JudikaturVwGH

Ra 2021/20/0246 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
20. Oktober 2021

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel sowie die Hofräte Dr. Schwarz und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache der Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Mai 2021, W211 2224938 1/49E, betreffend Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach dem AsylG 2005 sowie rechtlich davon abhängende Aussprüche nach dem AsylG 2005 und dem FPG (Mitbeteiligter: A A, in L), den Beschluss gefasst:

Spruch

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist bei der Beurteilung, ob der einem Flüchtling von der zuständigen Behörde zuvor zuerkannte Status des Asylberechtigten aus dem in Art. 14 Abs. 4 lit. b Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung) genannten Grund aberkannt werden darf, eine Güterabwägung als eigenständiges Kriterium in der Form vorzunehmen, dass es für die Aberkennung erforderlich ist, dass die öffentlichen Interessen für die Rückführung die Interessen des Flüchtlings am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen müssen, wobei dabei die Verwerflichkeit eines Verbrechens und die potentielle Gefahr für die Allgemeinheit den Schutzinteressen des Fremden beinhaltend das Ausmaß und die Art der ihm drohenden Maßnahmen gegenüberzustellen sind?

2. Stehen die Bestimmungen der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, im Besonderen deren Art. 5, Art. 6, Art. 8 und Art. 9, einer nationalen Rechtslage entgegen, wonach gegen einen Drittstaatsangehörigen, dem sein bisheriges Aufenthaltsrecht als Flüchtling durch Aberkennung des Status des Asylberechtigten entzogen wird, selbst dann eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ist, wenn bereits im Zeitpunkt der Erlassung der Rückkehrentscheidung feststeht, dass eine Abschiebung wegen des Verbotes des Refoulement auf unbestimmte Dauer nicht zulässig ist und dies auch in einer der Rechtskraft fähigen Weise festgestellt wird?

1 A. Sachverhalt und bisherige Verfahren:

2 Herr A A (im Weiteren: der Mitbeteiligte) wurde im Jahr 1989 in Damaskus (Syrien) geboren und lebte bis August 2014 in Syrien. Er reiste am 10. Dezember 2014 unrechtmäßig in Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Er gab an, staatenlos und Angehöriger der Palästinenser zu sein. Er verfügte zu dieser Zeit über ein von einer syrischen Behörde für Palästinenser ausgestelltes Reisedokument und einen ebensolchen Personalausweis.

3 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (die revisionswerbende Behörde) gab dem Antrag des Mitbeteiligten mit Bescheid vom 22. Dezember 2015 statt und sprach aus, dass dem Mitbeteiligten gemäß § 3 (Abs. 1) AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt werde, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

4 Den vorgelegten Akten ist zu entnehmen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl davon ausging, der Mitbeteiligte sei staatenlos und habe in Syrien als anerkannter Flüchtling gelebt (die Behörde ging erkennbar davon aus, dass Syrien der Herkunftsstaat des staatenlosen Mitbeteiligten im Sinn der asylrechtlichen Bestimmungen sei, weil es sich um das Land des früheren gewöhnlichen Aufenthalts gehandelt hatte). Er sei bei United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) registriert. Er habe Syrien wegen des Bürgerkriegs und der damit verbundenen dortigen prekären Situation verlassen. Er habe aber auch glaubhaft gemacht, dass er einer individuellen Verfolgung unterliege. Im Jahr 2013 sei er von unbekannten Personen entführt und erst nach der Zahlung von Lösegeld durch den Vater wieder freigelassen worden. Nach der Freilassung habe sich der Mitbeteiligte in den Libanon begeben. Von dort sei er aber wieder nach Syrien zurückgeschickt worden. Im August 2014 sei er von der Militärpolizei aufgefordert worden, seinen Dienst (beim Militär) anzutreten. Daraufhin sei er aus Syrien geflohen. Ihm drohe im Fall der Rückkehr nach Syrien (erkennbar gemeint: weil er sich dem Wehrdienst entzogen habe) Verfolgung seitens der Regierung.

5 Der Mitbeteiligte wurde während seines Aufenthalts in Österreich straffällig. Das Landesgericht Linz verurteilte ihn am 22. März 2018 wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB), der Sachbeschädigung nach § 125 StGB und des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 Suchtmittelgesetz SMG (Erwerb und Besitz zum Eigengebrauch) sowie wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall SMG (Einfuhr und Ausfuhr von Suchtgift in einer die Grenzmenge das ist jene mit Verordnung festgelegte Untergrenze der Menge, die geeignet ist, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen herbeizuführen übersteigenden Menge) sowie des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG (Überlassen von Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten sowie einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Das Urteil wurde rechtskräftig.

6 Die Landespolizeidirektion Oberösterreich erließ in der Folge gegen den Mitbeteiligten ein (noch bis 5. Dezember 2023 gültiges) Waffenverbot.

7 Am 22. Mai 2018 leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegen den Mitbeteiligten ein Verfahren zur Aberkennung des ihm früher zuerkannten Status des Asylberechtigten ein. Dieses Verfahren wurde von der Behörde zunächst nicht weitergeführt. Aus einem in den Akten einliegenden Aktenvermerk vom 25. Juli 2018 ergibt sich, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu dieser Zeit davon ausging, es bestehe keine ausreichende Grundlage für die Annahme, der Mitbeteiligte stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit dar.

8 In der Folge wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl davon verständigt, dass gegen den Mitbeteiligten weitere Anzeigen wegen strafbarer Handlungen erstattet worden und gegen ihn auch Verurteilungen ergangen seien.

9 Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 14. Jänner 2019 wurde der Mitbeteiligte wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten rechtskräftig verurteilt. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen; die mit dem früheren Urteil festgelegte Probezeit wurde auf fünf Jahre verlängert.

10 Am 11. März 2019 verurteilte das Landesgericht Wels den Mitbeteiligten wegen der Vergehen der versuchten Körperverletzung nach § 15 Abs. 1, § 83 Abs. 1 StGB und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten. Abermals wurde der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Festlegung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen und die zuvor mit drei Jahren bestimmte Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

11 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl leitete infolge der neuerlichen Verurteilungen am 28. März 2019 wieder ein Verfahren zur Aberkennung des dem Mitbeteiligten zuerkannten Status des Asylberechtigten ein. Dies wurde dem Mitbeteiligten mit Schreiben vom 29. März 2019 zur Kenntnis gebracht. Es wurde ihm auch die Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern, was der Mitbeteiligte auch tat.

12 Mit Strafverfügung vom 13. August 2019 wurde der Mitbeteiligte von der Landespolizeidirektion Oberösterreich wegen aggressiven Verhaltens gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht mit einer Geldstrafe belegt.

13 Mit Bescheid vom 24. September 2019 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass dem Mitbeteiligten der mit Bescheid vom 22. Dezember 2015 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt werde, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Unter einem wurde ausgesprochen, dass dem Mitbeteiligten der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ihm von Amts wegen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005, § 9 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG) eine Rückkehrentscheidung sowie gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkte IV. und VII.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise festgelegt werde (Spruchpunkt VI.). Es wurde mit demselben Bescheid aber auch ausgesprochen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten nach Syrien nicht zulässig sei (Spruchpunkt V.).

14 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ging in seiner Begründung zusammengefasst und soweit hier wesentlich in Bezug auf die Möglichkeit einer Abschiebung des Mitbeteiligten davon aus, anhand der Berichtslage zu Syrien ergebe sich, dass dort immer noch die Gefahr bestehe, dass Menschen zwangsrekrutiert würden. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Mitbeteiligte Opfer einer Zwangsrekrutierung und gezwungen werde, an Kriegsverbrechen teilzunehmen. Von einer Abschiebung des Mitbeteiligten nach Syrien müsse daher auch künftig Abstand genommen werden.

