JudikaturJustiz13Os1/15v

13Os1/15v – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Dezember 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Dezember 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Jukic als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen Mustafa D***** und einen weiteren Angeklagten wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des belangten Verbandes P***** GmbH sowie dessen Masseverwalters gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 26. August 2014, GZ 123 Hv 13/14d 55, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden sowie die Berufungen werden zurückgewiesen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen des Mustafa D***** und des Semsettin S***** jeweils wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung zu A/I/A/2, zu A/II und zu A/III sowie demzufolge in den die Genannten betreffenden Strafaussprüchen aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Dem belangten Verband fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem der Bestimmung des § 22 Abs 1 VbVG entsprechend gesondert verkündeten (ON 54 S 14 ff), aber da die Urteilsausfertigung die Urschrift des mündlich verkündeten Urteils darstellt (vgl Danek , WK StPO § 270 Rz 1) verfehlt gemeinsam mit dem Urteil gegen den belangten Verband P***** GmbH (ON 54 S 21 ff; § 22 Abs 2 VbVG) ausgefertigten angefochtenen Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 26. August 2014, GZ 123 Hv 13/14d 55, wurden (zu A) Mustafa D***** und Semsettin S***** (richtig:) jeweils mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG (I und II) und nach „§§ 33 Abs 2 lit a, 38 Abs 1 lit a FinStrG“ (III) schuldig erkannt, wobei es zu II/10 und II/11 beim Versuch (§ 13 FinStrG) geblieben ist.

Danach haben im Bereich des ehemaligen Finanzamts für den 1. und 23. Bezirk Wien Mustafa D***** als im Firmenbuch eingetragener Geschäftsführer im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Semsettin S***** als weiterem Machthaber, beide als für die P***** GmbH Verantwortliche, vorsätzlich in mehrfachen Tathandlungen nachgenannte Verkürzungen von Abgaben bewirkt und zu bewirken versucht, wobei es ihnen darauf ankam, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, nämlich

I/ unter Verletzung abgabenrechtlicher Offenlegungs oder Wahrheitspflichten hinsichtlich nachstehender bescheidmäßig festzusetzender Abgaben bewirkt, und zwar

A/ an Umsatzsteuer

1/ durch die Abgabe unrichtiger Steuererklärungen

a/ am 17. Dezember 2004 für das Veranlagungsjahr 2003 um 11.784,16 Euro

b/ am 25. Jänner 2006 für das Veranlagungsjahr 2004 um 18.470,86 Euro

c/ am 2. Oktober 2006 für das Veranlagungsjahr 2005 um 28.765,55 Euro

d/ am 11. September 2007 für das Veranlagungsjahr 2006 um 29.263,76 Euro

e/ am 20. Oktober 2008 für das Veranlagungsjahr 2007 um 45.517,88 Euro

f/ am 29. April 2008 (richtig: 2009; vgl A/I/B/e) für das Veranlagungsjahr 2008 um 44.576,18 Euro

g/ am 29. Dezember 2010 für das Veranlagungsjahr 2009 um 48.949,13 Euro

h/ am 7. April 2011 für das Veranlagungsjahr 2010 um 46.240,98 Euro

2/ durch die Nichtabgabe einer Steuererklärung im Jahr 2012 für das Veranlagungsjahr 2011 um 52.383,64 Euro

B/ an Körperschaftsteuer durch die Abgabe unrichtiger Steuererklärungen

a/ am 17. Dezember 2004 für das Veranlagungsjahr 2003 um 6.111,79 Euro

b/ am 25. Jänner 2006 für das Veranlagungsjahr 2004 um 5.915,67 Euro

c/ am 3. Oktober 2006 für das Veranlagungsjahr 2005 um 17.663,63 Euro

d/ am 20. Oktober 2008 für das Veranlagungsjahr 2007 um 4.564,04 Euro

e/ am 29. April 2009 für das Veranlagungsjahr 2008 um 14.797,15 Euro

f/ am 29. Dezember 2010 für das Veranlagungsjahr 2009 um 1.406,82 Euro

g/ am 7. April 2011 für das Veranlagungsjahr 2010 um 15.048,83 Euro

II/ hinsichtlich der selbst zu berechnenden Kapitalertragsteuer, indem sie ihre Einbehaltung, Anmeldung und Abfuhr unterließen, und zwar

