; die Nichtigkeit des Beschlusses sei allerdings durch dessen Rechtskraft geheilt. Das Gesetz sehe keinen Antrag auf Aufhebung einer bewilligten Beweissicherung vor. Eine solche würde auch dem Zweck der Beweissicherung widersprechen. Die abweisende Entscheidung des Erstgerichts sei nicht anders zu behandeln wie eine (weiterhin erfolgte) Stattgebung der (bereits bewilligten) Beweissicherung. Auch gegen diese Entscheidung müsse in analoger Anwendung des § 386 Abs 4 ZPO ein Rechtsmittel unzulässig sein. Die Zulassung des ordentlichen Revisionsrekurses begründete das Rekursgericht damit, dass noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Frage vorliege, ob ein Rekurs gegen die Abweisung eines auf die Aufhebung einer rechtskräftig bewilligten Beweissicherung gerichteten Antrags zulässig sei.

Gegen die zweitinstanzliche Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Antragsgegners mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die am 18. 7. 2006 beschlossene Beweissicherung aufgehoben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Antragsteller brachten eine Revisionsrekursbeantwortung ein, in der sie beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben. Außerdem stellen sie darin „höchst vorsorglich" den Antrag, der Oberste Gerichtshof wolle den Streitwert der vorliegenden Rechtssache gemäß § 14 RATG mit 730 EUR bestimmen.

Rechtliche Beurteilung

Vorauszuschicken ist, dass sich die Zulässigkeit des Revisionsrekurses nach den, wie noch darzulegen sein wird, maßgeblichen Rechtsmittelvorschriften für das Provisorialverfahren bestimmt. Demnach ist die Zurückweisung eines Rekurses durch das Rekursgericht nicht in analoger Anwendung des § 519 Abs 1 Z 1 ZPO, sondern nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des gemäß § 402 Abs 4 iVm § 78 EO anzuwendenden § 528 ZPO anfechtbar (2 Ob 186/07b mwN; vgl RIS-Justiz RS0044501 [T12]).

Hat das Rekursgericht den ordentlichen Revisionsrekurs zugelassen, bewirkt schon ein 4.000 EUR übersteigender Entscheidungsgegenstand, dass der Revisionsrekurs nicht jedenfalls unzulässig ist (§§ 402 Abs 4, 78 EO iVm § 528 Abs 2 Z 1a ZPO). Das Rekursgericht hat sich bei seinem Bewertungsausspruch zulässigerweise am Streitgegenstand des von der Erstantragstellerin mittlerweile eingeleiteten Zivilprozesses orientiert. Da es den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig erklärte, ist es für die Zulässigkeit des Rechtsmittels bedeutungslos, ob dieser Streitgegenstand, wie die Antragsteller in ihrer - im Übrigen unzulässigen (hiezu später) - Rechtsmittelbeantwortung behaupten, tatsächlich nicht 20.000 EUR überschreitet, sondern lediglich 14.081,41 EUR beträgt. Der Hinweis der Antragsteller bietet somit keinen Anlass, auf die in der Rechtsprechung gebilligten Ausnahmen von der Bindung des Obersten Gerichtshofs an die grundsätzlich unanfechtbare Bewertung des Entscheidungsgegenstands durch das Gericht zweiter Instanz näher einzugehen (vgl dazu etwa 2 Ob 103/07x mwN).

Der Revisionsrekurs ist (auch) im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO zulässig, weil dem Rekursgericht bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Rekurses des Antragsgegners eine gravierende Fehlbeurteilung unterlaufen ist; er ist auch berechtigt.

Der Antragsgegner macht geltend, nach dem Inhalt der Anordnung des Erstgerichts, dem Antragsgegner die verwahrte Blutprobe nicht auszufolgen, liege eine einstweilige Verfügung vor. Es müsse ihm daher möglich sein, die Aufhebung der getroffenen Anordnung zu begehren und gegen die den Antrag abweisende Entscheidung Rekurs zu erheben.

Dieser Rechtsansicht ist beizupflichten.

Die Deutung eines Rechtsschutzantrags richtet sich nicht nach dessen Bezeichnung durch die antragstellende Partei, sondern stets nach seinem Inhalt und dem gestellten Begehren. Während im vorliegenden Fall das Hauptbegehren des verfahrenseinleitenden Antrags im Einklang mit § 384 ZPO auf die Durchführung einer vorsorglichen Beweisaufnahme und damit auf die Sicherung eines Beweisergebnisses gerichtet war, hatte das Eventualbegehren die Sicherstellung eines Beweismittels für die beabsichtigte Prozessführung zum Ziel. Diese kann jedoch, wie sich aus dem Wortlaut des § 384 Abs 1 ZPO ergibt, keinesfalls im Rahmen eines Beweissicherungsverfahrens, sondern, wenn überhaupt, in einem nach den Grundsätzen der §§ 378 ff EO durchzuführenden Provisorialverfahren erwirkt werden (vgl 1 Ob 190/04d = SZ 2004/164 mwN; König, Einstweilige Verfügungen im Zivilverfahren³ Rz 2/6; Konecny, Der Anwendungsbereich der einstweiligen Verfügung [1992], 241). Vor diesem rechtlichen Hintergrund durfte das von den Antragstellern unter Betonung ihres rechtlichen Interesses an der Sicherung der Blutprobe des Antragsgegners gestellte Eventualbegehren auf Anordnung eines gerichtlichen Drittverbots (§ 382 Z 7 EO) nur dahin verstanden werden, dass es auf die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gerichtet war. Indem das Erstgericht den Antrag bewilligte, erließ es die beantragte einstweilige Verfügung. Der auf die „Aufhebung der Beweissicherung" gerichtete Antrag des Antragsgegners ist demnach als Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung (§§ 391 Abs 2, 399 EO) zu verstehen. Die antragsabweisende Entscheidung des Erstgerichts ist gemäß § 402 Abs 1 EO mittels Rekurses anfechtbar, wobei auf das Rekursverfahren § 521a ZPO sinngemäß anzuwenden ist.

Da der vom Antragsgegner erhobene Rekurs demnach zulässig ist, war dem Revisionsrekurs Folge zu geben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund (dem in § 386 Abs 4 ZPO normierten Rechtsmittelausschluss) aufzutragen.

Die Revisionsrekursbeantwortung der Antragsteller ist unzulässig. Weist das Rekursgericht im Provisorialverfahren ein Rechtsmittel ohne sachliche Prüfung aus formellen Gründen zurück, entscheidet es nicht über die Anordnung oder Aufrechterhaltung einer Sicherungsmaßnahme im Sinne des § 402 Abs 1 EO, sodass nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der Rekursgegner am Verfahren über den zweitinstanzlichen Zurückweisungsbeschluss nicht zu beteiligen ist (RIS-Justiz RS0005674; ebenso Zechner in Fasching/Konecny², IV/1 vor §§ 514 ff ZPO Rz 146). Diese Erwägungen treffen auch auf das Verfahren über den Antrag auf Aufhebung einer einstweiligen Verfügung zu. Die Revisionsrekursbeantwortung ist daher zurückzuweisen. Davon ist auch die in ihr enthaltene, lediglich die Kostenbemessungsgrundlage betreffende „Streitwertbemängelung" umfasst.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf §§ 402 Abs 4, 78 EO, § 52 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
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