JudikaturJustiz14Os31/03

14Os31/03 – OGH Entscheidung

Entscheidung
01. April 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. April 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Ratz, Dr. Philipp und Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Zucker als Schriftführer, in der Strafsache gegen Mounir A***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB und anderer Straftaten über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Schöffengericht vom 21. November 2002, GZ 11 Hv 11/02k-117, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen (auch im Verfolgungsvorbehalt) unberührt bleibt, in den zu I/2), II) und III) ergangenen Schuldsprüchen sowie im Ausspruch einer Freiheitsstrafe (samt Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wels verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Dem Angeklagten fallen auch die durch den erfolglosen Teil seiner Nichtigkeitsbeschwerde verursachten Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mounir A***** wurde je zweier Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB (I/1 und 2) und der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (II und III) sowie der Vergehen der versuchten Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 15, 223 Abs 2, 224 StGB (IV/1) und der versuchten Urkundenfälschung nach §§ 15, 223 Abs 2 StGB (IV/2) schuldig erkannt.

Nach dem Inhalt des Erkenntnisses (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) hat er

I) außer den Fällen des § 201 Abs 1 StGB mit Gewalt "bzw gefährlicher

Drohung" (s aber US 6 f, wonach die zu I/1) genannte Tat ohne Drohung vonstatten ging) zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, und zwar

1) im Mai 1999 in W***** Eylem I*****, "indem er sie auf das Bett warf, niederdrückte und sie im Bereich der Scheide mehrmals betastete sowie mehrmals mit seinem Finger in ihre Scheide griff";

2) am 16. Mai 1999 in G***** Sevim U*****, "indem er ihren Oberkörper auf das Bett drückte und äußerte, dass er ihrer Schwester etwas antun werde, würde sie schreien, und sie an der Scheide mehrmals betastete sowie zwei Finger in ihre Scheide einschob;

II) im Mai 1999 in W***** Eylem I***** durch gefährliche Drohung mit dem Tod, nämlich durch die Äußerung, "wenn sie etwas sagen würde, werde er ihren Mann umbringen und ihnen gewaltige Schwierigkeiten machen", dazu zu nötigen versucht, die Anzeige der zu I/1) genannten Tat zu unterlassen;

III) am 12. September 2001 in W***** durch die telefonische Äußerung gegenüber einem Polizeibeamten: "Wenn mein Sohn nicht in zwei Tagen frei, dann ich Bombe für österreichische Botschaft! Ich Hisbollah! Du verstanden?" "Mitglieder der österreichischen Botschaft" durch gefährliche Drohung mit dem Tod oder einer Gefährdung durch Sprengmittel zur Enthaftung seines Sohnes zu nötigen versucht;

IV) am 9. September 2002 in Salzburg (richtig) durch Mitführen nachstehender mit einem Falschnamen versehener, gefälschter Urkunden diese im Rechtsverkehr zum Identitätsnachweis zu gebrauchen versucht, nämlich

1) einen belgischen Führerschein, mithin eine ausländische öffentliche Urkunde, welche durch Gesetz inländischen öffentlichen Urkunden gleichgestellt ist, und

2) eine belgische Identitätskarte.

Rechtliche Beurteilung

Während sein vor Ausführung des Rechtsmittels eingebrachtes, nicht mit der Unterschrift eines Verteidigers versehenes Schreiben unbeachtlich ist (Ratz, WK-StPO § 285 Rz 7), kommt der gegen die Schuldsprüche zu I) bis III) aus Z 4, 5, 5a, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten zu I/1) keine Berechtigung zu:

Da der Beschwerdeführer ohnehin keiner in der Nacht vom 20. auf den 21. Mai 1999 begangenen Straftat schuldig erkannt wurde, wäre ein Alibi für diesen Zeitraum ohne Bedeutung, sodass die Verfahrensrüge (Z 4) versagt. Mangelhafte Begründung des einen Antrag abweisenden Zwischenerkenntnisses steht nicht unter Nichtigkeitssanktion (Ratz aaO Rz 318, 332; vgl Bd II, S 136 iVm ON 110).

Die Mängelrüge gesteht (arg "nicht ausreichend gewürdigt bzw erörtert") selbst zu, das Erstgericht habe die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Beweismittel und angeblichen Widersprüche nicht unberücksichtigt gelassen, räumt solcherart das Fehlen des reklamierten Nichtigkeitsgrundes (Z 5 zweiter Fall) ein und erschöpft sich bloß in weitwendig vorgetragener Kritik am Inhalt der beweiswürdigenden Erwägungen der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung, ohne - aus Z 5a wiederholt - erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruches über entscheidende Tatsachen zu wecken. Mit Blick auf das aus § 270 Abs 2 Z 5 StPO erhellende Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe ist ein Begründungsmangel nicht schon deshalb gegeben, weil nicht der vollständige Inhalt sämtlicher Aussagen wie überhaupt sämtliche Verfahrensergebnisse im Einzelnen erörtert und darauf untersucht wurden, wie weit sie für oder gegen diese oder jene Geschehensvariante sprechen. Unerhebliche Widersprüche der Beweisergebnisse sind nicht erörterungsbedürftig (aaO § 281 Rz 421, 428).