a/ bewirkt

1/ für den Zeitraum Juli 2002 bis Juni 2003 um 9.920 Euro

2/ für den Zeitraum Juli 2003 bis Juni 2004 um 15.548,92 Euro

3/ für den Zeitraum Juli 2004 bis Juni 2005 um 25.693,42 Euro

4/ für den Zeitraum Juli 2005 bis Juni 2006 um 26.302,33 Euro

5/ für den Zeitraum Juli 2006 bis Juni 2007 um 39.794,25 Euro

6/ für den Zeitraum Juli 2007 bis Juni 2008 um 39.155,82 Euro

7/ für den Zeitraum Juli 2008 bis Juni 2009 um 42.891,52 Euro

8/ für den Zeitraum Juli 2009 bis Juni 2010 um 42.678,96 Euro

9/ für den Zeitraum Juli 2010 bis Juni 2011 um 53.752,87 Euro

b/ zu bewirken versucht

10/ für den Zeitraum Juli 2011 bis Juni 2012 um 47.162,20 Euro

11/ für den Zeitraum Juli 2012 bis Dezember 2012 um 3.090,52 Euro

III/ vom 15. September 2011 bis zum 15. Mai 2012 unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen wissentlich (US 12) bewirkt, und zwar um 52.760,52 Euro an Umsatzsteuer, indem sie für die Monate Juli 2011 bis März 2012 zu geringe Umsatzsteuervorauszahlungen entrichteten.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die identen, auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützten und in einem Schriftsatz gemeinsam ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden des belangten Verbandes und dessen Masseverwalters. Außerdem erhoben sie Berufungen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde und zur Berufung des Masseverwalters:

Nach § 58 Z 2 IO können Geldstrafen wegen strafbarer Handlungen jeder Art als ausgeschlossene Ansprüche nicht als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden. Folglich werden Forderungen auf Zahlung von Geldstrafen wegen strafbarer Handlungen von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (§§ 1 ff IO) nicht berührt (RIS Justiz RS0122028) und hat eine solche auf gerichtliche Strafverfahren gegen den Schuldner keine Auswirkung ( Feuchtinger/Lesigang , Praxisleitfaden Insolvenzrecht 4 , 21).

Gemäß § 83 Abs 1 IO ist der Insolvenzverwalter (Masseverwalter; zur Terminologie vgl § 180 IO, Feuchtinger/Lesigang , Praxisleitfaden Insolvenzrecht 4 , 21) mit hier nicht interessierenden Ausnahmen im Verhältnis zu Dritten kraft seiner Bestellung befugt, alle Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen vorzunehmen, welche die Erfüllung der Obliegenheiten seines Amts mit sich bringt. Aus dem zuvor dargelegten Ausschluss von Geldstrafen wegen strafbarer Handlungen aus einer Insolvenzverfangenheit (§ 58 Z 2 IO) folgt aber, dass er zur Vertretung des Schuldners in einem gegen diesen geführten Strafverfahren nicht legitimiert ist (vgl VwGH 2089/60 VwSlg 5661 A zur fehlenden Legitimation des Masseverwalters, in einem Verwaltungsstrafverfahren gegen ein den Gemeinschuldner betreffendes Straferkenntnis zu berufen).