15 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

16 Der Mitbeteiligte beging weiterhin strafbare Handlungen. Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 16. Juni 2020 wurde er wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Vom Widerruf der mit den früheren Urteilen festgelegten bedingten Strafnachsichten wurde abgesehen; die letzte noch mit drei Jahren bestimmte Probezeit aber auf fünf Jahre verlängert.

17 Das Landesgericht Linz verurteilte den Mitbeteiligten am 8. Oktober 2020 wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und des Betrugs nach § 146 StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von fünf Monaten. Vom Widerruf früher ausgesprochener bedingter Strafnachsichten wurde abermals abgesehen.

18 Das Bundesverwaltungsgericht führte am 28. Oktober 2020 eine Verhandlung durch, in der der Mitbeteiligte erklärte, die gegen Spruchpunkt V. des Bescheides damit war die Unzulässigkeit seiner Abschiebung festgestellt worden erhobene Beschwerde zurückzuziehen.

19 Mit dem Erkenntnis vom 28. Mai 2021 gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten statt und hob die übrigen Spruchpunkte I. bis IV., VI. und VII. des Bescheides ersatzlos auf. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

20 Das Bundesverwaltungsgericht stellte soweit hier von Interesse fest, dass der Mitbeteiligte ein „staatenloser Palästinenser aus Syrien“ sei. Er stamme „aus der Stadt Sahnaya in Damaskus-Land“. Dieses Gebiet befinde sich „derzeit in der Hand des Regimes“ (offenkundig gemeint: unter Kontrolle des syrischen Staates). In Syrien habe der Mitbeteiligte keine Verwandten mehr. Die Eltern, ein Bruder und eine Schwester lebten mittlerweile in der Niederlande.

21 Das Bundesverwaltungsgericht legte im Einzelnen jene Tathandlungen, die zu den oben genannten Verurteilungen geführt hatten, sowie die Gründe, die von den Strafgerichten bei der Bemessung der Strafen als erschwerend und mildernd berücksichtigt worden waren, dar. Weiters traf das Verwaltungsgericht Feststellungen zur Lage in Syrien.

22 Im Anschluss an hier nicht weiter maßgebliche Erwägungen zur Beweiswürdigung führte das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung wiederum auf das Wesentliche zusammengefasst aus, gemäß § 6 Abs. 1 Z 4 (erster Satz) AsylG 2005 sei ein Fremder von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden sei und er wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeute. Der Status des Asylberechtigten sei einem Fremden gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn ein Asylausschlussgrund nach § 6 AsylG 2005 vorliege.

23 Es müssten vier Voraussetzungen gegeben sein, um den hier in Rede stehenden Tatbestand als erfüllt ansehen zu können. Es müsse der Fremde erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden, drittens gemeingefährlich sein, und viertens müssten die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen.

24 Das Bundesverwaltungsgericht bejahte dann in der Folge unter Bedachtnahme auf die dazu ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Vorliegen der unter erstens bis drittens genannten Voraussetzungen. Vom Mitbeteiligten gehe infolge des von ihm begangenen Suchtgifthandels und wegen der wiederkehrenden gewalttätigen Angriffe gegen andere Menschen eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit aus. Dabei setzte sich das Verwaltungsgericht eingehend mit den Straftaten und der Persönlichkeit des Mitbeteiligten auseinander. Es kam auch zum Ergebnis, dass im Fall des Mitbeteiligten, der immer rasch rückfällig geworden sei, keine „günstige Zukunftsprognose“ möglich sei.

25 Zur vierten Voraussetzung führte das Verwaltungsgericht aus, es sei eine Güterabwägung dahingehend vorzunehmen, ob die Interessen des Zufluchtsstaates jene des Flüchtlings überwögen. Bei dieser Güterabwägung seien so das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Verwerflichkeit eines Verbrechens und die potentielle Gefahr für die Allgemeinheit den Schutzinteressen des Asylwerbers beinhaltend das Ausmaß und die Art der ihm drohenden Maßnahmen gegenüberzustellen. Art. 1 Abschnitt F lit. b der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und Art. 33 Z 2 GFK könnten etwa dann keine Anwendung finden, wenn die drohenden Maßnahmen relativ schwer seien, der Fremde aber weitgehend als resozialisiert gelte, weil er nicht rückfällig geworden sei. Habe der Fremde mit Folter oder Tod zu rechnen, überwögen die öffentlichen Interessen an der Nichtasylgewährung „eher selten“ gegenüber den individuellen Schutzinteressen. In solchen Fällen sei sogar Kriminellen Asyl zu gewähren, wenn ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung drohe. Die Ausnahmeklausel des Art. 33 Z 2 GFK sei restriktiv auszulegen. Verstehe man das Non Refoulement Prinzip als Instrument des Menschenrechtsschutzes und ziehe man den an sich selbstverständlichen Grundsatz in Betracht, dass auch Personen, die die Normen des Strafrechts verletzen, nicht automatisch aller fundamentaler Rechte verlustig gehen, könne diese Bestimmung nur in seltenen und extremen Ausnahmefällen Anwendung finden.

26 Dem Mitbeteiligten sei vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl „aufgrund seiner Eigenschaft als Wehrdienstverweigerer“ der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden. Die Schutzwürdigkeit von „syrischen“ Wehrdienstverweigerern sei immer noch anzuerkennen. Insoweit verwies das Bundesverwaltungsgericht auf seine Feststellungen zur Lage in Syrien. Erkennbar legte es seiner Beurteilung jene Feststellungen zugrunde, wonach für „palästinische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien“ Wehrpflicht bestehe. Berichten zufolge betrachte die (syrische) Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das „Vaterland“ gegen terroristische Bedrohungen zu schützen. Hinsichtlich der Konsequenzen von Desertion und Wehrdienstverweigerung bestünden zwar unterschiedliche Berichte und es gingen die Meinungen auseinander. Es werde aber auch davon berichtet, dass „die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichzusetzen“ sei.

27 Das Bundesverwaltungsgericht ging wegen solcher dem Mitbeteiligten mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohender Konsequenzen davon aus, dass die nach der Rechtsprechung geforderte Güterabwägung zu Gunsten des Mitbeteiligten auszufallen habe. Daher dürfe trotz der von ihm ausgehenden Gefahr der Status des Asylberechtigten nicht aberkannt werden.

28 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an den Verwaltungsgerichtshof erhobene Revision. Die Behörde macht geltend, die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei zu einer Zeit und zu einer Rechtslage ergangen, die nicht mit der aktuellen rechtlichen Ausgangslage vergleichbar sei. Der Gesetzgeber habe Vorkehrungen dafür getroffen, dass nach der im Revisionsfall anzuwendenden Rechtslage eine Abschiebung in den Herkunftsstaat nicht erfolgen dürfe, wenn dem Fremden solche Konsequenzen drohten, dass eine Verletzung des Art. 2 oder Art. 3 EMRK zu befürchten sei. Die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Güterabwägung sei zum Schutz vor Abschiebung nicht erforderlich, weil für den Mitbeteiligten ein nationaler Abschiebeschutz in der Form bestehe, dass im Fall des Vorliegens eines Refoulement Verbotes in einer der Rechtskraft fähigen Weise festgestellt werde, dass die Abschiebung nicht zulässig sei. Der Ursprung der bisherigen Rechtsprechung liege zudem in einer Zeit vor Inkrafttreten der gemeinschaftsrechtlichen und unionsrechtlichen Regelungen zu asylrechtlichen Belangen. Eine Betrachtung des in den einschlägigen Richtlinien nämlich der Richtlinie 2011/95/EU und der davor geltenden Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Ausschlussgrundes zeige, dass es Ziel dieser Bestimmungen sei, die Glaubwürdigkeit des durch die Richtlinien in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehenen Schutzsystems zu erhalten. Diese Bestimmungen stünden daher der Aufrechterhaltung des früher zuerkannten Schutzstatus sogar entgegen.

