Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Funk Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. August 2024, W290 22857652/9E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: A E), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Der Mitbeteiligte, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 10. Oktober 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er gab an, in Syrien den Wehrdienst leisten zu müssen. Er befürchte, bei einer Rückkehr vom syrischen Regime rekrutiert und aufgrund seiner illegalen Ausreise bestraft zu werden.
2 Mit Bescheid vom 12. Jänner 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Mitbeteiligten hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigen ab, erkannte dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigen zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
3 Das Bundesverwaltungsgericht gab der gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt, erkannte dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten zu, stellte fest, dass dem Mitbeteiligten kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme, und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. B VG für nicht zulässig.
4 Das Bundesverwaltungsgericht stellte soweit für das Revisionsverfahren relevant fest, im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat würde der Mitbeteiligte mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit dazu gezwungen werden, Wehrdienst für die syrische Armee zu verrichten. Der Mitbeteiligte lehne es aufgrund seiner politischen Gesinnung ab, im derzeitigen Konflikt in Syrien an der Seite des syrischen Regimes zu kämpfen und an Kampfhandlungen teilzunehmen, da in seinen Augen das syrische Regime eine kriminelle Bande sei, die das Land zerstöre und Menschen getötet habe. Er wolle dies nicht unterstützen. Dem Mitbeteiligten würde eine feindliche politische Gesinnung unterstellt werden. Das syrische Regime betrachte die Verweigerung des Militärdienstes in Fällen, in denen eine Befreiungsgebühr nicht entrichtet werde, als schweres Verbrechen und behandle die Verweigerer als Gegner des Staates und der Nation. Dies spiegle die Sichtweise des Regimes auf die Opposition und auf jede Person wider, die versuche, sich seiner Politik zu widersetzen oder ihr zu entkommen. Solche Personen hätten damit zu rechnen, von einem der Nachrichtendienste aufgegriffen und gefoltert zu werden. Nach wie vor sei die Strafe für Wehrdienstentzug oft Haft und im Zuge dessen auch Folter.
5 Einer aus der Verweigerung des Militärdienstes resultierenden Verfolgung könne sich der Mitbeteiligte insbesondere durch die Entrichtung einer Befreiungsgebühr nicht entziehen, da er die Zahlung einer Befreiungsgebühr an das syrische Regime aus den gleichen politischen Gründen ablehne.
6 Das Bundesverwaltungsgericht legte seiner Entscheidung das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 27. März 2024 zu Grunde.
7 Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die sich aus den Länderberichten ergebende Lage von Wehrdienstverweigerern soweit hier relevant aus, der Mitbeteiligte verweigere im derzeitigen Konflikt in Syrien aufgrund seiner politischen Gesinnung die Teilnahme an Kampfhandlungen und im Besonderen die Ableistung des Wehrdienstes für die syrische Regierung. Im Zusammenhang mit seiner auf einer politischen Gesinnung beruhenden Ablehnung, im derzeitigen Konflikt in Syrien auf der Seite der syrischen Regierung zu kämpfen, werde dem Mitbeteiligten von dieser mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt.
8 Rechtlich folgerte das Bundesverwaltungsgericht, die Zahlung einer Befreiungsgebühr komme nicht in Betracht und könne vom Mitbeteiligten aufgrund der Verordnung (EU) 36/2012 vom 18. Jänner 2012 auch nicht verlangt werden. Dem Mitbeteiligten drohe bei einer Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Zwangsrekrutierung zum Wehrdienst bzw. (aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung) eine unverhältnismäßige Bestrafung in Form einer mit Folter verbundenen Haftstrafe. Diese Verfolgung stehe im Zusammenhang mit einem Konventionsgrund, nämlich mit jenem der (tatsächlichen oder zumindest unterstellten) „politischen Gesinnung“.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, die zu ihrer Zulässigkeit und in der Sache soweit hier wesentlich geltend macht, es fehle an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob ein Asylwerber auf die Möglichkeit eines Freikaufes verwiesen werden könne, um eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK hintanzuhalten bzw. ob ein Antrag auf internationalen Schutz in Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen sei, wenn ein Asylwerber die Möglichkeit eines Freikaufs, etwa aus einem „Verfolgungsgrund“, nicht in Anspruch nehmen wolle und ihm daher eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK bzw. Art. 9 Status RL drohe. Aus dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 26. Februar 2015, C 472/13, Shepherd , ergebe sich, dass eine geeignete Alternative zum Wehrdienst der Wehrdienstverweigerung die Asylrelevanz nehme.