Nach dem VbVG im Fall der Verantwortlichkeit eines Verbandes für eine Straftat zu verhängenden Verbandsgeldbußen (§ 4 VbVG) kommt zwar im Unterschied zur Strafe des Individualstrafrechts keine individualethische, wohl aber eine mit intendierten general und spezialpräventiven Effekten verbundene sozialethische Tadelswirkung zu (ErläutRV 994 BlgNR 22. GP 24; Hilf/Zeder in WK² VbVG § 4 Rz 1). Die der Sanktionierung einer Verantwortlichkeit des Verbandes für Straftaten seiner Entscheidungsträger oder Mitarbeiter dienende Verbandsgeldbuße (vgl Hilf/Zeder in WK² VbVG § 3 Rz 3 und § 4 Rz 1) stellt somit eine Sanktion im Rahmen des Kriminalstrafrechts dar. Unter solcherart gleichartigen materiellen Gesichtspunkten ist die Verbandsgeldbuße (§ 4 VbVG) dem Begriff der Geldstrafe wegen einer strafbaren Handlung nach § 58 Z 2 IO zu subsumieren. Dieses Ergebnis korrespondiert auch mit der Beurteilung von Haftungsbeträgen nach § 9 Abs 7 VStG (vgl 3 Ob 235/99a [= Mohr , IO 11 § 58 E 5]) und nach § 28 aF FinStrG (14 Os 175/98) als Geldstrafen wegen strafbarer Handlung im Sinn des § 58 Z 2 KO (nunmehr IO).

Der Masseverwalter des belangten Verbandes ist daher zur Ergreifung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung nicht legitimiert (§§ 282 Abs 1, 283 Abs 2 StPO iVm § 195 Abs 1 und 3 FinStrG, § 14 Abs 1 VbVG), sodass schon in nichtöffentlicher Beratung dessen Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285d Abs 1 Z 1 StPO (§ 285a Z 1 StPO) und dessen Berufung gemäß §§ 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO (RIS Justiz RS0100042) zurückzuweisen waren.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des belangten Verbandes:

Der, soweit aus der Verurteilung eine Voraussetzung für seine Verantwortlichkeit abgeleitet werden kann (vgl 994 BlgNR 22. GP 32; Hilf/Zeder in WK² VbVG § 15 Rz 5, § 24 Rz 1; Fabrizy , StGB 11 VbVG § 15 Rz 2), gemäß § 15 Abs 1 zweiter Satz VbVG zur Ergreifung der Nichtigkeitsbeschwerde in Ansehung des Urteils gegen die natürlichen Personen berechtigte belangte Verband meldete rechtzeitig Nichtigkeitsbeschwerde „gegen das Urteil vom 26. 08. 2014“ an (ON 60). In deren Ausführung bekämpft die P***** GmbH jedoch inhaltlich nicht die Schuldsprüche der beiden Angeklagten, sondern wendet sich ausschließlich gegen bestimmte Anknüpfungspunkte für den Ausspruch der Verbandsverantwortlichkeit im Urteil über den Verband (§ 22 Abs 2 VbVG).

Da auch bei der Anmeldung keine Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet wurden, war die Nichtigkeitsbeschwerde des belangten Verbandes in Ansehung des Urteils gegen die Angeklagten Mustafa D***** und Semsettin S***** (§ 22 Abs 1 VbVG) bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285 Abs 1 letzter Satz, 285a Z 2, 285d Abs 1 Z 1 StPO).

Zum amtswegigen Vorgehen:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass in der angefochtenen Entscheidung das Strafgesetz mehrfach zum Nachteil der Angeklagten unrichtig angewendet worden ist (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

1. Der Vorgang der Subsumtion besteht im Herstellen einer Verknüpfung zwischen der Tat und einer strafbaren oder (sofern in Sonderfällen nicht alle Voraussetzungen der Strafbarkeit verlangt werden) mit Strafe bedrohten Handlung. Dabei wird der festgestellte Lebenssachverhalt (Tat) dahin beurteilt, ob er unter die gesetzliche Kategorie einer strafbaren Handlung, also eines tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens, das auch allfälligen zusätzlichen Voraussetzungen für die Strafbarkeit genügt, fällt ( Ratz in WK² StGB Vor §§ 28 bis 31 Rz 1 f; Lässig in WK² FinStrG Vorbem Rz 7).