29 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) habe in seinem Urteil vom 9. November 2010, C 57/09 und C 101/09, festgehalten, dass der Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling gemäß Art. 12 Abs. 2 lit. b und c der Richtlinie 2004/83/EG keine auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetze. Der Art. 12 Abs. 2 lit. b und c der Richtlinie 2004/83/EG seien in die Neufassung der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU, im Weiteren kurz: StatusRL) übernommen worden. Art. 12 Abs. 2 lit. b und c StatusRL sei mit § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 in das innerstaatliche Recht umgesetzt worden. Mit dem fallbezogen maßgeblichen § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 habe der österreichische Gesetzgeber die Umsetzung des Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL vorgenommen. Der EuGH habe sich bislang noch nicht dazu geäußert, ob nach dieser Bestimmung eine Güterabwägung durchzuführen sei. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vertrete die Ansicht, dass die Erwägungen des EuGH im Urteil vom 9. November 2010 zu Art. 12 Abs. 2 lit. b und c der Richtlinie 2004/83/EG auch für das Verständnis von Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL maßgeblich seien. Auch aus der Formulierung des Art. 14 Abs. 4 StatusRL ergebe sich keinerlei Hinweis dafür, dass eine Güterabwägung zu erfolgen hätte. Vielmehr verbiete sich eine solche sogar, weil damit die Erhaltung der Glaubwürdigkeit des durch die StatusRL in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehenen Schutzsystems in Frage gestellt werden könnte.

30 B. Maßgebliche Bestimmungen des Unionsrechts:

31 Art. 14 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung); im Weiteren: StatusRL:

„Artikel 14

Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung der Flüchtlingseigenschaft

(1) Bei Anträgen auf internationalen Schutz, die nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG gestellt wurden, erkennen die Mitgliedstaaten einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen die von einer Regierungs- oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannte Flüchtlingseigenschaft ab, beenden diese oder lehnen ihre Verlängerung ab, wenn er gemäß Artikel 11 nicht länger Flüchtling ist.

(2) ...

(3) Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen die Flüchtlingseigenschaft ab, beenden diese oder lehnen ihre Verlängerung ab, falls der betreffende Mitgliedstaat nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft feststellt, dass

a) die Person gemäß Artikel 12 von der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist;

b) ...

(4)Die Mitgliedstaaten können einem Flüchtling die ihm von einer Regierungs- oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannte Rechtsstellung aberkennen, diese beenden oder ihre Verlängerung ablehnen, wenn

a) es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass er eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält;

b) er eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats darstellt, weil er wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.

(5) ...

(6) Personen, auf die die Absätze 4 oder 5 Anwendung finden, können die in den Artikeln 3, 4, 16, 22, 31, 32 und 33 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Rechte oder vergleichbare Rechte geltend machen, sofern sie sich in dem betreffenden Mitgliedstaat aufhalten.“

32 Art. 2, 4, 18 und 19 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC):

„Artikel 2

Recht auf Leben

(1) Jede Person hat das Recht auf Leben.

(2) ...

...

Artikel 4

Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung

Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

...

Artikel 18

Asylrecht

Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet.

Artikel 19

Schutz bei Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung

(1) ...

(2) Niemand darf in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.“

33 Art. 5, 6, 8 und 9 Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger; im Weiteren: Rückführungsrichtlinie:

„Artikel 5

Grundsatz der Nichtzurückweisung, Wohl des Kindes, familiäre Bindungen und Gesundheitszustand

Bei der Umsetzung dieser Richtlinie berücksichtigen die Mitgliedstaaten in gebührender Weise:

a) ...

...

und halten den Grundsatz der Nichtzurückweisung ein.

Artikel 6

Rückkehrentscheidung

(1) Unbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 bis 5 erlassen die Mitgliedstaaten gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung.

(2) ...

...

(4) Die Mitgliedstaaten können jederzeit beschließen, illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen wegen Vorliegen eines Härtefalls oder aus humanitären oder sonstigen Gründen einen eigenen Aufenthaltstitel oder eine sonstige Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. In diesem Fall wird keine Rückkehrentscheidung erlassen. Ist bereits eine Rückkehrentscheidung ergangen, so ist diese zurückzunehmen oder für die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels oder der sonstigen Aufenthaltsberechtigung auszusetzen.

(5) ...

(6) Durch diese Richtlinie sollen die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert werden, entsprechend ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften und unbeschadet der nach Kapitel III und nach anderen einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts und des einzelstaatlichen Rechts verfügbaren Verfahrensgarantien mit einer einzigen behördlichen oder richterlichen Entscheidung eine Entscheidung über die Beendigung eines legalen Aufenthalts sowie eine Rückkehrentscheidung und/oder eine Entscheidung über eine Abschiebung und/oder ein Einreiseverbot zu erlassen.

...

Artikel 8

Abschiebung

(1) Die Mitgliedstaaten ergreifen alle erforderlichen Maßnahmen zur Vollstreckung der Rückkehrentscheidung, wenn nach Artikel 7 Absatz 4 keine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt wurde oder wenn die betreffende Person ihrer Rückkehrverpflichtung nicht innerhalb der nach Artikel 7 eingeräumten Frist für die freiwillige Ausreise nachgekommen ist.

(2) ...

...

Artikel 9

Aufschub der Abschiebung

(1) Die Mitgliedstaaten schieben die Abschiebung auf,

a) wenn diese gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen würde oder

b) ...

(2) ...

...“

34 C. Maßgebliche Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention:

35 Art. 33 Genfer Flüchtlingskonvention:

„Artikel 33

Verbot der Ausweisung und Zurückweisung

1. Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.

2. Auf die Vergünstigung dieser Vorschrift kann sich jedoch ein Flüchtling nicht berufen, der aus schwer wiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde.“

36 Art. 2 und Art. 3 EMRK:

„Artikel 2 - Recht auf Leben

(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden.

(2) ...

Artikel 3 - Verbot der Folter

Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“

37 D. Maßgebliche Bestimmungen des nationalen Rechts:

38 § 2, § 3, § 6 bis § 10 und § 57 Asylgesetz 2005:

„Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

1. die Genfer Flüchtlingskonvention: die Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, BGBl. Nr. 55/1955, in der durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Jänner 1967, BGBl. Nr. 78/1974, geänderten Fassung;

2. die EMRK: die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958;

3....

...

11. Verfolgung: jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie;

12. ...

...

15. der Status des Asylberechtigten: das zunächst befristete und schließlich dauernde Einreise- und Aufenthaltsrecht, das Österreich Fremden nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gewährt;

16. ...

17. ein Herkunftsstaat: der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, oder im Falle der Staatenlosigkeit der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes;

18. ...

...

...

Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) ...

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1. ...

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

(4) ...

...

(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

...

Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten

§ 6. (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn

1. und so lange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;

2. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;

3. aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, oder

4. er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

(2) Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 gilt.

Aberkennung des Status des Asylberechtigten

§ 7. (1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;

2. einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder

3. der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.

(2) ...

...

(4) Die Aberkennung nach Abs. 1 Z 1 und 2 ist mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dieser hat nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigen, zurückzustellen.

Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

(3) ...

(3a) Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

(4) ...

...

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;

2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder

3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn

1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;

2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(3) ...

...

Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. ...

...

4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

5. ...

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

(2) ...

...

‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘

§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. ...

...“

39 § 31, § 46a und § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005:

„Voraussetzung für den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet

§ 31. (1) Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1. ...

...

4. solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach dem AsylG 2005 zukommt;

5. ...

...

