JudikaturJustiz11Os39/05b

11Os39/05b – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Dezember 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Dezember 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Eck als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Sigmund K***** wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Schöffengericht vom 20. Jänner 2005, GZ 602 Hv 17/04i-27, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Sigmund K***** des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er als Verantwortlicher der C***** Inc (im Folgenden C*****) im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit James G. W***** die ihm durch „Vertrag und Vereinbarung" vom 29. Juni 2001 mit der S*****GmbH in Verbindung mit dem Factoring-Vertrag zwischen dieser GmbH und der I***** AG vom 30. Jänner 2001 eingeräumte Befugnis, über das Vermögen der I***** AG zu verfügen, dadurch wissentlich missbraucht, dass er an die I***** AG verkaufte Forderungen an Kunden der C***** einzog, wodurch der I***** AG mit Sitz in Wien ein Vermögensnachteil in einer 40.000 Euro übersteigenden Höhe zugefügt wurde, und zwar

I. einen Scheck der Firma M***** dadurch, dass er ihn nicht vereinbarungsgemäß bei der S***** Atlanta, sondern bei der Bank L***** USA präsentierte und das Realisat von 60.160,00 US-Dollar für wirtschaftliche Zwecke der C***** verwendete;

II. im Zeitraum zwischen Mai 2002 und Juli 2002 dadurch, dass er Lagerware aus einem Lager der Firma I***** abverkaufte und den Erlös von 35.166,40 US-Dollar für wirtschaftliche Zwecke der C***** verwendete.

Nach den maßgeblichen Feststellungen kamen der Angeklagte als tatsächlicher Machthaber der amerikanischen Gesellschaft C***** und Hans R***** als Geschäftsführer der S*****GmbH überein, dass C***** den Verkauf und Vertrieb von S***** Modeartikeln in den USA und Kanada übernimmt, deren Herstellungs- und Transportkosten auf Grund eines von der S***** GmbH mit der I***** AG aus Wien am 30. Jänner 2001 abgeschlossenen Factoring Vertrages von der I***** AG vorfinanziert werden. Der über diese Übereinkunft zwischen den Vertretern der C***** und der S***** GmbH abgeschlossene schriftliche „Vertrag und Vereinbarung" vom 29. Juni 2001 enthielt ua den - auch dem Angeklagten bekannten - Passus: „C***** ist nicht zum Inkasso berechtigt, da die Forderungen an die I***** und deren Partner S***** Atlanta/USA übertragen sind".

Zunächst lief die Geschäftsbeziehung zwischen den zitierten Unternehmen gut. Es wurden vereinbarungsgemäß die Warenlieferungen an C***** von der I***** AG vorfinanziert, nachdem sie die Rechnungen erhalten hatte und bezahlten die Kunden in den Vereinigten Staaten an die S*****, Atlanta, die Partnerin der I***** AG, vor Ort. Als es ab Oktober 2001 zu massiven finanziellen Problemen für C***** kam, worauf ein Lagerhalter aus New York die bei ihm eingelagerten Textilien einbehielt, war es für den Angeklagten absehbar, dass - „wegen Ausbleibens von Rechnungen bzw zedierten Forderungen" - keine Überweisungen mehr von der I***** AG einlangen würden und C***** zahlungsunfähig ist oder wird. Aus diesem Grund beschloss er, sich vereinbarungswidrig durch Verfügung über Vermögensteile der I***** AG schadlos zu halten. Als daher die M***** am 10. Februar 2002 eine Warenlieferung der C***** vom Oktober 2001 mit einem Scheck über 60.160,00 US-Dollar bezahlte, übergab ihn der Angeklagte gemeinsam mit James G. W***** vertragswidrig - „indem er seine Befugnis im Verhältnis zum Machtgeber bestimmungswidrig ausübte" - nicht der S***** Atlanta, sondern präsentierte ihn noch am selben Tag der Bank L***** in New York, bei der C***** ein Konto unterhielt. Der Scheck wurde dem Konto der C***** gutgeschrieben und die Gutschrift in weiterer Folge für wirtschaftliche Zwecke der C***** verwendet, wobei in erster Linie Forderungen der Monika K***** in Höhe von ca 400.000 S beglichen wurden.

Weiters verkaufte der Angeklagte im Zeitraum von Mai bis Juli 2002 allein oder im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit James G. W***** aus Lieferungen der S***** GmbH stammende Lagerware an insgesamt drei Abnehmer um einen Kaufpreis von insgesamt 35.166,40 US-Dollar. Auch diesmal ließ er diesen Betrag - „indem er seine Befugnis im Verhältnis zum Machtgeber bestimmungswidrig ausübte" - nicht bei der S***** Atlanta eingehen, sondern verfügte darüber nach eigenem Gutdünken für wirtschaftliche Zwecke der C***** (US 4 bis 6).

