JudikaturJustiz13Os127/07m

13Os127/07m – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Oktober 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Oktober 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Maschler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ludwig P***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 33 Ur 198/06s des Landesgerichtes St. Pölten, über die Grundrechtsbeschwerden der Beschuldigten Ludwig P***** und Stefan G***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht vom 5. September 2007, AZ 22 Bs 212/07y, 226/07g, 227/07d, 228/07a, 229/07y (= ON 315 des Ur-Aktes), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Ludwig P***** und Stefan G***** wurden im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.

Dem Bund wird hinsichtlich Ludwig P***** und Stefan G***** der Ersatz der mit je 700 Euro (zuzüglich Umsatzsteuer) bestimmten Beschwerdekosten auferlegt.

Text

Gründe:

1. Die Beschuldigten Ludwig P*****, Thomas F*****, Sonia Regina D***** und Stefan G***** sind nach dem Inhalt der dann von ihnen beim Oberlandesgericht Wien angefochtenen Haftbeschlüsse des Untersuchungsrichters (ON 202, 244, 253, 268, 272, 285 und 286) dringend verdächtig, zunächst gemeinsam mit zahlreichen Mittätern seit Jahren verschiedene Firmen gegründet und in der Folge zahlreiche Unternehmen in Österreich durch rechnungsähnlich aufgemachte Schreiben zu Einzahlungen veranlasst zu haben. In den Schreiben sei die Registrierung von bereits im Firmenbuch enthaltenen Gewerbedaten der Unternehmen im Internet unter je nach Verdachtsfall verschiedenen Adressen angeboten worden. Mit den Schreiben seien die Unternehmen zur Begleichung eines Betrages von 1.294 £ oder 1.463 Euro auf die jeweils angegebene Konten der von den Verdächtigen gegründeten Firmen gebracht worden. Mit der Bezeichnung „Ö*****" im Briefkopf sei beim jeweiligen Empfänger vor allem durch Ausnützung des zeitlichen Konnexes des Firmenbucheintrags des jeweils Geschädigten mit den Schreiben der Beschuldigten der Eindruck erweckt worden, dass es sich um eine Aussendung des das Firmenbuch führenden Gerichts handle und eine Zahlungsverpflichtung im Zusammenhang mit einer erfolgten Eintragung in das Firmenbuch gegeben sei. Demnach hätten sie die Betroffenen durch Täuschung über Tatsachen zur Bezahlung des geforderten Betrages, somit zu Handlungen verleitet, die die genannten Unternehmen an ihrem Vermögen schädigten, wobei die Gesamtschadenssumme 50.000 Euro bei weitem übersteige. Weiters liege den Genannten zur Last, eine auf längere Zeit angelegte unternehmensähnliche Verbindung mit zumindest elf Personen gegründet oder sich daran beteiligt zu haben, wobei diese Verbindung durch die oben dargestellten, sich über Jahre ziehenden Handlungen eine Bereicherung von mehreren 100.000 Euro, sohin jedenfalls im großen Umfang angestrebt habe.

Schließlich seien die Beschuldigten dringend verdächtig, Vermögensbestandteile von weit mehr als 50.000 Euro, die aus den kriminellen Handlungen der kriminellen Organisation herrühren, verborgen bzw ihre Herkunft verschleiert zu haben, indem sie im Rechtsverkehr gegenüber Banken über die wahre Herkunft falsche Angaben gemacht hätten.

2. Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Wien den gegen diese Haftbeschlüsse des Untersuchungsrichters erhobenen Beschwerden der vier genannten Beschuldigten nicht Folge. Es ordnete die Fortsetzung der verhängten Untersuchungshaft an, hinsichtlich Thomas F***** und Stefan G***** aus dem Grund des § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO und betreffend Ludwig P***** und Sonia Regina D***** aus den Gründen des § 180 Abs 2 Z l, 2 und 3 lit a und b StPO. Abweichend von den Sachverhaltsannahmen des Untersuchungsrichters legte das Oberlandesgericht den Beschuldigten zur Last, irreführende Aussendungen an Unternehmer, die eine Änderung oder Neueintragung im Firmenbuch durchführt hatten, gerichtet und diesen eine Eintragung in ein öffentliches Handels- und Gewerberegister, „Ö*****", offeriert zu haben. In der Aussendung sei den Unternehmen eine Eintragung in einem öffentlichen Handels- und Gewerberegister sowie die Ersichtlichmachung dieser Eintragung im Internet vorgetäuscht worden. In einem beigelegten Zahlschein seien Eintragungskosten von zumindest 1.264 Euro verlangt worden, dies mit der Aufforderung: „Zahlen Sie bei Annahme innerhalb von 10 Tagen". Über einen Zeitraum von 2001 bis 2006 seien in Österreich täglich etwa 300 bis 500 solcher Briefe versendet worden, in Deutschland ca 1.000.

Die Sachverhaltsannahme, die Eintragungen seien gezielt nur angekündigt, tatsächlich aber nicht vorgenommen worden, stützte das Beschwerdegericht auf die Aussage einer einzigen Geschädigten (S 4 des angefochtenen Beschlusses).

Zur Schadenshöhe führte das Oberlandesgericht Wien an, dass diese noch nicht annähernd feststehe, aber allein im Zeitraum vom 27. April bis zum 9. Mai 2006 Zahlungen in der Höhe von 44.240 Euro eingelangt seien.

Ob das Beschwerdegericht außerdem von einem dringenden Tatverdacht in Richtung Geldwäscherei und kriminelle Organisation ausging, lässt der angefochtene Beschluss nicht klar erkennen. Hiezu wird lediglich ausgeführt, die Beschuldigten hätten eine internationale Gruppierung zur Adressenbeschaffung, Kuvertierung und zum Versand der sogenannten Angebote gegründet, ebenso Firmensitze in Mallorca und Scheinfirmen in Österreich und Deutschland. Zur Geldwäsche sollte eine Firma in der Schweiz gegründet werden.

Rechtliche Beurteilung

3. Den Grundrechtsbeschwerden der Beschuldigten Ludwig P***** und Stefan G***** gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien kommt Berechtigung zu.

Zwar nimmt das ungemein wortreiche Vorbringen des Beschuldigten Ludwig P***** weitestgehend weder am angefochtenen Beschluss noch an den Anfechtungskategorien des GRBG Maß. Auch ist rechtlich nicht zu erkennen, weshalb der Zeitpunkt der Übermittlung einer Übersetzung des Europäischen Haftbefehls die Haftvoraussetzungen in Frage stellen sollte. Gleichermaßen rechtlich unverständlich ist die angebliche Missachtung einer Vorschrift, welche die Übermittlung eines „Protokolls über die Mitteilung des begründeten Beschlusses über die Verhängung der Untersuchungshaft samt deren Begründung" binnen „24 Stunden sohin bis Dienstag, den 8. August 2007, 19.30 Uhr" (gemeint offenbar binnen 48 Stunden ab dem Zeitpunkt der - vom Beschwerdeführer aktenwidrig [vgl ON 251] - angenommenen Inhaftnahme durch die Polizei; vgl aber die ungerügt gebliebene Missachtung des § 179 Abs 3 dritter Satz StPO) vorsähe.

Auch trifft es, den Einwänden des Beschuldigten Stefan G***** zuwider, wie dargelegt nicht zu, dass das Oberlandesgericht keine eigenen Sachverhaltsannahmen zum Ausdruck gebracht habe. Aus folgenden Erwägungen bewirkte aber die angefochtene Entscheidung eine Grundrechtsverletzung:

3.1 Die auf Fortsetzung der Untersuchungshaft lautende Entscheidung des Oberlandesgerichtes tritt an die Stelle der angefochtenen Haftentscheidung erster Instanz. Zufolge § 179 Abs 4 Z 4 StPO (§ 182 Abs 4 zweiter Satz StPO) hat ein Beschluss eines Oberlandesgerichtes auf Fortsetzung der Untersuchungshaft „die bestimmten Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht" für den Gerichtshof zweiter Instanz ergibt, zu enthalten. Das bedeutet, dass im Beschluss mit Bestimmtheit anzugeben ist, welcher - in Hinsicht auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit als begründet angesehenen strafbaren Handlungen (rechtlichen Kategorien, also Tatbeständen, vgl § 260 Abs 1 Z 2 StPO) rechtlich als entscheidend beurteilte - Sachverhalt angenommen wurde (sogenannte Feststellungsebene) und klarzustellen ist, auf welchen ganz bestimmten Tatumständen (Beweisergebnissen, sogenannten erheblichen Tatsachen) diese Sachverhaltsannahmen über die sogenannten entscheidenden Tatsachen beruhen (sogenannte Begründungsebene; RIS-Justiz RS0120817). Insoweit unterscheidet sich die Begründungspflicht für Haftbeschlüsse nicht von der für ein Strafurteil (vgl 13 Os 81/07x mwN).

3.2 Enthält der mit Grundrechtsbeschwerde angefochtene Beschluss keine zur Subsumtion unter eine strafbare Handlung ausreichende Sachverhaltsgrundlage, liegt eine Grundrechtsverletzung vor (RIS-Justiz RS0119859).

3.3 Eine am Gesetz orientierte Bekämpfung der Sachverhaltsgrundlagen einer Haftentscheidung hat an den Kriterien der Z 5 und 5 a des § 281 Abs 1 StPO Maß zu nehmen (RIS-Justiz RS0110146).

3.4 Davon ausgehend weisen beide Beschwerdeführer in Betreff der Begründungsebene des angefochtenen Beschlusses in Ansehung des dringenden Tatverdachtes zutreffend darauf hin, dass im vorliegenden Fall angesichts der Vielzahl allenfalls Geschädigter die Bezugnahme des Gerichtshofes zweiter Instanz auf die Aussage einer einzigen Zeugin, sie habe eine ihre Firma betreffende Eintragung im Internet nicht auffinden können, eine nur offenbar unzureichende Fundierung der zum Tatverdacht als höhergradig wahrscheinlich angenommenen Tatsachen darstellt. Aus dieser Aussage kann nicht mängelfrei auf eine Vielzahl von Fällen vorsätzlicher Täuschung über die Registereintragung geschlossen werden.

Die Begründung der zur äußeren Tatseite vom Oberlandesgericht Wien als höhergradig wahrscheinlich angenommenen Tatsachen ist daher offenbar unzureichend geblieben, worin eine Grundrechtsverletzung liegt (§ 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO iVm § 10 GRBG). Zudem enthält der Haftfortsetzungsbeschluss auch nicht die von § 179 Abs 4 Z 5 (§ 182 Abs 4 zweiter Satz) StPO vorgesehene Belehrung, was der Beschuldigte Ludwig P***** zutreffend aufzeigt.

3.5 Dazu kommt, was mangels Geltendmachung in den Beschwerden von Amts wegen aufzugreifen ist (§ 10 GRBG iVm §§ 290 Abs 1 zweiter Satz, 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO), dass der angefochtene Beschluss in Ansehung des Betrugsvorwurfes keinerlei Annahmen zur subjektiven Tatseite enthält. Das Oberlandesgericht Wien hat in keiner Weise auf einen Täuschungs-, Schädigungs- und Bereicherungswillen und eine zur vorgenommenen Subsumtion erforderliche Tendenz in Richtung wiederholter Tatbegehung zur Erzielung einer fortlaufenden Einname Bezug genommen.

Daher fehlt es im Haftfortsetzungsbeschluss des Gerichtshofs zweiter Instanz an einer zur Subsumtion unter den Tatbestand des Betruges ausreichenden Sachverhaltsgrundlage.

Die bloß rudimentären Ausführungen des Oberlandesgerichtes zu einer allfälligen Geldwäscherei und kriminellen Organisation lassen nicht einmal ansatzweise Sachverhaltsannahmen erkennen, die rechtlich als Tatbestandsmerkmale des § 165 Abs 1 und 3 StGB oder des § 278a StGB beurteilt werden könnten.