(1a) Liegt kein Fall des Abs. 1 vor, halten sich Fremde nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf; dies insbesondere, wenn sie

1. ...

...

3. geduldet sind (§ 46a) oder

4. ...

...

Duldung

§ 46a. (1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist zu dulden, solange

1. deren Abschiebung gemäß §§ 50, 51 oder 52 Abs. 9 Satz 1 unzulässig ist, vorausgesetzt die Abschiebung ist nicht in einen anderen Staat zulässig;

2. deren Abschiebung gemäß §§ 8 Abs. 3a und 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig ist;

3. ...

...

Rückkehrentscheidung

§ 52. (1) ...

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. ...

...

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ...

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. ...

(3) ...

...

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) ...

...“

40 E. Erläuterung zu den Vorlagefragen:

41 Zur ersten Frage

42 Bereits das früher in Österreich geltende (am 31. Dezember 2004 außer Kraft getretene) Asylgesetz 1997 (AsylG) legte in seinem § 13 Abs. 2 unter der Überschrift „Ausschluss von der Asylgewährung“ fest, dass die Gewährung von Asyl (auch dann) ausgeschlossen war, wenn Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden waren und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeuteten.

43 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit dieser Bestimmung in seinem Erkenntnis vom 6. Oktober 1999, 99/01/0288, erstmals grundsätzlich auseinandergesetzt.

44 Dort wurde ausgeführt, dass sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 13 Abs. 2 AsylG ergebe, dass einerseits der Gesetzgeber bereits für das Asylverfahren jene Überprüfungskriterien eingeführt habe, welche nach dem in Art. 33 GFK enthaltenen „Verbot der Ausweisung oder der Zurückweisung“ aus der Sicht der GFK erst im Verfahren zur Außerlandesbringung zu beurteilen wären. Andererseits habe sich der Gesetzgeber mit dem von ihm verwendeten Wortlaut der völkerrechtlichen Bedeutung dieser Wortfolgen angeschlossen.

45 Nach dem Art. 33 Z 2 GFK müssten nach internationaler Literatur und Judikatur kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Heimat- oder Herkunftsstaat verbracht werden dürfe. Er müsse erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden sein, drittens gemeingefährlich sein und viertens müssten die öffentlichen Interessen an der Rückschiebung die Interessen des Flüchtlings am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen. In diesem Zusammenhang verwies der Verwaltungsgerichtshof auf die Ausführungen in Kälin , Grundriss des Asylverfahrens (1990), S 227 ff, sowie die dort zitierte Literatur und Judikatur.

46 Unter den Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ fallen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur solche Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen (VwGH 6.10.1999, 99/01/0288). Auch die Verletzung des Rechtsgutes der sexuellen Integrität von Kindern wurde als „besonders schweres Verbrechen“ eingestuft (vgl. VwGH 5.4.2018, Ra 2017/19/0531). Der Verwaltungsgerichtshof hat aber auch bereits festgehalten, dass es sich dabei um eine demonstrative und daher keineswegs abschließende Aufzählung von Delikten in Zusammenhang mit Art. 33 Z 2 GFK handelt. Ebenso hat der Verwaltungsgerichtshof zum Ausdruck gebracht, dass auch im Fall einer Vielzahl einschlägiger rechtskräftiger Verurteilungen und insofern verhängter, beträchtlicher und überwiegend unbedingter Freiheitsstrafen, verwirklichte Delikte in einer Gesamtbetrachtung als „besonders schweres Verbrechen“ qualifiziert werden können. Es wurde auch betont, dass es auf die Strafdrohung allein bei der Beurteilung, ob ein „besonderes schweres Verbrechen“ vorliegt, nicht ankommt (vgl. VwGH 29.8.2019, Ra 2018/19/0522, mwN).

47 Es genügt allerdings nicht, dass der Fremde ein abstrakt als schwer einzustufendes Delikt verübt hat. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen. Milderungsgründe, Schuldausschließungsgründe und Rechtfertigungsgründe sind zu berücksichtigen (vgl. auch dazu VwGH 99/01/0288 sowie Ra 2017/19/0531). Bei der Beurteilung, ob ein „besonders schweres Verbrechen“ vorliegt, ist daher eine konkrete fallbezogene Prüfung vorzunehmen. Es sind insbesondere die Tatumstände zu berücksichtigen. Lediglich in gravierenden Fällen schwerer Verbrechen erweist sich bereits ohne umfassende Prüfung der einzelnen Tatumstände eine eindeutige Wertung als schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose als zulässig (vgl. VwGH 29.8.2019, Ra 2018/19/0522; VwGH 14.2.2018, Ra 2017/18/0419; 23.9.2009, 2006/01/0626; vgl. weiters ausführlich zur Frage, wann eine Straftat als ausreichend schwerwiegend zu qualifizieren ist, um von einem „besonders schweren Verbrechen“ sprechen zu können, VwGH 3.12.2002, 99/01/0449).

48 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass im Sinn des Art. 33 Z 2 GFK nur gemeingefährliche Straftäter in den Herkunftsstaat verbracht werden dürfen. Besteht für das zukünftige Verhalten des Täters eine günstige Prognose, darf eine Anwendung des hier in Rede stehenden Aberkennungsgrundes im Sinn des Art. 33 Z 2 GFK nicht erfolgen (vgl. VwGH 6.10.1999, 99/01/0288). Im Rahmen der Gefährdungsprognose ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung eines Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Es ist für eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose nicht ausreichend, wenn lediglich das Gericht, die Urteilsdaten, die maßgeblichen Strafbestimmungen und die verhängte Strafe angeführt werden. Im Rahmen der zu treffenden Feststellungen kann es fallbezogen mitunter auch nicht ausreichend sein, die im Urteilstenor des Strafgerichts zum Ausdruck kommenden Tathandlungen wiederzugeben, sondern es sich als notwendig darstellen, darüber hinausgehende Feststellungen zu treffen, um die Gefährdungsprognose in einer dem Gesetz entsprechenden Weise vornehmen zu können (vgl. VwGH 1.3.2018, Ra 2018/19/0014, mwN)

49 Zur darüber hinaus als eigenständiges Kriterium für die Zulässigkeit der Aberkennung notwendigen Güterabwägung wurde vom Verwaltungsgerichtshof worauf sich auch das Bundesverwaltungsgericht in der in Revision gezogenen Entscheidung gestützt hat im Erkenntnis vom 6. Oktober 1999, 99/01/0288, wörtlich ausgeführt:

„Als letzter Punkt für die Zulässigkeit der Zurückverbringung hat die belangte Behörde eine Güterabwägung vorzunehmen, ob die Interessen des Zufluchtsstaates jene des Flüchtlings überwiegen. Diese Verpflichtung zur Güterabwägung wird in der Staatenpraxis anerkannt (vgl. Kälin, aaO, S 231 mwN). Diesbezüglich besteht zwischen (den in § 13 AsylG übernommenen Teilen des) Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK und Art. 33 Abs. 2 GFK kein Unterschied (vgl. Kälin, aaO, S 228). Bei dieser Güterabwägung hat die belangte Behörde die Verwerflichkeit eines Verbrechens und die potentielle Gefahr für die Allgemeinheit den Schutzinteressen des Asylwerbers beinhaltend das Ausmaß und die Art der ihm drohenden Maßnahmen gegenüberzustellen. Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK und Art. 33 Abs. 2 GFK können etwa keine Anwendung finden, wenn die drohenden Maßnahmen relativ schwer sind, der Asylwerber aber weitgehend als resozialisiert gelten kann, weil er nicht rückfällig geworden ist. Hat der Asylwerber mit Folter oder Tod zu rechnen, überwiegen die öffentlichen Interessen an der Nichtasylgewährung eher selten die individuellen Schutzinteressen. In solchen Fällen ist sogar Kriminellen Asyl zu gewähren, wenn ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht (vgl. Rohrböck, aaO, Rz 455).“

50 Betrachtet man nun die als Referenz zitierte Literaturstelle ( Kälin , auf den auch Rohrböck , Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (1999), S 279 f, Rn. 455, verweist), so ergibt sich insbesondere aus dem in einer Fußnote enthaltenen Hinweis auf eine weitere Literaturstelle und einem daraus entnommenen Zitat, dass maßgeblich der Gedanke Einfluss nahm, jede Güterabwägung finde dort ihre Grenze, wo Art. 3 EMRK eine Rückschiebung verbiete (dies wird der Sache nach aber dort nicht tragend, weil schon das Vorliegen eines „besonders schweren Verbrechens“ verneint wurde auch in VwGH 3.12.2002, 99/01/0449, angesprochen, wo darauf hingewiesen wurde, dass die Güterabwägung über die sich aus Art. 3 EMRK ergebenden Verpflichtungen hinaus der Durchbrechung des Verbotes des Refoulement entgegenstehen kann).

