JudikaturJustiz2Ob169/06a

2Ob169/06a – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. September 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien, Rathaus, 1082 Wien, vertreten durch Dr. Peter Rudeck und Dr. Gerhard Schlager, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei D***** AG, *****, vertreten durch Dr. Helfried Kriegel, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 6.518 sA (Revisionsinteresse EUR 5.253,41 sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 9. Februar 2006, GZ 36 R 789/05d-33, mit dem das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 13. Juli 2005, GZ 52 C 371/03z-28, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen vierzehn Tagen die mit EUR 399,74 (darin enthalten EUR 66,62 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

Am 5. 3. 2002 ereignete sich ein Verkehrsunfall, an dem ein - ohne Außenspiegel - 2,5 m breiter Müllwagen der Klägerin sowie ein bei der beklagten Partei haftpflichtversicherter Pkw mit einem ca 2,2 m breiten Pferdeanhänger beteiligt waren. Die für die Fahrtrichtung der unfallbeteiligten Fahrzeuge vorgesehene Fahrbahn verjüngte sich gleichmäßig von etwa 6 m auf 5 m, was ein Nebeneinanderfahren der Fahrzeuge aufgrund deren Breite nicht mehr zugelassen hätte. Ab der beginnenden Verengung - ca 20 m vor der Kollisionsstelle - fuhren die Fahrzeuge zunächst Front an Front nebeneinander, das Klagsfahrzeug links, das Beklagtenfahrzeug rechts. In der Folge kollidierte das 40 bis 50 km/h fahrende Beklagtenfahrzeug mit dem linken Kotflügel des Anhängers an der vorderen rechten Stoßstange des Klagsfahrzeuges. Im Unfallbereich galt eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h. Das Erstgericht lastete bei der gleichmäßigen Verengung der zunächst vorhandenen beiden Fahrstreifen auf einen dem Lenker des Klagsfahrzeuges eine Verletzung des Rechtsvorranges nach § 19 Abs 1 StVO sowie der Unfallsgegnerin die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit an und kam zum Ergebnis einer Verschuldensteilung von 3 : 1 zu Lasten der Klägerin. Das Berufungsgericht teilte die Auffassung zur Fortführung des rechten Fahrstreifens und lehnte einen Verstoß gegen das in § 11 Abs 5 StVO normierte „Reißverschlusssystem" im Wesentlichen deshalb ab, weil das Beklagtenfahrzeug zum Zeitpunkt des Nebeneinanderfahrens auf der dort noch ausreichend breiten Fahrbahn als einzelnes Fahrzeug oder anderenfalls als erstes Fahrzeug einer Kolonne zu beurteilen gewesen sei.

Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision änderte das Berufungsgericht über Antrag der Klägerin ab und begründete dies mit einer fehlenden höchstgerichtlichen Judikatur zu der Frage, in welcher Entfernung vor der Enge das Einordnen in den „Reißverschluss" zu erfolgen habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem nicht bindenden (RIS-Justiz RS0042392) Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht zulässig.

Ein Fahrstreifen muss nicht in jedem Fall 2,5 m breit sein (RIS-Justiz RS0053076; 2 Ob 81/01b mwN: Mindestbreite 2 m). Das Nebeneinanderfahren ist daher dann gestattet, wenn die Fahrbahnbreite keine 5 m beträgt, aber konkret für zwei Fahrzeugreihen ausreichend ist (8 Ob 303/81 = ZVR 1982/287). Die gleichmäßige Verjüngung der Fahrbahn bis auf eine Breite, die das Nebeneinanderfahren der unfallbeteiligten Fahrzeuge ausschloss, führte grundsätzlich zu einer Fortführung des rechten Fahrstreifens und begründete damit den Rechtsvorrang des Beklagtenfahrzeuges, soferne nicht gegen das in § 11 Abs 5 StVO geregelte, nicht nur im Fall eines aufhörenden Fahrstreifens, sondern auch bei einer derartigen gleichmäßigen Verengung geltende Reißverschlusssystem verstoßen wurde (2 Ob 288/04y). Entgegen der Ansicht der Klägerin hat die weitere nach der Kollisionsstelle liegende, einseitige Verengung (Einschränkung der Aktivfahrbahnbreite auf ca 3,8 m) durch am rechten Fahrbahnrand parkende Fahrzeuge und die damit verbundene „Blockierung der Fahrlinie" des Beklagtenfahrzeuges bei der Beurteilung, welchem der unfallbeteiligten Fahrzeuge eine unfallkausale Vorrangverletzung anzulasten ist, außer Betracht zu bleiben. Bereits die vor dieser weiteren Engstelle liegende Verjüngung der Fahrbahn hatte nämlich das Nebeneinanderfahren ausgeschlossen und damit eine Vorrangsituation zugunsten des auf dem fortgeführten Fahrstreifen fahrenden Fahrzeuges geschaffen. Die Anwendung des „Reißverschlusssystems" zugunsten der Klägerin hätte die Fortbewegung mehrerer Fahrzeuge im Kolonnenverkehr vorausgesetzt, wobei bereits je zwei Fahrzeuge genügen (2 Ob 288/04y mwN). Bei Aufeinandertreffen einzelner Fahrzeuge - oder der jeweils ersten Fahrzeuge von Kolonnen - gilt nach wie vor der sogenannte Spurenvorrang, das heißt, der auf einem aufhörenden Fahrstreifen fahrende Lenker hat dem auf dem fortgeführten Fahrstreifen fahrenden Lenker die Vorfahrt zu überlassen (2 Ob 288/04y).

Das Vorliegen eines Kolonnenverkehrs steht hier allerdings nicht zweifelsfrei fest. Nach den Feststellungen stand zwar das Klagsfahrzeug als erstes Fahrzeug vor der 70 m von der späteren Kollisionsstelle entfernten Haltelinie vor einer Kreuzung, dahinter hatte ein weiterer Müllwagen im rechten Fahrstreifen angehalten. Auf dem linken Fahrstreifen stand das Beklagtenfahrzeug hinter einigen Fahrzeugen, deren Anzahl nicht festgestellt werden konnte. Nach dem Losfahren des Klagsfahrzeuges wurde dieses von „einigen Autos rechts überholt". Ob diese überholenden Fahrzeuge sich nach dem Überqueren der Kreuzung und bei Annäherung an die beginnende gleichmäßige Verengung in zwei Fahrzeugreihen fortbewegten bzw hinter dem Beklagtenfahrzeug zumindest ein weiteres Fahrzeug ihrer Fahrlinie folgte, steht nicht fest. Diese Unklarheit über das Vorliegen eines Kolonnenverkehrs geht zu Lasten der ein Verschulden der Unfallsgegnerin behauptenden Klägerin (RIS-Justiz RS0022783), zumal sie sich ausschließlich unter Hinweis auf - die hier nicht relevante - Verengung durch parkende Fahrzeuge auf einen Anwendungsfall des § 11 Abs 5 StVO berufen hat, ohne konkrete Tatsachen zum Kolonnenverkehr vorzubringen.

Mangels festgestellten Kolonnenverkehrs im Nahebereich der Verengung kommt § 11 Abs 5 StVO nicht zur Anwendung, weshalb sich die vom Berufungsgericht als erheblich gewertete Rechtsfrage nicht stellt. Andere erhebliche Rechtsfragen werden in der Revision nicht aufgezeigt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Rechtssätze
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