JudikaturJustiz15Os28/21p

15Os28/21p – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. Juli 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Juli 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen F***** B***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Schöffengericht vom 16. Dezember 2020, GZ 15 Hv 11/20v 22, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde F***** B***** eines Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (A./), „der“ (US 14 f: zweier) Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 (erster Fall) StGB, davon jenes betreffend das Opfer J***** B***** in der Fassung BGBl I Nr 153/1998 (B./), und mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (C./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in K*****

A./ an einem nicht mehr feststellbaren Tag im Jahr 2015 mit einer unmündigen Person den Beischlaf unternommen, indem er sein erigiertes Glied auf die unbekleidete Vagina der am 27. März 2004 geborenen L***** B***** drückte;

B./ außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an unmündigen Personen vorgenommen bzw von einer unmündigen Person an sich vornehmen lassen, indem

1./ er an nicht mehr feststellbaren Tagen Handonanie an seinem unbekleideten erigierten Glied vornehmen ließ, bis er zum Samenerguss kam, und zwar

a./ in zahlreichen wiederholten Angriffen zwischen 2012 und 2016 durch die am 27. März 2004 geborene L***** B*****, wobei „ein derartiger Tatvorfall“ (US 5 f, 11 f, 14: die Taten) bei L***** B***** eine schwere Körperverletzung, nämlich eine Anpassungsstörung mit 24 Tage übersteigender Gesundheitsschädigung zur Folge hatte;

b./ in zumindest drei Angriffen in den Jahren 2003 bis 2008 durch die am ***** geborene J***** B*****, wobei „ein derartiger Tatvorfall“ (US 4, 6, 11 f, 14: die Taten) eine schwere Körperverletzung bei J***** B*****, nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung sowie Depressionen und eine Angststörung mit 24 Tage übersteigender Gesundheitsschädigung zur Folge hatte;

2./ an nicht mehr feststellbaren Tagen

a./ in zahlreichen wiederholten Angriffen zwischen 2012 und 2016 die am 27. März 2004 geborene L***** B***** im Bereich der unbekleideten äußeren Geschlechtsteile jeweils ca 30 Minuten lang intensiv betastete, während er onanierte;

b./ in zahlreichen wiederholten Angriffen in den Jahren 2003 bis 2008 die am ***** geborene J***** B***** im Bereich der nur mit einer Pyjamahose bekleideten äußeren Geschlechtsteile jeweils ca 30 Minuten lang intensiv betastete, während er onanierte;

C./ durch die zu A./ und B./ beschriebenen Taten mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Personen, nämlich seinen Enkeltöchtern, geschlechtliche Handlungen vorgenommen bzw von einer unmündigen Person an sich vornehmen lassen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

[4] Dem Einwand der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben sich die Tatrichter im Zusammenhang mit den Feststellungen zur von J***** und L***** B***** (jeweils) erlittenen Gesundheitsschädigung und deren Ursachen (US 2, 4, 14) mit dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen auseinandergesetzt und dabei – im dem Gebot zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) genügenden Umfang – berücksichtigt, dass dieses „geraffte“ Schmerzperioden und bei J***** B***** auch „psychische Krankheitssymptome … aus anderer Ursache“ auswies (US 11 f). Indem der Beschwerdeführer aus isoliert hervorgehobenen Ausführungen des Sachverständigen (vgl aber ON 21 S 34–37) andere Schlüsse gezogen wissen will und deshalb eine offenbar unzureichende Begründung behauptet (Z 5 vierter Fall), bekämpft er bloß die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.

[5] Die gegen die Annahme der Qualifikation (jeweils) nach § 207 Abs 3 (erster Fall) StGB gerichtete Behauptung der Subsumtionsrüge (Z 10), die vom Erstgericht konstatierten psychischen Folgen würden keine schwere Gesundheitsschädigung iSd § 84 Abs 1 StGB darstellen, orientiert sich nicht an der Gesamtheit der Urteilsfeststellungen (vgl aber RIS Justiz RS0099810). Danach erlitten durch die Taten des Angeklagten J***** B***** (B./1./b./) eine posttraumtische Belastungsstörung, Depressionen und eine Angststörung einhergehend mit bislang (gerafft) 152 Tagen leichten psychischen Schmerzen sowie L***** B***** (B./1./a./) (zumindest) eine Anpassungsstörung aufgrund erlebter multipler traumatischer Situationen einhergehend mit bislang (gerafft) 76 Tagen leichten psychischen Schmerzen (US 4 ff). Weshalb die festgestellte Mitkausalität der einzelnen Taten für die (letztlich) eingetretenen psychischen Folgen für die (jeweils einmalige ) Zurechnung der Erfolgsqualifikation nicht ausreichen sollte, macht die Beschwerde nicht klar. Die von ihr ins Treffen geführte Stelle im Schrifttum ( Leukauf/Steininger / Nimmervoll StGB 4 § 84 Rz 74) bezieht sich auf verschiedene Taten mit teils bloß leichtem, teils schwerem Verletzungserfolg und nicht auf die Mitursächlichkeit mehrerer Taten für eine (letztlich) schwere Schädigung der (psychischen) Gesundheit (vgl aber RIS Justiz RS0089343, RS0119388, RS0092798).

