JudikaturJustiz10ObS15/03h

10ObS15/03h – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Februar 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Georg Eberl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Heidelinde R*****, vertreten durch Dr. Gerhard Kucher und Mag. Gerd Mössler, Rechtsanwälte in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist Straße 1, 1021 Wien, im Rekursverfahren nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 10. Oktober 2002, GZ 7 Rs 188/02z 20, womit aus Anlass der Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits und Sozialgericht vom 19. April 2002, GZ 31 Cgs 144/01b 14, und das vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die Säumnisklage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Rekurskosten selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Eingangs ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der Beklagten amtswegig von "Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter" auf "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war, weil mit 1. 1. 2003 alle Rechte und Verbindlichkeiten der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter auf die neu errichtete Pensionsversicherungsanstalt übergingen (§ 538a ASVG idF 59. ASVG Nov BGBl I Nr 1/2002).

Die am 1. 6. 1943 geborene Klägerin beantragte am 14. 10. 1998 (eingelangt am 19. 10. 1998) bei der beklagten Pensionsversicherungsanstalt die Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit. Die Beklagte behandelte den Antrag, nachdem sie die Klägerin darüber informiert hatte, dass diese die rechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Pension nicht erfülle, (auch) wie einen Antrag auf Berufsunfähigkeitspension und leitete des „medizinische Verfahren" ein.

Mit Bescheid vom 1. 6. 1999 wurde der Antrag der Klägerin auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach § 253d ASVG mangels Erfüllung der Wartezeit abgelehnt. Eine bescheidmäßige Abweisung eines Antrages auf Berufsunfähigkeitspension erfolgte nicht.

Die dagegen erhobene Klage auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab 1. 11. 1998 (in der die Klägerin behauptete, einen darauf gerichteten Antrag gestellt zu haben) wurde mangels Bescheides der Beklagten über die Ablehnung einer Berufsunfähigkeitspension rechtskräftig zurückgewiesen (Beschluss des OLG Graz vom 3. 2. 2000, 8 Rs 14/00s).

Mit der vorliegenden Säumnisklage vom 23. 4. 2001 begehrt die Klägerin erneut die Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab 1. 11. 1998. Sie hält daran fest, im Oktober 1998 bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung der begehrten Pension gestellt zu haben, auf den diese mit Schreiben vom 9. 11. 1998 [zwar] Bezug genommen, über den sie aber nicht entschieden habe.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung. Die Klägerin habe mit ihrem Antrag vom Oktober 1998 nur die vorzeitige Alterspension begehrt. Ob die Beklagte diesen Antrag zwischendurch als solchen auf eine Berufsunfähigkeitspension aufgefasst habe, sei ohne Relevanz. Mangels Antrages auf Berufsunfähigkeitspension liege kein Säumnisfall vor.

Das Erstgericht wies die Klage ab.

Aus Anlass der gegen dieses Urteil von der beklagten Partei erhobenen Berufung hob das Berufungsgericht das Ersturteil und das ihm vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Säumnisklage zurück. Die Klägerin habe im Oktober 1998 ausdrücklich einen Antrag auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension gestellt, nachdem sie einen Monat zuvor in letzter Instanz ein Verfahren wegen Berufsunfähigkeitspension in letzter Instanz verloren hatte (10 ObS 303/98a); diesen Antrag habe die Beklagte mit Bescheid abgelehnt. Dass sie in sozialer Rechtsanwendung gleichzeitig überprüft habe, ob die Klägerin die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension erfülle, könne den Mangel eines Antrags der Klägerin auf diese Pensionsform nicht sanieren. Da die Beklagte die Klägerin auch nicht veranlasst habe, einen derartigen Antrag einzubringen, sei sie auch nicht gehalten gewesen, über den von der Klägerin nicht gestellten Antrag auf Berufsunfähigkeitspension einen Bescheid zu erlassen. Es liege weder eine Säumigkeit noch ein zweifelhafter Antrag der Klägerin, der auch andere Interpretationsmöglichkeiten eröffnet hätte, vor.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochten Beschluss im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Bei der Invaliditätspension einerseits und der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit gemäß § 253d ASVG andererseits handelt es sich um zwei verschiedene Versicherungsfälle (und Leistungen in der Pensionsversicherung). Die in § 253d ASVG geregelte vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, die mit Wirkung vom 1. 7. 1993 durch die 51. ASVG Novelle BGBl 1993/335 geschaffen und mit Ablauf des 30. 6. 2000 durch das SVÄG 2000 BGBl I 2000/43 wieder abgeschafft wurde, ist nach der Systematik des ASVG eine Leistung aus dem Versicherungsfall des Alters und nicht eine Invaliditätspension im Sinn des § 254 ASVG, die eine Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit ist (vgl die Versicherungsfälle des Alters nach § 222 Abs 1 Z 1 im Unterschied zu den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit in § 222 Abs 1 Z 2 ASVG; SSV NF 13/149 mwN; 10 ObS 253/01f, ARD 5316/15/2002; RIS Justiz RS0085867 [T7]; RS0107534 [T2]; RS0107802; zuletzt: 10 ObS 83/02g).