51 Diese Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof auf spätere Gesetzesbestimmungen, insbesondere auch auf die aktuell geltende Rechtslage nach dem (mit 1. Jänner 2005 in Kraft gesetzten) AsylG 2005 übertragen, weil der Wortlaut der Bestimmung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 gegenüber jenem von früheren gesetzlichen Bestimmungen (seit dem Asylgesetz 1997 stets) unverändert blieb (vgl. VwGH 23.9.2009, 2006/01/0626). Dabei und in der folgenden Rechtsprechung hatte er sich allerdings nicht mehr eingehend mit dem Kriterium der Güterabwägung zu befassen.

52 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verweist in seinen Überlegungen auf das Urteil des EuGH vom 9. November 2010, C 57/09 und C 101/09. In diesem Urteil hat der EuGH festgehalten, dass die in Art. 12 Abs. 2 lit. b und c der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Ausschlussgründe, die denen des Art. 1 Abschnitt F lit. b und c der Genfer Flüchtlingskonvention entsprachen, mit dem Ziel geschaffen wurden, jene Personen von der Anerkennung als Flüchtling auszuschließen, die als des Schutzes unwürdig angesehen werden (Rn. 104). Es soll damit aber auch verhindert werden, dass es die Anerkennung als Flüchtling den Urhebern bestimmter in der Vergangenheit begangener (Rn. 103) schwerwiegender Straftaten ermögliche, sich einer strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen (Rn. 104).

53 Da der Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling aus einem der in Art. 12 Abs. 2 lit. b oder c Richtlinie 2004/83/EG genannten Gründe mit der Schwere der begangenen Handlungen zusammenhänge (Rn. 108) und die zuständige Behörde bereits im Rahmen ihrer Beurteilung der Schwere der begangenen Handlungen und der individuellen Verantwortung der betreffenden Person alle Umstände zu berücksichtigen habe, die für diese Handlungen und für die Lage dieser Person kennzeichnend sind, bestehe keine Verpflichtung zur Vornahme einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, die eine erneute Beurteilung des Schweregrads der begangenen Handlungen einschließe (Rn. 109).

54 Somit steht, was vom EuGH auch ausdrücklich betont wurde, bei diesen Ausschlussgründen im Vordergrund, dass sich der Fremde, der die Anerkennung als Flüchtling anstrebt, wegen von ihm gesetzter Handlungen als unwürdig erwiesen hat, in den Genuss der damit verbundenen Rechtsstellung zu kommen.

55 Demgegenüber ist der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung davon ausgegangen, dass es Art. 33 Z 2 zweiter Fall GFK ausnahmsweise erlaubt, einem Flüchtling den Status als Asylberechtigten wieder abzuerkennen (oder erst gar nicht zuzuerkennen), weil von ihm eine derart hohe Gefahr ausgeht, sodass es der Staat, in dem der Fremde Zuflucht gesucht hat, zum Schutz der Allgemeinheit nicht länger akzeptieren muss, dass sich der Fremde auf die (weiterhin bestehende) Verfolgung im Herkunftsstaat berufen und deswegen im Zufluchtsstaat bleiben dürfte.

56 Bei dieser Betrachtung steht im Vordergrund, dass vom Fremden eine große und aktuelle Gefahr ausgeht, die der Zufluchtsstaat abwehren möchte. Führt man sich vor Augen, welche Konsequenzen aber eine Rückführung trotz aufrechter Gefahr einer Verfolgung des betroffenen Fremden im Heimatland haben kann, erscheint es naheliegend, eine Güterabwägung dahingehend vornehmen zu müssen, ob jene Risken, die dem Fremden durch die Rückkehr in sein Heimatland aufgebürdet werden, im Verhältnis zu der von ihm ausgehenden Gefahr hingenommen werden können.

57 Es ist aber einzuräumen, dass es im Hinblick darauf, welche Konsequenzen einem Fremden drohen müssen, um diese überhaupt als solche Verfolgungshandlungen (sh. Art. 9 StatusRL) einstufen zu können, aufgrund derer es gerechtfertigt ist, den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, kaum Fälle denkbar sein dürften, die es trotz bestehender Verfolgung im Herkunftsland erlaubten, den Fremden in dieses Land zurückzubringen.

58 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verweist in diesem Zusammenhang allerdings darauf, dass der EuGH im Urteil vom 9. November 2010, C 57/09 und C 101/09, ausgeführt habe, es stehe den Mitgliedstaaten frei, nach ihrem nationalen Recht einen nationalen Schutz zu gewähren, soweit diese andere Form des Schutzes nicht die Gefahr der Verwechslung mit der Rechtsstellung des Flüchtlings im Sinn der Richtlinie berge (Rn. 118). Das sei im österreichischen Recht vorgesehen.

59 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl macht weiters geltend, dass sich der hier in Rede stehende Ausschlussgrund des Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL anders als nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes so präsentiere, wie jene des (früheren in der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen und nunmehrigen) Art. 12 Abs. 2 lit. b und c StatusRL.

60 Das würde aber dann für das Verständnis des Aberkennungsgrundes nach Art. 14 Abs. 4 bedeuten, dass wie bei Art. 12 in den Vordergrund rückt, dass sich der Fremde wegen seiner massiven Straffälligkeit und der deswegen von ihm ausgehenden Gefahr als unwürdig gezeigt habe, den Status des Asylberechtigten beibehalten zu dürfen.

61 Diese Sichtweise der Behörde entspricht jener Intention, die der österreichische Gesetzgeber im Rahmen von Änderungen des AsylG 2005 ausdrücklich zu erkennen gegeben hat. So wurden etwa mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009, BGBl. I Nr. 122, erfolgte Änderungen jener Vorschriften, die sich auf straffällig gewordene Asylwerber sowie bereits anerkannte Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte beziehen, damit begründet, dass Fremde, die schwere Verstöße gegen die österreichische Rechtsordnung zu verantworten haben, sich nicht mehr auf den privilegierten Schutzstatus berufen können sollen. Wenn die Abschiebung dieser Fremden auf Grund der Situation im Herkunftsstaat (weiterhin) nicht zulässig sein sollte, so soll deren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich geduldet sein (vgl. RV 330 BlgNR 24. GP, 4).