Durch die dennoch beschlossene Fortsetzung der Untersuchungshaft wurden die Beschwerdeführer auch aus diesem Grund (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt. Dieser Rechtsfehler betrifft außer den Beschuldigten Ludwig P***** und Stefan G*****, die sich mit den vorliegenden Grundrechtsbeschwerden an den Obersten Gerichtshof gewendet haben, auch die vom Haftfortsetzungsbeschluss des Oberlandesgerichtes gleichfalls erfassten Beschuldigten Thomas F***** und Sonia Regina D*****, die den Rechtsbehelf nicht ergriffen haben. Hinsichtlich der beiden Beschwerdeführer führt er zur amtswegigen Feststellung einer Grundrechtsverletzung (§ 10 GRBG iVm §§ 290 Abs 1 zweiter Satz [erster Fall] StPO); hinsichtlich der beiden anderen Beschuldigten gilt die dem (engeren, weil stets bloß auf ein und dieselbe Entscheidung bezogenen) § 290 StPO vorgehende Anordnung des § 7 Abs 2 GRBG, welche die Gerichte verpflichtet, mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Obersten Gerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen (vgl Ratz, Zur Bedeutung von Nichtigkeitsgründen in Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren, ÖJZ 2005, 415 [420 FN 56]; siehe unten Punkt 5).

3.6 Außerdem weist der angefochtene Beschluss keine beweismäßige Fundierung der Sachverhaltsannahmen zu den angenommenen Haftgründen auf. Gemäß §§ 179 Abs 4 Z 4, 182 Abs 3 letzter Satz StPO ist auch in Ansehung der Haftgründe nicht nur mit Bestimmtheit anzugeben, welcher Sachverhalt angenommen wurde, sondern überdies, auf welchen ganz bestimmten Tatumständen (Beweisergebnissen) diese Sachverhaltsannahmen beruhen.

4. Zwar lässt sich der vom Oberlandesgericht Wien als höhergradig wahrscheinlich angenommene Sachverhalt nach der Aktenlage nicht mängelfrei begründen. Doch war die Aufhebung des Haftfortsetzungsbeschlusses des Gerichtshofes zweiter Instanz mit Blick auf jene Verfahrensergebnisse, die in die Richtung des vom Untersuchungsrichter beschriebenen dringenden Tatverdachtes weisen (siehe insbesondere ON 3, 4, 6, 7, 11, 14, 20, 22, 25, 28, 30, 39, 43, 55, 57, 58, 60, 71, 72, 74, 125, 126, 146), nicht erforderlich (§ 7 Abs 1 letzter Teilsatz GRBG), wobei mit Blick auf den Betrugstatbestand hervorzuheben ist, dass Erkennbarkeit der wahren Sachlage, Nachlässigkeit oder Leichtgläubigkeit eine Täuschung nicht ausschließt (vgl Kienapfel/Schmoller StudB BT II § 146 Rz 107, Leukauf/Steininger, Komm³ § 146 Rz 24 f, Kirchbacher/Presslauer in WK² § 146 Rz 17, 129, je mwN).

Soweit die Beschwerdeführer auf die Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofes (BGH) vom 27. Februar 1979, 5 StR 805/78, NStZ 1997, 186 Bezug nehmen, sind sie darauf hinzuweisen, dass nach der - jüngeren - Entscheidung des BGH vom 26. April 2001, 4 StR 439/00, BGHSt 47, 1 sehr wohl eine Täuschungshandlung setzt, wer Angebotsschreiben planmäßig (in jenem Fall:) durch Verwendung typischer Rechnungsmerkmale so abfasst, dass der Eindruck einer Zahlungspflicht entsteht, dem gegenüber die - kleingedruckten - Hinweise auf den Angebotscharakter völlig in den Hintergrund treten (vgl auch Kienapfel/Schmoller StudB BT II § 146 Rz 59).

5. Der Untersuchungsrichter hat, um den der Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes entsprechenden Zustand herzustellen, unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen unverzüglich die Haftvoraussetzungen zu klären und über die Fortsetzung der Untersuchungshaft neu zu entscheiden (§ 7 Abs 2 GRBG).

Rechtssätze
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