JudikaturJustiz14Os129/05k

14Os129/05k – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Dezember 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Dezember 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Eck als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Monika K***** wegen des Verbrechens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 7. September 2005, GZ 29 Hv 118/04k-48, nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Innsbruck zurückverwiesen. Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Monika K***** wurde des Verbrechens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat sie von Februar 1998 bis August 2003 in R***** ihr anvertrautes Gut in einem 50.000 Euro übersteigenden Wert, nämlich von Patienten des Sanatoriums der K***** zur Weiterleitung übergebenes Bargeld im Gesamtbetrag von 383.137,40 Euro, sich mit dem Vorsatz zugeeignet, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, indem sie es behielt.

Rechtliche Beurteilung

Der aus Z 4, 5, 5a und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten kommt aus dem zuerst genannten Nichtigkeitsgrund Berechtigung zu.

Die zur Frage der Zurechnungsfähigkeit der Angeklagten infolge pathologischer Spielsucht mit der Erstattung von Befund und Gutachten beauftragte psychiatrische Sachverständige Dr. T***** hatte bei ihrer Befragung durch den Verteidiger in der Hauptverhandlung erklärt, sie weigere sich, „in dieser Verhandlung mündlich und ad hoc zu irgendwelchen Auszügen" aus einem psychiatrischen Lehrbuch „Stellung zu nehmen", und den Wunsch geäußert, erforderlichenfalls schriftlich antworten zu dürfen. Daraufhin hatte der Verteidiger den Antrag gestellt, ihm „die Möglichkeit einzuräumen, einen Schriftsatz einzubringen, in welchem die näheren Kriterien für die Diagnose der pathologischen Spielsucht nach DSM IV im Sinne der anerkannten Lehrmeinung laut Meyer/Bachmann schriftlich vorgetragen werden und darauf aufbauend die Sachverständige um ihre Beurteilung darüber zu ersuchen, ob zumindest fünf dieser Kriterien, wie sie in dieser Fachliteratur angeführt sind, auf die Angeklagte zutreffen, wonach pathologische Spielsucht zu diagnostizieren sei." (S 13/II)

Dieser Antrag wurde unter Hinweis darauf abgewiesen, dass Mängel des vorgetragenen Gutachtens „im Sinn des § 125 StPO" nicht vorlägen und der Antrag verspätet gestellt worden sei. „Weitere Fragen und Vorhalte des Verteidigers an die Sachverständige aus dem Buch Meyer/Bachmann" wurden sodann - ersichtlich in Durchführung dieses Zwischenerkenntnisses des Gerichtshofes (§ 238 StPO) - „nicht zugelassen" (S 15/II).

Zu Recht weist die Angeklagte darauf hin, dass sie durch dieses Zwischenerkenntnis in ihrem Recht, an die Sachverständige Fragen zu stellen (§ 249 Abs 1 StPO), in einer Nichtigkeit aus Z 4 des § 281 Abs 1 StPO begründenden Weise verletzt wurde.

Die vom erkennenden Gericht für die Nichtzulassung von Fragen zu den Kriterien einer - wenngleich nur in besonderen Fällen zur Beseitigung des biologischen Schuldelementes tauglichen (§ 11 StGB; vgl Haller,

Das psychiatrische Gutachten, 120 ff) - pathologischen Spielsucht ins Treffen geführten Vorschriften der §§ 125 f StPO regeln nur das Vorgehen bei formalen Mängeln von Befund und Gutachten. Gelingt es dem Ankläger oder dem Angeklagten, derartige formale Mängel aufzuzeigen, und ist das in den genannten Bestimmungen beschriebene Verbesserungsverfahren erfolglos geblieben, hat er ein aus Z 4 garantiertes Recht auf Überprüfung des solcherart mangelhaften Befundes oder Gutachtens durch einen oder mehrere andere Sachverständige.