62 Auch in späteren Novellierungen tritt dieser Gedanke zutage. Nach der nationalen Rechtslage war früher in den hier in Rede stehenden Fällen der zuvor gewährte Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten wieder abzuerkennen (oder erst gar nicht zuzuerkennen) und gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung in den Herkunftsstaat unzulässig sei. Mit den Änderungen im Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017 (FrÄG 2017), BGBl. I Nr. 145, legte der österreichische Gesetzgeber zusätzlich fest, dass gegen den Fremden überdies eine Rückkehrentscheidung (und allenfalls auch ein Einreiseverbot) zu erlassen sei. Er führte in den Erläuterungen aus, dass in § 52 Abs. 9 FPG in Übereinstimmung mit unionsrechtlichen Vorgaben vorgesehen werde, dass über die Rückkehrentscheidung und das allfällige Vorliegen von Abschiebungsverboten in einem Bescheid abzusprechen sei. Die Unzulässigkeit der Abschiebung solle der Erlassung einer Rückkehrentscheidung demnach nicht (mehr) entgegenstehen (IA 2285/A 25. GP, 76). Soweit Art. 14 Abs. 5 StatusRL bestimmte Garantien der Genfer Flüchtlingskonvention für sinngemäß anwendbar erkläre, werde diesen Garantien dadurch Rechnung getragen, dass in den Fällen des § 8 Abs. 3a und § 9 Abs. 2 AsylG 2005 weiterhin zwingend die Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat festzustellen sei (IA 2285/A 25. GP, 77).

63 Aus den Erläuterungen des österreichischen Gesetzgebers geht unmissverständlich hervor, dass er mit den in Rede stehenden Vorschriften beabsichtigt hat, jenen Fremden, die straffällig geworden sind und dadurch auch „Asylausschlussgründe“ verwirklicht haben, nur noch einen nationalen Abschiebeschutz zu gewähren. Jene (gegenüber der Einräumung von bloßem Abschiebeschutz bessere) Rechtsposition, die mit dem Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten verbunden ist, soll ihm hingegen nicht länger zustehen.

64 Erfolgt die Aberkennung des Status des Asylberechtigten, hat die Behörde zu prüfen, ob dem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist. Dieser Status ist gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, dann zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (es sei hier darauf hingewiesen, dass diese Regelung mit den unionsrechtlichen Vorgaben nicht übereinstimmt, weil sie auch jene Konstellationen erfasst, die in keinem Zusammenhang mit einem Akteur stehen, jedoch eine unionsrechtskonforme Rechtslage im Weg der Interpretation nicht zu erzielen ist und eine unmittelbare Anwendung der StatusRL zu Lasten des Rechtsunterworfenen nicht in Betracht kommt, vgl. VwGH 21.5.2019, Ro 2019/19/0006; eine weitergehende Vertiefung dieser Problematik kann hier aber unterbleiben, weil sie für das gegenständliche Ersuchen um Vorabentscheidung nicht weiter relevant ist).

65 Selbst wenn eine solche reale Gefahr gegeben ist, ist dem Fremden dennoch die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zu verweigern, wenn ein Aberkennungsgrund nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 (darunter findet sich in der Z 2 auch der Grund, dass der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt) gegeben ist. Diesfalls ist die Feststellung, diesen Status nicht zuzuerkennen, mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (Rückkehrentscheidung) und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, weil dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (§ 8 Abs. 3a AsylG 2005).

66 Schon ausgehend davon, dass der Verwaltungsgerichtshof am Beginn seiner hier in Rede stehenden Rechtsprechung selbst darauf hingewiesen hat, dass, soweit es die Verpflichtung zur Güterabwägung betrifft, zwischen Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK und Art. 33 Z 2 GFK kein Unterschied besteht, aber vom EuGH die Verpflichtung zu einer Verhältnismäßigkeitsprüfung in Bezug auf Art. 12 Abs. 2 lit. b und c Richtlinie 2004/83/EG, der (u.a.) auch im Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK sein Vorbild habe, verneint wurde, ist das Vorbringen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, auch nach Art. 14 Abs. 4 StatusRL verbiete sich eine Güterabwägung, weil die Frage der Unwürdigkeit der Beibehaltung (oder Zuerkennung) des Status als Asylberechtigter im Vordergrund stehe, nicht gänzlich von der Hand zu weisen.

67 Durch die Aberkennung des Status des Asylberechtigten kann dem Gedanken der Abwehr einer von einem (massiv) straffällig gewordenen Fremden ausgehenden Gefahr jedenfalls dann nicht Rechnung getragen werden, wenn sich seine Abschiebung wegen des Verbotes des Refoulement als nicht zulässig darstellt. In diesem Fall hat nämlich der Zufluchtsstaat keine Möglichkeit, die weitere Anwesenheit dieses Fremden in seinem Hoheitsgebiet von sich aus zu beenden. Er wäre darauf angewiesen, dass dieser Fremde das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats aus eigenem verlässt.

68 Auch in der Literatur werden in Bezug auf die Frage der Notwendigkeit einer Güterabwägung unterschiedliche im Weiteren bloß exemplarisch und in geraffter Weise dargestellte Ansätze verfolgt.

69 So meint etwa Putzer , dass Art. 33 Z 2 GFK als (eng auszulegende) Ausnahmevorschrift zum Grundsatz des in der GFK festgelegten Verbotes des Refoulement zu betrachten sei. Damit werde kein (völkerrechtlicher) Ausschlussgrund normiert, sondern es würden Fälle vorgesehen, in denen Personen, die unter den Flüchtlingsbegriff fallen, ausnahmsweise keinen Schutz vor Ausweisung oder Zurückweisung genössen, selbst wenn das Leben oder die Freiheit dieser Personen im Zielstaat der Ausweisung bedroht seien. Das bringe es mit sich, dass dem Art. 33 Z 2 GFK eine Güterabwägung zwischen den fundamentalen öffentlichen Interessen des Aufnahmestaates und den Interessen des Flüchtlings inhärent sei (vgl. Putzer , Asylrecht Leitfaden zum Asylgesetz 2005, 2. Aufl. [2011], S. 71, Rn. 136).

70 Neusiedler geht (zwar gleichfalls) davon aus, dass in Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL die Formulierungen aus Art. 33 Z 2 GFK übernommen worden seien. Daher seien die Mitgliedstaaten durch die Richtlinienbestimmung nur zur Aberkennung ermächtigt, wenn die Voraussetzungen des Art. 33 Z 2 zweiter Fall GFK erfüllt seien, was eine Auslegung nach dem autonomen Begriffsverständnis nach dieser Bestimmung der GFK erfordere. Dass aber im Rahmen einer Beurteilung im Sinn des Art. 33 Z 2 GFK „sowohl das Nichtvorliegen von qualifiziertem Refoulement als auch die Verhältnismäßigkeit als Voraussetzung“ zu prüfen seien, entbehre einer überzeugenden dogmatischen Begründung (vgl. Neusiedler , Der Aberkennungsgrund des „besonders schweren Verbrechens“, migralex 2021, S. 8 ff). Die Notwendigkeit einer solchen Prüfung ergebe sich gerade nicht aus den „travaux préparatoires“ zur GFK. Weiters sei zu bezweifeln, dass der Umstand, dass (andere) Instrumente des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes einen weitergehenden Schutz vor Refoulement als die GFK garantierten, tatsächlich einen nicht hinnehmbaren und daher im Wege der teleologischen Interpretation zu beseitigenden Wertungswiderspruch bewirkten. Denn dieses Argument verschließe sich letztendlich dem nicht zu negierenden Umstand, dass die GFK einen beschränkten Anwendungsbereich habe und außerhalb ihres Anwendungsbereichs allenfalls andere Schutzmechanismen greifen würden. Die Annahme eines Wertungswiderspruchs in allen Fällen, in denen der menschenrechtliche Schutz im Vergleich zur GFK weiter reiche, laufe darauf hinaus, den Schutzbereich einzelner ihrer Garantien oder gar ihren gesamten Anwendungsbereich interpretativ erweitern zu müssen. Gegen die Anwendung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung werde in der Literatur auch eingewandt, dass weder die Schwere des Verbrechens, welches der betroffenen Person vorgeworfen werde, noch die Größe der Gefahr für die Sicherheit des Aufnahmestaats oder seiner Gemeinschaft durch die Intensität der Verfolgung, welche der betroffenen Person drohe, beeinflusst (oder reduziert) werde (vgl. Neusiedler , Abschiebemöglichkeit wegen Straffälligkeit von Asylberechtigten, FABL 2020 I, mit ausführlicher Darlegung der von ihm vertretenen Position und mit diversen Hinweisen auf internationale Literatur).