Rechtliche Beurteilung

Der auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a sowie auf § 281a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt Berechtigung zu. Zutreffend zeigt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) auf, dass das Erstgericht keine Feststellungen über eine dem Beschwerdeführer (durch Gesetz, behördliche Verfügung oder Rechtsgeschäft) eingeräumte Befugnis, über das Vermögen der I***** AG zu verfügen oder dieses Kreditinstitut zu verpflichten, getroffen hat. Zwar kann auch der ungetreue Vertreter des unmittelbar Bevollmächtigten sich einer Untreue gegenüber dem ersten Machtgeber schuldig machen (SSt 36/35; 13 Os 34/84), doch lässt sich den Urteilsfeststellungen (die offen lassen, wer „Machtgeber" des Angeklagten gewesen sein soll und welche „Befugnis" ihm dieser Machtgeber eingeräumt hat) eine der S***** GmbH auf Grund des Factoring Vertrages vom 30. Jänner 2001 zukommende, sodann auf die C***** übertragene Vertretungsmacht gegenüber der I***** AG nicht entnehmen. Denn der Beschwerdeführer hat nach den vorliegenden Konstatierungen bei Entgegennahme und Überführung der in Rede stehenden Kaufpreiszahlungen in das Vermögen der C***** nicht eine ihm vom Geschädigten eingeräumte Befugnis missbraucht, vielmehr gegen ein rechtsgeschäftliches Verbot (Inkassoverbot) verstoßen. Eine Bestrafung wegen bloßer Verstöße gegen zivilrechtliche Verpflichtungen, insbesondere wegen Vertrags- oder Treuebruchs als solchen, ist nach der österreichischen Rechtsordnung nicht vorgesehen. Der Anwendungsbereich des § 153 StGB ist vielmehr allein an der bestehenden Befugnis, (unmittelbar) über fremdes Vermögen zu verfügen, zu orientieren (Kienapfel/Schmoller BT II Allg Vorbem Rz 82, § 153 Rz 2, 6 f).

Dennoch ist nach der Aktenlage im Zusammenhang mit dem verbotswidrigen Inkasso der Kaufpreiserlöse die Begehung anderer strafbarer Handlungen durch den Beschwerdeführer nicht auszuschließen:

Voranzustellen ist, dass unter einem - hier zwischen der I***** AG und der S***** GmbH abgeschlossenen - Factoring-Vertrag ein Bankgeschäft zu verstehen ist, das in der zessionsweisen Hereinnahme von Forderungen eines Kunden (Klienten) durch den Factor (Kreditinstitut) besteht, der dafür dem Kunden einen bestimmten Gegenwert gutschreibt und die Forderung bei Fälligkeit einzieht. Die Abtretung umfasst gewöhnlich alle bestehenden und künftigen Forderungen aus dem Geschäftsbetrieb eines Unternehmens und erfolgt als Globalzession (vgl Schwimann/Harrer AGBG2 VII § 1392 Rz 49 ff; Czermak JBl 1984, 413). Zwar wird schon durch die Zession (§ 1392 ABGB) und nicht erst durch die Verständigung des Schuldners der Zessionar (Neugläubiger, beim Factoring der Factor) Inhaber des Anspruches, weshalb der Zedent (Altgläubiger, beim Factoring der Unternehmer) ab der Abtretung nicht mehr zur Geltendmachung des Anspruches berechtigt ist (Koziol/Bydlinski/Bollenberger KK zu ABGB § 1392 Rz 4), doch kann der Zessus (Schuldner) auch danach - solange ihm der Übernehmer nicht bekannt wird - mit schuldbefreiender Wirkung an den Zedenten bezahlen oder sich sonst mit ihm abfinden (§§ 1395, 1396 ABGB).

