JudikaturJustiz1Ob119/21p

1Ob119/21p – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Juni 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj A***** M*****, geboren ***** 2019, wegen Obsorge und Kontaktrecht, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter C***** W*****, vertreten durch Dr. Annemarie Stipanitz Schreiner und Dr. Judith Kolb, Rechtsanwältinnen in Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 10. Mai 2021, GZ 45 R 112/21k 52, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 8. Februar 2021, GZ 6 Ps 34/19g 37, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Auch im Verfahren außer Streitsachen kann eine vom Rekursgericht verneinte Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz – hier die unterlassene Einholung eines Sachverständigeng utachtens – im Revisionsrekursverfahren grundsätzlich nicht mehr geltend gemacht werden (RIS Justiz RS0030748; RS0050037). Dieser Grundsatz ist im Pflegschaftsverfahren (ausnahmsweise) dann nicht anzuwenden, wenn das Aufgreifen eines solchen Verfahrensfehlers zur Wahrung des Kindeswohls erforderlich ist (RS0030748 [T2, T5, T18]; RS0050037 [T1, T4, T8]). Ob das Aufgreifen eines vom Rekursgericht verneinten Verfahrensmangels aus Gründen des Kindeswohls erforderlich ist, bildet eine Frage des Einzelfalls (RS0050037 [T18]).

[2] Zur – auch in dritter Instanz relevierten – Unterlassung der Einholung eines familienpsychologischen Gutachtens zeigt die Revisionsrekurswerberin schon nicht auf, inwiefern der behauptete Mangel geeignet gewesen wäre, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen (RS0043027 [T13]). Der bloße Hinweis, dass dadurch eine „tiefere Erkenntnis“ zu erlangen gewesen wäre, reicht ebensowenig aus wie die Behauptung, ein Sachverständiger könne ein „besseres Bild von der Sachlage vermitteln“.

[3] 2. Wenn die Mutter die auf der Grundlage der Stellungnahme der Familien und Jugendgerichtshilfe getroffenen Feststellungen bekämpft, ist sie darauf hinzuweisen, dass der Oberste Gerichtshof auch im Außerstreitverfahren nur als Rechts und nicht als Tatsacheninstanz entscheidet (RS0007236 [T3]; RS0108449 [T2]). A n die Beweiswürdigung der Vorinstanzen und die so gewonnenen Feststellungen ist der Oberste Gerichtshof gebunden.

[4] 2.1. Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, ob die Voraussetzungen für eine Obsorgeübertragung erfüllt sind, ist grundsätzlich eine solche des Einzelfalls, der keine Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zukommt, wenn dabei – wie hier – auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wird und leitende Grundsätze der Rechtsprechung nicht verletzt werden (RS0115719).

[5] 2.2. Seit dem KindNamRÄG 2013 soll die Obsorge beider Eltern der Regelfall sein (RS0128811 [T1]). Dies setzt ein gewisses Mindestmaß an Kooperations und Kommunikationsfähigkeit voraus, weil es bei der gemeinsamen Obsorge erforderlich ist, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und Entschlüsse zu fassen. Es ist daher vom Gericht eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden oder in absehbarer Zeit mit einer solchen zu rechnen ist (RS0128812). Diese Beurteilung kann nur nach den Umständen des Einzelfalls erfolgen und begründet im Allgemeinen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG (RS0128812 [T5, T15, T19]). Eine solche vermag die Revisionsrekurswerberin auch nicht aufzuzeigen.

[6] 2.3. Bei der Beurteilung, ob zwischen den Eltern eine ausreichende Kommunikationsbasis für die Ausübung der gemeinsamen Obsorge besteht, kommt es in erster Linie auf die jeweilige Bereitschaft zum Informationsaustausch und nicht auf die Art der Nachrichtenübermittlung an (RS0132055; RS0128812 [T17, T21, T22]).

[7] Nach den Feststellungen ist das Verhältnis der Eltern noch nicht „hoch“ konfliktbehaftet. Ein kindesgefährdendes Verhalten des Vaters liegt nicht vor. Auch wenn die Eltern konfliktbehaftete Themen nicht miteinander besprechen können, versuchen sie, die Kommunikation miteinander nicht abreißen zu lassen, tauschen teilweise aktuelle Informationen per E Mail, SMS oder WhatsApp aus und stellen einander Fragen über den gemeinsamen Sohn.

[8] Das Rekursgericht legte zugrunde, dass die Eltern in der Lage sind, für weitgehend regelmäßige Kontakte zwischen Vater und Sohn zu sorgen und so – ungeachtet ihrer Konflikte – sachlich vernünftige Lösungen zu erarbeiten. Dessen Beurteilung, bereits jetzt bestehe eine Kooperations- und Kommunikationsbasis, die für den Fortbestand der Obsorge beider Elternteile ausreiche, und zudem sei mit einer Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit zu rechnen, sodass der Antrag der Mutter auf alleinige Obsorge abzuweisen sei, ist nicht korrekturbedürftig. Dass das Ergebnis der den Eltern aufgetragenen Erziehungsberatung nicht abzuwarten sei, weil der Sachverhalt für die Entscheidung über den Obsorgeantrag der Mutter bereits ausreichend geklärt sei, während die Erziehungsberatung für die Regelung der Ferienkontakte Sinn ergebe und das Kindeswohl fördere, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

[9] Nach den Feststellungen gelingt es dem Vater besser, seine eigenen Vorbehalte gegenüber der Mutter hintanzuhalten, ihre Bedeutung hervorzuheben und konstruktiv an einer gemeinsamen familiären Lösung zu arbeiten. Für die Behauptung der Revisionsrekurswerberin, dieser sei ein Machtmensch und übe ihr gegenüber eine Machtposition aus, bestehen nach dem festgestellten Sachverhalt keine Anhaltspunkte.

[10] 3.1. Die Entscheidung, ob und inwieweit einem Elternteil ein Kontaktrecht eingeräumt wird, ist stets von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängig, sodass mit ihr regelmäßig keine erheblichen Rechtsfragen verbunden sind, wenn nicht leitende Grundsätze der Rechtsprechung verletzt werden (RS0087024 [T6, T9]; RS0097114) oder das Wohl des Minderjährigen nicht ausreichend bedacht wurde (RS0097114 [T1, T18]).

[11] 3.2. Die Mutter wendet sich gegen die einmalige Übernachtung des zweijährigen Sohnes alle 14 Tage beim Vater. Das Rekursgericht bestätigte insoweit die erstinstanzliche Festsetzung des Kontaktrechts, hätten doch beide Elternteile das erste halbe Jahr nach der Geburt noch zusammengelebt, der (dreifache) Vater weise eine entsprechende Erfahrung auf, der Sohn habe auch einen guten Zugang zur nunmehrigen Lebensgefährtin des Vaters und seinen Halbgeschwistern und bereits Anfang 2020, als der Sohn noch nicht einmal ein Jahr alt gewesen sei, hätten Übernachtungen beim Vater stattgefunden. Im Zusammenhang mit der Übernachtung sei nicht alleine das Alter isoliert entscheidend, sondern dass die Beziehung des Vaters zum Sohn bereits vor den Übernachtungen gelebt worden sei.

[12] Die Mutter vermag keine Fehlbeurteilung aufzuzeigen. Wenn sie behauptet, dieses Kontaktrecht widerspreche dem Kindeswohl, führt sie dazu auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keine Argumente an.

Rechtssätze
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