10 Der Mitbeteiligte erstattete im vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.
11Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
12Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 VwGG, soweit nicht Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes oder infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorliegt, das angefochtene Erkenntnis oder den angefochtenen Beschluss auf Grund des vom Verwaltungsgericht angenommenen Sachverhalts im Rahmen der geltend gemachten Revisionspunkte bzw. der Erklärung über den Umfang der Anfechtung zu überprüfen hat. Somit sind Änderungen der Sachund Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben und daher vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt werden konnten, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren entzogen (vgl. VwGH 12.12.2024, Ra 2024/19/0239).
13 Die Revision ist aus den in der Revision dargelegten Gründen zulässig. Sie ist auch begründet.
14Sobald die außerordentliche Revision die Zulässigkeitsschwelle überschritten hat, weil sie eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzeigt, kann der Verwaltungsgerichtshof auch eine andere (als die in der Revision aufgezeigte) Rechtswidrigkeit aufgreifen (vgl. VwGH 19.5.2022, Ra 2021/19/0325, mwN).
15Die Asylgewährung an Wehrdienstverweigerer erfordert neben der Prüfung, ob die schutzsuchende Person bei Rückkehr in den Herkunftsstaat tatsächlich „Verfolgung“ im asylrechtlichen Sinne zu gewärtigen hätte, auch den Konnex dieser Verfolgungshandlung mit einem der fünf in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Konventionsgründe („Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“), die in Art. 10 Statusrichtlinie näher umschrieben werden. In den Worten des Art. 9 Abs. 3 Statusrichtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den in Art. 10 genannten Gründen und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen bestehen (vgl. VwGH 4.7.2023, Ra 2023/18/0108, mwN).
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung unter Bezugnahme auf Judikatur des EuGH bereits ausgeführt, dass die Verweigerung des Militärdienstes in vielen Fällen Ausdruck politischer Überzeugungen (sei es, dass sie in der Ablehnung jeglicher Anwendung militärischer Gewalt oder in der Opposition zur Politik oder den Methoden der Behörden des Herkunftslandes bestehen) oder religiöser Überzeugungen sein bzw. ihren Grund in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe haben kann. In diesen Konstellationen können die Verfolgungshandlungen aufgrund der Verweigerung des Wehrdienstes den einschlägigen Verfolgungsgründen zugeordnet werden. Die Verweigerung des Militärdienstes kann allerdings auch aus Gründen erfolgen, die in den Verfolgungsgründen von Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK bzw. Art. 10 Statusrichtlinie keine Deckung finden.
17In diesem Sinne hat auch der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass die (bloße) Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrelevante Verfolgung darstellt, sondern nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen kann. Neben Fällen, in denen die Wehrdienstverweigerung des oder der Betroffenen auf einem Verfolgungsgrund, wie etwa politischer Gesinnung oder religiöser Überzeugung, beruht, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einer Wehrdienstverweigerung bei entsprechenden Verfolgungshandlungen auch dann Asylrelevanz zukommen, wenn dem Betroffenen wegen seines Verhaltens vom Verfolger eine oppositionelle (politische oder religiöse) Gesinnung unterstellt wird (vgl. wiederum VwGH 4.7.2023, Ra 2023/18/0108).
18 Das Bundesverwaltungsgericht ging unter Bezugnahme auf die im angefochtenen Erkenntnis zitierten Länderberichte davon aus, dass Wehrdienstverweigerung bzw. die Nicht Entrichtung von der Befreiungsgebühr vom Regime als Nähe zur Opposition und als schweres Verbrechen gesehen werde, woraus zu schließen sei, dass dem Mitbeteiligten, der den Wehrdienst verweigern wolle, eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde. Diese (isolierte) Sichtweise lässt sich ohne das Hinzutreten weiterer Aspektejedoch mit den im angefochtenen Erkenntnis selbst verwerteten (weiteren) Länderberichten nicht in Einklang bringen, weil sich aus diesen Länderfeststellungen ein differenziertes Bild der Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ergibt und allein daraus nicht mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden kann, dass dem Mitbeteiligten eine oppositionelle Haltung unterstellt werden würde (vgl. VwGH 4.6.2024, Ra 2024/18/0133, mwN).
19Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner bereits ausgeführt, nach dieser Berichtslage lasse sich gerade kein Automatismus dahingehend als gegeben annehmen, dass jedem im Ausland lebenden Syrer, der seinen Wehrdienst nicht abgeleistet hat, im Herkunftsstaat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und deswegen eine unverhältnismäßige Bestrafung drohen würde (vgl. VwGH 8.11.2023, Ra 2023/20/0520; in diesem Sinn auch VwGH 21.12.2023, Ra 2023/20/0173).
20Nichts anderes gilt für die Frage, ob ein den Militärdienst ableistender syrischer Staatsangehöriger sich dazu gezwungen sähe, zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen beizutragen (vgl. VwGH 28.2.2024, Ra 2023/20/0619).
21 Diese zur Berichtslage des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Syrien in der Version 9 vom 17. Juli 2023 ergangene Rechtsprechung hat auch noch in Bezug auf das der Entscheidung zugrunde gelegte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien in der Version 11 vom 27. März 2024 ihre Gültigkeit.
22 Mit seiner Begründung, dem Mitbeteiligten drohe im Falle der Rückkehr asylrelevante Verfolgung, weil ihm vom syrischen Regime aufgrund der Wehrdienstverweigerung und seiner politischen Gesinnung eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde, hat sich das Bundesverwaltungsgericht über diese Vorgaben der hg. Judikatur hinweggesetzt. Anstatt unter Einbeziehung der konkreten Umstände des Einzelfalls darzulegen, warum dem Mitbeteiligten wegen der Wehrdienstverweigerung aus asylrechtlich relevanten Gesichtspunkten Verfolgung drohe, hat das Bundesverwaltungsgericht aus den Länderberichten generell abgeleitet, dass der Mitbeteiligte „aufgrund seiner politischen Gesinnung die Teilnahme an Kampfhandlungen und im Besonderen die Ableistung des Wehrdienstes für die syrische Regierung verweigert“. Daraus hat das Bundesverwaltungsgerichts abgeleitet, dass dem Mitbeteiligten von der syrischen Regierung „mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine politische Gesinnung unterstellt“ werde. Diese entfernte und die Umstände des Einzelfalls außer Acht lassendeMöglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht für die Gewährung von Asyl (vgl. etwa VwGH 30.6.2025, Ra 2024/19/0403; VwGH 28.2.2024, Ra 2023/20/0619, mwN).
23 Soweit das Bundesverwaltungsgericht in seiner rechtlichen Begründung auf die Ablehnung der Ableistung des Wehrdienstes durch den Mitbeteiligten aufgrund seiner „tatsächlichen politischen Gesinnung“ abstellt, sind diese Ausführungen ebenfalls nicht tragfähig. Das Bundesverwaltungsgericht legt in dem angefochtenen Erkenntnis nicht nachvollziehbar dar, aus welchem Grund es die Ablehnung des Wehrdienstes durch den Mitbeteiligten als Ausdruck einer politischen Gesinnung im Sinne eines Konventionsgrundes nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK versteht. Dass der Mitbeteiligte wie auch gegenständlichdie Ableistung des Militärdienstes in der syrischen Armee deswegen ablehne, „weil er das syrische Regime als ein verbrecherisches ansehe“, reicht nach der Rechtslage für sich genommen nicht aus, um den Status des Asylberechtigten zuerkannt zu bekommen (vgl. VwGH 14.10.2024, Ra 2024/20/0491). Dies gilt ebenso für die vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Ausführungen des Mitbeteiligten, wonach das syrische Regime eine „kriminelle Bande “sei.
24 Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die in der Revision aufgeworfenen die Zulässigkeitsschwelle überschreitendenFragen zum Freikauf vom Wehrdienst näher einzugehen (vgl. nochmals VwGH 4.6.2024, Ra 2024/18/0133).
25Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen vorranging wahrzunehmender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 10. September 2025