Wurde der Zessus von der Abtretung (dem Factoring-Vertrag) nicht in Kenntnis gesetzt, bedarf der Zedent (dem das Gesetz eine Information des Zessus nicht vorschreibt) zur Eintreibung und Entgegennahme der Kaufpreisforderung somit keiner Vollmacht des Zessionars. Zur Geltendmachung der Forderung dem Schuldner gegenüber ist er vielmehr schon aus dem zwischen ihm und dem Zessus bestehenden Vertragsverhältnis (hier: Kaufvertrag) berechtigt. Veruntreuung des abgetretenen Kaufpreiserlöses ist in einem solchen Fall - mangels einer dem Zedenten vom Zessus aufgetragenen Weitergabeverpflichtung - nicht gegeben (vgl 15 Os 56, 57/01). Auch § 134 StGB scheidet aus, weil Sachen, die jemand dem Täter übergeben und dieser mit Wissen des Übergebers in Empfang genommen hat, nicht Gegenstand einer Unterschlagung sein können (Bertel in WK2 § 134 Rz 15). Veruntreuung (§ 133 StGB) des abgetretenen Kaufpreiserlöses ist hingegen auch im Fall eines bestimmungsgemäßen Weiterverkaufes einer im Vorbehaltseigentum des Lieferanten oder Factors stehenden Ware selbst bei einer „nicht verständigten" (dh stillen) Zession bei Zueignung des Kaufpreises durch den Zedenten dann möglich, wenn der Lieferant (Factor) mit dem Zedenten wirksam einen sogenannten verlängerten (auch den Kaufpreiserlös umfassenden) Eigentumsvorbehalt vereinbart hat (ÖJZ-LSK 1995/24 = 14 Os 46/94; zur Kollision von Factoring und verlängertem Eigentumsvorbehalt vgl Czermak aaO und Iro ÖBA 1990, 259). Im vorliegenden Fall wird jedenfalls ein Eigentumsvorbehalt der I***** AG an den von der S***** GmbH an C***** gelieferten Waren von einer leitenden Angestellten des Factors (Anita W*****) behauptet. Weiters ist nach § l der Allgemeinen Factoring-Bedingungen der I***** AG der Eigentumsvorbehalt auch Gegenstand des (hier mit der S***** GmbH abgeschlossenen) Factoring-Vertrages (vgl Blg ./1 und ./9 zu ON 12). Bei dieser Verdachtslage bedarf es für die Beurteilung einer allfälligen Strafbarkeit des Beschwerdeführers nach § 133 StGB aber auch noch Feststellungen darüber, ob, auf welche Art und zu wessen Gunsten C***** einen auch den Kaufpreiserlös umfassenden Eigentumsvorbehalt betreffend ihre zum Verkauf vorgesehene Waren vereinbart hatte und ob der Beschwerdeführer von einem derartigen verlängerten Eigentumsvorbehalt Kenntnis hatte.

Das Erstgericht hat aber nicht nur Feststellungen dahin unterlassen, ob ein (verlängerter) Eigentumsvorbehalt zu Gunsten der S***** GmbH bzw zu Gunsten der I***** AG vereinbart war, sondern auch darüber, ob die Schuldner der C***** nach Kauf der S***** Modeartikel (hier im Besonderen die M***** und die drei Käufer der bei der I***** gelagerten Ware) von der Zession der Kaufpreisforderung an die I***** AG Kenntnis hatten und ob sie demnach nicht mehr mit schuldbefreiender Wirkung an C***** zahlen durften (§ 1396 erster Halbsatz ABGB). Wären diese Schuldner (von wem immer) über die bestehende Zession informiert worden, käme Betrug (§ 146 StGB) dann in Betracht, wenn der Zedent (hier der Beschwerdeführer) beim Inkasso der später in sein Vermögen (oder in das eines Dritten) überführten Kaufpreiserlöse den Schuldnern entweder eine Unwirksamkeit der Zession oder eine verlässliche Weiterleitung der Erlöse an den Zessionar vorgespiegelt hätte, Veruntreuung wiederum (§ 133 StGB) dann, wenn der (bei der Empfangnahme ohne Betrugsvorsatz handelnde) Zedent die vom Schuldner mit der Verpflichtung zur Weiterleitung an den Zessionar übernommenen Kaufpreiserlöse in weiterer Folge mit unrechtmäßigem Bereicherungs- und Zueignungsvorsatz in sein Vermögen übergeführt hätte (vgl nochmals 15 Os 56, 57/01).

Da die aufgezeigten Mängel vom Obersten Gerichtshof nicht behoben werden können und sich demnach zeigt, dass eine neue Hauptverhandlung unumgänglich ist, war der Nichtigkeitsbeschwerde, ohne dass es eines Eingehens auf die übrigen geltend gemachten Nichtigkeitsgründe bedurfte, bei nichtöffentlicher Beratung sofort Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§ 285e StPO). Im zweiten Rechtsgang werden die zur Prüfung der allfälligen Strafbarkeit des Beschwerdeführers wegen des vertragswidrigen Inkassos der Kaufpreisforderungen der C***** erforderlichen Feststellungen über die zwischen der I***** AG, der S***** GmbH und der C***** zu Stande gekommenen vertraglichen Vereinbarungen und weiters solche auch darüber zu treffen sein, ob die Kaufpreisschuldner von einer (allfälligen) Zession Kenntnis hatten, bejahendenfalls, weshalb sie dennoch an den Beschwerdeführer Zahlung leisteten. Sollten Tatorte (§ 67 Abs 2 StGB, vgl U.Kathrein in WK2 § 67 Rz 7) nicht im Inland gelegen sein (§ 62 StGB), wäre zu klären, ob österreichische Strafgewalt zur Verfolgung des österreichischen Staatsbürgers Sigmund K***** wegen diesfalls in Rede stehender bloßer Auslandstaten gegeben ist.

Rechtssätze
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