71 Marx weist zum wortgleich formulierten Grund nach Art. 14 Abs. 4 lit. b Richtlinie 2004/83/EG darauf hin, dass die in Art. 14 Abs. 4 enthaltenen „Freistellungsklauseln [...] wegen Zweifeln an ihrer völkerrechtlichen Vereinbarkeit sehr umstritten“ seien ( Marx , Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie (2009), S 639, Rn. 185). Die Berufung auf die „Freistellungsklauseln“ des Art. 14 Abs. 4 (und Abs. 5) entbinde die Mitgliedstaaten nicht von ihren entsprechenden Verpflichtungen aus der GRC und der GFK. Die Mitgliedstaaten dürften nur einen solchen Gebrauch davon machen, der mit den Grundsätzen übereinstimme, die nach dem Völkerrecht zu beachten seien ( Marx , aaO., S 640, Rn. 189). Art. 14 Abs. 4 sei dem Art. 33 Z 2 GFK nachgebildet. Art. 33 Z 2 GFK habe die Funktion, für die Ermessensfreiheit der Staaten, Flüchtlinge abschieben zu können, bestimmte Grenzen zu setzen ( Marx , aaO., S 641, Rn. 191). Daher lege diese Bestimmung eine höhere Schwelle fest, als sie für die Anwendung von Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK bestehe ( Marx , aaO., S 641, Rn. 192). Ob die hohe Schwelle des Art. 33 Z 2 GFK überschritten werde, sei aber nicht am abstrakten Charakter der Straftat zu messen, sondern es komme auf die Umstände der Tat an und ob daraus eine Gefahr für die Allgemeinheit folge. Bei der Gefahrenabwehr stehe nicht die durch eine Straftat möglicherweise verursachte Schutzunwürdigkeit des Betroffenen in Rede, sondern die aus der Straftat folgende Gefahr ( Marx , aaO., S 642, Rn. 195). Es sei zu kritisieren, dass (allein) durch die Aufhebung des Status die Gefahr nicht beseitigt werde. Es bestehe die Befürchtung, dass entgegen dem Zweck des Art. 33 Z 2 GFK nicht die vom Betroffenen ausgehende Gefahr, sondern der abstrakte Charakter des Delikts über den Widerruf (des Status als Asylberechtigter) entscheide. Dann aber werde Art. 33 Z 2 GFK entgegen seiner konventionsrechtlichen Funktion zur Sanktionsnorm für bestimmte Straftaten umgestaltet und damit „durch die Hintertür“ der Anwendungsbereich von Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK auf nach der Aufnahme im Mitgliedstaat begangene Straftaten erweitert ( Marx , aaO., S 645 f, Rn. 209 f). Den Ausführungen von Marx ist aber wie an dieser Stelle hervorzuheben ist gleichwohl nicht zu entnehmen, dass (bereits) bei der Anwendung des Art. 14 Abs. 4 eine Güterabwägung vorzunehmen wäre. Vielmehr weist er in seinen Überlegungen ausdrücklich darauf hin, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen müssten, ihren Verpflichtungen nach Art. 3 EMRK nachzukommen, wobei er herausstreicht, dass der danach zu gewährende Schutz vor Refoulement umfassender sei, als jener nach Art. 33 GFK ( Marx , aaO., S 646 f, Rn. 211 ff).

72 Es ist zudem darauf zu verweisen, dass sich aus den Ausführungen des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) zu ergeben scheint, dass lediglich in der österreichischen Rechtsprechung bei der Anwendung der in Umsetzung des Art. 14 Abs. 4 StatusRL ergangenen nationalen Bestimmung eine Güterabwägung vorgenommen wird, die dazu führen kann, dass einem straffällig gewordenen Fremden nicht bloß ein (nationaler) Abschiebeschutz gewährt wird, sondern ihm der Status des Asylberechtigten nicht vorenthalten oder nicht aberkannt werden darf (vgl. EASO , Richterliche Analyse Beendigung des internationalen Schutzes: Artikel 11, 14, 16 und 19 der Anerkennungsrichtlinie [Richtlinie 2011/95/EU], S. 53).

73 Somit scheint innerhalb der Mitgliedstaaten keine gleichförmige Auslegung des Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL stattzufinden. Eine unterschiedliche Auslegung scheint aber geeignet, (hier: in einem Mitgliedstaat gravierend straffällig gewordene) Personen, die internationalen Schutz beantragen oder den bereits zuerkannten Schutzstatus behalten wollen, zu veranlassen, sich in andere Mitgliedstaaten zu begeben, in denen eine für sie günstigere Auslegung des Unionsrechts gepflogen wird. Dies könnte eine Praxis des „forum shopping“ begünstigen, die darauf abzielt, die durch die StatusRL aufgestellten Regeln zu umgehen. Nach dem Wortlaut des 13. Erwägungsgrundes dieser Richtlinie sollte jedoch die Angleichung der Rechtsvorschriften über die Zuerkennung und den Inhalt der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes insbesondere dazu beitragen, „die Sekundärmigration von Personen, die internationalen Schutz beantragt haben, zwischen Mitgliedstaaten einzudämmen“, soweit sie ausschließlich auf unterschiedlichen Rechtsvorschriften beruht (vgl. EuGH 10.6.2021, C 901/19, Rn. 36).

74 Zur zweiten Frage

75 Unabhängig vom Ergebnis der ersten Frage könnte die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Mitbeteiligten sei nicht zulässig, im Ergebnis zutreffen.

76 Wie bereits dargelegt, wurde im österreichischen Recht angeordnet, dass gegen einen Fremden, dem der Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten wegen strafbarer Handlungen nicht oder nicht länger zukommen soll, auch dann eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ist, wenn seine Abschiebung auf unbestimmte Zeit nicht zulässig ist.

77 In diesem Zusammenhang hat der österreichische Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien erklärt, das Unionsrecht stehe einer Rechtslage, wie sie mit dem FrÄG 2017 geschaffen werde, nicht entgegen. Die Richtlinie 2011/95/EU äußere sich nicht zu der Frage, ob gegen Fremde, denen der Status eines Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen oder nicht zuzuerkennen sei (Art. 12 und 14 StatusRL), eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen werden dürfe. Soweit Art. 14 Abs. 6 StatusRL bestimmte Garantien der Genfer Flüchtlingskonvention auf solche Fremde sinngemäß für anwendbar erkläre, werde diesen Garantien dadurch Rechnung getragen, dass in den Fällen von § 8 Abs. 3a und § 9 Abs. 2 AsylG 2005 weiterhin zwingend die Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat festzustellen sei. Es stehe den Mitgliedstaaten gemäß Art. 6 Abs. 6 der Rückführungsrichtlinie frei, mit einer einzigen behördlichen oder richterlichen Entscheidung eine Entscheidung über die Beendigung eines legalen Aufenthaltes hier: betreffend die Beendigung des aus dem Schutzstatus herrührenden Aufenthaltsrechts oder des Aufenthaltsrechts eines Asylwerbers und eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Davon werde für die Fälle der auf einem Ausschlussgrund beruhenden Aberkennung sowie Verweigerung der Zuerkennung Gebrauch gemacht (IA 2285/A BlgNR 25. GP, 76 f).