Der aus Z 5 erster Fall erhobene Vorwurf undeutlicher Feststellung des Zeitpunktes der zu I/1) genannten Tat geht deshalb fehl, weil das Schöffengericht mit voller Bestimmtheit zum Ausdruck gebracht hat, insoweit zu keiner Feststellung in der Lage zu sein. Soweit die Beschwerde (zu II) die Ernstlichkeit der Todesdrohung - eine Tatfrage (Jerabek, WK2 § 74 Rz 34) - beweiswürdigend bestreitet, verfehlt sie zwar (aus Z 9 lit a und 10) den erforderlichen Vergleich von getroffenen Feststellungen mit dem zur Anwendung gebrachten materiellen Recht. Um als gefährlich im Sinn des § 74 Z 5 StGB eingestuft zu werden, muss eine Drohung indes geeignet sein, (hier) der Bedrohten begründete Besorgnisse - das ist die Annahme, dass das angedrohte Ereignis bevorsteht, verbunden mit der unangenehmen Vorausempfindung des aus diesem Ereignis entspringenden Übels - einzuflößen. Diese Eignung ist im Hinblick auf die Verhältnisse und die persönliche Beschaffenheit der Bedrohten und die Wichtigkeit des angedrohten Übels unter Anlegung eines objektiv-individuellen Maßstabs zu beurteilen, mithin danach, ob die Bedrohte bei unbefangener Betrachtung der Situation nach dem objektiven Maßstab eines besonnenen Durchschnittsmenschen unter Berücksichtigung der in ihrer Person gelegenen besonderen Umstände die Verwirklichung des angedrohten Übels erwarten, das heißt den Eindruck gewinnen konnte, der Angeklagte sei willens und in der Lage, diese Folgen tatsächlich herbeizuführen (Jerabek aaO Rz 33). Feststellungen aber, welche die Beantwortung dieser Rechtsfrage (Jerabek aaO Rz 34) ermöglichen würden, hat das Erstgericht, welches von einem ausgeprägten Naheverhältnis zwischen dem Ehegatten des Tatopfers und dem Angeklagten ausgeht (US 7), nicht getroffen, was - aus Z 9 lit a zutreffend geltend gemacht - die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung unvermeidlich macht (§ 285e erster Satz StPO). Gleichfalls berechtigt erweist sich die gegen den Schuldspruch wegen versuchter schwerer Nötigung von "Mitgliedern der österreichischen Botschaft" (III) mit dem Ziel, diese zur Enthaftung des Ali A***** zu bewegen, ergriffene Rechtsrüge (inhaltlich Z 9 lit b), weil Botschaftsangehörigen eine derartige Verfügung nicht zusteht, sodass die Vollendung der Tat solcherart unter keinen Umständen möglich war, was den Tatversuch straflos machen würde (§ 15 Abs 3 dritter Fall StGB).

Diesen Anklagepunkt betreffend wird im zweiten Rechtsgang der Bedeutungsinhalt der Drohung klarzustellen sein. Sollte festgestellt werden, dass der Angeklagte über Vermittlung des direkt angesprochenen Polizeibeamten der zuständigen Polizei- oder Gerichtsbehörde oder Staatsanwaltschaft (zum Behördenbegriff des StGB vgl Danek, WK2 § 269 Rz 12 ff und Foregger, WK2 § 116 Rz 6) Gewalt gegenüber Angehörigen österreichischer Botschaften (§ 106 StGB) für den Fall in Aussicht stellte, dass sein Sohn weiterhin in Haft belassen wird, würde die Tat das - gegebenenfalls mit Bestimmung zum Missbrauch der Amtsgewalt echt ideell konkurrierende - Verbrechen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 zweiter Fall StGB begründen (vgl Bertel/Schwaighofer BT II5 § 269 Rz 8; Ratz, WK2 Vorbem zu §§ 28-31 Rz 53 f).

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde hat sich der Oberste Gerichtshof zudem von einer den Schuldspruch wegen Vergewaltigung der Sevim U***** betreffenden Urteilsnichtigkeit überzeugt (I/2; Z 9 lit a). Nicht jede gefährliche Drohung begründet auch eine solche mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben. Dafür ist vielmehr neben der Ausrichtung gegen die körperliche Unversehrtheit die Möglichkeit zum sofortigen Vollzug erforderlich (vgl Schick, WK2 § 201 Rz 28; Kienapfel/Schmoller BT III §§ 201-203 Rz 23). Ob der Angeklagte aber von der Eignung seiner Drohung ausging, Sevim U***** begründete Besorgnis einzuflößen, er werde trotz Anwesenheit weiterer Personen zum sofortigen Vollzug der Ankündigung schreiten, ist den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen. Feststellungen darüber wären nur dann entbehrlich, wenn Mounir A***** angenommen hätte, dass schon die Gewaltausübung allein das Tatopfer dazu veranlassen würde, das Betasten ihrer Scheide samt Einführen zweier Finger zu dulden, und dies auch tatsächlich der Fall war. Dazu beziehen die Entscheidungsgründe jedoch ebensowenig Stellung.

Sollte im zweiten Rechtsgang eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben für die Schwester des Tatopfers in tatsächlicher Hinsicht nicht zu erweisen sein (vgl erneut Jerabek, WK2 § 74 Rz 33), wird für den Fall eines im Handeln des Angeklagten zum Ausdruck kommenden Entschlusses auf Nötigung (bloß) mit Gewalt zur Abgrenzung vollendeter Vergewaltigung vom Versuch dieser Straftat klarzustellen sein, ob das Nötigungsziel schon allein durch die Gewaltanwendung erreicht wurde. Hätte der Angeklagte indes sein Ziel nur durch Zusammenwirken von Gewalt und gefährlicher Drohung erreichen wollen, käme nur geschlechtliche Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB in Betracht.

Rechtssätze
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