Hinsichtlich zu veranlagender Abgaben wird nach ständiger Rechtsprechung (RIS Justiz RS0086590 und RS0124712) bezogen auf ein Steuersubjekt mit Abgabe einer unrichtigen Jahressteuererklärung je Steuerart (unabhängig von der Höhe des Hinterziehungsbetrags) ein Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG begründet. Solcherart bildet insoweit die Jahressteuererklärung allenfalls als Bündel mehrerer steuerlich trennbarer Einzelaspekte das kleinste (nicht mehr teilbare) Element des Sachverhalts, also eine selbständige Tat im materiellen Sinn (13 Os 142/08v, JBl 2010, 318).

Entsprechendes gilt für das Unterlassen der Abgabe einer Jahressteuererklärung, in welchem Fall die Nichtabgabe bis zum gesetzlich vorgesehenen Endzeitpunkt (§ 33 Abs 3 lit a zweiter Fall FinStrG) selbständige Tat ist (13 Os 58/13y, Lässig in WK² FinStrG Vorbem Rz 9).

Eine taugliche Feststellungsbasis für die Annahme des Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG in Ansehung der Umsatzsteuer für das Veranlagungsjahr 2011 (A/I/A/2) ist den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen. Diese enthalten durch entsprechenden Verweis auf den Urteilstenor - nämlich nur Konstatierungen zu Verkürzungen der genannten Steuer für die Veranlagungsjahre 2003 bis 2010 (US 11).

2. Hinsichtlich der Verkürzung von Kapitalertragsteuer (A/II) sieht das Erstgericht offenbar verdeckte Gewinnausschüttungen als Grundlage der Abgabepflicht an (vgl US 11). Verdeckte Ausschüttungen sind alle außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung gelegenen Zuwendungen einer Körperschaft an Anteilsinhaber, die das Einkommen der Körperschaft vermindern und ihre Wurzel in der Anteilsinhaberschaft haben. Offene wie verdeckte Gewinnausschüttungen setzen definitionsgemäß eine Vorteilszuwendung einer Körperschaft an eine Person mit Gesellschafterstellung voraus, bloße „Machthaber“ (wie etwa an der Gesellschaft nicht beteiligte faktische Geschäftsführer) können nicht Empfänger von Gewinnausschüttungen sein (vgl 13 Os 125/11y mwN). Die Zuwendung eines Vorteils an einen Anteilsinhaber kann allerdings auch darin gelegen sein, dass eine dem Anteilsinhaber nahestehende Person begünstigt wird. Eine verdeckte Ausschüttung ist daher auch dann anzunehmen, wenn Dritte aufgrund ihres Naheverhältnisses zum Anteilsinhaber eine in der Anteilsinhaberschaft wurzelnde Zuwendung erhalten (VwGH 14. 12. 2005, 2002/13/0022 mwN; VwGH 1. 3. 2007, 2004/15/0096 mwN; Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn in Doralt/Kirchmayr/Mayr/ Zorn , EStG § 94 Rz 22).

Nach den bezughabenden Bestimmungen des EStG in sämtlichen im Tatzeitraum geltenden Fassungen unterliegen Gewinnanteile aus Gesellschaften mit beschränkter Haftung gemäß § 93 Abs 2 Z 1 EStG der Kapitalertragsteuer, die binnen einer Woche nach Zufließen der Kapitalerträge in Verbindung mit einer entsprechenden Anmeldung unter der Bezeichnung „Kapitalertragsteuer“ abzuführen ist (§ 96 Abs 1 Z 1, Abs 3 EStG; 13 Os 104/10h; RIS Justiz RS0124712).

Selbstständige Tat in diesem Bereich ist das Unterlassen der auf einen bestimmten Ertragszufluss bezogenen Kapitalertragsteuerabfuhr (§ 96 Abs 1 EStG) unter Verletzung der korrespondierenden (§ 96 Abs 3 EStG) Anmeldungspflicht (13 Os 8/15y mwN).

Der Entscheidung sind jedoch keine Feststellungen dahingehend zu entnehmen, dass die beiden Angeklagten Gesellschafter der P***** GmbH und die „verdeckten Ausschüttungen“ (US 11) Gewinnausschüttungen im oben dargestellten Sinn waren. Zudem enthält sie hinsichtlich der Kapitalertragsteuer (A/II) bloß jeweils auf den Zeitraum Juli eines Jahres bis Juni des Folgejahres bezogene, zusammengefasste Gesamtbeträge (US 4f; US 8).

