JudikaturVwGH

Ra 2024/21/0076 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
03. April 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger, den Hofrat Dr. Chvosta, die Hofrätin Dr. in Oswald und den Hofrat Mag. Schartner als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des H H, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Barnabitengasse 3/11, gegen das am 18. Dezember 2023 mündlich verkündete und mit 16. Februar 2024 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, L518 1312809 8/25E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Der 1992 geborene Revisionswerber, ein armenischer Staatsangehöriger, hatte 1994 seine Heimat verlassen und nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Deutschland ebenso wie seine Mutter und seine Geschwister im März 2007 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Schließlich wurde dem Revisionswerber im Dezember 2010 der Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig zuerkannt und eine zuletzt bis 21. Oktober 2018 laufend verlängerte befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt; diesbezüglich stellte er am 16. Oktober 2018 einen Verlängerungsantrag.

2Wegen seiner Straffälligkeit wurde dem Revisionswerber mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 27. September 2019 der Status des subsidiär Schutzberechtigten wieder aberkannt und die Aufenthaltsberechtigung entzogen. Unter einem wurde ausgesprochen, dass ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 (von Amts wegen) nicht zuerkannt und gegen den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFAVG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen werde. Allerdings wurde gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Armenien nicht zulässig sei. Während der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Abschiebung unbekämpft in Rechtskraft erwuchs, erhob der Revisionswerber gegen die übrigen Spruchpunkte eine Beschwerde, die mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 10. September 2020 als unbegründet abgewiesen wurde.

3Einen im Jänner 2021 gestellten, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 gerichteten Antrag des Revisionswerbers wies das BVwG im Beschwerdeweg mit Erkenntnis vom 10. Juni 2022 als unzulässig zurück, wobei unter einem (erneut) eine Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber erlassen und (abermals) insoweit in Abänderung des gegenteiligen Ausspruchs des BFA im erstinstanzlichen Bescheidgemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass eine Abschiebung des Revisionswerbers nach Armenien unzulässig sei. Letzteres wurde mit der Rechtskraft des entsprechenden Ausspruchs im Bescheid des BFA vom 27. September 2019 und dem Umstand, dass sich die maßgebliche Sach und Rechtslage nicht geändert habe, begründet.

4 Offenbar aus Anlass der rechtskräftigen Bestrafung des Revisionswerbers wegen einer gravierenden Verwaltungsübertretung sprach das BFA mit Bescheid vom 9. Oktober 2023 soweit für das vorliegende Verfahren relevantaus, dass gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG eine (weitere) Rückkehrentscheidung und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen werde. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Armenien zulässig sei. Ferner wurde einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFAVG die aufschiebende Wirkung aberkannt und demnach gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt.

5Eine gegen diese Spruchpunkte erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem angefochtenen, am 18. Dezember 2023 mündlich verkündeten und mit 16. Februar 2024 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis mit der „Maßgabe“ ab, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf drei Jahre herabgesetzt wurde. Unter einem sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

6 In seiner Begründung ging das BVwG unter anderem davon aus, dass „eine maßgebliche Änderung bzw. Verschlechterung“ der den Revisionswerber betreffenden „abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat“ nicht vorliege. Auch eine relevante Änderung der Rechtslage habe nicht festgestellt werden können. Bei der Republik Armenien handle es sich im Übrigen um einen „sicheren Herkunftsstaat“ iSd § 19 BFAVG. Im Hinblick auf die Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG führte das BVwG im Rahmen der rechtlichen Beurteilung dann noch aus, es seien keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Armenien unzulässig wäre.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:

8 In ihrer Zulässigkeitsbegründung macht die Revision ein Abweichen von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere mit der Begründung geltend, dass angesichts der Bindungswirkung des rechtskräftigen Ausspruchs der Unzulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Armenien sowohl im Bescheid des BFA vom 27. September 2019 als auch im Erkenntnis des BVwG vom 10. Juni 2022 eine Neubeurteilung dieser Frage mangels Änderung der insoweit maßgeblichen Sach und Rechtslage nicht hätte vorgenommen werden dürfen. Darauf aufbauend weist die Revision in Bezug auf die Rückkehrentscheidung auf das Urteil EuGH 6.7.2023, C 663/21, hin, wonach bei Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt den damit zusammenhängenden Aussprüchen zu unterbleiben habe.

9 Die Revision erweist sich aus diesen Gründenentgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig und auch als berechtigt.