Über die materielle Überzeugungskraft eines Sachverständigengutachtens ist damit noch nichts gesagt. Diese erweist sich erst im Rahmen der Beweiswürdigung des erkennenden Gerichtes (Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 2; Ratz, aaO § 281 Rz 351). Sowohl zur Vorbereitung eines erfolgversprechenden Antrags auf Beiziehung eines oder mehrerer anderer Sachverständiger als auch zur Erschütterung der materiellen Überzeugungskraft ihm ungünstig erscheinender Befunde oder Gutachten dient dem Angeklagten sein - übrigens auch grundrechtlich abgesichertes (Art 6 Abs 3 lit d MRK; Sachverständige sind „Zeugen" im Sinn dieser Vertragsbestimmung; vgl nur Grabenwarter Europäische Menschenrechtskonvention § 24 Rz 112 f) - Fragerecht (vgl Hinterhofer, WK-StPO Vorbem zu §§ 116 bis 126a Rz 25; zur Stellung des Sachverständigen als Beweisperson und nicht als Organ der Gerichtsbarkeit instruktiv ders, aaO Rz 6 f). Einen Sachverständigen bei seiner Befragung mit einer wissenschaftlich fundierten Lehrmeinung zu konfrontieren, aus der Zweifel an den von ihm gezogenen Schlüssen entstehen sollen (vgl § 134 StPO), ist keineswegs unzulässig oder unangemessen im Sinn des § 249 Abs 2 StPO. Der Fragesteller kann dazu sogar die Hilfe eines sogenannten Privatsachverständigen in Anspruch nehmen, dem es nicht verwehrt werden darf, neben dem Verteidiger Platz zu nehmen, ohne allerdings selbst das Fragerecht ausüben zu dürfen (vgl aber auch § 199 Abs 2 FinStrG; 13 Os 34/01, EvBl 2002/39, 155; Hinterhofer WK-StPO Vorbem zu §§ 116 bis 126a Rz 22).

Solchen Fragen hat sich der Sachverständige demnach zu stellen. Sieht er sich hierzu nicht sofort in der Lage, ist die Hauptverhandlung, von einem solcherart manifest gewordenen Befähigungsmangel des Sachverständigen abgesehen, zu diesem Zweck zu unterbrechen oder zu vertagen (§§ 273, 276 StPO; vgl Danek, WK-StPO § 273 Rz 6). Die vom Erstgericht weiters in Anschlag gebrachte Prozessökonomie lässt das Gesetz als Grund für die Abweisung eines Beweisantrages nur unter dem Gesichtspunkt der Undurchführbarkeit gelten (WK-StPO § 281 Rz 344).

Soweit das Schöffengericht zuletzt in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zum Ausdruck bringt, der Antragsteller habe nicht dargelegt, aus welchem Grund erwartet werden könne, „dass ein ergänzendes Gutachten zu anderen Ergebnissen führen würde, zumal die Sachverständige ohnehin angab, den Inhalt des Buches verwertet zu haben" (US 20), ist dem Folgendes zu erwidern:

Dass die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse, muss dieser zwar nach (Jahrzehnte zurück reichender) ständiger Rechtsprechung plausibel machen, aber nur dann, wenn die Tauglichkeit der Beweisaufnahme nicht auch ohne ein derartiges Vorbringen für das erkennende Gericht ohne weiteres erkennbar ist (WK-StPO § 281 Rz 328; zust Schmoller, WK-StPO § 3 Rz 63 und Fuchs, Schriftenreihe des BMJ Bd 118, 5 [18 ff]). Von dieser auf die Art der Beweisführung abstellenden abstrakten Eignung, bei deren Fehlen von einem Erkundungsbeweis gesprochen wird, hat der Oberste Gerichtshof stets die vorgreifende Beweiswürdigung unterschieden (dagegen vermengt Bertel, AnwBl 2005, 386 [387 f], die Begriffe). Während ein auf Erkundungsbeweisführung in der Hauptverhandlung abzielender Antrag angesichts der - grundrechtlich abgesicherten (Art 6 Abs 1 MRK) - Beschleunigungsvorschrift des § 232 Abs 2 StPO abzuweisen ist, ist es unzulässig, die Aufnahme eines Beweises unter Hinweis auf dessen fehlende Überzeugungskraft zu verweigern. Denn das Gesetz lässt die Würdigung von Beweisen erst nach deren Vorführung in der Hauptverhandlung zu.

Dass es gelingen werde, durch Konfrontation der Sachverständigen mit wissenschaftlichem Schrifttum, das Zweifel an den Ansätzen des von ihr erstatteten Gutachtens wecken kann, formale Mängel ihrer Ausführungen aufzuzeigen oder deren Überzeugungskraft zu erschüttern, war aber im Zeitpunkt der aus Z 4 gerügten prozessleitenden Verfügung, derartige Fragen pauschal nicht weiter zuzulassen, keineswegs unplausibel. Indem das erkennende Gericht die Mängelfreiheit des Gutachtens, ohne die verlangten Fragen zu ermöglichen, demnach von vornherein, als gegeben unterstellte, hat es das Gutachten der Sachverständigen in unzulässiger Weise vorgreifend gewürdigt.