Im Fall eines neuerlichen Schuldspruchs wegen Finanzvergehen der (gewerbsmäßigen) Abgabenhinterziehung in Ansehung der Kapitalertragsteuer werden die einzelnen Taten unter Zugrundelegung des dargelegten finanzstrafrechtlichen Tatbegriffs (13 Os 104/10h, AnwBl 2011, 488; RIS Justiz RS0124712 [T3 und T4]) durch entsprechende Feststellungen voneinander abzugrenzen sein (13 Os 42/15h).

3. Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG (A/III) werden durch dort pönalisiertes Verhalten in Bezug auf Voranmeldungszeiträume begangen, sodass sachverhaltsmäßig hinsichtlich jedes solchen Zeitraums (unabhängig von der Höhe des Hinterziehungsbetrags) eine selbständige Tat vorliegt (13 Os 142/08v; RIS Justiz RS0118311, RS0124712). Ein Schuldspruch nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG muss sich daher stets auf einen konkreten Kalendermonat (§ 21 Abs 1 UStG) beziehen.

Eine im dargelegten Sinn taugliche Subsumtionsbasis für einen Schuldspruch nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG enthält die Entscheidung nicht.

In diesem Zusammenhang wird im zweiten Rechtsgang für den Fall neuerlicher Schuldsprüche überdies zu beachten sein, dass das Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG dann, wenn in der Folge mit Beziehung auf den gleichen Umsatzsteuerverkürzungsbetrag und den selben Steuerzeitraum auch das Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG zumindest versucht wird (siehe fallbezogen die zeitliche Deckung der Schuldsprüche A/I/A/2 und A/III für die Monate Juli bis Dezember 2011), von Letzterem konsumiert wird (scheinbare Realkonkurrenz; RIS Justiz RS0086719; Lässig in WK² FinStrG § 33 Rz 18 mwN).

4. Zudem wird zu berücksichtigen sein, dass gemäß § 4 Abs 2 FinStrG anders übrigens als nach § 61 StGB grundsätzlich das Tatzeitrecht zur Anwendung gelangt, sofern das im Urteilszeitpunkt geltende Recht ausgehend vom Urteilssachverhalt in seiner konkreten Gesamtauswirkung nicht für den Täter günstiger ist.

Da das Urteilszeitrecht gegenüber dem jeweiligen Tatzeitrecht in Bezug auf § 33 Abs 1 FinStrG und § 33 Abs 2 lit a FinStrG weder die Tatbestände einengt noch die Strafdrohungen reduziert, ist grundsätzlich das zur Tatzeit geltende Recht anzuwenden. In Bezug auf Taten, deren präsumtiver Tatzeitraum vor dem 1. Jänner 2011 liegt, bleibt aber die Änderung des § 33 Abs 5 FinStrG durch die Finanzstrafgesetz Novelle 2010 BGBl I 2010/104 zu beachten, wonach der strafbestimmende Wertbetrag (§ 53 FinStrG) nur jene Abgabenbeträge umfasst, deren Verkürzung im Zusammenhang mit den Unrichtigkeiten bewirkt wurde, auf die sich der Vorsatz des Täters bezieht (§ 33 Abs 5 zweiter Satz FinStrG; hiezu Lässig in WK² FinStrG § 33 Rz 47 f). Entsprechende Feststellungen sind der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen und werden im zweiten Rechtsgang anlässlich der Vornahme des Günstigkeitsvergleichs (§ 4 Abs 2 FinStrG) zu treffen sein.

In diesen Vergleich werden auch die Änderungen des § 38 FinStrG und die diesbezügliche Übergangsbestimmung des § 265 Abs 1p zweiter Satz FinStrG einzubeziehen sein, wobei eine Mischung von Rechtslagen unzulässig ist (RIS Justiz RS0088953).