10Nach der auch in der Revision angesprochenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt im Hinblick auf eine rechtskräftige Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat die (in der Folge in Betracht gezogene) gegenteilige Feststellung voraus, dass sich nach Erlassung der rechtskräftigen Vorentscheidung der Sachverhalt oder die Rechtsvorschriften wesentlich geändert hätten, sodass eine neue Sache vorliegt (vgl. etwa VwGH 7.3.2019, Ra 2018/21/0238, Rn. 14, und VwGH 7.3.2019, Ro 2019/21/0002, Rn. 13/14, jeweils mit Hinweis auf VwGH 24.1.2019, Ro 2018/21/0011, insbesondere Rn. 15 ff.).

11 Eine derartige Änderung zeigte das BVwG im gegenständlichen Fall jedoch nicht auf. Es verneinte vielmehr ausdrücklich, dass sich hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Armenien die maßgebliche Sachoder Rechtslage geändert habe. Demzufolge hätte das BVwG die in der Rn. 10 dargestellte, aus der Rechtskraft folgende Bindungswirkung des zuletzt mit Erkenntnis vom 10. Juni 2022 getroffenen rechtskräftigen Ausspruchs der Unzulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Armenien beachten müssen. Indem das BVwG jedoch die Beschwerde gegen die Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG, dass eine Abschiebung des Revisionswerbers nach Armenien zulässig sei, abwies, erweist sich das angefochtene Erkenntnis zunächst in diesem Umfang als inhaltlich rechtswidrig.

12 Wie die Revision mit ihrem Hinweis auf das Urteil EuGH 6.7.2023, C 663/21, zutreffend geltend macht, schlägt der aufrechte rechtskräftige Ausspruch über die Unzulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers auch auf die im vorliegenden Verfahrennur zur Ermöglichung der nunmehr vom BFA beabsichtigten Erlassung eines Einreiseverbotes (siehe zu einem solchen Fall auch VwGH 26.9.2024, Ra 2021/21/0141, Rn. 11)ergangenen Rückkehrentscheidung durch. Nach dem erwähnten Urteil des EuGH ist Art. 5 der Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG), wonach die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieser Richtlinie den Grundsatz der Nichtzurückweisung einhalten, dahin auszulegen, dass er dem Erlass einer Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen entgegensteht, wenn feststeht, dass dessen Abschiebung in das vorgesehene Zielland nach dem Grundsatz der Nichtzurückweisung auf unbestimmte Zeit ausgeschlossen ist. Daraus folgt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Fällen, in denen die Unzulässigkeit der Abschiebung festgestellt wurde, unionsrechtswidrig ist und in diesen Fällen daher zu unterbleiben hat; ebenso die damit in Zusammenhang stehenden Aussprüche, wie etwa die Festlegung einer Frist zur freiwilligen Ausreise und die eine Rückkehrentscheidung voraussetzende und damit zu verbindende Erlassung eines Einreiseverbots. Normen, die ausdrücklich Gegenteiliges anordnen, wie § 8 Abs. 3a zweiter Satz AsylG 2005 und § 9 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005, sind demnach aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts unangewendet zu lassen (vgl. dazu VwGH 25.7.2023, Ra 2021/20/0246, Rn. 103 ff, und die darauf Bezug nehmende nachfolgende Judikatur, wie beispielsweise VwGH 11.9.2023, Ra 2023/18/0111, Rn. 17/18; zur zwingenden Verbindung des zu erlassenden Einreiseverbotes „mit“ einer Rückkehrentscheidung vgl. im Übrigen erneut VwGH 26.9.2024, Ra 2021/21/0141, Rn. 11, mwN).

13 Ausgehend von der aufrechten rechtskräftigen Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung des Revsionswerbers in seinen Herkunftsstaat Armenien erweist sich daher das angefochtene Erkenntnis auch im Umfang der Abweisung der Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die damit zusammenhängenden Aussprüche, nämlich jenen nach § 18 Abs. 2 Z 1 BFAVG und nach § 55 Abs. 4 FPG, sowie gegen das verhängte, auf die Rückkehrentscheidung aufbauende Einreiseverbot als rechtswidrig.

14 Bei diesem Ergebnis kommt es auf die in der Revision darüber hinaus noch hinsichtlich des Einreiseverbots als grundsätzlich iSd Art. 133 Abs. 4 B VG aufgeworfenen Rechtsfragen gegenständlich nicht an.

15Das angefochtene Erkenntnis war daher zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

16Der Kostenzuspruch beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 3. April 2025