[6] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

[7] Dieses wird dem (ungerügt gebliebenen) Umstand Rechnung zu tragen haben (RIS-Justiz RS0122140), dass die vom Schöffengericht vorgenommene erschwerende Wertung der Tatbegehung „gegen zwei Angehörige“ (US 15) eine dem Angeklagten zum Nachteil gereichende unrichtige Gesetzesanwendung (§ 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO) zufolge Doppelverwertung (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) begründet, weil die Angehörigeneigenschaft (fallkonkret) jeweils schon für die Unterstellung unter § 212 Abs 1 Z 1 StGB essentiell ist (vgl 14 Os 104/20f; 11 Os 13/20a; 11 Os 140/18z).

[8] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

[9] Bleibt mit Blick auf § 290 StPO weiters anzumerken:

[10] 1./ Das Erstgericht ging in tatsächlicher Hinsicht von einer Mitkausalität jeder der im jeweiligen Tatzeitraum vom Angeklagten begangenen Taten des (schweren) sexuellen Missbrauchs für d ie dadurch erlittenen Gesundheitsschädigungen der beiden Opfer aus (US 4 ff, 11 f, 14). Aus einem offenbaren Missver ständnis der Judikatur zur „bloß einmaligen Zurechnung“ von schweren Verletzungsfolgen iSd § 84 Abs 1 StGB (vgl RIS Justiz RS0128224, RS0120828) subsumierte es sämtliche – nicht im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit (vgl RIS Justiz RS0120233) begangenen – Taten zu B./ pro Opfer jeweils (nur) einem einzigen Verbrechen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 (erster Fall) StGB (bezüglich J***** B***** idF BGBl I 1998/153).

[11] Abgesehen davon, dass bei festgestellter Mitkausalität (vgl RIS Justiz RS0091997 [T2]) hinsichtlich L***** B***** schon die zu A./ begangene Tat als nach § 206 Abs 3 erster Fall StGB qualifiziert hätte angesehen werden können (mit der Konsequenz, dass dann zu B./ sämtliche dieses Opfer betreffenden Taten mehreren Verbrechen (bloß) nach § 207 Abs 1 StGB idgF zu subsumieren gewesen wären), wären – selbst bei Zurechnung der schweren Verletzungsfolge bei beiden Opfern (erst) im Rahmen des § 207 StGB – jeweils neben einem nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (betreffend J***** B***** idF BGBl I 1998/153) qualifizierten Verbrechen damit realkonkurrierend eine unbestimmte Anzahl von Verbrechen des sexuellen Missbrauchs nach § 207 Abs 1 StGB anzunehmen gewesen (vgl Philipp in WK 2 StGB § 201 Rz 30; 14 Os 52/07i). Dieser Subsumtionsirrtum gereichte dem Angeklagten (jeweils) zum Vorteil, sodass er schon deshalb auf sich zu beruhen hatte.

[12] 2./ Bei der Vornahme von geschlechtlichen Handlungen mit leiblichen Enkelkindern (als in absteigender Linie verwandten minderjährigen Personen) wird erst seit 1. Mai 2004 (§ 212 Abs 1 Z 1 StGB idF BGBl I 2004/14) der Missbrauch des Autoritätsverhältnisses bereits als typisch vorausgesetzt (vgl auch RIS Justiz RS0095270), während die davor geltende Bestimmung des § 212 Abs 1 StGB (in der Stammfassung BGBl 1974/60) auf eine tatsächliche Ausnützung der Stellung gegenüber dem der Erziehung, Ausbildung oder Aufsicht des Täters unterstehenden Opfer abstellte (vgl 15 Os 166/12v; 14 Os 59/16g).

[13] Da J***** B***** nach den Feststellungen (auch) zu den Tatzeiten vor dem 1. Mai 2004 der Aufsicht ihres Großvaters unterstand und dieser seine Autoritätsstellung vorsätzlich zur Tatbegehung ausnützte (US 6), ist fallkonkret der Schuldspruch zu C./ (iVm B./1./b./ und B./2./b./) bezüglich des Opfers J***** B***** auch wegen des Tatzeitraums bis einschließlich 30. April 2004 als solcher nicht zu beanstanden.

[14] Allerdings wäre im Hinblick auf den nach § 61 StGB vorzunehmenden Günstigkeitsvergleich und die Unzulässigkeit einer Kombination aus den in Rede stehenden Rechtsschichten (RIS Justiz RS0112939) sowie die idealkonkurrierende Überschneidung des J***** B***** betreffenden (qualifizierten) Verbrechens nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl I 1998/153 (vgl B./1./b./ und B./2./b./) mit C./ insofern (auch) ein Vergehen nach § 212 Abs 1 idF BGBl 1974/60 (vgl 15 Os 52/13f) anzunehmen gewesen. Im Hinblick auf die für den Angeklagten nicht ungünstigere Fassung des § 212 Abs 1 StGB idgF war jedoch auch diese (zum Teil) verfehlte Subsumtion für ihn nicht nachteilig im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO.

Rechtssätze
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