Die Rekurswerberin hält selbst fest, dass sie auf der ersten Seite des vorliegenden Pensionsantrages als Antragsgegenstand [nur] die Spalte: "vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit" [also nicht die andere Variante: "Berufsunfähigkeitspension"] angekreuzt habe. Als sekundären Verfahrensmangel macht sie jedoch geltend, das Berufungsgericht habe nicht festgestellt, dass die Klägerin die in Punkt 20. des Antragsformulars gestellte Frage, ob sie mit einer Behandlung des "ihres Antrages auf Berufsunfähigkeitspension" (?) als Antrag auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit einverstanden sei, wenn es sonst zu einer Ablehnung käme, durch Ankreuzen der Spalte "JA" beantwortet habe. Damit sei nämlich unmissverständlich klargestellt, dass die Klägerin einen Antrag auf Berufsunfähigkeitspension gestellt habe, da andernfalls keine Veranlassung zur Beantwortung dieser Frage bestanden hätte. Wäre auch noch der genaue Wortlaut der Schreiben der beklagten Partei vom 9. 11. 1998 und des ärztlichen Gutachtens Dris. Knapitsch vom 30. 3. 1999 festgestellt worden, hätte das Berufungsgericht "unzweifelhaft" davon ausgehen müssen, dass der gegenständliche Antrag (auch) als Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension "gemeint und beabsichtigt" gewesen und als solcher von der beklagten Partei auch aufgefasst worden sei.

Außerdem sei die Klägerin durch die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes überrascht und ihr dadurch die Möglichkeit zu einem entsprechenden "substantiellen" Vorbringen genommen worden. Während des Verfahrens erster Instanz sei nämlich auch von der Beklagten niemals in Zweifel gezogen worden, dass es sich beim gegenständlichen Antrag (auch) um einen solchen auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension gehandelt habe.

Der Revisionswerberin ist nur zuzugestehen, dass nach dem unstrittigen Inhalt ihres Antrags tatsächlich kein Zweifel über den Antragsgegenstand bestehen kann. Dieser ist jedoch - entgegen ihrer Auffassung - ausschließlich in der Gewährung einer vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit zu erblicken, weil dafür, dass die Klägerin "(auch)" eine Berufsunfähigkeitspension beantragt hätte, keinerlei Anhaltspunkt besteht. Auch aus dem Hinweis auf die erteilte Zustimmung in Punkt 20. des Antragsformulars ist für den gegenteiligen Standpunkt nämlich nichts zu gewinnen; wird doch die dort beantwortete Frage (ob der Behandlung eines [Berufsunfähigkeits ]Pensionsantrags als Antrag auf vorzeitige Alterspension zugestimmt wird) ausdrücklich nur für den - hier nicht vorliegenden - Fall der drohenden Ablehnung eines Antrages auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension gestellt, also für eine im konkreten Antrag - unstrittig - nicht angekreuzte (und daher auch nicht geltendgemachte) Variante.

Leistungen aus der Pensionsversicherung sind aber grundsätzlich nur auf Antrag zu gewähren (§ 361 Abs 1 Z 1 ASVG; SSV NF 11/156 = SZ 70/263 mwN; RIS Justiz RS0085092). Bei der Beurteilung von Anträgen durch die Sozialversicherungsträger muss zwar im Geiste sozialer Rechtsanwendung vorgegangen, also der Antrag im Zweifel zugunsten des Versicherten ausgelegt werden (SSV NF 11/156 = SZ 70/263; SSV NF 14/83 mwN; RIS Justiz RS0086446). Die Fiktion eines tatsächlich nicht gestellten Antrages lässt sich freilich - wie der erkennende Senat bereits wiederholt ausgesprochen hat - auch aus den Grundsätzen sozialer Rechtsanwendung nicht ableiten (SSV NF 2/52; 4/21; 5/35; 10/134; 11/156; RIS Justiz RS0085092 [T3, T5 und T7]; RS0086446 [T1]; zuletzt: 10 ObS 222/01x).

Dabei war auch zu beachten, dass für Beantwortung dieser Frage die einschlägigen Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG) BGBl 1991/51 idgF maßgeblich sind. Für Verfahren vor den Versicherungsträgern in Leistungssachen (§ 354 ASVG) gelten nämlich nach § 357 Abs 1 ASVG ua die Bestimmungen der §§ 10 - 12 AVG über Vertreter sowie §§ 13 - 17 AVG über Anbringen, Rechtsbelehrung, Niederschriften und Aktenvermerkte sowie § 18 Abs 1, 2 und 4 AVG über Erledigungen.

