Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie den Hofrat Dr. Bodis und die Hofrätin Dr. Funk Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des Mag. R K, Rechtsanwalt in W, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Jänner 2025, L521 2294048 1/15E, betreffend Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Revision in einer Angelegenheit der Gerichtsgebühren, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1Mit Erkenntnis vom 23. September 2024 verpflichtete das Bundesverwaltungsgericht den Revisionswerber zur Zahlung einer restlichen Pauschalgebühr gemäß TP 1 GGG iHv 2.919 €, einer Pauschalgebühr gemäß TP 3 lit. a GGG iHv 5.725 € sowie einer Einhebungsgebühr gemäß § 6a Abs. 1 GEG iHv 8 €. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
2Das Erkenntnis vom 23. September 2024 wurde dem Revisionswerber durch Hinterlegung per elektronischem Rechtsverkehr (ERV) am 23. September 2024 übermittelt. Die Zustellung wurde gemäß § 21 Abs. 8 BVwGG am 24. September 2024 bewirkt. Die sechswöchige Revisionsfrist gemäß § 26 Abs. 1 Z 1 VwGG endete daher am 5. November 2024.
3 Am 5. November 2024 brachte der Revisionswerber eine außerordentliche Revision im Wege des ERV beim Verwaltungsgerichtshof ein.
4 Am 6. November 2024 erlangte der Revisionswerber Kenntnis von der unrichtigen Einbringung der Revision.
5 Am 6. November 2024 brachte der Revisionswerber die außerordentliche Revision samt einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. September 2024 im Wege des ERV beim Bundesverwaltungsgericht ein.
6 Mit Schreiben vom 7. November 2024 legte das Bundesverwaltungsgericht die Revision dem Verwaltungsgerichtshof vor.
7Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ab. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
8 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens und soweit hier wesentlich aus, der Revisionswerber sei Rechtsanwalt und habe die gegenständliche Revision im Rahmen seiner Rechtsanwaltskanzlei eingebracht, sodass der Sorgfaltsmaßstab eines beruflich rechtskundigen Parteienvertreters maßgeblich sei.
9 Der gegenständliche Wiedereinsetzungsantrag werde damit begründet, dass aufgrund einer fehlerhaften Dateneingabe „in einem Submenü“ durch eine stets zuverlässige Kanzleimitarbeiterin die Revision am letzten Tag der Revisionsfrist nicht beim Bundesverwaltungsgericht, sondern direkt beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht worden sei. Der Fehler sei am 6. November 2024 erstmalig bekannt geworden.
10 Im Wiedereinsetzungsantrag werde nicht behauptet, dass ein Kontrollsystem in der Kanzlei der antragstellenden Partei eingerichtet worden sei oder eine Kontrolle (auch) der manipulativen Vorgänge im Kanzleibetrieb oder der Kanzleiangestellten erfolgt sei. Vielmehr ziehe der Revisionswerber in Zweifel, dass es sich bei der Überprüfung der Eingaben einer Kanzleikraft im ERV um eine „übliche Kontrolltätigkeit“ handeln würde. Somit könne von einer Organisation des Kanzleibetriebes, die eine fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen wie vorliegend die fristgerechte Einbringung der Revision im ERV sicherstelle, und von einer wirksamen Überwachung keine Rede sein. Es liege schon deshalb kein bloß minderer Grad des Versehens des Revisionswerbers vor.
11 Aus den zur Bescheinigung des Wiedereinsetzungsgrundes mitgelieferten Screenshots gehe ferner nicht hervor, dass der Schriftsatz an das Bundesverwaltungsgericht adressiert gewesen sei oder die am Bildschirm ersichtliche Maske einen solchen Eindruck erweckte. Vielmehr sei aus dem (ersten) Screenshot überhaupt kein Schriftsatzempfänger ersichtlich und es werde im Antrag auch zugestanden, dass die fehlerhaften Eintragungen in einem „Submenü“ erfolgt seien. Dass eine Kontrolle des „Submenüs“ vom Revisionswerber vorgenommen bzw. regelmäßig vorgenommen worden sei, sei nicht vorgebracht worden. Der Screenshot des Übermittlungsprotokolls sei nicht eindeutig, zumal daraus drei mögliche Schriftsatzempfänger (Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof oder Bundesverwaltungsgericht) hervorgingen. Das Übermittlungsprotokoll sei daher genauso wie der vorgelegte Screenshot der Eingabemaske nicht zum Nachweis der erfolgreichen Übermittlung eines Schriftsatzes an das Bundesverwaltungsgericht geeignet. Die Überprüfung des Einbringungsvorganges hätte weiterer Nachforschungen bedurft, die allerdings (sorgfaltswidrig) unterlassen worden seien. An der Verantwortlichkeit des antragstellenden Rechtsanwalts ändere der Verweis auf das Zuarbeiten durch die Kanzleikraft nichts.
12 Zusammenfassend sei das Bestehen eines wirksamen Kontrollsystems in der Kanzlei des Revisionswerbers nicht dargelegt worden. Zudem sei die zumutbare Sorgfalt, noch dazu kurz vor Fristablauf, außer Acht gelassen worden. Gerade unter Zeitdruck und mangels eines etablierten Kontrollsystems habe der Revisionswerber die ordnungsgemäße Einbringung des Schriftsatzes kontrollieren müssen, was nicht in ausreichendem Maß erfolgt sei. Es sei daher nicht vom Vorliegen eines minderen Grad des Versehens auszugehen.
13Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden können, da die Akten aufgrund der bestehenden Bescheinigungspflicht und des Verbots des Nachtragens weiterer Wiedereinsetzungsgründe erkennen ließen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließe. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei im Übrigen nicht beantragt worden. Art. 6 EMRK stehe bei verfahrensrechtlichen Entscheidungen dem Absehen von der Verhandlung nicht entgegen.
14 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision.
15 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B VG).
16Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
17Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
18 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision zunächst vor, das Bundesverwaltungsgericht sei hinsichtlich der Abgrenzung der notwendigen Sorgfalt des Rechtsanwalts und dem berechtigten Vertrauen auf die fehlerfreie Arbeit erfahrener Mitarbeiter von „der bisherigen Judikatur“ abgewichen. Die Beurteilung dieser Frage erfordere auch eine höchstgerichtliche Klarstellung.
19Die Frage, ob ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne grobes Verschulden der Partei zur Fristversäumung geführt hat oder ob ein Wiedereinsetzungsgrund ausreichend bescheinigt ist, unterliegt grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes und stellt daher regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn die Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise erfolgt wäre (vgl. VwGH 9.1.2024, Ra 2021/13/0091; 19.12.2017, Ra 2017/16/0167, mwN).
20Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, d.h. die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, wobei an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige Personen. (vgl. etwa VwGH 9.11.2016, Ra 2016/10/0071, mwN).
21 Das Bundesverwaltungsgericht stützte seine Schlussfolgerung, die Einbringung der Revision beim Verwaltungsgerichtshof begründe ein die Wiedereinsetzung ausschließendes, den minderen Grad des Versehens überschreitendes Verschulden, auf die vom Revisionswerber vorgelegten Screenshots der Eingabemaske des ERV und die Ausführungen des Revisionswerbers im Wiedereinsetzungsantrag. Dass eine Kontrolle der Eingabemaske vom rechtskundigen Revisionswerber vorgenommen worden sei, wurde weder im Wiedereinsetzungsantrag, noch in der Revision behauptet.
22Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann ein Rechtsanwalt technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken ohne nähere Beaufsichtigung einer ansonsten verlässlichen Kanzleikraft überlassen. Solche Vorgänge sind etwa die Kuvertierung, die Beschriftung eines Kuverts oder die Postaufgabe, also manipulative Tätigkeiten. Eine regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene oder zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Parteienvertreter nicht zuzumuten, will man seine Sorgfaltspflichten nicht überspannen (vgl. z.B. VwGH 30.3.2020, Ra 2019/05/0076, mwN).
23Wenn allerdings in keiner Weise dargelegt wird, ob jemals eine Kontrolle der manipulativen Vorgänge im Kanzleibetrieb oder der Kanzleiangestellten erfolgte bzw. wie das diesbezügliche Kontrollsystem eingerichtet ist, kann von einer Organisation des Kanzleibetriebes, die eine fristgerechte Setzung von Vertretungshandlungen mit größtmöglicher Zuverlässigkeit sicherstellt, und von einer wirksamen Überwachung keine Rede sein. Fehlt es an einem diesbezüglichen Vorbringen, liegt jedenfalls kein bloß minderer Grad des Versehens vor (vgl. VwGH 22.10.2024, Ra 2024/13/0104, sowie VwGH 29.5.2018, Ra 2018/15/0023, mwN).
24Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem zu einer dem Revisionsfall vergleichbaren Konstellation ausgesprochen, dass die Ursache für die Versäumung der Revisionsfrist eine unrichtige Festlegung der gesetzlich vorgesehenen Einbringungsstelle für die außerordentliche Revision gewesen sei, die in den juristischen Aufgabenbereich des Vertreters selbst fällt. Dem Vertreter ist im Hinblick auf den in seinen Verantwortungsbereich fallenden Fehler ein eigenes Verschulden an der Verspätung der eingebrachten Revision anzulasten. An dieser Verantwortlichkeit ändert der Verweis auf das Zuarbeiten durch die Sekretärin der Kanzlei nichts (VwGH 15.9.2023, Ra 2023/09/0151; 28.3.2020, Ra 2019/18/0479).
25Die Revision zeigt mit ihrem Vorbringen daher weder ein Fehlen von Rechtsprechung, noch ein Abweichen des Bundesverwaltungsgerichts von der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Sorgfaltsmaßstab des § 46 Abs. 1 VwGG auf. Dies gilt auch für das Vorbringen der Revision, wonach ein gesetzlich eingerichteter Rechtsverkehr, zu dem ein Handbuch fehle und bei welchem Sendebestätigungen generiert würden, auf deren Irreführung nicht hingewiesen würde, gegen Art. 5 Datenschutzgrundverordnung verstoße.
26Soweit die Revision schließlich pauschal Ermittlungsmängel sowie eine Aktenwidrigkeit geltend macht, kann sie die Relevanz dieser Verfahrensfehler vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht darlegen (vgl. etwa VwGH 15.9.2023, Ra 2022/16/0001, mwN).
27 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 3 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
28Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 27. März 2025