Schließlich widerspricht die erst im Urteil erfolgte Bekanntgabe von Gründen für die Abweisung eines Antrags nicht bloß dem Wortlaut des § 238 Abs 2 StPO, sondern auch dem Sinn dieser Vorschrift. Die Anordnung zur sofortigen Verkündung der Entscheidungsgründe trägt nämlich zwei Anliegen des Gesetzes Rechnung:

Einerseits wird auf diese Weise sichergestellt, dass die Entscheidungsfindung nicht erst im Nachhinein reflektiert wird. Andererseits trägt die Darlegung der Gründe noch vor Urteilsfällung dazu bei, dass Antragsteller auf Mängel ihrer Anträge aufmerksam gemacht werden und ein ergänzendes Vorbringen erstatten können. Soweit ältere Entscheidungen in im Urteil nachgetragenen Gründen eine Information des Rechtsmittelgerichtes über die Erwägungen der Tatrichter erblicken (vgl RIS-Justiz RS0098189), ist diese nur insoweit angezeigt, als solcherart die - indes fast immer unstrittige - Sachverhaltsgrundlage für die getroffene prozessleitende Verfügung mängelfrei dargestellt werden kann (vgl 12 Os 104/03, 11 Os 34/04, 11 Os 20/05h, ÖJZ-LSK 2005/182, 12 Os 26/05y, 14 Os 63/05d, EvBl 2005/185, 893; zum Ganzen Ratz, ÖJZ 2005, 705 [706 f]). Da der Gerichtshof auf den Antrag des Verteidigers hin apodiktisch sämtliche „Fragen und Vorhalte des Verteidigers an die Sachverständige aus dem Buch ‚Meyer/Bachmann'" untersagt hat, ist ungeachtet der Tatsache, dass eine auf pathologische Spielsucht lautende Diagnose für die Annahme einer darauf basierenden Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit (§ 11 StGB) keineswegs genügt, auch nicht unzweifelhaft der Mangel eines der Angeklagten nachteiligen Einflusses auf die Entscheidung erkennbar (§ 281 Abs 3 StPO), sodass bereits bei der nichtöffentlichen Beratung der Nichtigkeitsbeschwerde sofort Folge zu geben und eine neue Hauptverhandlung anzuordnen war (§§ 285e erster Satz, 288 Abs 2 Z 1 StPO).

Die weiteren Ausführungen der Nichtigkeitsbeschwerde bedürfen demnach keiner Erörterung; die Berufung ist gegenstandslos. Bleibt dem umfangreichen Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde zum veruntreuten Bargeldbetrag gegenüber anzumerken, dass die genaue Höhe eines die Grenze des § 133 Abs 2 zweiter Fall StGB überschreitenden Wertes keine entscheidende Tatsache betrifft und daher aus Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO nicht erfolgversprechend gerügt werden kann. Ist die Schädigung nach Ansicht des Angeklagten geringer als vom Erstgericht angenommen, kann dieser Umstand jedoch - ohne Neuerungsverbot - als Berufungsgrund geltend gemacht werden (Ratz, WK-StPO § 295 Rz 15 ff).

Rechtssätze
14
  • RS0098189OGH Rechtssatz

    13. Dezember 2007·3 Entscheidungen

    Begründungszwang für Zwischenerkenntnisse. Die Bestimmung des § 238 Abs 2 StPO, wonach die Entscheidungsgründe eines Zwischenerkenntnisses im Sinne des Abs 1 leg cit "jederzeit verkündet und im Protokoll ersichtlich gemacht werden" müssen, verfolgt ua den Zweck, der Rechtsmittelinstanz bei Anrufung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 4 StPO all jene Erwägungen zur Kenntnis zu bringen, von denen sich das Gericht bei Ablehnung eines (Beweisantrags) Antrags leiten ließ: Damit soll das Rechtsmittelgericht Gelegenheit erhalten sowohl zur Prüfung der Frage, ob Verfahrensgrundsätze unrichtig angewendet wurden, als auch zur Beurteilung, welchen Einfluss eine etwaige Formverletzung auf die Entscheidung in der Sache selbst zu üben vermochte. Um diesen Voraussetzungen zu genügen, hat die Begründung des Zwischenerkenntnisses, ohne der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, gemäß der analog anzuwendenden Norm des § 270 Abs 2 Z 7 StPO auf die konkreten Umstände des Einzelfalls einzugehen, dh die für die (Zwischenentscheidung) Entscheidung maßgebenden Tatsachen im einzelnen darzulegen. Nur das strikte Festhalten an dieser Begründungspflicht bietet Gewähr dafür, dass die Gerichte sich den Prozessparteien vollständige - und unerlässliche - Klarheit über die verwerteten Entscheidungsgrundlagen verschaffen; denn allein der Zwang zur sachgemäßen Begründung der Ablehnung (von Beweisanträgen) kann die - unzulässige - Vorwegnahme des Beweisergebnisses sich und wirksam ausschließen.