Hier kommt insbesondere der Bestimmung des § 13 Abs 2 AVG Bedeutung zu, wonach sind Rechtsmittel und Anbringen, die an eine Frist gebunden sind oder durch die der Lauf einer Frist bestimmt wird, schriftlich einzubringen sind. Das gilt auch für Leistungsanträge in Sozialversicherungssachen betreffend Pensionsleistungen (vgl SSV NF 12/135 = RIS Justiz RS0110821 betreffend Hintebliebenenleistungen; vgl hiezu auch Oberndorfer in Tomandl , SV System, 12. Erg Lfg, 687 = Kap 6.2.2.2.1 viertletzter Abs). Der Zweck dieser Anordnung liegt auf der Hand: Einerseits soll das Datum, auf welches es für den Anfall der Leistung entscheidend ankommt, zweifelsfrei dokumentiert und außer Diskussion gestellt sein, zum anderen wird dadurch aber auch - nicht zuletzt zu Gunsten des antragstellenden Berechtigten - eine Beweissicherung dieses entscheidungserheblichen Umstandes gewährleistet. Ob ein in einem Protokoll dokumentiertes mündliches Anbringen im Hinblick darauf, dass auch dabei all diese Voraussetzungen erfüllt sind, dem Erfordernis der Schriftlichkeit im Sinne des § 13 Abs 2 AVG gerecht wird, kann (auch) hier unerörtert bleiben, weil die Protokollierung eines Antrages auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension nicht einmal behauptet wurde (SSV NF 12/135).

Mangels eines (schriftlichen) Pensionsantrages lag ein Säumnisfall jedenfalls nicht vor, sodass die Klage gemäß § 73 ASGG unzulässig und in jeder Lage des Verfahrens wegen Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 6 ZPO zurückzuweisen war. Das Berufungsgericht hat somit zu Recht aus Anlass der zulässigen Berufung mit Beschluss das erstgerichtliche Urteil und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und insoweit die Klage zurückgewiesen (10 ObS 82/91 = SSV NF 5/35 mwN). Dass die Beklagte den vorliegenden Antrag in ihren Schreiben - unrichtig - als einen solchen auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension bezeichnet und (auch) dementsprechend behandelt hat, vermag daran nichts zu ändern; hat sie ihn doch mit Bescheid vom 1. 6. 1999 ausdrücklich (und zutreffend) als "Antrag auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit" abgelehnt, sodass die dagegen erhobene Klage auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension (in der die Klägerin ebenfalls behauptet hatte, einen darauf gerichteten Antrag gestellt zu haben) mangels Bescheides der Beklagten über die Ablehnung einer Berufsunfähigkeitspension - bereits rechtskräftig - zurückgewiesen wurde.

Aber auch von einer überraschenden Rechtsansicht des Berufungsgerichtes kann nicht gesprochen werden:

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs darf das Gericht die Parteien nicht mit einer Rechtsansicht überraschen, die sie bisher unbeachtet ließen und auf die sie nicht aufmerksam gemacht wurden ( Fucik in Rechberger ² Rz 4 zu § 182 ZPO; MietSlg 50.719; SZ 70/199 mwN uva; RIS Justiz RS0037300). Eine gerichtliche Handlungspflicht im Sinne des § 182 ZPO besteht aber nur dann, wenn die der Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsansicht vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz von keiner der Parteien ins Treffen geführt wurde und der jeweilige Prozessgegner demnach keine Gelegenheit zur Stellungnahme hatte (RIS Justiz RS0037300 [T16]). Gelangt das Berufungsgericht nur zu einer anderen rechtlichen Beurteilung als das Erstgericht, so kann von einer "Überraschungsentscheidung" keine Rede sein (1 Ob 283/00z mwN; SZ 70/199; SZ 68/135; RIS Justiz RS0037300 [T30]).

Hier hat die beklagte Partei - entgegen den insoweit aktenwidrigen Ausführungen der Rekurswerberin - bereits in der Klagebeantwortung eingewendet, dass es sich bei dem der Säumnisklage zugrunde liegenden Antrag ausdrücklich um einen solchen auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit handle, und dass es ohne Relevanz sei, ob die Beklagte den Antrag der Klägerin zwischendurch als solchen auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension aufgefasst habe (ON 2 Seite 2 = AS 7). Hierauf hat die Klägerin im Schriftsatz ON 3 repliziert. Die rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichtes, welche in diesem Punkt von denen des Erstgerichtes abweichen, wurden daher bereits im Verfahren erster Instanz ins Treffen geführt und erörtert, sodass die Parteien in keiner Weise überrascht wurden (RIS Justiz RS0037300 [T23]; 1 Ob 283/00z mwN; 9 Ob 47/01d mwN; uva).

Dem Rechtsmittel der Klägerin war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Rechtssätze
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