78 Nach der österreichischen Rechtslage geht mit der Aberkennung des Schutzstatus der Verlust jenes Aufenthaltsrechts einher, das zuvor infolge des Status als Asylberechtigter (oder als subsidiär Schutzberechtigter) eingeräumt war. Der Aufenthalt des Fremden ist damit nicht länger rechtmäßig. Wird unter einem mit der Aberkennung eine Rückkehrentscheidung erlassen, aber gleichzeitig gemäß § 8 Abs. 3a und § 9 Abs. 2 AsylG 2005 festgestellt, dass (u.a.) die Abschiebung in einen bestimmten Staat (in der Regel: der Herkunftsstaat) unzulässig ist (weil dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde), so hat dies (vorausgesetzt die Abschiebung ist nicht in einen anderen Staat zulässig) zur Folge, dass der Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet zu dulden ist, solange die Abschiebung nicht zulässig ist (§ 46a Abs. 1 Z 1 FPG). Ist der Aufenthalt nach § 46a FPG geduldet, liegt kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung kein rechtmäßiger Aufenthalt vor (§ 31 Abs. 1a Z 3 FPG).

79 Zwar ist nach § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 Drittstaatsangehörigen (von Amts wegen oder auf Antrag) ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen, wenn ihr Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen. Allerdings sind davon (u.a.) jene Drittstaatsangehörigen ausgeschlossen, die eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen (und auch jene, die von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens im Sinn des § 17 StGB rechtskräftig verurteilt wurden).

80 Einer solchen Rechtslage könnten allerdings unter Bedachtnahme auf die jüngst ergangene Rechtsprechung des EuGH die Vorschriften der Rückführungsrichtlinie entgegenstehen.

81 Art. 9 Abs. 1 lit. a Rückführungsrichtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten die Abschiebung aufschieben, wenn diese gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen würde. Die Vornahme einer Abschiebung setzt wie sich aus Art. 8 Rückführungsrichtlinie ergibt wiederum voraus, dass eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde.

82 Der EuGH hat in seinem Urteil vom 3. Juni 2021, C 546/19, ausgeführt, dass sich aus Art. 6 Abs. 1 Rückführungsrichtlinie ergebe, dass die Mitgliedstaaten (unbeschadet der Ausnahmen nach Art. 6 Abs. 2 bis 5 dieser Richtlinie) verpflichtet seien, gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen (Rn. 55). Daher müsse ein Mitgliedstaat, wenn er mit einem Drittstaatsangehörigen befasst sei, der sich in seinem Hoheitsgebiet befinde und nicht oder nicht mehr über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügt, nach den einschlägigen Bestimmungen ermitteln, ob diesem Drittstaatsangehörigen ein neuer Aufenthaltstitel zu erteilen sein wird. Sei dies nicht der Fall, sei der betreffende Mitgliedstaat verpflichtet, gegen diesen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen (Rn. 56). Es liefe sowohl dem Gegenstand der Rückführungsrichtlinie, wie er in deren Art. 1 angeführt sei, als auch dem Wortlaut von Art. 6 dieser Richtlinie zuwider, das Bestehen eines Zwischenstatus von Drittstaatsangehörigen zu dulden, die sich ohne Aufenthaltsberechtigung und ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats befänden, gegen die aber keine wirksame Rückkehrentscheidung mehr bestünde (Rn. 57).

83 Diese Erwägungen hätten auch für Drittstaatsangehörige zu gelten, die sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten und die nicht abgeschoben werden können, weil einer Abschiebung der Grundsatz der Nichtzurückweisung entgegenstehe (Rn. 58). Aus Art. 9 Abs. 1 lit. a Rückführungsrichtlinie ergebe sich, dass es dieser Umstand nicht rechtfertige, in einer solchen Situation keine Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen zu erlassen, sondern nur, seine Abschiebung in Vollstreckung dieser Entscheidung aufzuschieben (Rn. 59).

84 Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen bestehen aber nun Zweifel, ob der nationale Gesetzgeber jenen vom EuGH im Urteil vom 3. Juni 2021 angesprochenen „Zwischenstatus“ in der (oben näher beschriebenen) Weise herbeiführen dürfte, dass (wie erwähnt, hat der österreichische Gesetzgeber ausdrücklich angeordnet, dass der bloß auf einer Duldung im Sinn des § 46a FPG gegründete Aufenthalt nicht rechtmäßig ist) eine Rückkehrentscheidung erlassen wird, obgleich schon bei der Erlassung derselben feststeht, dass ihre Vollstreckung für eine nicht absehbare Dauer unzulässig ist und die Unzulässigkeit der Abschiebung mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung unter einem in einer der Rechtskraft fähigen Weise festgestellt wird.

85 Ist von vornherein klar, dass die Vollstreckung einer Rückkehrentscheidung für unbestimmte Zeit nicht erfolgen darf, wird von der Erlassung einer „wirksamen“ Rückkehrentscheidung nicht gesprochen werden können, sodass auch Art. 9 Abs. 1 lit. a Richtlinie 2008/115 nur jene Konstellationen anzusprechen scheint, in denen davon ausgegangen werden kann, dass das einer Abschiebung entgegenstehende Hindernis in absehbarer Zeit wegfallen wird.

86 Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung nämlich auch festgehalten, dass immer dann, wenn eine Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen erlassen worden sei, jedoch der Fremde der Rückkehrpflicht nicht oder nicht innerhalb der für die freiwillige Ausreise gewährten Frist nachgekommen sei, Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 die Mitgliedstaaten um die Effizienz von Rückkehrverfahren zu gewährleisten verpflichte, alle Maßnahmen zu ergreifen, die zur Durchführung der Abschiebung des Betroffenen, also zu seiner tatsächlichen Verbringung aus dem betreffenden Mitgliedstaat, erforderlich seien (EuGH 14.1.2021, C 441/19, Rn. 79). Sowohl aus der Pflicht der Mitgliedstaaten zur loyalen Zusammenarbeit als auch aus den Erfordernissen der Wirksamkeit, auf die u.a. im vierten Erwägungsgrund der Rückführungsrichtlinie hingewiesen werde, ergebe sich, dass die den Mitgliedstaaten durch Art. 8 dieser Richtlinie auferlegte Pflicht, die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den in Abs. 1 dieser Vorschrift genannten Fällen vorzunehmen, innerhalb kürzester Frist zu erfüllen sei (Rn. 80 des genannten Urteils C 441/19, wobei es der EuGH im dortigen Fall als nicht zulässig angesehen hat, eine Rückkehrentscheidung gegen einen unbegleiteten Minderjährigen gleichsam auf Vorrat zu erlassen, wenn der Mitgliedstaat von vornherein nicht beabsichtigt, den Fremden abzuschieben, bevor er das Alter von 18 Jahren erreicht).

87 Gerade dieser Pflicht nachzukommen, ist aber der Behörde in jenem Fall, in dem die Abschiebung des Fremden rechtskräftig für unzulässig erklärt wird, bis zum (nicht absehbaren) Vorliegen einer gegenteiligen Entscheidung, aus der sich die Zulässigkeit der Abschiebung ergibt, gänzlich unmöglich. In einem solchen Fall könnte es dann mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH der Behörde aufgrund der Vorschriften der Rückführungsrichtlinie untersagt sein, eine Rückkehrentscheidung (gleichsam auf Vorrat) zu erlassen.

88 F. Schlussbemerkung

89 Nach dem Gesagten stellt sich für den Verwaltungsgerichtshof die Auslegung des Unionsrechts in Bezug auf die oben angeführten Fragen nicht derart offenkundig dar, dass für Zweifel kein Raum bliebe, weshalb die im Spruch formulierten Fragen dem Gerichtshof der Europäischen Union mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorgelegt werden.

Wien, am 20. Oktober 2021

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