5. Auf die in Ansehung der festgestellten Tatzeit von September 2011 bis Mai 2012 verfehlte Anwendung des § 38 Abs 1 „lit a“ FinStrG (solcherart ersichtlich idF vor BGBl I 2010/104) zu A/III (US 5) ist zufolge der gebotenen Aufhebung der bezughabenden Schuldsprüche lediglich zur Klarstellung hinzuweisen.

In diesem Sinn ist auch anzumerken, dass das Zitieren des § 33 Abs 3 lit a und b FinStrG (US 5) im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) verfehlt ist, weil § 33 Abs 3 FinStrG (bloß) Legaldefinitionen des Bewirkens (von Abgabenverkürzungen), also der möglichen Arten und des Zeitpunkts der technischen Vollendung der Finanzvergehen nach § 33 Abs 1 und Abs 2 FinStrG enthält, die finanzstrafrechtlichen Tatbestände der Abgabenhinterziehung hingegen in diesen Normen und in § 33 Abs 4 FinStrG umschrieben sind (RIS Justiz RS0087102; Lässig in WK² FinStrG § 33 Rz 29).

Aufgrund der aufgezeigten Feststellungsdefizite war die angefochtene Entscheidung im dargestellten Umfang schon bei nichtöffentlicher Beratung aufzuheben (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 285e StPO).

Zur Berufung des belangten Verbandes:

Die Berufung des belangten Verbandes, dem gemäß § 15 Abs 1 zweiter Satz VbVG im Rechtsmittelverfahren gegen die natürlichen Personen die Stellung eines Beschuldigten nur zukommt, soweit aus der Verurteilung eine Voraussetzung für seine Verantwortlichkeit abgeleitet werden kann (vgl 994 BlgNR 22. GP 32; Hilf/Zeder in WK² VbVG § 15 Rz 5, § 24 Rz 1), war mangels Legitimation zur Bekämpfung des Strafausspruchs betreffend die Angeklagten Mustafa D***** und Semsettin S***** ( Fabrizy , StGB 11 VbVG § 15 Rz 2) gemäß §§ 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO zurückzuweisen (RIS Justiz RS0100042).

Der Kostenausspruch, der die amtswegigen Maßnahmen nicht umfasst ( Lendl , WK StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO iVm § 14 Abs 1 VbVG.

Rechtssätze
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  • RS0118311OGH Rechtssatz

    23. November 2022·3 Entscheidungen

    Selbstständige Tat (iSd § 21 Abs 1 FinStrG) beim Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG ist die vom Steuerpflichtigen unter vorsätzlicher Verletzung seiner Verpflichtung zur Abgabe inhaltlich richtiger Umsatzsteuervoranmeldungen wissentlich bewirkte Verkürzung der im Voranmeldungszeitraum zu entrichtenden Umsatzsteuer. Durch diesen Tatbestand wird die vom Täter unter Zuwiderhandlung gegen die Voranmeldungspflicht (Nichteinreichung von bzw Abgabe unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen oder Geltendmachung ungerechtfertigter bzw überhöhter Abgabengutschriften) für den jeweiligen Voranmeldungszeitraum (Kalendermonat) bewirkte Vorauszahlungsverkürzung in ihrer Gesamtheit erfasst. Ein gegen den Abgabenschuldner wegen des Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG ergangenes, in Rechtskraft erwachsenes Straferkenntnis der Finanzstrafbehörde entfaltet im Umfang der darin abgestraften Tat Sperrwirkung dergestalt, dass eine gerichtliche Verfolgung und Aburteilung wegen derselben Tat als Verkürzung der Umsatzsteuervorauszahlung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG - ohne vorherige Wiederaufnahme des verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahrens (vgl etwa § 165 Abs 1 lit a FinStrG) zum Zwecke eines finanzstrafbehördlichen Vorgehens nach § 54 Abs 1 FinStrG - selbst bei nachträglichem Hervorkommen von im selben Tatzeitraum zusätzlich bewirkter Vorauszahlungsverkürzung ausgeschlossen ist (Art 4 Abs 1 7. ZPMRK).